Paxto n
Paxton ließ den Kopf ans Lenkrad sinken. Aus den Düsen strömte kühle Luft, die immer kühler wurde. Er spürte jedes Flattern seines Herzens.
Was für ein Haufen Irre! Welchen Plan hatten die eigentlich? Was wollten die überhaupt erreichen? Die Welt, für die sie kämpften, war jedenfalls ein Traum. So lief das heute nicht mehr.
Er dachte daran, wie er bei der Bewerbung in jenem Theatersaal auf einem harten Holzsitz gesessen hatte. Dass er da am liebsten gekotzt hätte, und nicht nur das. Er hätte am liebsten auf den eigenen Schoß gekotzt, um sich zu besudeln, weil er da saß.
Damit diese Typen recht hatten, musste Paxton unrecht haben. Dann hatte er zwei Monate lang alles falsch gemacht und machte es immer falscher, weil er sich Leuten wie Dobbs und Dakota unterwarf und deren Meinung über ihn. Ihre Anerkennung war für ihn zu einer Art Währung geworden.
Allerdings hatte er Zinnia gefunden. In der MotherCloud zu sein bedeutete, mit ihr zusammen zu sein, und wenn sie irgendwann ging, brachte er vielleicht genügend Kraft auf, mit ihr mitzugehen.
Nach allem, was gestern und heute geschehen war, kam sie ihm anders vor. Ihre Haut leuchtete stärker. Ihre Augen waren heller. Das Wort Liebe lag ihm auf der Zunge, und er kam allmählich an den Punkt, wo er es aussprechen konnte. Aber er wollte das Ganze nicht forcieren, weil Zinnia nicht die Sorte Frau zu sein schien, die auf Förmlichkeiten und Romantik stand. Er konnte sich vorstellen, wie er ihr die Hände auf die Schultern legte, ihr tief in die Augen sah und es ihr sagte. Worauf sie womöglich reagieren würde, indem sie leicht die Augen verdrehte oder kicherte, und das wäre es dann gewesen. Womit er würde leben müssen.
Sei zufrieden mit dem, was du hast, sagte er sich. Du hast einen Job, eine Wohnung und eine wunderschöne Freundin. Alles andere ist das Sahnehäubchen auf dem Kuchen.
Als er sich zurechtsetzte, spürte er etwas in seiner Hosentasche, das sich in seine Haut bohrte. Der USB -Stick. Er wollte gerade das Fenster öffnen und ihn hinauswerfen, als Zinnia die Beifahrertür öffnete. Sie setzte sich neben ihn, legte die Hände in den Schoß und starrte darauf. Ihr Körper sank in sich zusammen, als würde das Gewicht der letzten Tage schließlich Wirkung zeigen. Paxton versuchte, sich etwas Tröstliches einfallen zu lassen, und als ihm das nicht gelang, legte er ihr die Hand aufs Knie. Er spürte ihre glatte Haut, die harten Knochen darunter, und fragte: »Geht’s wieder?«
»Wir müssen los.«
Er legte den Rückwärtsgang ein, lenkte den Wagen aus der Durchfahrt und schlug die Richtung ein, aus der sie gekommen waren.
Sie hatten schon den Highway erreicht, da sagte er: »Was für ein Haufen durchgeknallte Hippies.«
»Hippies«, wiederholte sie mit leiser Stimme.
»Ich meine, was haben die eigentlich vor? Das ist doch totaler Blödsinn.«
»Totaler Blödsinn.«
»He«, sagte er und legte ihr die Hand auf den Oberschenkel. »Was ist denn? «
Einen Moment lang dachte er, sie würde sich ihm entziehen, doch das tat sie nicht. Sie legte ihre Hand auf seine. Ihr Oberschenkel war warm, aber ihre Hand war kalt. »Nichts, nichts. Es tut mir leid. War ziemlich aufregend.«
»Tja, das war es.«
»Was sollen wir jetzt tun?«
»Wieso?«
»Sollen wir jemand davon erzählen?«, fragte Zinnia. »Meinst du, du solltest es deinem Chef berichten?«
Paxton wusste nicht recht, ob sich das lohnte. Schließlich waren diese Typen meilenweit von der Anlage entfernt. Und was konnten vier Hippies schon gegen Cloud ausrichten? Dobbs mochte es nicht, wenn es zu kompliziert wurde, und er hatte mit dem Besuch von Gibson Wells schon genug am Hals.
»Würde wahrscheinlich mehr Stress machen, als dass es was bringt«, sagte er.
»Ja«, sagte Zinnia. »Das kommt mir vernünftig vor.«
Schweigend fuhren sie über den Highway. Da keine Meilenangaben zu sehen waren, war Paxton sich nicht sicher, welche Ausfahrt er nehmen sollte, doch dann sah er in der Ferne einen dunklen Fleck am Himmel. Drohnen, die auf die MotherCloud zuflogen.
Ihm kam in den Sinn, was Ember über bestimmte Bücher gesagt hatte. Ob das wohl wirklich stimmte? Die Vorstellung, dass Zensur ausgeübt wurde, war in ihm haften geblieben wie ein zwischen den Zähnen steckendes Samenkorn. Wenn Cloud tatsächlich manche Bücher unterdrückte, hätte es doch einen Aufschrei gegeben. Dagegen würden die Leute angehen. Oder nicht?
Bei den Büchern fielen ihm die leeren Seiten in seinem Notizbuch ein. Solange sie leer blieben, vergeudete er damit nur sein Leben. Wenn er schon bei Cloud war, musste er das Beste daraus machen. Vielleicht konnte er befördert werden. Es schaffen, dass er eine Uniform bekam.
Er bog vom Highway ab und fuhr eine Weile dahin. Betrachtete den Himmel. Sonst war nicht viel zu sehen. Die schwarzen Schwärme verdunkelten die Sonne.
»Erinnerst du dich noch daran, wie diese Dinger nichts als Spielzeuge waren?«, fragte er, um das Vakuum zu füllen, das im Wagen herrschte.
Als er zu Zinnia hinübersah, nickte sie.
»Da fällt mir was ein«, sagte er. »Im Gefängnis hatte ein Typ mal die geniale Idee, sich Sachen einschmuggeln zu lassen, indem ein Kumpel ihm die mit einer Drohne in den Hof schickte. Eine Weile hat das sogar funktioniert. Einmal war es allerdings windig, und der Kumpel war so ungeduldig, dass er keine Flaute abgewartet hat. Ich war mit einem Kollegen gerade auf Patrouille, als uns das Ding plötzlich vor die Füße gekracht ist. Voll mit Comicheften. Kaum zu glauben, was? Offenbar stand der Typ nicht auf die Bücher, die es in der Bibliothek gab, und da es verboten war, den Häftlingen was zu schicken, hat er sich auf die Weise seinen Lesestoff zukommen lassen.«
»Das ist echt lustig«, sagte Zinnia mit tonloser, leerer Stimme.
»Ja, komisch, wie man sich an alles anpasst«, sagte Paxton.
Und während er das sagte, machte es in seinem Kopf irgendwo klick.