Zinni a
Zinnia schlüpfte durch die Schwingtür in die Küche. Dort waren mehrere Leute in Grün an der Arbeit, obwohl draußen keine Gäste saßen, weil sich fast alle bei der Zeremonie befanden. Zur Vorbereitung des später zu erwartenden Ansturms hantierten sie mit Kochwerkzeugen und Fritteusenöl an den makellos glänzenden Edelstahlgeräten. Einige warfen einen kurzen Blick auf Zinnia, reagierten jedoch weiter nicht auf ihr Erscheinen.
Sie fand es immer komisch, dass der Mythos herrschte, bei ihrer Tätigkeit gehe es in erster Linie um technische Spielereien und dergleichen. In Wirklichkeit lautete die Grundregel der Spionage, so zu tun, als würde man dazugehören. Wenn das gelang, wurde man nur ausgesprochen selten infrage gestellt.
Was freilich bedeutete, dass sie nicht herumtrödeln durfte. Sie ließ den Blick durch den ganzen Raum schweifen, ohne zu wissen, wonach sie suchte, aber in der Hoffnung, es zu finden. Die Küche war größer, als sie gedacht hatte, und ging um mehrere Ecken. Als Zinnia um eine davon bog, kam sie zu einer schweren Schiebetür, die irgendwie deplatziert wirkte. Was bedeutete, dass dies genau der Ort war, nach dem sie suchte.
Hier war an der Decke eine Kamera angebracht. Zinnia sah sie erst spät, weil sie den Mützenschirm heruntergezogen hatte. Sie vermied es, den Kopf zu heben, damit ihr Gesicht nicht zu deutlich erkennbar wurde. Neben der Tür war eine Scannerscheibe angebracht, und während sie das CloudBand davorhielt, sprach sie lautlos ein Stoßgebet.
Ein Klingelton. Die Scheibe leuchtete grün auf. Zinnia schob die Tür auf, die so groß und schwer war, dass das einen ziemlichen Kraftaufwand erforderte. Dahinter kam ein Bahnsteig mit einer Bahn, die etwa halb so groß wie ein regulärer Wagen war.
Außerdem stank sie. Nach Bleichmittel, unter dem der süße Geruch von Fäulnis wahrnehmbar war. Als hätte man versucht, Letzteren zu unterdrücken. Im Innern waren Nylonriemen angebracht, die paarweise zusammengeschnallt werden konnten. Transportiert wurden also offenbar keine Personen, sondern Paletten.
Zinnia schob die Tür hinter sich zu und ging zum vorderen Ende der Bahn, wo sie Kontrollinstrumente vorfand. Die musste sie nicht weiter studieren, da es sich lediglich um einige Tasten handelte. Eine war mit Fahrt gekennzeichnet. Man sorgte hier wirklich überall dafür, die Dinge einfach zu halten.
Als sie die Taste drückte, setzte der Wagen sich in Bewegung, erst langsam, dann immer schneller. Ratternd wie ein Lastenaufzug sauste er durch dunkle Tunnel. Zinnia musste sich an einem Handgriff festhalten, damit sie nicht von den Beinen gerissen wurde. Die Nylonriemen pfiffen durch die Luft, sodass sie mehrfach ausweichen musste, um nicht von einer Schnalle am Bein erwischt zu werden. Das war keine Magnetbahn, sondern ein älteres System. Metall lief auf Metall, was in dem engen Raum ein ohrenbetäubendes Kreischen erzeugte.
Die Fahrt dauerte etwa fünf Minuten, in denen Zinnia noch einmal ihren Fluchtplan durchging. Selbst in dem Chaos, das nach dem Entgleisen der Bahn mit Wells zu erwarten war, würden Lastwagen in die Anlage einfahren und sie verlassen. Das ging nicht anders, weil man die Lieferungen nicht zu lange unterbrechen konnte. Und da die Lastwagen vollständig automatisiert waren, musste Zinnia sich lediglich in einen hineinschleichen. Die Chance, dabei zufällig entdeckt zu werden, war ziemlich gering.
Trotzdem hatte sie das Gefühl, irgendetwas vergessen zu haben.
Da fiel es ihr ein: Hadley. Sie wollte sich vergewissern, dass der durch die Droge nichts passiert war.
Ob sie wohl eine Nachricht an Paxton schreiben konnte? Um ihn zu bitten, nach Hadley zu schauen?
Aber es war riskant, weiterhin mit ihm zu kommunizieren. Und was sollte sie schreiben, wenn er sich wieder meldete?
Tschüs! Auf Nimmerwiedersehen!
»Komm schon, du dumme Nuss«, sagte sie zu sich selbst. »Werd jetzt bloß nicht weich.«
Als die Bahn hielt, spürte Zinnia ein Frösteln, noch bevor die Tür aufging. Ihr Atem bildete eine Wolke. Sie trat in einen Kühlraum voller Behälter auf Holzpaletten. Die glatten Metallwände waren dick mit Frost überzogen, der sich in den Ecken wie Schnee sammelte. Hätte sie doch bloß etwas Wärmeres angezogen.
Immerhin gab es hier keine Kameras. Als sie auf der Suche nach einem Ausgang zwischen den Paletten hindurchging, sah sie am Ende eine Tür. Auf dem Weg dorthin öffnete sie einen der Behälter. Im Innern lagen Hackfleischkugeln auf Wachspapier. Rohmaterial für CloudBurger .
Was merkwürdig war. Alle Waren, auch die Lebensmittel, kamen durch das Aufnahmegebäude, jedenfalls hatte Paxton etwas in der Richtung gesagt. Wenn sie sich tatsächlich in der Recyclinganlage befand, weshalb wurde hier Hackfleisch gelagert? Soweit sie wusste, befand sich die Rindfleischproduktion im Besitz von Cloud, weshalb das Fleisch auch so preiswert war. Vielleicht gab es in der Nähe vom Campus ja irgendwelche Weideflächen, ein Gebiet, wo Rinder immer noch ungefährdet gehalten werden konnten, und von hier gelangte man dorthin. Etwas Derartiges hatte sie auf den Satellitenaufnahmen zwar nicht gesehen, aber schließlich hatte sie nicht gezielt danach gesucht.
Nicht so wichtig. Zinnia erreichte die Tür, öffnete sie und fand sich in einem leeren Flur wieder. Am anderen Ende sah sie wieder eine große Schiebetür.
Dort angelangt, hielt sie die Uhr an den Scanner, der sofort grün aufleuchtete. Als sie die Tür aufzog, überspülte der Gestank sie wie eine Meereswelle. Er erfüllte ihre Nase, drang tief in ihre Kehle und überwältigte sie, als wäre sie mit dem Kopf voraus in eine verstopfte Toilette geschoben worden.