Zinni a
Aus den Düsen des Elektroautos strömte kühle Luft. Draußen glühte die verdorrte Erde in der Sonnenhitze. Im Rückspiegel sah Zinnia die Drohnen wie Schwärme von Insekten durch den Himmel fliegen. Die kastenförmigen Umrisse der MotherCloud verschwanden allmählich hinter dem Horizont. Nach vorn führte die Straße schnurgerade in die Ferne, so weit das Auge reichte. Auf beiden Seiten breitete sich eine flache Landschaft aus.
Es war ein gutes Gefühl, mal kein Poloshirt zu tragen. Nicht uniformiert zu sein machte den Tag noch spezieller. Ganz unten in ihrer Schublade hatte sie einen luftigen Jumpsuit entdeckt, den sie ganz vergessen hatte. Paxton trug blaue Shorts und ein weißes T-Shirt mit knappen Ärmeln, durch die seine Trizepse gut zur Geltung kamen.
»Wo wollen wir eigentlich hin?«, fragte Paxton, der damit beschäftigt war, den Beifahrersitz in eine bequeme Position zu bringen.
»Weiß noch nicht«, sagte Zinnia. »Ich brauche einfach ein bisschen Himmel über mir.«
Inzwischen waren sie so weit von der Anlage entfernt, dass sie es wagte, eine Antwort an ihre Auftraggeber zu senden. Sie ließ die rechte Hand am Lenkrad, während sie mit der linken einen kurzen Text in ihr Handy tippte: Hoffentlich bald.
Als sie das Handy wegsteckte, wurde ihr bewusst, dass seit ihrer Ankunft mehr als zwei Monate vergangen waren, und heute war das erste Mal, dass sie den Fuß nach draußen setzte. Falls man eine Fahrt in der relativen Sicherheit eines klimatisierten Fahrzeugs so bezeichnen konnte.
»Haben wir eigentlich Wasser dabei?«, fragte Paxton.
»Im Kofferraum. Mehr als genug.«
»Ich hätte meine Sonnenbrille mitnehmen sollen.«
Zinnia drückte auf eine Taste neben dem Rückspiegel, worauf sich ein kleines Fach mit zwei Sonnenbrillen öffnete. »Die werden wir wahrscheinlich brauchen, hat der Mietwagentyp gesagt. Als du auf der Toilette warst. Du hast es geschafft, dass man uns wie VIP s behandelt.«
»Tja, anscheinend habe ich wieder Gnade gefunden.«
»Weil du mich dazu gebracht hast, keine Anzeige zu erstatten?«
Paxton brauchte ein paar Sekunden, bis er antwortete. »Ja«, sagte er dann. Und nach einer weiteren Pause: »Ist das … okay?«
Zinnia hob die Schultern. »Es wäre sonst wirklich zu stressig geworden.« Dass es ihr so ohnehin lieber war, brauchte er nicht zu wissen, und außerdem konnte es nicht schaden, ihn etwas schmoren zu lassen. Weil es in den meisten anderen Situationen keineswegs okay gewesen wäre. Das minderte seinen Heroismus ein bisschen.
Sie griff in das Fach und holte eine von den Sonnenbrillen heraus. Dicker, hellblauer Plastikrahmen. Die andere war weiß, feminin und an den Ecken spitz zulaufend wie Katzenaugen, aber Paxton setzte sie trotzdem auf. Dann wandte er sich Zinnia zu und blickte sie mit einem breitem Grinsen an, bei dem man alle Zähne sah.
»Sieht gut aus«, sagte Zinnia und spürte ein tiefes Lachen in sich aufsteigen. Sie wollte es unterdrücken, schaffte das jedoch nicht und merkte dann, dass es sie gar nicht kümmerte .
»Die ist ganz mein Stil«, sagte Paxton.
»Auf jeden Fall passt sie zu deinem T-Shirt.«
Der Himmel wurde klarer, weil die Drohnenwolken inzwischen dünner wurden. Die Sonne schien in den Wagen und ließ die Temperatur ansteigen.
Paxton deutete mit dem Kinn nach oben. »Irgendwie unglaublich, oder?«
»Was? Die Drohnen?«
»Ja, ich meine, schau sie dir mal an. Die fliegen den ganzen Tag hin und her, ohne ein einziges Mal zusammenzustoßen. Wenigstens glaube ich, dass sie das nicht tun. Und das ganze Zeug, das sie transportieren …«
»Du hörst dich ja ganz sehnsüchtig an. Hattest du als Kind etwa eine Kuscheldrohne?«
»Nein, aber …« Er legte den Kopf schief. »Cool sind die schon. Die waren es doch, was Cloud den entscheidenden Vorteil verschafft hat, stimmt’s? Sobald das mit der Drohnenlieferung geklappt hat, war die Konkurrenz erledigt. Dagegen ist niemand angekommen. Ich frage mich, wie sich das anfühlen muss. Wenn einem etwas einfällt, was die Welt verändert.«
»Eierkocher sind doch auch was Cooles.«
»Hör auf«, sagte Paxton mit belegter Stimme. »Das ist nicht nett von dir.«
Zinnia schoss das Blut ins Gesicht. Sie warf einen Blick auf Paxton, der aus dem Fenster starrte. Er hatte den Kopf so weit von ihr weggedreht, wie er konnte.
»Tut mir leid«, sagte sie. »Das war ein schlechter Scherz.«
Weil er nicht antwortete, fummelte sie an der Steuerung der Klimaanlage herum, um eine Balance zwischen lauwarm und eisig zu finden. Dann schaltete sie das Radio ein, nicht so laut, dass eine Unterhaltung unmöglich wäre, aber wenn keine stattfand, war ihr das auch recht .
Sie checkte ihr Handy. Keine Nachricht.
»Wie geht es dir eigentlich?«, fragte Paxton plötzlich.
Zinnia überlegte, ob sie sich noch einmal entschuldigen sollte, aber die Frage bedeutete wohl, dass er die Sache ad acta legen wollte. »Der Wagen fährt sich gut«, sagte sie. »Man sitzt ziemlich bequem. Nur das Gaspedal mag ich nicht. Fühlt sich irgendwie teigig an.«
»Du weißt schon, was ich meine.«
Das tat Zinnia durchaus. Es wäre ihr allerdings lieber gewesen, wenn er kapiert hätte, dass sie nicht mehr darüber sprechen wollte. Sie beobachtete, wie der Kilometerzähler sich Schritt für Schritt weiterbewegte. »Es ist passiert, und jetzt ist es vorüber.«
»Wenn du darüber reden willst …«
Zinnia wartete auf eine Fortsetzung. Die kam nicht. »Nicht nötig«, sagte sie, sah Paxton an und bedachte ihn mit einem kurzen Lächeln. Alles cool.
Er nickte.
»Also, nachdem wir diesen verdammten Kasten jetzt hinter uns gelassen haben … was denkst du da über das Ganze?«, fragte sie.
»Über was genau?«
»Über Cloud. Darüber, dass man an seinem Arbeitsplatz wohnt. Nach einem bekloppten Sternesystem bewertet wird. Ist eigentlich nicht das, was ich erwartet habe.«
»Was hast du denn erwartet?«
Darüber musste Zinnia erst nachdenken. Schließlich fiel ihr ein Vergleich ein, der vielleicht passte. »Stell dir mal vor, du gehst in einen Fast-Food-Laden und hast im Kopf eine Vorstellung davon, wie es da sein wird. Von den Werbespots her. Zum Beispiel hat der Hamburger im Fernsehen fantastisch ausgesehen, aber als du ihn jetzt auspackst, ist er eine Katastrophe. Alles ist zerquetscht und verschmiert und unappetitlich. Das Ding sieht aus, als hätte jemand drauf gesessen.«
»Hm.«
»So in etwa meine ich das. Ich dachte, es würde netter sein, aber es kommt mir genau wie so ein Hamburger vor. Den kann ich zwar essen, wünsche mir aber irgendwie, dass ich das nicht tun müsste.«
»Interessant ausgedrückt.«
»Und was meinst du dazu?«
»Ich meine, dass CloudBurger es nicht verdient hat, von dir verächtlich gemacht zu werden.«
»Ach, jetzt bist wohl du mit Scherzemachen dran, was?«
Ein Bus kam ihnen entgegen, auf dem Weg zur MotherCloud. Frisches Menschenmaterial. Zinnia versuchte hineinzuspähen, um festzustellen, wie viele Leute darin saßen und wie sie aussahen, aber die Sonne spiegelte sich so grell in den Scheiben, dass ihr trotz der Sonnenbrille die Augen schmerzten.
Paxton lehnte sich zurück, reckte die Arme über den Kopf und wölbte den Rücken. »Ich vermisse meine kleine Firma. Ich vermisse es, Verantwortung zu tragen und etwas zu organisieren. Aber das jetzt ist besser als die Alternative. Es ist besser als nichts.«
»Hast du eigentlich vor, mit dem großen Boss zu sprechen?«
»Mit Wells?«
»Der kommt doch zu Besuch, oder?«
Paxton schnaubte. »Daran gedacht habe ich schon. Dobbs will sogar, dass ich bei den Schutzmaßnahmen mitwirke. Das muss noch von Dakota genehmigt werden, weil sie da federführend ist, aber vorstellen kann ich es mir. «
»Wenn du ihm tatsächlich die Meinung geigst, was denkst du wohl, wie lange es dauert, bis sie dich rausschmeißen?«
»Zwei, drei Sekunden wahrscheinlich. Vielleicht auch weniger.«
Zinnia lachte. »Da würde ich gern Mäuschen spielen.«
»Willst du etwa, dass ich meinen Job verliere?«
»Du weißt schon, was ich meine.«
Ihr Handy summte.
Prima! Versuchen wir, bald was auszumachen. Hier kommt ein Foto von uns, damit du durchhältst, bis wir uns wiedersehen.
Angehängt war das Allerweltsbild eines afroamerikanischen Paares, bei dem es sich eindeutig nicht um ihre Eltern handeln konnte, weil die beiden eine wesentlich dunklere Hautfarbe als Zinnia hatten, aber egal. Während sie auf das Foto tippte, es speicherte und dann in einer codierten App deponierte, zuckte ihr Blick zwischen Handy und Lenkrad hin und her.
»Wer war das?«, fragte Paxton.
»Meine Mutter. Wollte wissen, wie es mir geht.«
»Grüß sie doch mal von mir.«
Zinnia lachte. »Mach ich.«
Wie erwartet, war in dem Foto ein Code versteckt, den die App als Karte der Umgebung entschlüsselte. Etwa zwanzig Meilen weiter östlich war ein pulsierender blauer Punkt zu erkennen. Außerdem sah es so aus, dass bald ein Highway kam, und tatsächlich tauchte wie gerufen etwas in der Ferne auf. Eine kleine Erhebung in der flachen Landschaft. Zinnia trat aufs Gaspedal.
Highways waren eine riskante Sache, da viele inzwischen so schlecht gepflegt waren, dass sie zerbröselten, aber der hier sah nicht so schlimm aus, weshalb Zinnia auf die Zufahrt einbog.
»Übrigens, wie läuft es mit deinem Plan?«, fragte Paxton.
Zinnia stockte der Atem. Aber dann erinnerte sie sich an die Geschichte, die sie sich zur Tarnung ausgedacht hatte, und ihre Panik legte sich. »So weit ganz gut. Ich spare fleißig.«
»So, so«, sagte Paxton mit gedehnter Stimme, als wollte er noch etwas anderes hören. Zinnia überlegte, ob sie ihn ermuntern sollte weiterzusprechen, aber das war gar nicht nötig.
»Kann ich dich etwas fragen?«, sagte Paxton.
»Hast du doch gerade schon getan.«
»Ha, ha. Gestern. Dieser Typ namens Rick. Der hat behauptet, du hättest an einem von den Computerterminals herumgepfuscht.«
»Habe ich aber nicht.«
»Aber als ich angekommen bin … da hab ich gedacht, ich würde sehen, wie …«
»Wie was?«
»Es hat so ausgesehen, wie wenn du wieder damit beschäftigt wärst. Mit den Terminals. Nachdem ich dir den Kerl vom Hals geschafft hatte.«
Zinnia atmete tief ein und noch tiefer aus. Versuchte, dabei so gequält zu klingen, dass er das Thema fallen ließ. Doch das tat er nicht, er hielt sich an seinem Schweigen fest wie an einer Waffe. Als sie antwortete, senkte sie die Stimme, um einen verletzlichen Ton hineinzulegen. Wenn er das hörte, würde er hoffentlich aufhören, sie unter Druck zu setzen. »Ich hatte Panik, und auf dem Tisch habe ich eine Schere liegen sehen. Die wollte ich holen, um mich zu verteidigen. Schließlich hat er versucht, mich umzubringen.« Sie warf Paxton einen kurzen Blick zu, bevor sie noch leiser weitersprach. »Und später hatte ich Angst, dass er dich umbringt.«
»Okay«, sagte Paxton nachdenklich. »Okay.«
»Was hätte ich denn überhaupt an den Computern machen sollen?«
»Das weiß ich nicht«, sagte Paxton. »Wirklich nicht. Aber der Typ hat es behauptet, und als ich dann gesehen habe … Tut mir leid. Allerdings gibt es noch etwas anderes, was mir im Kopf herumgegangen ist.«
Sie schloss die Hände fester um das Lenkrad. »Was denn?«
»Ach, wahrscheinlich hat es gar nichts zu bedeuten.«
»Doch, hat es, sonst hättest du’s ja nicht erwähnt.«
Wieder folgte ein kurzes Schweigen, in dem Zinnia das Herz bis zum Hals schlug.
Schließlich sagte Paxton: »Ich hätte den Mund halten sollen.«
»Aber das hast du nicht.«
»An dem ersten Abend, als wir zusammen ausgegangen sind«, sagte er. »Da waren wir in der Spielhalle, und ich habe jemand observiert. Aus beruflichen Gründen. Und als wir uns im Büro später die Ortungsdaten angeschaut haben …« Er blickte aus dem Seitenfenster. »Da hat es so ausgesehen, als ob du mir gefolgt wärst.«
Wieder wusste Zinnia nicht, was sie sagen sollte. Ihre Gedanken wirbelten im Kreis wie ein außer Rand und Band geratenes Karussell. Scheiße. Wie lange schleppte er das wohl schon mit sich herum?
»Es war dein Hintern«, sagte sie schließlich.
»Was?«
Sie legte ihm die Hand auf den Oberschenkel und begann ihn zu massieren. Dabei kamen ihre Fingerspitzen der Ausbeulung in seiner Hose gefährlich nahe. Der Stoff wölbte sich ein bisschen höher. »Ich wollte mir bloß deinen süßen Hintern näher anschauen. Jetzt hast du mich aber ganz schön in Verlegenheit gebracht. Na, zufrieden?«
Paxton legte seine Hand auf die von Zinnia. Sie dachte schon, er würde die Hand auf seinen Schwanz ziehen, aber er hielt sie nur fest. »Tut mir leid, aber da brauchst du nicht verlegen sein. Schließlich hab ich dir an dem Abend auch ständig auf den Hintern geschaut.«
Zinnia lachte, während er sich zu ihr beugte und ihr einen Kuss auf die Schulter gab. Die Stelle, an der seine Lippen ihre nackte Haut berührt hatten, fühlte sich feucht und kühl an. Ihr Lachen war ihm wahrscheinlich spielerisch und erotisch vorgekommen, und sie konnte kaum glauben, wie leicht es ihr gefallen war.
»Jedenfalls habe ich dir bestimmt nicht hinterherspioniert«, sagte sie. »Es ist mir bloß so in den Sinn gekommen. Bist du deswegen sauer auf mich?«
»Ein bisschen komisch ist es schon, aber das macht nichts.«
Über der Fahrbahn tauchte ein Schild auf, von der Sonne zu einem milchigen Meergrün gebleicht. Die Ortsangabe war nicht zu entziffern. Zwei Meilen weiter tauchten Anzeichen von Zivilisation auf. Eine verfallene Tankstelle an der Seite des Highways und eine Reihe von niedrigen Gebäuden, alte, längst aufgegebene Geschäfte, deren Schilder verblasst oder heruntergefallen waren. Die Parkplätze waren von Unkraut überwuchert. Zinnia warf einen Blick auf ihr Handy. Der Punkt befand sich genau in dieser Ansiedlung.
Sie betätigte den Blinker, musste dann jedoch kichern, weil sie das für nötig befunden hatte. In den zwanzig Minuten, seit sie auf den Highway eingebogen waren, hatten sie kein einziges anderes Fahrzeug gesehen. Vorsichtig lenkte sie den Wagen auf die Ausfahrt und dann die Rampe hinunter. Wenig später fuhren sie eine breite Straße entlang, flankiert von Gebäuden, die höchstens zweistöckig waren.
Zinnia reckte den Hals, um die angegebene Adresse zu suchen, und als sie die gefunden hatte, war sie begeistert.
Ein Buchladen. In solchen Orten sah sie sich immer nach dem Buchladen um. In der Geisterstadt, durch die sie am Tag der Bewerbungsprozedur marschiert waren, hatte es keinen gegeben, was sie traurig gestimmt hatte. Der hier stand an einer Ecke, hatte große, verstaubte Erkerfenster und ein Schild über der Tür: Forest Avenue Books.
Aber war da nicht noch etwas anderes?
Etwas im Augenwinkel. Vielleicht nur ein Stäubchen im Auge oder eine belanglose Bewegung auf dem Dach des Gebäudes. Ein Tier? Sie stoppte den Wagen und beobachtete die Kante, an der das Dach in den blauen Himmel schnitt. Wartete darauf, dass etwas diese gerade Linie durchbrach.
»Was ist denn?«, fragte Paxton.
Offenbar hatten ihre Augen sie getäuscht. Eine Spiegelung von Sonnenlicht. Ihr Gehirn war überlastet, weil sie sich plötzlich im Freien befand. Außerdem hatte sie immer noch Kopfschmerzen. Das war bestimmt eine leichte Gehirnerschütterung gewesen.
»Nichts«, sagte sie. »Können wir uns mal den Buchladen ansehen?«
Paxton breitete die Hände aus. »Klar.«
Zinnia bugsierte den Wagen ein Stück weiter in eine enge Durchfahrt zwischen zwei Häusern, wo es ein bisschen Schatten gab. Bis Mittag blieben noch ein paar Stunden. Sie schaltete den Motor ab und stieg aus. In der erstickenden Hitze war ihre Haut sofort mit Schweiß bedeckt.
Paxton stöhnte. »Was für ein Tag, draußen rumzulaufen.«
»Gibt es irgendwelche guten Tage, die man draußen sein könnte?«
»Stimmt auch wieder.«
Während sie die Straße entlanggingen, hielten sie sich im Schatten der Gebäude. Sie kamen an einem Antiquitätenladen, einem Imbiss und einer Haushaltswarenhandlung vorbei, bis sie wieder vor dem Buchladen standen. Das Gebäude war schmal, reichte jedoch weiter nach hinten, als es zuvor den Anschein gehabt hatte. Zinnia rüttelte am Türknauf.
»Bist du dir sicher, dass das okay ist?«, fragte Paxton.
»Ach komm«, sagte sie. »Was ist ein Leben ohne Risiko?« Sie ließ sich auf ein Knie nieder, zog eine Haarnadel aus ihren Haaren und machte sich daran, das Schloss zu knacken.
»Das meinst du doch nicht ernst, oder?«, sagte Paxton.
»Wieso?« Sie schob die eine Hälfte der Nadel bis ganz hinten in den Mechanismus und bog sie dann nach unten, um mehr Hebelkraft zu haben.
»Das ist illegal.«
»Tatsächlich?« Mit der anderen Hälfte der Nadel manipulierte sie die Stifte. »Da ist doch schon jahrelang niemand mehr drin gewesen. Wer sollte mich verhaften? Du etwa? Ich glaube nicht, dass du für das Kaff hier zuständig bist. «
Paxton bückte sich, um sie genauer zu beobachten. »Hast du das etwa schon mal gemacht?«
»Man weiß nie, was man in so einem Laden findet«, sagte Zinnia, während sie mit dem widerspenstigen Metall kämpfte. »Alte Bücher. Vergriffene Titel, die man sonst nirgendwo mehr findet. Sieh es doch einfach als urbanes Forschungsprojekt.«
»Was hast du mit den Büchern vor?«, fragte er. »Willst du sie verkaufen?«
»Nein, du Dödel. Ich will sie lesen.«
»Ach.«
Als der letzte Stift klickte, drehte Zinnia die gebogene Nadelhälfte mit aller Kraft, worauf sich das Schloss quietschend öffnete. Die Tür sprang auf. Zinnia stand auf und hob die Hand. »Tada!«
»Ich bin beeindruckt«, sagte Paxton. »Obwohl ich nicht weiß, was Dobbs davon halten würde, wenn er wüsste, dass ich mit einer Kriminellen durch die Gegend ziehe.«
Tja, Pech gehabt, dachte Zinnia. Sie betrat den Laden und schlenderte an den Regalen entlang, die noch halb gefüllt waren. Wenn sie lange genug im Laden herumhing und etwas Abstand von Paxton gewann, würde der sich hoffentlich langweilen und sich eine Weile draußen umschauen. Ihre Kontaktperson war sicher klug genug, auf die richtige Gelegenheit zu warten.
Viele der Titel in der Nähe des Eingangs waren uninteressant für sie: Kochbücher, Sachbücher, Titel für Kinder. Aber als sie zur Belletristik kam, fand sie allerhand, was sie ansprach. Buchcover, die ihr trotz der Staubschicht ins Auge sprangen. Sie kam sich wie eine Archäologin vor und stellte einen kleinen Stapel aus interessanten Titeln zusammen, die sie mitnehmen wollte .
Weiter hinten wurde die Luft dicker. Hier herrschte ein Geruch wie in einem Antiquariat, nach muffigem altem Papier, das täglich in der Sonnenhitze vor sich hin dörrte.
»Ich mache mal einen kleinen Spaziergang«, rief Paxton. »Will Luft schnappen und schauen, was es sonst noch hier gibt.«
Ausgezeichnet. »Okay«, rief sie zurück. »Bin auch bald fertig. Aber nimm trotzdem lieber den Autoschlüssel mit.«
Sie warf ihm den Schlüssel zu und lauschte, während er zum Eingang ging, die Tür öffnete und wieder schloss. Dann lief sie schnell nach ganz hinten, wo sie eine Ladentheke und eine mit Staub bedeckte Registrierkasse vorfand. Die Geldschublade war herausgezogen und umgedreht worden, auf dem Boden waren noch einige Kupfermünzen verstreut. Zinnias Handy summte. Eine neue Nachricht, die sie kurz ablenkte, weshalb sie nicht rechtzeitig reagierte, als hinter ihr die Bodendielen knarrten.
Dann hörte sie ein scharfes Klicken. Metall auf Metall.
Nicht dass sie noch eine Bestätigung gebraucht hätte, aber sie spürte, wie sich etwas Kaltes und Hartes an ihren Nacken presste. Dieses Etwas lag schräg an, weshalb die Person, die es in den Händen hielt, kleiner als Zinnia sein musste.
Eine Frauenstimme. »Gehörst du zu denen?«