Paxto
n
Paxton dehnte die Schultern, worauf der Barhocker wackelte. Es war kein normales Wackeln, sondern eines, das vor dem endgültigen Zusammenbruch warnte. Er sprang herunter und inspizierte den Hocker daneben, der ebenfalls ein schwarzes Lederpolster und grob geschnitzte Holzbeine hatte. Als Paxton daran rüttelte, rührte er sich nicht. Paxton erklomm ihn und nahm den nächsten Schluck von seinem Bier. Das Glas war jetzt drei Viertel leer.
Der Barkeeper kam angeschlendert. Grünes Shirt, die Haare nach hinten an den Kopf geklatscht, mehrfach gebrochene Nase. Das Uhrband war aus dickem Leder und breiter als das Display. »Noch eins?«, fragte er.
Es war nicht sinnvoll, sich zu besaufen, bevor Zinnia auftauchte. »Vorläufig nicht. Ich warte auf jemand.«
Der Barkeeper hob die Mundwinkel. Paxton war nicht klar, ob das okay
bedeuten sollte oder schön für dich
. Jedenfalls war es ein Lächeln. Er senkte den Kopf und betrachtete sein schwarzes T-Shirt und seine Jeans. Fühlte sich gut an, mal kein Blau zu tragen. So erntete er keine argwöhnischen Blicke, sondern war nur einer unter vielen.
»Tut mir leid!«
Paxton drehte sich um und sah Zinnia hereinstürmen. Schwarzer Pulli, violette Leggings, die Haare hochgesteckt und oben zu einem Knoten gebunden. Er deutete mit dem Kinn auf den wackligen Hocker.
»Den solltest du nicht nehmen«, sagte er. »Kaputt.
«
Zinnia bestieg den Hocker auf seiner anderen Seite. Während sie es sich bequem machte, rückte er ein kleines Stück zurück, damit sie sich nicht bedrängt fühlte.
Sie blickte sich um. »Ist wirklich ganz hübsch hier.«
Der Meinung war Paxton ebenfalls. Golden funkelnde Zapfhähne, lackiertes Holz. Eindeutig nicht von jemand entworfen, der einmal in einem richtigen englischen Pub gewesen war – in seiner Zeit als Unternehmer hatte Paxton eine Geschäftsreise nach Großbritannien gemacht –, aber eine gewisse Ahnung vom Grundkonzept war nicht zu leugnen.
Der Barkeeper kam herbei, damit beschäftigt, ein Bierglas zu polieren. Er nickte Zinnia zu.
»Wodka mit Eis«, sagte sie. »Die Hausmarke ist schon okay.«
Mit einem abermaligen Nicken machte der Barkeeper sich daran, den Drink einzuschenken.
»Du gibst dich nicht mit halben Sachen ab, was?«, sagte Paxton.
»Nein, tu ich nicht«, sagte sie, ohne ihn anzusehen, und nahm das Glas entgegen. Sie klang erschöpft. Kein Wunder, als Rote rannte man ja den ganzen Tag durch die Gegend. Sie beugte sich vor, um ihre Uhr an die Bezahlscheibe zu halten, die vor Paxton in den Tresen eingelassen war.
»Lass mich das machen«, sagte er und streckte die Hand aus, wobei er ihre leicht berührte.
»Du musst mich doch nicht …«
»Aber ich will es«, sagte er und tippte mit seiner Uhr auf die Scheibe, die dabei grün aufleuchtete. Zinnia lächelte und hob ihr Glas. Er stieß mit ihr an.
»Prost«, sagte sie.
»Prost.
«
Sie nahm einen anständigen Schluck, während er sein Bier leerte und das Glas so auf den Tresen stellte, dass der Barkeeper es sehen und ihm noch eines bringen konnte. Das Schweigen hing eine Sekunde zu lange in der Luft, dann wurde es noch tiefer und schien den ganzen Raum einzusaugen. Schließlich gab Paxton es auf, sich etwas Schlaues aus den Fingern zu saugen, und sagte: »Wie kommst du zurecht?«
Zinnia hob eine Augenbraue. Mehr fällt dir nicht ein?
»Bisher ganz gut. Es ist härter, als ich dachte. Die holen wirklich das Letzte aus einem raus.«
Er nahm sein neues Glas entgegen und nippte daran. »Wie läuft das bei euch eigentlich genau?«
Zinnia setzte zu einer knappen Erklärung an. Wie man die Artikel zum Förderband brachte, geleitet von den Richtungsangaben der Uhr. Dass der ganze Prozess wie ein Tanz war. Worauf Paxton sie sich als Zahnrädchen in einer riesigen Maschine vorstellte, das sich unablässig drehte, ein winziges Teil, von dem das Ganze in Bewegung gehalten wurde.
»Wolltest du eigentlich zu den Roten kommen?«, fragte er.
»Ganz sicher nicht«, sagte Zinnia und nahm einen weiteren Schluck Wodka. »Ich wollte zur Technik. Da hab ich Erfahrungen.«
»Ich dachte, du wärst Lehrerin gewesen.«
Wieder die gehobene Augenbraue. Eine Geste, die an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig ließ. »War ich auch. Aber auf dem College hab ich mich mit Elektronikreparaturen über Wasser gehalten. Mein Zimmer hab ich finanziert, indem ich gesplitterte Displays ausgetauscht hab. Wenn die Kids sich besaufen, ruinieren sie bekanntlich gern ihr Handy.
«
Paxton lachte. »Tja, ich würde liebend gerne mit dir tauschen, wenn ich könnte.«
»Echt?«, sagte sie. »Spielst du etwa nicht gerne Cop?«
Paxton spürte, wie der Alkohol in seine Synapsen sickerte. Seine Nerven entspannten sich. Es war ein gutes Gefühl, etwas zu trinken und sich dabei zu unterhalten, weil es eine Weile her war, dass er beides getan hatte.
»Das hat nie richtig zu mir gepasst«, sagte er. »Ich bin von Haus aus kein autoritärer Mensch.«
»Na hör mal, da gibt es aber Schlimmeres …«
Sie schien in Gedanken zu versinken, aber er wollte nicht so schnell ihre Aufmerksamkeit verlieren. »Erzähl mir doch ein bisschen mehr von dir. Ich weiß jetzt, dass du Lehrerin warst, und ich weiß, dass du kaputte Handys reparieren kannst. Wo kommst du eigentlich her?«
»Von hier und da.« Sie hatte den Blick geradeaus gerichtet, auf ihr Spiegelbild, das hinter einem funkelnden Regenbogen aus Schnapsflaschen zu sehen war. »In meiner Kindheit sind wir oft umgezogen. Deshalb habe ich nicht so recht das Gefühl, dass ich aus irgendeinem bestimmten Ort komme.«
Sie nippte an ihrem Wodka. Paxton ließ die Schultern hängen. Für eine erste Verabredung lief es ziemlich beschissen.
Doch dann lächelte sie. »Tut mir leid, das hört sich ein bisschen trostlos an, was?«
»Nein, überhaupt nicht«, sagte Paxton, um sogleich aufzulachen. »Na ja, okay, stimmt, das tut es.«
Sie erwiderte das Lachen und stupste ihn am Arm an. Ganz leicht, mit dem Handrücken und anscheinend nur, weil sie die Hand schon gehoben hatte, um nach ihrem Glas zu greifen. Dennoch fasste er das als gutes Zeichen auf.
»Was ist mit deiner Familie?«, fragte er
.
»Meine Mutter ist noch am Leben«, sagte Zinnia. »An Weihnachten telefonieren wir miteinander. Mehr bringen wir nicht zustande.«
»Ich habe einen Bruder«, sagte Paxton. »Mit dem geht es mir genauso. Wir kommen miteinander aus, geben uns aber keine große Mühe, mal zusammenzukommen. Was … Weiß auch nicht …« Irgendein Gedanke war in ihm aufgetaucht, aber das Bier drängte sich dazwischen. Er fragte sich, ob er einfach austrinken, sich verabschieden und in seine Wohnung gehen sollte. Um seine Verluste einzuschränken, bevor er endgültig die Waffen strecken musste.
»Was denn?«, fragte Zinnia. Ihre Stimme drückte aus, dass sie es nicht unbedingt erfahren musste, aber doch gern wissen wollte.
Paxton atmete ein und aus, dann fing er den Gedanken ein. »Hier zu sein fühlt sich fast so an wie auf einem anderen Planeten, findest du nicht? So als könnte man nicht mal einfach so rausmarschieren. Wo sollte man dann hin? Man würde verdursten, bevor man in eine bewohnte Gegend kommt.«
»Ja, so kommt es mir auch vor«, sagte Zinnia. »Und woher kommst du?«
»Aus New York. Genauer gesagt aus Staten Island.«
Zinnia schüttelte den Kopf. »Ach, New York. Das mag ich nicht.«
Paxton lachte. »Wie bitte? Wie kann man New York nicht mögen? Das ist ja, wie wenn man sagen würde, man mag … hm … Paris nicht.«
»Es ist so groß. Und dreckig. Man hat keinen Abstand voneinander.« Sie legte die Schultern an, als würde sie durch einen überfüllten Flur gehen. »Paris ist übrigens auch nicht so toll.
«
Paxton breitete die Arme aus. »Findest du es hier etwa schöner?«
»Das habe ich natürlich nicht gemeint«, sagte Zinnia. Die Augenbraue hob sich, senkte sich jedoch gleich wieder. Ihre Miene entspannte sich. »Hier ist es wie … Ich weiß nicht recht …«
»Es ist, als würde man auf irgendeinem beschissenen Flughafen leben«, sagte Paxton mit leiserer Stimme, als könnte jemand ihn hören und zur Rechenschaft ziehen.
Zinnia lachte auf. Es war ein schnelles, kleines Lachen, das ihr wie eingeölt durch die Lippen schlüpfte. Ihre Augen weiteten sich, als hätte das Geräusch sie überrascht. Als wünschte sie, es zurücknehmen zu können. Doch schließlich sagte sie: »Genau das habe ich am ersten Abend auch gedacht. Flughafenschick.«
Sie leerte ihren Wodka und winkte dem Barkeeper, um sich noch einen zu bestellen.
»Ich bitte um Entschuldigung, aber heute Abend schlage ich richtig zu.« Sie reckte den Zeigefinger in die Luft. »Und hör bloß auf mit deinem galanten Getue. Die Runde bezahle ich.«
»Also, ich mag Frauen, die aufs Ganze gehen«, sagte Paxton, was er sofort bedauerte, weil es vielleicht zu direkt war.
Tatsächlich hob sich die Augenbraue, was jedoch plötzlich ganz anders als vorher wirkte. Jetzt wölbte sie sich über ein wunderschönes braunes Auge, so groß, dass er das Weiß rund um die Iris sehen konnte, und das Ganze kam ihm wie ein Zeichen des Einverständnisses vor.
»Und?«, fuhr er ermutigt fort. »Hast du einen bestimmten Grund dafür, dass du heute aufs Ganze gehst?«
»Meine Füße.«
»Deine Füße?
«
»Ich habe den idiotischen Fehler gemacht, an meinem ersten Tag Stiefel zu tragen.« Der Barkeeper setzte ihr ein neues Glas vor. »Danke.« Sie nahm einen Schluck. »Weil ich keine Sneakers hatte. Jetzt habe ich welche. Hätte ich vorher draufkommen sollen. Aber du bist wahrscheinlich auch viel auf den Beinen.«
Paxton überlegte, ob er von der Taskforce erzählen durfte. Ein Geheimnis war die ja wohl nicht, jedenfalls hatte Dobbs ihm nicht gesagt, er dürfe nicht darüber sprechen. Manchmal half es, wenn man sich mit jemand austauschte. Außerdem war Zinnia vielleicht beeindruckt davon, dass man ihn für eine spezielle Aufgabe ausgewählt hatte, obwohl er gerade erst angekommen war.
»Offenbar hat man hier gewisse Probleme mit Oblivion«, sagte er. »Und man meint, weil ich früher im Gefängnis gearbeitet habe, könnte ich von Nutzen sein. Als ob ich Experte für Schmuggelwaren wäre, was gar nicht der Fall ist. Aber egal, es ist besser, als bloß in der Gegend rumzustehen. Und es macht mir Spaß, Probleme zu lösen.«
»Bist du deshalb Erfinder geworden?«
»Ich weiß nicht, ob man das so nennen kann«, sagte er, legte die Hand um sein Bierglas und blickte in den Schaum. »Schließlich habe ich nur eine einzige Erfindung gemacht. Und selbst dabei habe ich mir mehrere ältere Produkte angeschaut und überlegt, wie man sie verbessern kann.«
»Okay, aber erfunden hast du trotzdem was.«
Er lächelte. »Und jetzt bin ich hier.«
Die Worte kamen kalt und spröde aus seinem Mund. Zinnia verspannte sich. Paxton wusste, dass seine Bemerkung nicht zu der Atmosphäre passte, die er aufrechterhalten wollte, aber er konnte nicht anders. Er
drehte sich leicht von Zinnia weg und wandte sich seinem Bier zu. Die Erinnerung brannte in seiner Kehle wie glühende Kohlen.
Aus den Augenwinkeln sah er etwas aufblitzen. Zinnia hatte ihr Glas gehoben.
»Ich bin ja auch hier«, sagte sie, grinste und legte den Kopf schief.
Er stieß mit ihr an, und sie tranken.
»Erzähl mir mehr über deinen Job«, sagte sie. »Du hast bestimmt überall Zugang.«
»Meinst du? Also, ich bin ja noch keine ganze Woche hier, aber wahrscheinlich gibt es schon einige Türen, die ich nicht öffnen kann. Bin allerdings noch auf keine gestoßen.«
»Wart ab, bis du das Warendepot kennenlernst«, sagte sie. »Da sieht man nicht mal, wo es zu Ende ist. Und das ist noch nicht alles. Es gibt eine ganze Reihe von Gebäuden, in die ich nicht reindarf.«
»Ja, klar«, sagte er. »Wäre cool, sich die anzuschauen.«
»Also, ich würde liebend gerne einmal einen Rundgang machen. Um alles zu sehen, weißt du? Die Anlage ist ja echt gewaltig.«
Wieder verzogen ihre Lippen sich zu einem feinen Grinsen. Als sie einen Schluck trank, verschwand es. Paxton fragte sich, worauf sie hinauswollte. Wollte sie, dass er sie überall herumführte? Er wusste gar nicht, ob er das durfte. Oder hatte sie es darauf abgesehen, irgendwo allein mit ihm zu sein?
»Ich bin mir nicht sicher, ob so was erlaubt ist, aber wenn es geht, können wir das gern mal machen«, sagte er.
»In Ordnung«, sagte sie. Enttäuscht?
»Mal sehen. Fragen kostet nichts.« Er sah Zinnia von der Seite her an. »Also. Du hast gesagt, wenn du hier
weggehst, willst du irgendwo im Ausland Englisch unterrichten, stimmt’s? Bist du da wirklich fest entschlossen?«
Sie zuckte die Achseln. »In anderen Ländern sind die Lebenshaltungskosten niedriger. Amerika habe ich gerade ziemlich satt, ganz allgemein gesprochen.«
»Toll ist es nicht hier, aber besser als in vielen anderen Ländern. Immerhin haben wir sauberes Trinkwasser.«
»Dafür gibt’s Jodtabletten. Oder man kocht das Wasser ab.«
»So habe ich es nicht gemeint. Ehrlich gesagt, bin ich ein bisschen neidisch. Könnte ganz schön sein, hier abzuhauen.«
»Wieso sollte man’s dann nicht tun?«
»Was tun?«
»Abhauen?«
Paxton schwieg. Dachte darüber nach. Schlürfte sein Bier. Stellte das Glas ab. Sah sich in der weitgehend leeren Kneipe um. Richtete den Blick auf die funkelnde Landschaft von Live-Play jenseits des Eingangs. Er wusste nicht, wie er die Frage beantworten sollte. So, wie sie es gesagt hatte, klang es so leicht, wie nach einem Bierglas zu greifen und es an den Mund zu führen. Als wäre es etwas, was man einfach tun könnte.
»So einfach ist es auch wieder nicht«, sagte er.
»Normalerweise schon.«
»Wieso? Nehmen wir an, ich marschiere jetzt hier aus der Tür. Womit soll ich mein Geld verdienen? Und wo soll ich hin?«
Sie lächelte. »So ist es eben mit der Freiheit. Sie gehört dir, bis du sie aufgibst.«
»Was willst du damit sagen?«
»Denk drüber nach.«
Sie nahm einen Schluck und lächelte wieder, dann
erschlafften ihre Gesichtsmuskeln ein bisschen. Offenbar spürte auch sie den Alkohol. Und sie stellte Paxton auf die Probe. Das gefiel ihm.
»Mir ist bloß eines klar«, sagte er deshalb. »Ich kann’s kaum erwarten, hier rauszukommen.«
Was der Grund war, weshalb er die Aufforderung seines CloudBands ignoriert hatte, sich für die Rentenversicherung anzumelden. Wenn er das getan hätte, dann hätte er zugegeben, dass das Spiel zu Ende war.
»Das kannst du laut sagen.« Sie kippte den Rest ihres Drinks hinunter. »Hör mal, wie wär’s, wenn wir ein bisschen spazieren gehen? Ich war zwar den ganzen Tag unterwegs, aber jetzt habe ich das Gefühl, dass meine Beine steif werden.«
»Klar«, sagte Paxton. Er leerte sein Glas, schloss seine Rechnung ab und tippte sich durch die Bezahlfunktion auf seiner Uhr, um Trinkgeld zu hinterlassen. Zinnia tat dasselbe. Als sie die Kneipe verließen, schien sie ein bestimmtes Ziel zu haben.
»Wo geht es hin?«, fragte Paxton.
»Ich habe Lust auf ein paar Videospiele. Stehst du auf so was?«
»Klar.«
Sie fuhren in die oberste Etage und betraten die Spielhalle, in der Dakota diesen Typ namens Warren in die Zange genommen hatte. Zinnia marschierte schnurstracks nach hinten und blieb vor dem Pac-Man-Automaten stehen. Sie griff nach den Hebeln, ließ sie jedoch gleich wieder los. »Ach, tut mir leid, das kann man nur alleine spielen.«
Was sie eindeutig tun wollte. Neben ihrem Automaten stand ein Hirschjagdspiel mit großen Plastikschrotflinten, eine orange, eine grün. »Ist schon okay. Mach
nur.« Er griff nach der grünen Flinte. »Ich nehme das hier.«
»Ehrlich?«, sagte sie, obwohl sie schon zu spielen angefangen hatte.
Er hielt seine Uhr an den Scanner und spannte die Flinte. »Klar.«
Zinnia riss die Hebel hin und her, während Paxton sich dem Videoschirm zuwandte, auf dem eine idyllische Wiese zu sehen war. Im Hintergrund ein Wald, davor ein plätschernder Bach. Ein Hirsch sprang aus dem Wald. Im wirklichen Leben wäre er einige Hundert Meter entfernt gewesen. Paxton zielte und drückte ab. Verfehlte. Der Hirsch schaffte es unversehrt an den Rand des Bildschirms und verschwand.
»Du bist ein richtiger Fan von Videospielen, was?«, sagte er.
»Von dem hier schon«, sagte Zinnia. »Ich glaube, ich werde irgendwann versuchen, den Highscore zu knacken.«
»Und das heißt?«
»Der höchste Score, den je jemand erreicht hat, liegt über drei Millionen«, sagte sie. »Auf diesem Ding hier ist der Highscore hundertzwanzigtausend. Es wird eine Weile dauern, aber ich glaube, da komme ich drüber. Heute Abend nicht, aber ich kann ja schon mal ein bisschen üben.«
Der nächste Hirsch. Wieder daneben. »Dann ist man wenigstens beschäftigt, was?«
»Genau.«
Paxton konzentrierte sich auf seinen Automaten. Sah einen weiteren Hirsch auftauchen. Diesmal blieb der an dem Bach stehen, um zu trinken. Fast so, als hätte der Automat Mitleid mit Paxton und wollte ihm ein Freispiel schenken. Er zielte und drückte ab, worauf der
Hirsch umfiel. Eine kleine, grob gepixelte rote Fontäne stieg in die Luft.
Gut gemacht,
verkündete der Automat.
Zinnia blickte kurz zu ihm herüber. »Bravo!«
Damit wandte sie sich wieder ihrem Bildschirm zu. Ihre Miene war angespannt, ihre Zungenspitze ragte ein kleines Stück zwischen den Lippen hervor. Sie betätigte die Hebel so konzentriert, als würde sie eine Gehirnoperation durchführen.
Aus den Augenwinkeln sah Paxton eine Bewegung. Jemand ging in den hinteren Teil der Spielhalle. Vielleicht handelte es sich um Warren. Paxton hängte die Flinte ein, und ohne sich richtig bewusst zu sein, wozu er sich entschlossen hatte, sagte er zu Zinnia: »Ich muss mal raus. Bin gleich zurück.«
»Alles klar«, sagte sie, ohne sich vom Bildschirm abzuwenden.
Paxton überlegte kurz, wie die Spielhalle ausgelegt war. Dann ging er an Zinnia vorbei zu einer Reihe Automaten, von wo aus er Warrens Schlupfwinkel im Blick hatte, ohne selbst richtig sichtbar zu sein.
Als er sich vorbeugte, sah er, dass es tatsächlich Warren war. Der Kerl zählte etwas ab, was er in den Händen hatte, und hob dann den Blick, aber in die andere Richtung. Paxton wartete ab, wurde jedoch allmählich nervös, weil Zinnia womöglich auf die Idee kam, dass er gerade ein Ei legte, was ihm beim ersten Date peinlich wäre. Da kam eine zweite Gestalt in Sicht. Paxton trat einen Schritt zurück, um nicht gesehen zu werden, was angesichts der trüben Beleuchtung und der Entfernung ohnehin unwahrscheinlich war.
Es war ein relativ kurz geratener Mann. Glatze, breite Schultern, dicke Arme. Der machte Krafttraining, das
war klar. Braunes Hemd, also einer vom technischen Team. Er sprach mit Warren, wobei er am Saum des langärmeligen T-Shirts unter seinem Poloshirt zupfte, um es sich übers Handgelenk zu ziehen. Als er wieder davonging, schlüpfte Paxton hinter einen Automaten.
Er erinnerte sich daran, dass Dakota gesagt hatte, diese Leute würden die Ortungsfunktion ihrer Uhren austricksen. Deshalb eilte er ans Ende des Gangs, um von dort nach draußen zu gelangen. Er wollte den Mann in Braun am Eingang abfangen, um sein Gesicht zu sehen. Stattdessen landete er in einer mit Automaten verstellten Sackgasse. Während er umkehrte, wurde ihm klar, dass er auf dem Weg zum Eingang an Zinnia vorbeikommen würde und ihr erklären müsste, was er da trieb. Außerdem war der Typ sicher schon längst über alle Berge.
Na, etwas hatte er immerhin vorzuweisen. Eine ungefähre Personenbeschreibung war besser als gar nichts.
Wieso sollte er den Kerl überhaupt verfolgen? Er war schließlich nicht im Dienst und hatte etwas Wichtigeres im Sinn. Als er wieder bei Zinnia war, ließ sie gerade die Hebel los. Offenbar war ihr nicht bewusst, wie viel Zeit vergangen war.
»Ich bin nicht mehr in Form«, sagte sie.
»Macht nichts«, sagte er. »Das kommt schon wieder.«
»Hast du Hunger?«
»Ein bisschen.«
»Wie wär’s mit einem Teller Ramen?«
»So was hab ich noch nie gegessen.«
Sie lachte.
Paxton überlegte, wie er sich rechtfertigen sollte. »Ich meine, bisher kenne ich bloß diese billigen kleinen Packungen, die total salzig schmecken.
«
Sie stemmte die Hand in die Hüfte und legte den Kopf schief. Offenbar fühlte sie sich inzwischen wohler mit ihm, wofür auch sprach, dass sie noch zum Essen gehen wollte. »Hier gibt’s nämlich einen Ramen-Laden nebenan. Wollen wir den mal ausprobieren?«
»Und ob«, sagte Paxton.
Sie verließen die Spielhalle und gingen auf das Lokal zu. Paxton blickte auf Zinnias Hand hinunter, die an ihrer Seite vor und zurück schwang. Er überlegte, ob er sie ergreifen sollte. Schon um die glatte Haut zu spüren. Aber das wäre voreilig gewesen, weshalb er sich dagegen entschied. Er war schon froh, heute Abend noch ein bisschen länger mit Zinnia zusammen zu sein.