Cedric Clark, der Eigentümer von Clarks Tankstelle in Findon, erwartete den Besuch eines Geschäftsfreunds. Er hoffte, John Rothers Hillman verkaufen zu können. Seit Meredith den Wagen zuletzt untersucht hatte, waren Windschutzscheibe und Armaturenbrett repariert, die Blutflecken sorgfältig beseitigt und die Karosserie vollkommen neu lackiert worden. Clark hatte den Bericht über die Untersuchung in der Abendzeitung vom Vortag gelesen und war ebenso wie die übrigen Dorfbewohner vom Urteil der Geschworenen schockiert gewesen. Überdies hatte Williams Tod ihn hinsichtlich des Verkaufs des Wagens in ein Dilemma gestürzt. Er musste nun Mrs. Rothers Erlaubnis für den Verkauf einholen. Um elf wollte Thornton bei ihm sein, also setzte sich Clark gleich nach dem Frühstück auf sein Motorrad und brauste nach Chalklands. Doch er traf Janet Rother nicht an – die Haushälterin sagte ihm, sie liege noch im Bett, also bat er diese, ihr seine Bitte vorzutragen, woraufhin er die gewünschte Erlaubnis erhielt, mit dem Verkauf des Wagens fortzufahren.
Um elf Uhr kam Tim Thornton mit seinem abgetakelten Werkstattwagen angerumpelt und hielt mit schwermütig quietschenden Bremsen gleich hinter den Zapfsäulen.
»Das ist ja eine verflixt gute Werbung für dich – der Wagen da, großartig«, sagte Clark. »Sparsam beim Öl, wie?«
Thornton, ein grobknochiger, träge wirkender Bursche mit sandfarbenen Haaren und rötlichem Schnurrbart, entstieg langsam dem Gefährt und begaffte das Gelände, das landläufig als Clarks Tankstelle bekannt war.
»Entschuldigen Sie. Können Sie mir sagen, ob es in der Gegend eine Werkstatt gibt? Hab gehört, in dem Kaff hier hat ein Idiot namens Clark so was.«
»Du brauchst wirklich eine«, erwiderte Clark spitz, wobei er zu dem Wrack hin nickte und Thornton auf den Rücken schlug. »Komm rein, Junge, dann sehn wir mal, was wir für dich tun können. Steht auch ein Abschleppwagen bereit. Willst du den leihen?«
»Grrr!«, knurrte Thornton und folgte seinem Freund in das enge Kabuff, das den hochtrabenden Namen »Büro« führte. »Und, wie läuft der Laden?«
»Ach, geht so. Kann nicht klagen. Und bei dir?«
»Ganz gut. Ihr hattet bei euch ziemlich Ärger, wie?«, fuhr er fort, nachdem er sich eine Zigarette angezündet hatte. »Hab gestern Abend im Radio gehört, dass sie bei diesem Rother auf Mord entschieden haben.«
»Ja«, bestätigte Clark. »Komische Sache, das. Erst dieser Ärger am Cissbury – jetzt sieht’s ganz so aus, als hätt’s auch noch William Rother erwischt. Fast schon ein Fluch auf der Familie, was?«
»Ist der Hillman fertig?«
»Steht hinten, Tim. Willst du ihn gleich sehen?«
»Also, um zwölf muss ich zurück sein, da kommt’n Kunde.«
»Na, dann machen wir mal voran, mein Alter. Brauchst ja jede Minute, wenn du’s mit diesem Leierkasten da vorn schaffen willst. Für den war Tempo fünfzig nie ein Problem, wie?«
»Immerhin streichen wir unsere Zapfsäulen«, konterte Thornton, als er dem Besitzer durch ein Fahrzeuglabyrinth in die hinterste Ecke der Hauptgarage folgte, wo der Hillman stand. »Hallo – ist das das kleine Wunder?«
»Das ist er. So gut wie neu – hat gerade mal zehntausend drauf – frisch lackiert – neue Windschutzscheibe – gute Reifen und –«
»– bis zum Quartalsende zugelassen«, ergänzte Thornton, spöttisch grinsend. »Na komm. Den Sermon kannst du dir sparen. Mir lockst du mit den flotten Sprüchen keinen Penny aus der Tasche. Mach mal die Haube hoch, dann sag ich dir, ob die Karre was für meinen Kunden ist. Ich hab ihm ein Schnäppchen versprochen, und ich muss auf meinen guten Ruf achten. Anders als so manche andere.«
»Bitte sehr«, sagte Clark und hielt eine Arbeitsleuchte über den Motor. »Sieh’s dir ruhig an. Den Innereien fehlt nichts, Alter.«
Thornton wollte sich schon über den Motor beugen, als er einen überraschten Ruf ausstieß und zurücktrat, um sich den Wagen genauer anzusehen.
»Moment mal – den Wagen hab ich schon mal gesehen. Der war doch hellgrün, bevor du ihn mit diesem Dreckslack da gespritzt hast?«
»Stimmt. Woran hast du ihn erkannt?«
»Siehst du diese beiden Messingmuttern da auf den Batterieklemmen? Die hab ich selber draufgetan, als der Besitzer ihn mal übers Wochenende bei mir abgestellt hat.«
»Wann war das?«
»Weiß nicht mehr genau. Vielleicht so vor zwei Monaten, keine Ahnung. Aber der Bursche war die letzten anderthalb Jahre oder noch länger regelmäßig am Wochenende bei mir. Komisch, wie?«
»Wie hat er ausgesehen?«
»Stämmiger, kräftiger Kerl. Rotgesichtig. Laut. Typischer Bauer, denk ich mal. Heißt Reed, hat er gesagt.«
»Reed?« Clarks Stimme war vor Aufregung ganz schrill geworden. »Das war nicht Reed. Das war Rother. Da wett ich drum! Das war John Rother – der Kerl, den sie am Cissbury umgebracht haben. Hast du denn nie sein Gesicht in der Zeitung gesehen?«
»Für so was fehlt mir die Zeit, Junge. Ich hör Nachrichten immer bloß im Radio. Das war also John Rother? Na, ich werd’ nicht mehr. Hätt’ nie gedacht, dass ich den Burschen mal gesehen hab, als sie die Suchmeldung gesendet haben. Komisch, dass er mir einen falschen Namen genannt hat, wie?«
»Da ist was faul – wenn du mich fragst«, pflichtete Clark ihm bei. »Verdammt faul. Ich finde, das sollte Superintendent Meredith erfahren. Im Ernst. Der sollte mal mit dir sprechen, Tim.«
Thornton lachte.
»N paar Daumenschrauben, wie? Weiß ja nicht, ob ich da viel helfen kann. Ist das der Bursche, der diese Morde untersucht?«
»Man weiß nie«, sagte Clark bedeutungsvoll. »Diese Polizeitypen finden ja in allem irgendwelche Beweise und setzen sie zusammen, und eh du dich’s versiehst, ist so ein armes Schwein für den Galgen gebucht. Aber was ist jetzt mit dem Wagen?«
»Lass ihn mal an«, sagte Thornton. »Der dürfte schon passen. Als ich ihn das letzte Mal gesehen hab, hat er geschnurrt wie ein Kätzchen.«
Zehn Minuten später war der Handel perfekt, und nach einem »schnellen Glas« im Pub an der Straße setzte sich Thornton wieder in seine Donnerkutsche und rumpelte durchs Dorf davon.
Clark kehrte in sein Büro zurück und griff zum Telefon. Wenige Minuten darauf war er mit Meredith verbunden.
»Sie haben mich gerade noch erwischt, Mr. Clark. Ich wollte gleich nach Chalklands. Was gibt’s?«
Clark berichtete von seinem Gespräch mit Thornton. Meredith hörte mit Interesse zu.
»Hören Sie, ich komme bei Ihnen vorbei. Dann können Sie mir das in allen Einzelheiten erzählen.«
Auch wenn Meredith sich von dieser neuen Spur keine großen Erkenntnisse versprach, konnte er es sich nicht leisten, auch nur den kleinsten Hinweis zu übergehen. In einer Ermittlung führte eines zum anderen und auf lange Sicht recht oft zum Gesuchten. Der Mann mit dem Umhang bereitete ihm weiterhin Kopfzerbrechen, allerdings neigte er inzwischen dazu, dass er bei dem Verbrechen die Hauptrolle spielte. Jene Wochenenden, die Rother laut Barnet in Brighton verbracht hatte, konnten ihn durchaus in Kontakt mit dem Mann gebracht haben, der ihn später ermorden sollte. Doch, ja, diesem neuen Hinweis musste er unbedingt nachgehen.
Clark stand rauchend bei den Zapfsäulen, als der Polizeiwagen vorfuhr. Sogleich gingen die beiden Männer ins Büro. Dort berichtete Clark dann alles, was er von Thornton erfahren hatte, wobei er die nüchternen Details mit eigenen Theorien und Meinungen ausschmückte. Doch Meredith trennte die Spreu schon bald vom Weizen.
»Wo ist Thorntons Werkstatt?«
»Sie kennen die Straße von Arundel nach Brighton, die durch Sompting und Lancing führt?« Meredith nickte. »Also, gleich hinter der Mautbrücke über den Adur ist eine Kreuzung.«
»Die kenne ich. Dort ist es?«
»Rund zweihundert Meter von der Kreuzung Richtung Brighton – ja. Eher ein neuer Laden – bisschen grelle Deko für meinen Geschmack. Aber so ist der alte Thornton eben. Macht gern viel Bohei.«
»Verstehe – danke. Sobald ich kann, fahre ich dort vorbei und rede mal mit Ihrem Freund. Anständig von Ihnen, mich anzurufen.«
»Ach, schon gut. Ich weiß ja, wie ihr so arbeitet. Sonst wollen Sie nichts wissen?«
Der Superintendent schüttelte den Kopf, sprang in den Wagen und wies Hawkins an, aufs Gas zu treten, denn er wollte schnell zum Hof. Der kleine schwarz-blaue Streifenwagen schoss wie eine Kugel aus der Flinte die Straße hinauf. Zehn Minuten später hielt er vor der langen weißen Veranda.
Kate Abingworth öffnete auf Merediths Klingeln und führte ihn auf seine Bitte hin, Janet Rother zu sprechen, ins Wohnzimmer.
»Mrs. Rother hat gesagt, sie will nicht gestört werden, aber Sie wird sie bestimmt sehen wollen, ja. Sie liegt in ihrem Zimmer.«
Nachdem die Haushälterin gegangen war, probte Meredith im Kopf seine Angriffsstrategie. Ihm war klar, dass eine kräftige Dosis des guten alten Kreuzverhörs unbedingt vonnöten war, wollte er der Frau die Wahrheit entlocken. Schon die ganze Zeit hatte sie etwas zurückgehalten. Es gab kaum noch Zweifel daran, dass sie es war, die die Teile von John Rothers Leiche in den Ofen gelegt hatte. Auch sah alles danach aus, dass sie das falsche Geständnis geschrieben hatte. Falls der Mann mit dem Umhang in die Verbrechen verwickelt war, dann war Janet Rother diejenige, die ihm einen Hinweis auf seine Identität liefern konnte. Er musste sie zum Reden bringen. Er musste ihr eine Heidenangst einflößen, damit sie mit der Wahrheit herausrückte.
Kate Abingworth kam zurück. Sie war allein.
»Mrs. Rother ist noch nicht angezogen?«, sagte er knapp.
»O je, ja«, stieß die Haushälterin hervor. »Ich krieg gar keine Antwort. Ich hab geklopft und geklopft, keine Antwort. Und ihre Tür ist auch noch abgeschlossen. Ich hab gerufen, sie soll aufmachen, aber sie –«
»Wann waren Sie zuletzt oben bei Mrs. Rother?«
»Gegen neun, Sir, als der von der Garage da war. Ich hab durch die Tür mit ihr gesprochen.«
»Gesehen haben Sie sie nicht?«
»Nein, Sir.«
»Ihr das Frühstück hochgebracht?«
»Sie hat nicht gefrühstückt, Sir. Gestern Abend hat sie mir ausdrücklich gesagt, ich soll sie am Morgen nicht stören, aber wie dann der von der Garage –«
»Verstehe.« Meredith war plötzlich hellwach. »Führen Sie mich zu ihrem Zimmer, ja?«
Er folgte der Haushälterin durch den Gang und eine breite, geschwungene Treppe hinauf in einen weiteren, schmaleren Gang im Obergeschoss. Vor der ersten weißen Tür links blieb Mrs. Abingworth stehen.
»Hier?« Die Haushälterin nickte. Meredith klopfte fest an die Tür und rief nach Mrs. Rother. Er horchte. Keine Antwort. Er hämmerte mit der Faust dagegen und rief ein zweites Mal. Noch immer keine Antwort.
»O je, Sir! O jemine, Sir!«, stöhnte Mrs. Abingworth, den Tränen nahe. »Was kann das bedeuten? Ich hoffe bloß, da ist nichts –«
»Wir müssen die Tür einschlagen«, unterbrach Meredith sie. »Treten Sie mal zurück und werden Sie um Himmels willen nicht hektisch.«
Mit aller Kraft warf Meredith sich gegen eines der oberen Paneele. Es gab nicht nach.
»Gibt’s unten einen Vorschlaghammer? Ja? Dann laufen Sie runter und holen Sie ihn. Ich hole meinen Kollegen.«
Meredith war gerade mit Hawkins zurück, als Kate Abingworth mit einem großen Vorschlaghammer die Treppe heraufgeschnauft kam. Er riss ihn ihr aus der Hand, holte aus und schlug damit krachend gegen das Paneel überm Schloss. Holz splitterte, das halbe Brett war nach innen gedrückt, sodass man durch das Loch das ganze Zimmer einsehen konnte. Meredith hielt sich nicht mit Mutmaßungen auf, sondern steckte den Kopf hindurch und schaute sich rasch um. Das Zimmer war leer!
»Vielleicht hat sie sich ja im Wandschrank erhängt, Sir!«, rief Hawkins. »Wie die alte Frau, die wir in –«
»Seien Sie still, Sie Idiot!«, blaffte Meredith mit einem warnenden Blick auf Kate Abingworth. »Wenn Sie helfen wollen, dann tun Sie was und denken Sie nicht.«
Er befolgte diesen vernünftigen Ratschlag selbst mit praktischem Beispiel, indem er die Hand durch die Tür steckte, um den Schlüssel im Schloss zu drehen. Dann der nächste Schock. Es war kein Schlüssel da!
»Großer Gott!«, stieß Meredith hervor. »Die Tür wurde von außen verschlossen. Sie hat den Schlüssel mitgenommen. Hier, nehmen Sie den Hammer und schlagen Sie das Schloss ein. Ich will in das Zimmer, und zwar schnell!«
Drinnen wurde Merediths Annahme, dass die Frau sich davongemacht hatte, von etlichen Indizien bestätigt. Bett und Fußboden waren mit Kleidern, Schuhen, Seidenpapier und hingeworfenen Kleiderbügeln übersät. Nach einem kurzen Blick war klar, dass Janet Rother nur wenige Stunden zuvor in dem Zimmer fieberhaft gepackt hatte. Und weshalb? Meredith lächelte vor sich hin. Das war der unwiderlegbare Beweis der Schuld dieser schlauen jungen Dame.
Während er und Hawkins das Zimmer gründlich durchforschten, dachte Meredith: »Na – was zum Teufel mache ich jetzt? Noch dürften wir nicht genügend Beweise haben, um die junge Frau per Haftbefehl suchen zu lassen. Der Chief wäre todsicher dagegen. Nein – sieht wohl so aus, als müssten wir sie aufspüren und dann im Blick behalten, bis wir wirklich genug wissen, um sie zu verhaften.«
In Gedanken befasste er sich bereits eingehend mit einem Aktionsplan. Allgemeine Erkundigungen in der näheren Umgebung, ob jemand sie am Morgen gesehen hatte. Ein Anruf beim Yard, dass die mal diesen Londoner Anwalt vernahmen. Eine Beschreibung der Frau für die Personenfahndung. Überwachung der Häfen, falls sie außer Landes wollte.
Beim besten Willen konnte er nicht glauben, dass sie einfach nur gegangen war, um Freunde zu besuchen. Man packt nicht heimlich und verlässt das Haus ohne ein Wort des Abschieds oder zu sagen, wo man hin will, es sei denn, man ist bestrebt, sich zu verdrücken. Nein – Janet Rother war nicht einfach nur für eine Woche bei der Tante in Littlehampton!
»Was Interessantes, Hawkins?«
»Nichts, Sir.«
Meredith wandte sich an Kate Abingworth, die während der vergangenen fünf Minuten mit ihren »O-jemines« im Zimmer herumgelaufen war und sich grundsätzlich dorthin gestellt hatte, wo sie im Weg war.
»Lassen Sie vorerst nichts darüber verlauten. Verstehen Sie? Ich teile Mr. Barnet mit, was passiert ist, und beauftrage ihn damit, hier alles zu regeln. Im Übrigen«, ergänzte er noch beruhigend, »gibt es für Mrs. Rothers Abreise möglicherweise eine ganz einfache Erklärung. Vergessen Sie nicht, dass ihr das alles, was sie während der letzten Tage durchgemacht hat, über den Kopf gewachsen ist. Also regen Sie sich um Himmels willen nicht zu sehr auf, Mrs. Abingworth. Zehn zu eins, dass wir Ihre Herrin binnen zwölf Stunden gesund und munter ins Haus zurückbringen. Es sei denn natürlich, dass sie einfach irgendwohin zu Besuch gefahren ist.«
Doch Kate Abingworth ließ sich nicht trösten.
»Ist doch sinnlos, Sir. Eine alte Frau wie mich könn’ Sie nicht täuschen. Ich weiß, dass wir Mrs. Rother nie mehr wiedersehn. Auf dieser Familie liegt eine Hand. Merken Sie sich, was ich sag – die Hand des Bösen. Ihr Schatten hat sich über dieses Haus gelegt, so wahr ich Kate Abingworth heiß. Erst Mister John, dann Mister Willum und jetzt –«
»Hören Sie«, unterbrach Meredith sie und lächelte sie an wie ein Sohn, »möchten Sie nicht lieber nach unten gehen und uns allen eine Tasse Tee machen, hm? Das könnten Sie doch, nicht? Und«, setzte er hinzu, »keine Sorgen mehr, sonst nehme ich Sie mit auf die Wache, verstanden?«
Etwas weniger tränenreich und prophetisch ging die Haushälterin in die Küche hinunter, wo die beiden Männer wenig später auf eine Tasse Tee dazustießen. Als sie dann Richtung Lychpole abfuhren, hatte die gutherzige Dame auch schon wieder etwas von ihrer natürlichen Lebhaftigkeit erlangt. Der Schatten der Hand schien sich ein wenig verzogen zu haben.
Aldous Barnet saß vor seinem strohgedeckten Gartenhaus bei der Arbeit an seinem jüngsten Roman, als Meredith über den Rasen zu ihm schritt. Er war von der Nachricht, die Meredith ihm überbrachte, offenkundig verstört, hatte keine Ahnung, warum Janet Rother gegangen war, und sah sich vollkommen außerstande, ihr Reiseziel zu benennen. Er gab Meredith ein, zwei Adressen, darunter die ihres Anwalts, und pflichtete dem Superintendent schließlich bei, dass hinter ihrem Verschwinden mehr steckte als lediglich der Wunsch nach Luftveränderung. Er versprach, die Dinge in Chalklands zu regeln, sollte Janet nicht mehr auftauchen. Bis auf die Tante in Littlehampton wusste er von keiner Verwandtschaft, weder der Brüder noch Janets, die man um Hilfe hätte bitten können. Er meinte, man solle Mrs. Abingworth zu ihrer verheirateten Schwester in Arundel schicken und das Haus bis auf Weiteres verschließen. Meredith beendete das Gespräch mit dem Versprechen, ihn über den Fortgang der Ermittlungen auf dem Laufenden zu halten.
Zurück in Lewes, verbrachte Meredith den restlichen Teil des Tages damit, die enorme Polizeimaschinerie in Gang zu setzen, eine ermüdende und uninteressante, aber wichtige Beschäftigung, sollte Janet Rothers Verbleib ermittelt werden. Bei Einbruch der Dunkelheit war lediglich eine aufmunternde Information eingetroffen. Die Kollegen vom Yard hatten den Anwalt der Rothers befragt, und obwohl er in Janets Angelegenheiten zurückhaltend war, hatte die Polizei doch die folgenden Fakten eruiert: 1. William Rother hatte alles bedingungslos seiner Frau vermacht. 2. Dieses Erbe schloss auch sämtliche Gelder und Güter ein, die William von seinem Bruder vererbt worden waren. 3. Mrs. Rother hatte ihn angewiesen, alles Geld, das ihr Schwager in Industrieaktien angelegt hatte, flüssig zu machen. Dies könne, bestätigte der Anwalt, nicht kurzfristig geschehen, da einiges an juristischen Dingen zu erledigen sei, bevor Mrs. Rother das Erbe ihres Mannes antreten könne. Für mehrere Dokumente würde ihre Unterschrift benötigt, und man habe die Anweisung erhalten, jedwede Korrespondenz postlagernd an ein Postamt in der Kensington High Street weiterzuleiten. Der Yard habe die Vorsichtsmaßnahme ergriffen, das Postamt während der nächsten Tage zu beobachten, falls Janet Rother dort auftauchte. Allerdings seien sie nicht sehr zuversichtlich, da es für die Frau ein Leichtes sei, die Briefe von einer anderen Person abholen zu lassen. Eventuell könnten sie den Komplizen dann beschatten – vielleicht aber auch nicht. In der Hauptstadt sei das nicht so einfach.
»Zu dem Geld, das sie aus den Industrieaktien abzieht«, fragte Meredith am Telefon, »eine Ahnung, wie ihr Anwalt ihr das aushändigt?«
»Ja – in Ein-Pfund-Noten.«
»Wie viel?«
»Rund zehntausend Pfund.«
»Was!«
Die Stimme am anderen Ende der Leitung lachte laut auf.
»Ja – ich weiß. Wir fanden das auch seltsam. Klingt ein wenig sperrig, wie? Aber es ist von Bedeutung.«
»Finden Sie?«
»Ja. Sieht ganz so aus, als wollte Ihre Freundin unbedingt das Land verlassen, und Pfundnoten sind schwerer aufzuspüren als die von größeren Nennwerten. Die hat ihren Kopf schon richtig rum draufgeschraubt, wie?«
»Ich denke mal, da steckt noch jemand anderes dahinter«, sagte Meredith. »Sie ist bloß das Werkzeug. Das Gehirn der Partnerschaft, das wollen wir zu fassen kriegen. Findet ihr uns die Frau, das wäre dann schon der halbe Weg zu dem Mann.«
»Wir tun unser Bestes.«
»Danke. Das war’s? Tschüs!«
Das Problem von Janet Rothers Verbleib beschäftigte den Superintendent während der ganzen folgenden Woche. Er war überall gleichzeitig, zog Erkundigungen ein, notierte sich Aussagen, die zu nichts führten, initiierte Energieausbrüche lokaler Polizeiwachen, überprüfte Berichte, telefonierte, schrieb, fluchte. Alles ohne Erfolg. Am Ende der Woche war er keinen einzigen Schritt weiter. Janet Rother hatte sich wie Prosperos Geister in Luft aufgelöst, in dünne Luft. Er war deprimiert, voller Sorgen und hätte sich gern in den Hintern getreten.
Indizien, dachte er. Er hatte massenhaft Indizien. Jede Menge. Zu viele. Aber irgendwie fehlte noch das entscheidende Puzzleteil. Es sah ganz danach aus, als hätte er auf dem langen Weg seiner Ermittlungen den wesentlichen Hinweis übersehen. Vielleicht war es nur ein kleines Versehen, aber es hatte genügt, die drei Fälle zum Stillstand zu bringen. Er war nun so weit zu glauben, dass, sobald das Rätsel um den Mord an John Rother gelöst war, der zweite Mord und Janets Verschwinden gleich mit gelöst wären. Die drei Fälle waren so eng miteinander verwoben, und der gemeinsame Nenner war – gewiss? – der Mann mit dem Umhang. Es war dringend geboten, befand Meredith, die Uhr um ein paar Monate zurückzudrehen und eine neue Phase der Ermittlungen einzuläuten, indem er etwas über John Rothers Wochenenden fern von zu Hause in Erfahrung brachte. Er musste Tim Thornton aufsuchen.
War es möglich, dass dieser kleine Hinweis, durch eine zufällige Unterhaltung ans Licht gebracht, den Schlüssel für den Code darstellte? Jedenfalls schien er seine einzige verbliebene Hoffnung zu sein. Sollte auch dieser Ermittlungsstrang scheitern, dann konnte er seine mühevollen Untersuchungen gleich mit der Fußnote »Unerledigter Fall« versehen.