Paxto
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Dobbs stemmte die geballten Fäuste so fest in die Hüften, als wollte er sich damit in die Zange nehmen. »Vikram, dieser Volltrottel«, sagte er. »Den säge ich jetzt endgültig ab. Goransson ebenfalls.« Seufzend ließ er den Blick über das Durcheinander wandern. »Was Sie angeht, bin ich mir nicht so sicher.«
»Sir?«, sagte Paxton.
»Sie haben Ihren Posten verlassen«, sagte Dobbs. »Jetzt mal ehrlich – läuft da was zwischen Ihnen und der Frau?«
»Wir gehen manchmal zusammen aus.«
Dobbs nickte. »Hübsch ist sie ja.«
Paxton spürte, wie er bei dieser anerkennenden Bemerkung rot wurde.
»Wie gesagt, Sie haben während einer wichtigen Mission Ihren Posten verlassen«, fuhr Dobbs fort. »Aber wenn Sie das nicht getan hätten, dann hätte dieser Scheißkerl der armen Frau den Schädel eingeschlagen.«
»Da wollte ich was fragen«, sagte Paxton. »Zinnia hat gesagt, er hätte häufig Frauen belästigt. Hat irgendjemand Strafanzeige gegen ihn gestellt? Oder so was in der Richtung?«
»Nicht dass ich wüsste«, sagte Dobbs. »Da muss ich allerdings noch recherchieren. Das System ist ja gerade erst wieder in Funktion.«
»Jedenfalls ist das ein Problem. Wenn er sich nämlich gewohnheitsmäßig so aufgeführt hat, werde ich keine Ruhe geben, bis man ihn gefeuert und ins Gefängnis gesteckt hat, das können Sie mir glauben.
«
Dobbs nickte langsam, als würde er etwas wiederkäuen. Was, wusste Paxton nicht. Chinesisch war besser verständlich als Dobbs. Schließlich trat der näher an ihn heran und senkte die Stimme. »Ich brauche was von Ihnen. Hören Sie gut zu.«
»Ich höre.«
»Sie müssen jetzt ein Teamplayer sein. Schaffen Sie das?«
»Um was geht’s?«
»Sie müssen Ihrer Freundin sagen, dass wir uns um diese Sache kümmern«, sagte Dobbs. »Dass Cloud den Dreckskerl feuern wird, was automatisch bedeutet, dass er auch nirgendwo anders im Land mehr einen Job bekommt. Vikram wird ebenfalls einen Preis bezahlen. Aber dafür brauche ich eine Gegenleistung.«
»Und die wäre?«
»Dass sie die Sache nicht an die große Glocke hängt. Wahrscheinlich ist sie jetzt ziemlich erschüttert und konfus, und da kommen Sie ins Spiel.« Dobbs legte Paxton die Hand auf die Schulter. »Sie müssen ihr klarmachen, was für ein Aufwand es wäre, das Ganze so zu verfolgen, wie sie es vielleicht vorhat. Wichtig ist, dass der Gerechtigkeit Genüge getan wird, aber das sollte so geschehen, dass es uns allen das Leben leichter macht.«
Paxton wurde heiß und kalt. Als Erstes kam ihm in den Sinn, Dobbs zu sagen, er solle sich zum Teufel scheren. Stattdessen holte er tief Luft und dachte rational über den Vorschlag nach.
Wenn er seine persönliche Betroffenheit außer Acht ließ, ergab es Sinn, das Ganze dezent zu behandeln.
Allerdings hatte er das Gefühl, Zinnia zu hintergehen, wenn er ihr erklärte, sie solle die Hände in den Schoß legen und den Mund halten. Was, wenn sie das nicht
wollte? Wenn es ihr ausdrücklicher Wunsch war, die Sache an die große Glocke zu hängen? Es wäre nicht richtig von ihm, ihr da im Weg zu stehen.
»Meinen Sie, dass Sie das schaffen?«, fragte Dobbs.
»Ich tue, was ich kann.«
Dobbs drückte ihm die Schulter. »Danke, mein Junge. Das werde ich Ihnen nicht vergessen. Und jetzt kümmern Sie sich mal um Ihre Freundin. Sorgen Sie dafür, dass sie sich erholt. Ihr beide könnt euch erst mal freinehmen, den restlichen Tag heute und morgen auch, okay?«
»Wirklich?«
»Aber ja doch. Nehmt es als mein Geschenk für euch. Ihr habt beide eine Menge durchgemacht.«
Paxton wusste zwar nicht so genau, was er durchgemacht hatte, aber er war froh, ein bisschen freizuhaben. Er lächelte unwillkürlich, und als ihm das bewusst wurde, machte er ein ernstes Gesicht. Dobbs nickte und marschierte davon, um sich um irgendeine andere Katastrophe zu kümmern.
Als Paxton zu Zinnia kam, stand sie an ein Bett gelehnt da. Sie verhielt sich so, wie Verletzte es oft taten, ganz vorsichtig, als könnte sie zerbrechen, wenn sie sich zu schnell bewegte. Unter ihrem Auge hatte sich ein Bluterguss gebildet, auf ihrer Wange war ein Kratzer. Ihre Fingerknöchel waren bandagiert, was Paxton an die eigene pochende Hand denken ließ. Er spreizte sie. Sie tat noch weh, war aber wahrscheinlich doch nicht gebrochen.
»Tja«, sagte Paxton. »Was für ein Tag, hm?«
Zinnia verzog die Lippen. Ein Lachen erschütterte ihre Brust, obwohl aus ihrem Mund kein Laut kam, nur ein paar kurze Luftstöße. »Kann man wohl sagen«, brachte sie dann heraus
.
»So weit ist alles geklärt«, sagte er. »Du hast heute und morgen frei. Ich ebenfalls. Ich habe den Arzt sagen hören, dass man dich nicht dabehalten muss. Was hältst du davon, wenn wir uns schleunigst davonmachen?«
»Ja«, sagte Zinnia. »Das wäre fein.«
Paxton wehrte sich erfolgreich gegen den Drang, sie zu küssen, zu umarmen oder irgendetwas anderes zu tun, was an diesem Ort eventuell unangebracht war. Dafür hielt er Zinnia den Arm hin, damit sie sich an ihm festhalten konnte. Ein bisschen Unterstützung zu bieten war gewiss akzeptabel. Gemeinsam suchten sie sich einen Weg durch die Leute, die herumwuselten.
Als sie in der Bahn standen, stellte sich heraus, dass der blaue Fleck in Zinnias Gesicht nicht so leicht zu verbergen war. Eine verletzte Frau, die von einem Security-Mann eskortiert wurde. Natürlich glotzten die Leute da.
In Maple angekommen, fuhren sie zur Wohnung von Zinnia hinauf. Als Zinnia hineinging, überlegte Paxton kurz, ob er verschwinden sollte, damit sie etwas Zeit für sich hatte, aber sie hielt ihm die Tür auf. An die Ablage gelehnt, zog sie Shirt und BH
aus, um sich abzutasten und nach weiteren Blutergüssen oder Verletzungen zu suchen. Paxton wandte den Blick ab. Nicht dass er glaubte, das tun zu müssen, aber in der momentanen Situation wäre er sich sonst grob vorgekommen.
Nach einer Weile fragte er: »Brauchst du etwas?«
»Hundert Glas Wodka und einen Becher Eiscreme.«
»Die Eiscreme kann ich besorgen.« Er hielt kurz inne. »Von so viel Wodka rate ich ab.«
»Wodka und Eiscreme würden mich zum glücklichsten Menschen der Welt machen.«
»Wird besorgt«, sagte Paxton, verließ die Wohnung und machte sich auf den Weg zur Promenade
.
Er war froh, den engen Raum erst einmal hinter sich zu lassen; außerdem stand ein Gespräch an, das er eigentlich nicht führen wollte. Jedenfalls noch nicht. Zuerst suchte er den Getränkeladen auf, um den Wodka zu besorgen. Leider hatte er nicht gefragt, welche Marke sie bevorzugte, doch dann fiel ihm ein, was sie normalerweise im Pub bestellte. Dann kaufte er in einem kleinen Supermarkt einen Becher Eis – das war einfach, sie liebte welches mit Chocolate Chips – und für sich ein abgepacktes Sandwich.
Die ganze Zeit über schwirrte ihm der Kopf. Weil er gleich versuchen musste, Zinnia davon zu überzeugen, dass Dobbs die Sache regeln werde und dass sie nicht auf die Idee kommen solle, offiziell Strafanzeige zu stellen.
Aber das war nicht alles. Irgendetwas stimmte an dem Ganzen nicht.
Dieses Dreckschwein – Rick – hatte behauptet, Zinnia habe an einem Computer herumgepfuscht, bevor er sie angegriffen habe. Und als Paxton auf Rick gehockt und sich nach Zinnia umgesehen hatte, da hatte sie tatsächlich an dem Tisch mit den Computern gestanden und irgendetwas getan. Er wusste nur nicht, was.
Der Ausdruck in ihrem Gesicht, als ob er sie bei etwas unterbrochen hätte.
Der Punkt auf der Überwachungsaufnahme. Der Deckel an dem CloudPoint-Terminal.
Dinge, die wie kleine Finger seine Gedanken anstupsten.