Gibson
Ich würde gern ein bisschen über das System unseres Mitarbeiter-Ratings sprechen.
In meiner Karriere habe ich viele kontroverse Dinge getan. Dabei hatte ich nicht immer recht, aber doch öfter, als ich unrecht hatte. Sonst schafft man es nicht so weit. Von allem, was ich getan habe, handelt es sich hier um die Maßnahme, für die man mich am meisten kritisiert hat.
Als ich das Rating eingeführt habe, war Cloud noch keine drei Jahre alt, und wir machten endlich echte Fortschritte. Da wurde mir klar, dass wir etwas brauchten, womit wir uns von der Masse abhoben. Etwas, was unsere Mitarbeiter wirklich dazu brachte, so hart zu arbeiten, wie es ihnen möglich war. Schließlich ist eine Herde nur so schnell und stark wie ihre langsamsten Mitglieder.
Damit ihr meinen Gedankengang versteht, möchte ich euch eine kleine Geschichte über die Schule erzählen, auf die ich gegangen bin, die Newberry Academy for Excellence. Damals gab es unterschiedliche Schultypen. Öffentliche Schulen, die von der Regierung finanziert wurden, Privatschulen, die normalerweise von religiösen Institutionen getragen wurden, und Charter-Schulen. Zu Letzteren gehörte Newberry. Eine Charter-Schule erhält Gelder von der öffentlichen Hand, befindet sich jedoch im Besitz eines Privatunternehmens, damit sie sich nicht an den ganzen Blödsinn halten muss, der von den Erziehungsbehörden ersonnen wird
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Früher lief es nämlich so: Ein Haufen Politiker, die keinerlei Erfahrung im schulischen Bereich hatten, setzten sich zusammen und entwickelten irgendwelche Formeln, die überall und für jedes einzelne Kind gelten sollten. Aber nicht alle Kinder haben dasselbe Lernverhalten. Zum Beispiel überrascht es euch vielleicht, wenn ich euch sage, dass ich bei Tests fürchterliche Probleme hatte. Am Morgen von wichtigen Prüfungen war ich immer so nervös, dass ich mir auf dem Schulweg die Seele aus dem Leib kotzte.
Durch die Charter-Schulen lag es in der Hand der Pädagogen, Lehrpläne zu entwickeln, die am besten für ihre eigenen Schüler passten. Man musste sich keinen lächerlichen Normen mehr anpassen, denn die einzigen Normen, auf die es jetzt ankam, wurden von Leuten gesetzt, die an vorderster Front tätig waren. Das war ein System, in das ich passte. Es ist keine Überraschung, dass es sich um genau das Bildungssystem handelt, das wir heute haben.
Zurück zum Thema. Wenn wir in meiner Schule am Halbjahresende unsere Zeugnisse bekamen, stand oben ein Rating in Form von Sternen. Fünf Sterne bedeuteten unübersehbar, dass es bestens lief, während ein Stern bedeutete, dass man ernste Probleme hatte. Ich war im Allgemeinen ein Vier-Sterne-Schüler, auch wenn ich gelegentlich auf drei Sterne abrutschte.
Die Lehrer und der Direktor mochten dieses Rating, weil man damit sofort erkennen konnte, wie sich ein bestimmter Schüler machte. Die schulische Erziehung ist eine komplexe Angelegenheit, weshalb das Zeugnis natürlich wesentlich ausführlicher war, mit Punkten und Punktdurchschnitten und Anmerkungen. Aber es gab eben auch diese vereinfachte Bewertung in Form der fünf Sterne. Das war besser als früher, wo man die Noten
in Buchstaben samt plus und minus ausgedrückt hatte. Das war zu kompliziert gewesen. Was ist ein C+ eigentlich genau? Und wieso gab es A, B, C, D und F? Wohin war das E entschwunden?
Das Rating-System mit den fünf Sternen versteht man sofort. Wir haben täglich damit zu tun, wenn wir etwas kaufen, uns ein Video anschauen oder ein Restaurant bewerten. Wieso sollte man es dann nicht im Schulwesen verwenden? Außerdem war es schon immer eine große Hilfe, zumindest für mich. Eines kann ich euch sagen – an Tagen, wo ich mit nur drei Sternen nach Hause kam, hat mein Vater sich mit mir zusammengesetzt und mir ausführlich erklärt, wie wichtig es sei, sich mehr anzustrengen. Selbst wenn ich vier Sterne hatte, wollte er, dass ich nach fünfen strebte, obwohl er wusste, dass das praktisch unmöglich für mich war.
Trotzdem gab es bei vier Sternen Eiscreme. Mein Daddy ist mit mir zu Eggsy’s gegangen, einer Eisdiele ganz in der Nähe von zu Hause. Dort hat er mir einen Becher mit zwei Kugeln Vanilleeis, heißer Karamellsoße, geschmolzenen Marshmallows und Erdnussbutterchips bestellt und mich dann gefragt: »Wie kannst du besser werden?«
Das hat er mich natürlich auch gefragt, wenn ich drei Sterne hatte, nur gab es da keinen Eisbecher.
Deshalb ist es dazu gekommen, dass es immer mein Ziel war, fünf Sterne heimzubringen. Ich wusste nämlich, selbst wenn ich das nicht schaffte und nur vier erreichte, konnte ich trotzdem ziemlich stolz auf mich sein. Drei Sterne empfand ich als Scheitern. Was nicht mal gestimmt hätte! Drei Sterne wären gar nicht schlecht gewesen. Als gescheitert gilt man erst dann, wenn man nur zwei bekommt. Aber merkt ihr, was das bewirkt hat?
Es hat mir ein Ziel gegeben und mich ermuntert, einen hohen Maßstab an mich anzulegen.
Damals in meiner Zeit in Newberry befanden sich viele öffentliche Schulen noch im Übergang zu Charter-Schulen, weshalb die zuständigen Behörden sich mit allerhand alten Verträgen herumschlagen mussten. Zum Beispiel wenn die Gewerkschaft einen ziemlich guten Deal für ihre Mitglieder herausgeschlagen hatte, laut dem diese selbst dann weiterbezahlt wurden und ein sattes Weihnachtsgeld bekamen, wenn sie Amok liefen und das Schulhaus in Brand steckten.
Was ja genau das Problem mit Gewerkschaften ist, oder nicht? Die sind der größte Schwindel, den die Welt je gesehen hat. Vor langer Zeit, als die Arbeiter noch ausgebeutet wurden und unter unsicheren Bedingungen schuften mussten, waren Gewerkschaften absolut sinnvoll. Aber so was wie der Brand der Triangle Shirtwaist Factory ist längst Vergangenheit. So etwas passiert heute nicht mehr. So wie das System funktioniert, ist das gar nicht mehr möglich. Schließlich wählt der amerikanische Kunde mit seinem Dollar – wenn ein Unternehmen derart übel ist, wird niemand mehr bei ihm arbeiten oder etwas einkaufen. Ganz einfach.
In meiner Schule gab es einen Hausmeister namens Skelton. Wir haben ihn scherzhaft immer Mr. Skeleton genannt, weil er so alt war. Er sah aus, als würde er bald hundert Jahre alt sein, und bot einen ziemlich traurigen Anblick, wenn er seinen Besen durch den Flur schob, so als würde er das kaum noch schaffen. Wenn jemand im Klassenzimmer eine Schweinerei veranstaltet hatte, wurde die deshalb meist von den Lehrern beseitigt, denn wenn man nach Skelton rief, tauchte er normalerweise erst nach der nächsten Pause auf
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Er war ein Überbleibsel. So haben wir solche Leute genannt. Die Typen von der Gewerkschaft hatten so lukrative Verträge für sie herausgeschlagen, dass sie keinen Anreiz hatten, in Rente zu gehen. Sie arbeiteten einfach weiter, weil sie wussten, dass man sie nicht feuern konnte. Selbst wenn sie zu alt für ihre Aufgaben waren, brauchten sie nur aufzukreuzen, um ihren Lohn, ihre Krankenversicherung und so weiter einzustreichen. Ein guter Job, wenn man ihn hatte.
Man würde meinen, dass dieser Bursche, so alt wie er war, sich ein bisschen Zeit für sich selbst nehmen würde. Versuchen würde, seine letzten Lebensjahre zu genießen. Aber nein, er wollte nur weiter abkassieren. Darüber habe ich oft nachgedacht, als ich Cloud aufgebaut habe. In einem Unternehmen arbeiten nämlich so viele Leute für einen, das ist geradezu unglaublich.
Wisst ihr, wie viele Leute bei Cloud tätig sind? Ganz ehrlich, das kann nicht mal ich euch sagen. Jedenfalls kann ich euch keine exakte Zahl nennen. Das liegt an den Tochtergesellschaften, an der Personalrotation in unseren Umschlagzentren und daran, dass täglich neue Firmen hinzukommen. Auf jeden Fall sind es mehr als dreißig Millionen, das ist meine beste Schätzung.
Denkt mal darüber nach. Dreißig Millionen. Wenn man die Hälfte aller größeren Städte in Amerika nimmt und ihre Einwohner zusammenzählt, kommt man nicht auf so viele Menschen. Und wenn man dreißig Millionen Leute managen muss, braucht man ein System, das einem die Aufgabe etwas erleichtert. Daher das Rating-System. Es ist eine Methode, Leistung auf transparente und zugleich rationelle Weise zu beurteilen. Weil Mitarbeiter, die bei zwei oder drei Sternen stehen, wissen, dass sie ein bisschen härter arbeiten müssen
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Und wollen nicht wir alle jemand mit fünf Sternen sein?
Wer vier Sterne hat, ist gut in Schuss. Bei drei Sternen könnte man das Tempo eventuell erhöhen. Sind es zwei, ist es an der Zeit, sich reinzuknien und zu zeigen, was man wert ist.
Deshalb bedeutet ein Stern die automatische Kündigung.
Jeden Tag, den ich aufstehe und zur Arbeit fahre, gebe ich mein Bestes. Von meinen Mitarbeitern muss ich dasselbe verlangen, wobei es mir völlig schnuppe ist, was die New York Times
meint. Diese ganzen zornigen Kommentare darüber, dass ich den amerikanischen Arbeitskräften dies oder jenes antue. Dass ich sie »zu gering schätze«. Dass ich »ein komplexes System zu stark vereinfache«.
Tja, genau das tue ich! Ich vereinfache komplexe Systeme. Bisher hat das ziemlich gut funktioniert.
Ich versorge meine Mitarbeiter mit den Werkzeugen, die sie brauchen, damit sie ihr Schicksal selbst in die Hand nehmen können. Das ist im Interesse aller Beteiligten. Wenn jemand nur einen Stern erreicht, drückt er nicht nur den Durchschnitt; er ist in einer Position, für die er nicht geeignet ist. Man würde ja auch einen Physiker nicht damit beauftragen, Glas zu blasen. Oder einen Metzger bitten, eine Website zu programmieren. Verschiedene Menschen haben verschiedene Fertigkeiten und Talente. Ja, Cloud ist ein großer Arbeitgeber, aber vielleicht passt jemand trotzdem nicht zu uns.
Das wäre es so weit. Ich werde sicher nicht auf alles eingehen, was ich bei Cloud in die Wege geleitet habe. Aber da ich oft nach dem Rating gefragt werde (oder gefragt wurde, als ich noch öfter Interviews gegeben habe), wollte ich mir das mal von der Seele reden
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Übrigens hat man mich gefragt, wie es mir geht, und es geht mir ziemlich gut. Ich probiere eine neue Krebstherapie aus, die laut meinem Arzt bei Mäusen Erfolg versprechende Ergebnisse erzielt hat, nur dass ich keine Maus bin und daher nicht recht weiß, weshalb er so optimistisch ist. Die Nebenwirkungen sind nicht besonders schlimm, außer dass ich ein bisschen hungriger werde, aber wenn man gerade so abnimmt wie ich, ist das kein großes Problem.
Eingehen möchte ich schließlich noch auf einen Bericht, der gestern in einem von diesen Business-Blogs stand. Den Namen des Blogs will ich nicht nennen, damit er nicht noch mehr Klicks bekommt. Es wurde behauptet, ich stünde kurz davor, Ray Carson als Nachfolger zu benennen.
Ich kann es nicht deutlicher sagen: Meine endgültige Entscheidung habe ich noch niemand mitgeteilt, weil ich meine endgültige Entscheidung noch nicht getroffen habe. Bei Cloud läuft es ausgezeichnet, es gibt einen Vorstand und Manager, woran sich nichts ändern wird. Deshalb kann ich nur jeden bitten, mir, meinen Wünschen und meiner Familie mit ein bisschen Respekt entgegenzutreten.
Eine Ankündigung zu diesem Thema wird früh genug kommen.