Gibson
Über das heutige Thema zu schreiben fällt mir schwer. Das hier ist bestimmt schon die sechste oder siebte Fassung. Ich habe nie viel über die Massaker am Black Friday gesprochen, vor allem weil ich den Eindruck hatte, das sei nicht meine Aufgabe. Da ich mich nun jedoch dem Ende meines Weges nähere, sollte ich mich wohl einmal dazu äußern.
Was für ein furchtbarer Tag das doch war. Es ist mir bewusst, welch eine umstrittene Angelegenheit das alles ist. Amerika hat immer eine heikle Beziehung zu Schusswaffen gehabt. Das verstehe ich gut, schließlich stamme ich aus einer Familie mit einer stolzen Jagdtradition. Schon vor meinem zehnten Geburtstag wusste ich, wie man ein Gewehr zerlegt und reinigt, und man hat mir immer beigebracht, Schusswaffen mit äußerstem Respekt zu behandeln. Dasselbe gilt für alles, was ich je geschossen habe. Ich habe nie zu den Idioten gehört, die in die Serengeti reisen und einen Löwen erlegen, weil sie etwas beweisen wollen.
Nein, wir haben Elche, Hirsche und Eichhörnchen gejagt; wir haben sie gegessen und die Felle gegerbt. Mein Vater hat aus den Knochen sogar Werkzeuge geschnitzt, weil er es wichtig fand, so viel von einem Tier zu verwenden wie irgend möglich. Man will schließlich nichts vergeuden.
Mir ist jedoch völlig klar, dass meine Beziehung zu Waffen ganz anders ist als die von jemand, der in Detroit oder Chicago lebt .
Jeder hat eine Meinung, und jede Meinung ist anders. Das ist das Problem. Meine Meinung ist die: Es war ein verdammt dämlicher Fehler, Schusswaffen als Lockvogelangebot zu verwenden. Ganz ehrlich – und daran erinnere ich mich genau –, ich habe gerade meinen Kaffee getrunken, als ich die Werbung dafür in der Zeitung sah. Mein erster Gedanke war, dass da wohl irgendein armer Kerl erschossen werden wird.
Das war eine düstere Vorstellung, weshalb ich sie von mir weggeschoben habe. Ich denke gern besser von den Menschen, und ich hasse es, dass ich recht hatte. Noch mehr hasse ich es, wie sehr ich recht hatte. Aber wer hätte wissen können, dass so etwas tatsächlich passieren würde, und das auch noch in so vielen Geschäften? Wer hätte wissen können, dass so viele zu Tode kommen würden?
Deshalb habe ich anschließend Stellung bezogen und gesagt, dass wir keine Schusswaffen mehr verkaufen werden. Das Recht dazu hatte ich mir bereits in jahrelangen Verhandlungen erworben. Obwohl sie der einzige Artikel in unserem ganzen Angebot waren, der persönlich geliefert wurde und dessen Empfang persönlich quittiert werden musste.
Aber mir war speiübel, und ich wusste, dass sich etwas ändern musste. Manchmal muss man eben die Führung übernehmen. Und seht mal, wie es gelaufen ist, nachdem die großen Warenhausketten auf dem letzten Loch pfiffen, Cloud alles andere verkaufte und die kleinen Geschäfte nicht konkurrenzfähig waren. Früher wurden in den Vereinigten Staaten jährlich etwa zwanzig Millionen Schusswaffen hergestellt, während diese Zahl heute auf unter hunderttausend gesunken ist. Außerdem sind Waffen jetzt ausgesprochen teuer, wodurch die meisten Leute sie sich nicht leisten können, und wenn es einen Industriezweig gibt, dem ich gerne Schaden zufüge, dann ist es dieser.
Die Massaker am Black Friday waren die letzten großen Amokläufe in Amerika, und ich bin froh, zu dieser Entwicklung beigetragen zu haben.
Der Markt hat bestimmt. Damit meine ich, dass die Bürgerinnen und Bürger mit ihrer Geldbörse entschieden und uns als ihren Hauptlieferanten akzeptiert haben, weil sie wussten, dass unsere Drohnen ihnen keine Schusswaffen an die Haustür liefern würden.
Ich sage es noch einmal, weil ich weiß, wie leicht es missverstanden werden kann: Ich trauere um die zu Tode gekommenen Menschen mehr, als ihr womöglich meint, aber ich bin froh, dass Amerika dadurch endlich zur Vernunft gekommen ist, was diese schwierige Frage angeht.
Da wären wir also. Ich möchte euch alle bitten, euch ein paar Minuten Zeit zu nehmen und ausgiebig darüber nachzudenken. Bei Cloud werden wir wie üblich eine Zeremonie abhalten. Mitarbeiter, die unentbehrlich sind, werden zumindest eine Schweigeminute einlegen. Wir werden die Namen der Verstorbenen verlesen und ihr Gedenken weiterhin nach besten Kräften ehren, indem wir hart arbeiten und uns mit Mitgefühl begegnen.
Noch etwas will ich sagen. Es ist eine harte Realität, die ich nicht gerne eingestehe, jetzt jedoch nicht länger leugnen kann: Mein heutiger Besuch in einer MotherCloud wird wahrscheinlich der letzte sein. Ich schaffe es einfach nicht mehr. Inzwischen schlafe ich kaum noch und habe Mühe, mein Essen im Magen zu behalten. Ich versuche mein Bestes, aber es gibt Tage, an denen mein Pfleger – ein kräftiger Bursche namens Raoul – mich ein bisschen durch die Gegend tragen muss. Was ja kein Leben ist.
Deshalb wird der heutige Tag etwas ganz Besonderes für mich sein. Ich werde wieder etwas zum letzten Mal erleben.
Mein letzter Rundgang durch eine MotherCloud. Claire und Ray werden mich begleiten; wir werden einen hübschen kleinen Spaziergang machen, dann steige ich wieder in den Bus und fahre nach Hause. Ich werde mich weiterhin bemühen, etwas zu schreiben, was jedoch nicht alles in diesen Blog kommen wird. Jedenfalls noch nicht. Ich habe Molly gebeten, diesen Text für mich durchzusehen, und auf halbem Wege hat sie sogar das Tippen übernommen. Sag doch mal hallo, Molly!
Ich möchte zu Protokoll geben, dass Molly mich gerade in den Arm geknufft hat. Sie will, dass ich diese Sache ernst nehme.
Sollte es das also gewesen sein, will ich euch für eure Aufmerksamkeit danken. Ich wollte, ich könnte jedem einzelnen Cloud-Mitarbeiter begegnen, bevor ich gehe. Ich bin gerade einfach voller Wünsche nach Dingen, die unerledigt bleiben müssen, aber so ist das Leben eben, oder?
An diesem Punkt sollte ich wohl versuchen, euch einige weise Worte zu hinterlassen. Als ob irgendetwas, was ich von mir gebe, als Weisheit gelten könnte! Aber wisst ihr, ich habe immer nach einem ziemlich hübschen Grundprinzip gelebt: Die Arbeit wird erledigt oder nicht, und ich mag es, wenn sie erledigt wird.
Wenn ihr euch darauf – und auf eure Familie – konzentrieren könnt, wird wahrscheinlich alles in Ordnung sein .
Aus vollem Herzen und aus tiefster Überzeugung sage ich euch danke.
Es war eine Ehre, dieses Leben zu leben.