3. FINANZMARKTKRISEN DER LETZTEN JAHRZEHNTE
Krisen gibt es immer wieder. Ob diese zwischen zwei Staaten, in einer Branche oder auch einfach nur zu Hause zwischen zwei Partnern bestehen. Sie sind Ausdruck von unterschiedlichen Auffassungen, die sich im Rahmen der Krise aneinander reiben und einen Kompromiss finden. Je nach Stärkeverhältnis der beiden Beteiligten kann das Ergebnis einseitig beeinflusst werden.
Finanzmarktkrisen sind im Endeffekt hier nichts anderes. Sie zeigen besonders deutlich auf die wirtschaftlichen Auswirkungen und hier vor allem auf die zukünftigen Entwicklungen. Nicht selten hört man, dass an den Börsen der Welt die Erwartung der nächsten drei bis sechs Monate gehandelt wird. Folglich treffen nicht vorhersehbare Ereignisse diese Finanzmärkte immer mit einer deutlich größeren Wucht, als es im realen Leben zuerst den Anschein haben mag.
Wir haben euch in diesem Kapitel die Finanzmarktkrisen der vergangenen drei Jahrzehnte zusammengestellt. Dabei geht es uns weniger darum, was dort die Ursache war, und wir wollen dies auch politisch nicht bewerten. Uns interessiert vor allem die jeweiligen Auswirkungen auf den Gesamtmarkt und eventuelle Gewinner und Verlierer. Damit wollen wir zeigen, dass Krisen an sich einem immer gleichen Schema folgen, das letztlich zu einem gewissen Teil sogar vorhersehbar ist. Und die Erkenntnis wiederum hilft dabei, ruhig zu bleiben und die Krise und ihre Auswirkungen eher als Chance zu erkennen.
Operation „Desert Storm“ 1990/1991 im Irak
Dem Einmarsch der USA in den Irak ging eine radikale Veränderung der politischen Haltung und Verhältnisse voraus. Während der Irak und die USA sowie die arabischen Golf-Staaten zunehmend politisch erhitzten, sorgte der Beitritt Kuwaits zur OPEC und der damit verbundene Ölpreisverfall für einen Einnahmenausfall beim Irak. Als Reaktion darauf bewegte der Irak im Juli 1990 Truppen in Richtung kuwaitischer Grenze, was als Spitze des Konflikts an den Börsen als Beginn einer Finanzmarktkrise gewertet wurde.
Während vorher die Drohungen in alle Richtungen an den Börsen noch gelassen aufgenommen wurden, sorgte die Truppenverschiebung für die konkrete Gefahr eines Überfalls auf Kuwait und/oder Israel. Sowohl der Dow Jones (3.000 Punkte) als auch der DAX (2.000 Punkte) standen zu diesen Zeitpunkten an ihrem jeweiligen Jahreshoch und gaben kurz darauf nach. Als der Irak am 02.08.1990 in Kuwait einmarschierte und das Land mangels Gegenwehr quasi überrannte, wurde an den Finanzmärkten aus Hussein und dem Irak „über Nacht“ ein Nebenschauspieler zur Hauptfigur. Der Dow und DAX gaben innerhalb weniger Handelstage nach dem Angriff rund 10 Prozent ab.
Die Welt reagierte empört und verurteilte die Angriffe. Umfangreiche Handelsembargos wurden erlassen, die das Ölgeschäft mit dem Irak vollständig zum Erliegen brachten. Nachdem sich die Situation in Kuwait nicht entspannte, sondern durch weitere Angriffsandrohungen seitens des Iraks verschärft wurde, beschloss der Sicherheitsrat Ende August die Anwendung von Waffengewalt zur Durchsetzung der Embargos. DAX (1.500 Punkte) und Dow Jones (2.500 Punkte) hatten zu diesem Zeitpunkt bereits deutlich abgegeben. Weitere gegenseitige Provokationen führten final dazu, dass die Alliierten im Januar 1991 Luftangriffe flogen und Ende Februar mit einer Bodenoffensive starteten.
Die Finanzmärkte, die zu diesem Zeitpunkt noch tiefer notierten, nahmen die Handlungen der Alliierten sehr positiv auf und gewannen massiv dazu. Schon am 03.03.1991 wurde eine Waffenruhe vereinbart und der Krieg Mitte April für beendet erklärt. Seit der Waffenruhe zog die Börse weiter an. Während der DAX in der Spitze rund 30 % verloren und Ende 1990 mit rund 1.400 Punkten schloss, wurde das vorherige Hoch von knapp 2.000 Punkte im Jahr 1993 bereits wieder überschritten. Gewinner der Krise waren vor allem ölfördernde Unternehmen sowie die Rüstungsindustrie. Da sich die Alliierten jedoch nicht weiter in den arabischen Konflikt einmischen wollte, wurde die Bedrohung durch Hussein weiter in Kauf genommen und sollte zu einem späteren Zeitpunkt erneut eine Rolle spielen.
Asienkrise 1997/1998
Im Schatten des Irakkrieges gelang es Staaten wie Malaysia, Indonesien, Taiwan, Südkorea und Thailand sowie Hongkong und Singapur ein massives Wirtschaftswachstum aufs Börsenparkett zu bringen. Teilweise bis zu neun Prozent pro Jahr konnten hier verbucht werden. Dieses Wachstum wurde vor allem durch niedrige Lohnkosten bedingt, das westliche Unternehmen aus Europa und Japan anlockte. Vordergründig ging es den Staaten sehr gut, da Überschüsse generiert, Sparquoten eingehalten und ein Wirtschaftswunder gefeiert werden konnte.
Im Hintergrund und abseits der Notiz der Weltmächte basierte das Wachstum vor allem aus einer künstlichen Anbindung der Währungen an den Dollar sowie einer sehr lockeren Kreditvergabe zur Finanzierung des Wachstums. In den Jahren 1995/1996 wurden erste Zweifel laut, wonach die Währungskopplung nicht mehr angebracht sei. Zusätzlich sorgte ein Preisverfall bei den Halbleitern in Thailand dafür, dass sich deren Leitindex SET in einen Abwärtstrend begab. Als die thailändische Notenbank dann im Juli 1997 die Kopplung aufgab, verlor der Baht in kurzer Zeit fast 20 % gegenüber dem Dollar. Versuche, den Trend aufzuhalten, liefen ins Leere und die ganze Region wurde in den Krisenstrudel gerissen.
Nicht nur asiatische Tiger- und Pantherstaaten erlebten eine wirtschaftliche Krise, auch andere Schwellenländer wie Brasilien und Industrieländer wie Südkorea und Taiwan gerieten in den Abwärtssog. Da sich während der Boom-Phase auch westliche Unternehmen, vorzugsweise Banken, mit Geld in der Region engagierten, um auch einen Teil des Erfolgs-Kuchens abzubekommen, betraf diese in Asien ausgelöste Krise auch den Rest der Welt. Umfangreiche staatliche Stützungskredite der Tigerstaaten konnten die Auswirkungen lediglich verlangsamen, nicht aber aufhalten. Und so mussten Investoren feststellen, dass sie teilweise auf riesigen Paketen aus faulen Krediten saßen, die sie als Verlust abschreiben mussten.
Der Internationale Währungsfonds (IWF) versucht im Juli 1997, mit Milliardenkrediten die Währungen der Philippinen und Thailands zu stützen. Indonesien gibt im August die Stützung der Rupiah auf. Eine Entwertung von über 30 Prozent in den nächsten Wochen ist die Folge. Am 13. Oktober schießt der Overnight-Zinssatz in Hongkong auf 300 Prozent in die Höhe. In der Folge schließt der Dow-Jones-Index in New York mit 554 Punkten im Minus – der größte jemals verzeichnete Kurssturz. Bis in den Dezember hinein werden 30.000 Menschen im thailändischen Finanzsektor arbeitslos. Im Januar 1998 kollabiert die Rupiah bei einem Viertel ihres ursprünglichen Wertes im Verhältnis zum US-Dollar. Hamsterkäufe und Proteste in Indonesien sind die Folge. Südkorea und Russland beantragen Hilfe und Umschuldungen beim IWF. Nach tödlichen Schüssen auf Demonstranten im Mai tritt Indonesiens Machthaber Suharto nach 32 Jahren im Amt zurück. Im Juni rutscht Japan das erste Mal seit den 70er-Jahren in die Rezession. Die thailändische Wirtschaft bricht um 10 Prozent verglichen mit dem Vorjahr ein. Das Weltwirtschaftswachstum bricht bis Dezember um die Hälfte auf 2 Prozent ein.
Die Börsen der Tigerstaaten mussten teils Verluste von mehr als 50 % (Taiwan) bis zu 85 % (Thailand) hinnehmen, was auch die restliche Weltwirtschaft an den Finanzmärkten nicht unbeeindruckt ließ. So verlor der DAX in seiner Spitze 1998 etwas mehr als 37 % innerhalb von rund drei Monaten. Der Dow Jones verlor im gleichen Zeitraum rund 20 % seines Wertes.
Ein sehr prominentes Fast-Opfer der Zeit ist Kia Motors, die nur dank staatlicher Hilfe vor dem Kollaps bewahrt wurden. Der Internationale Währungsfonds schaltete sich zusammen mit der Weltbank ein und beschloss weitere große Hilfspakete für die Region. Diese sorgten für eine Beruhigung der Lage und bereits 1999 konnten sowohl der DAX als auch der Dow Jones ihre vorherigen Höhepunkte im Zuge der Technologie-Hausse wieder erreichen.
Die Dotcom-Blase und der Neue Markt 2000
Ein Trend, der Anleger weltweit schnell die Verluste der Südostasienkrise vergessen ließ, war der 1998 einsetzende Boom im Tech-Sektor. 1996 platzierte die Telekom die T-Aktie. Die Werbetrommel, Manfred Krug und zahlreiche Werbespots sorgten für ein riesiges Interesse am Aktienmarkt in der Bevölkerung. Und so sorgte der Neue Markt Index (NEMAX) als Pendant zur amerikanischen Nasdaq für die Listung vieler erfolgversprechender Unternehmen. Es wurde alles an die Börse gebracht, was irgendwie trendig war. Und infolge dessen stiegen die Kurse bis auf einen Höchststand im DAX von über 8.000 Punkten. Eine Performance von über 60 % seit Ende 1998. Im gleichen Zeitraum stieg der Nemax um unglaubliche 210 %.
Die Krise sendete ihre Vorboten voraus, als im März 2000 überraschend die Zeichnungsgewinne der IPO immer magerer wurden und zuletzt sogar –20 % betrugen. Der Grund hierfür war eine Studie aus den USA mit dem Namen „Burning Up“, welche die Geschäftsmodelle der NEMAX- und Nasdaq-Unternehmen untersuchte. Bei rund einem Viertel der Unternehmen sagte sie eine Pleite in den kommenden 12 Monaten voraus. Die Vorhersage war in vielen Fällen korrekt, wenngleich beispielsweise Amazon einen anderen Weg eingeschlagen hat. Und so wurde vor den IPO das Geschäftsmodell auf links gedreht und untersucht häufig mit der Erkenntnis, dass es sich nur um Geldvernichtungs-Maschinen handelte (daher der Name „Burning Up“ bei der Studie).
Sogenannte Todeslisten, also Unternehmen, die Geld verbrannten und einen negativen Cashflow hatten, wurden regelmäßig veröffentlicht und nacheinander gingen genau diese Unternehmen insolvent. Erst in den USA, dann in Großbritannien und dann auch in Deutschland. Die Anleger flüchteten, sofern sie noch konnten, aus den Papieren und der NEMAX verlor innerhalb eines Monats rund 30 %. Der DAX litt unter der negativen Stimmung, verlor aber mit 9 % vergleichsweise wenig. Hier erwischte es allerdings Unternehmen mit einer Hightech-Sparte wie die Telekom, Siemens oder auch Infineon sehr stark.
Mit immer mehr Insolvenzen und einer Pleite von Börsen-Gurus, von denen Insiderhandel aufgedeckt werden konnte, rutschte der NEMAX auf einen Tiefststand im Jahr 2000 von 2.700 Punkten. Der DAX hingegen hielt sich vergleichsweise gut mit rund 6.700 Punkten zum Jahresende. Anfang 2001 ging es allerdings genau so weiter. Viele verbrannte Milliarden und Tiefststände macht auch das Börsenjahr 2001 zu einem eher schwarzen. Als am 11. September 2001 dann die Anschläge von New York geschahen, kannten die Börsen nur noch Panik und eine Richtung.
Der DAX erreichte kurzzeitig Stände unter 4.000 Punkten und damit einem Verlust von mehr 50 %. Auch der Dow Jones stürzte ab und wurde kurz nach den Anschlägen sogar mehrere Tage vom Handel ausgesetzt. Erst der NATO-Bündnisfall und der Einmarsch Anfang Oktober in Afghanistan sorgten für eine Entspannung an den Börsen und mit über 5.000 Punkten (Tiefststand 3.724 Punkte) im DAX und über 10.000 Punkten im Dow (Tiefststand 8.235 Punkte) für einen versöhnlicheren Jahresausklang. Der NEMAX konnte sogar um 46 % auf 1.067 Punkte zulegen, lag damit aber immer noch 70 % unter dem Jahreshoch.
Besonders getroffen wurden durch die Anschläge die amerikanischen Airlines, denen die USA entsprechende finanzielle Hilfen zugestand. Mehrfach standen United Airlines und American Airlines vor dem wirtschaftlichen Aus, konnten aber dank der Hilfen überleben und existieren heute noch.
Finanzkrise 2007/2008
Entschiedenes Vorgehen hat in der Vergangenheit und allen Krisen, die wir dargestellt haben, immer dazu geführt, dass die Panik aus den Märkten durch Optimismus verdrängt werden konnte. Schließlich wird sowohl den Unternehmen als auch den Investoren eine positive Zukunft in Aussicht gestellt, die es dann zu realisieren gilt. Nach den Anschlägen in New York waren die Börsen zwar volatil und ließen sich immer wieder beeindrucken, aber dennoch ging der Trend nach oben.
Im Jahr 2007 erreichte der DAX wieder seinen alten Höchststand aus dem Jahr 2000 und notierte über 8.000 Punkten. Das lag vor allem an der lockeren Geldpolitik in den USA, die nach den Anschlägen die Wirtschaft ankurbeln sollte. Kredite wurden von Banken mit weitaus weniger Prüfung und bewusst an Menschen vergeben, bei denen von Anfang klar war, dass sie diese Kredite niemals zurückzahlen konnten. Finanziert wurden damit vorzugsweise Häuser. Die Kredite wurden anschließend gebündelt und als Pakete verkauft.
Im Laufe des Jahres 2007 bildet sich daraus eine spekulativ aufgeblähte Immobilienblase im privaten Hausmarkt mit Krediten an Darlehensnehmer mit geringer Bonität (sogenannte Subprime-Krise). Die Marktakteure nehmen die Warnzeichen nicht wahr. Am 9. August 2007 steigen plötzlich die Zinsen für den Handel mit Finanzinstrumenten zwischen einzelnen Kreditinstituten sprunghaft an. Die Immobilienkrise weitet sich auf den weltweiten Finanzmarkt aus. Mit der Insolvenz der Großbank Lehman Brothers am 15. September 2008 erreicht die Krise ihren Höhepunkt. In der Folge kommt es zu massiven Verwerfungen an den Immobilienmärkten Spaniens, Großbritanniens und Irlands.
Eine Niedrigzinspolitik bei Hypothekenkrediten auf dem Immobilienmarkt der USA bei gleichzeitig laxer Bankenaufsicht führte zu einer übermäßigen Kreditvergabe auch an nicht kreditwürdige Kunden. Mit wachsender Einsicht in die Situation kam es zu einer Kehrtwende im Kreditvergabeverhalten und einer Liquiditätslücke, die schließlich Banken in Zahlungsschwierigkeiten und damit ultimativ in die Insolvenz trieb. Ebenfalls kritisch zu sehen sind die ungerechtfertigten Topbewertungen dieser Kreditvehikel diverser Rating-Agenturen. In der Folge der Weltfinanzkrise wurde insbesondere die Deregulierung von Kredit-, Banken- und Agentursektor scharf kritisiert.
Die durch die Subprime-Krise verursachten Schulden in Höhe von 7 Billionen US-Dollar bewegten sich zwar in einem ähnlichen Rahmen wie die der Dotcom-Blase im Jahr 2000, hatten aber ungleich größere Folgen. Da die Finanzinstitute ihre faulen Kredite ohne Prüfung der Bankenaufsicht in sogenannten Schattenbanken bündeln konnten, entfielen die Absicherung durch Eigenkapital und eine strenge Bonitätsprüfung der Schuldner. Da auch keine Einlagensicherung vorhanden war, kam es zu einem Run auf die Banken und einer Kreditklemme in den USA wie zuletzt zu Zeiten der Großen Depression 1929. Die Arbeitslosenquote in den USA erreichte den höchsten Stand seit Beginn der Aufzeichnungen. In der Folge der Immobilienkrise sackten weltweit die Aktienkurse sowie die Rohstoffpreise ab. Dies führte ultimativ zu einer weltweiten Rezession in der Realwirtschaft mit einem Rückgang der Industrieproduktion um 20 Prozent allein in Deutschland. Das kombinierte BIP der Industriestaaten schrumpfte zum ersten Mal seit dem Zweiten Weltkrieg.
Der Dow Jones verlor im gesamten Jahr 2008 rund 34 % und sank auf 8.451 Punkte. Ähnlich stark verlor der DAX. Er erzielte am Jahresende eine Jahresperformance von minus 41 %. Das Börsenjahr fand keinen versöhnlichen Abschluss.
Doch im Jahr 2009 ging es genau so weiter und der DAX sank bis auf 3.600 Punkte, was weitere minus 22 % waren. Doch während Börsenexperten und Medien von den Märkten abrieten, rentierte der DAX ab April mit einer starken Performance. Der Grund hierfür waren vor allem mutige Investoren, die von einer Krise nichts wissen wollten und Aktien am Markt handelten. Weltweit begann eine Hausse, die vor allem in China, Indien, Brasilien und Deutschland zu einer Performance von 67 % (DAX) bis zu 114 % (China) gemessen am Tiefpunkt in 2009 führte. Der Dow Jones hingegen wuchs nur um vergleichsweise magere 20 %.
Allerdings entfiel der Performance des Index auf einige wenige Aktien. So legte Infineon im Jahresverlauf sagenhafte 350 % zu. Die Deutsche Bank konnte ihren Wert um mehr als 80 % steigern. Gleichzeitig verlor aber eine VW-Aktie nach einem missglückten Übernahme-Versuch fast 70 %. Wohl dem, der hier den richtigen Riecher hatte, da zwar der Index insgesamt stieg, aber sich diese Hausse auf einige wenige Werte konzentrierte und äußerst volatil Investoren in diesem Jahr die Nerven raubte. Die alten Höchststände im DAX und Dow Jones vor der Finanzkrise 2008/2009 erreichten die Indizes allerdings erst wieder 2013.
Fukushima-Krise 2011
Wir schreiben den 11. März 2011. Um 14:47 Uhr Ortszeit erschüttert ein großes Seebeben der Stärke 9 auf der nach oben offenen Richterskala den Meeresgrund vor der östlichen Küste Japans. Die direkte Folge ist der größte bekannte Tsunami in der japanischen Geschichte. Die Hafenwelle trifft auf stark bebautes, bereits vom Erdbeben gezeichnetes Gebiet und richtet enorme Verwüstungen an. Das Beben erschüttert auch die an der Küste gelegenen sechs Reaktorblöcke des Kernkraftwerks Fukushima Daiichi. Die zweiminütigen Erdstöße bringen die Reaktoren teilweise über ihre Belastungsgrenze. Ab 15:35 Uhr treffen mehrere bis zu 15 Meter hohe Tsunamiwellen am Kraftwerk ein und setzen wegen zu niedriger Schutzmauern Block 1 bis 4 fünf Meter tief unter Wasser. Abwärmepumpen und Notstromaggregate fallen gleichzeitig aus. Arbeiter und Notfallteams können wegen der Verwüstungen nicht rechtzeitig zum Kraftwerk vordringen. Es kommt zur Kernschmelze und in den folgenden Tagen zu Explosionen in Block 1, 3 und 4. Radioaktiver Staub verteilt sich in verschiedene Himmelsrichtungen. Enorme Mengen an kontaminiertem Kühlwasser dringen ins Meer vor. Es ist die schlimmste Nuklearkatastrophe seit Tschernobyl 1986.
Schlechte Kommunikation zwischen dem Kraftwerksbetreiber Tepco, dem Premierminister und der zuständigen Aufsichtsbehörde sorgten im Moment der Krise für Kompetenzgerangel und ein zu spätes Eingreifen der Rettungstruppen bei mehreren Super-GAUs gleichzeitig. Presseberichte machen deutlich, wie sehr die Betreiberfirma an der Sicherheit gespart hat und wie unzureichend die Vorbereitung auf eine solche Krise war. So waren gleichzeitige Unfälle in mehreren Blöcken des Kernkraftwerks im Notfallplan nicht vorgesehen.
Wirtschaftlich werden die Folgen dieser sogenannten „Dreifachkatastrophe“ für die japanische Volkswirtschaft auf 200 bis 300 Milliarden Euro beziffert und belasten die Kreditwürdigkeit des hochverschuldeten Landes. Der Nikkei-Index rauschte innerhalb weniger Tage von rund 10.500 ganze 14 % in die Tiefe. Besonders betroffen waren hierbei Werte von Sony, Toshiba oder auch Hitachi. Sie mussten Teile ihrer Produktion aufgrund der Umweltgewalt einstellen. Besonders stark traf es Tepco, den Betreiber des Kraftwerkes mit einem Minus von 80 %.
Japan reagierte mit einer massiven Bereitstellung von Liquidität und stellte weitere Geldmaßnahmen in Aussicht. Dies sollte vor allem vorbeugen, dass sowohl Banken als auch Versicherungen durch den Schadensfall nicht in ernsthafte Schwierigkeiten geraten. Der DAX und auch der Dow Jones registrierten sowohl den Unfall als auch die daraus folgenden Maßnahmen, ließen sich davon aber mit einigen Prozenten Volatilität in einem eher geringen Ausmaß beeindrucken.
Union Investment Real Estate schloss am 17. März 2011 ihren offenen japanischen Immobilienfonds, weil die Immobilien nicht mehr bewertet werden konnten. Fischerei, Schweinezucht und Nahrungsmittelproduktion wurden in Mitleidenschaft gezogen. Der internationale Reiseverkehr brach um 75 Prozent ein. Durch die Abschaltung aller Kernkraftwerke Japans musste der Inselstaat fossile Brennstoffe importieren und verzeichnete deshalb das erste Außenhandelsdefizit seit 1980.
Europakrise 2012
In Europa hingegen zeichnete sich eine Euro-Krise ab. Besonders Griechenland ist hier ein ständig präsentes Thema, da das Land vor der Staatspleite steht und mit ihm das Euro-Bündnis. Bereits während der Finanzkrise 2009 steht Europas Währung am Scheideweg. 2011 wird der als „Euro-Rettungsschirm“ bekannte Pakt der Mitgliedsstaaten gegründet, aus dessen Mitteln heraus Staaten in finanzieller Schieflage unterstützt werden sollen. Griechenland ist hier der erste Anwärter und muss sich den Vorgaben aus Brüssel beugen, um an günstige zusätzliche Kredite heranzukommen. Am freien Kreditmarkt muss Griechenland aufgrund seines schlechten Ratings teilweise bis zu 25 % Zinsen auf die Kredite zahlen, was die Abwärtsspirale des griechischen Finanzhaushaltes nur noch schneller drehen lässt.
Den DAX und andere europäische Börsen lässt das monatelange Tauziehen zwischen Griechenland und der EU, aber auch bei den restlichen Mitgliedsstaaten untereinander nicht unbeeindruckt. Er startet mit rund 6.000 Punkten ins Jahr und zeigt sich durchaus volatil. Nachdem aber Mitte des Jahres eine Einigung gefunden wird und Griechenland unter dem Rettungsschirm unterkommt, steigt der DAX bis zu Jahresende bis auf knapp 7.500 Punkte.
Noch 2012 sowie in den darauffolgenden Jahren geistert das Schreckgespenst „Schuldenkrise“ weiter durch die Medien. Neben Griechenland melden auch Spanien, Portugal und Zypern Forderungen auf den Rettungsschirm an, da die Staatshaushalte in Schieflage geraten sind. Auch Italien ist kurzzeitig ein Thema. Europa gerät in eine rezessive Wirtschaftsphase und kämpft mit steigenden Arbeitslosenzahlen. Zur Stimulation der Wirtschaft werden die EZB-Leitzinsen immer weiter gesenkt. Weiter wird bei der Zentralbank angelegtes Geld fortan mit einem negativen Zins verzinst. Diese Meldungen sorgen an den Börsen für eine positive Stimmung. Besonders der TecDAX und die Nasdaq performen über das Jahr 2014 mit rund 18 % deutlich stärker als der DAX (+2,6 %) und der Dow Jones (+7,5 %).
Brexit, Trump und ein europäischer Rechtsruck 2016
Das Jahr 2016 startet mit einer fortgeführten Griechenland-Krise aus dem Jahr 2015. Neuwahlen in Griechenland bringen neue Verhandlungspartner hervor, die den Rettungsschirm vor vollkommen neue Herausforderungen stellen. Die Zerreißprobe führt in 2016 unter anderem dazu, dass in Großbritannien eine Volksabstimmung über den Verbleib in der EU durchgeführt wird. Für die Märkte vollkommen überraschend setzen sich die EU-Gegner durch und übertragen der britischen Regierung damit die Aufgabe, geordnet aus der EU auszutreten.
Die Börsen, die einen Verbleib der Briten in der EU eingepreist hatten, sind von dem Ergebnis des Referendums überrascht und rauschen weltweit bis zu 11 % runter. Der DAX startet mit einem Minus von knapp 10 % und schließt bei 6,5 %. Besonders betroffen sind dabei Bankenaktien. Die Deutsche Bank verliert 17 %, die Commerzbank 13 %, wohingegen britische Banken teilweise bis zu einem Drittel ihres Börsenwertes verlieren. Alle Crash-Propheten melden sich zu Wort und malen schwarze Europa-Bilder in den Medien. Vollkommen unbeeindruckt davon steigen die Indizes allerdings in der Folgezeit wieder deutlich und machen die Verluste wett.
Dennoch hinterlassen die Wahlergebnisse im Jahr 2016 und 2017 in Europa ihre Spuren. Ein deutlicher Rechtsruck ist hier unter anderem in Österreich, den Niederlanden und auch in Deutschland zu spüren. Das hat zwar weniger Auswirkungen auf die Jahresperformance der Börse, ist aber immer wieder Anlass für volatile Tage.
Ein weiteres, prägendes Ereignis ist die Wahl zum US-Präsidenten. Während Hillary Clinton in den Umfragen deutlich vorne liegt, setzt sich überraschend Donald Trump durch. Die Börsen zucken besonders in Asien vor Schreck und verlieren bis zu 6 %. Die Verluste werden aber später im europäischen Handel egalisiert. Trump fasst an, was den Börsen weh tut. Er zieht sich als Stellvertreter der USA aus diversen internationalen Vereinbarungen zurück, stellt das amerikanische Engagement in einigen Krisenherden der Welt in Frage und belegt importierte Waren mit teils hohen Zöllen, woraus ein Handelskonflikt mit China und Europa resultiert. Dies führt zu einer Krisenstimmung, die die weltweiten Börsen auf eine Talfahrt schickt und die Zukunftsaussichten eher eintrübt.
Doch gleichzeitig schließt er mit Mexiko und Kanada ein Freihandelsabkommen ab, das die Staaten deutlich näher zusammen bringt. Ferner tritt er als Vermittler im Koreakonflikt ein und trifft sich mit dem Machthaber Kim Jong Un aus Nordkorea, der ansonsten eher als Aggressor in den internationalen Medien wahrgenommen wird.
Corona-Krise 2020
Nach deutlichen Verlusten 2018 im DAX, Dow Jones und vielen weiteren internationalen Leitindizes hellt sich das Börsenklima 2019 deutlich auf. Es hat den Anschein, als würden die internationalen Krisenherde kleiner und wirtschaftliche Konflikte beigelegt werden. So kommt man beispielsweise bei den Brexit-Verhandlungen zunehmend zu einem sich abzeichnenden Ergebnis, ebenso wie der amerikanisch-chinesische Handelskonflikt durch Gespräche angegangen wird. Ende 2019 stehen die Börsen wieder fast auf einem All-Time-High. Der DAX markiert dieses bei 13.107 Punkte und legt eine Jahresperformance von über 25 % hin. Der Dow Jones ist ähnlich stark mit 22 % und einem ATH bei 28.645 Punkten. Und so ist die Börsenstimmung im Januar 2020 noch grandios.
Dabei wurden bereits Ende 2019 in der chinesischen Metropole Wuhan mehrere Menschen mit schwerwiegenden Symptomen einer Atemwegserkrankung in lokale Krankenhäuser eingeliefert. Der zunächst regional begrenzte Ausbruch führt durch international reisende, symptomfreie Überträger ab März 2020 zu einer weltweiten Pandemie eines neuartigen Coronavirus, genannt Covid-19. Es kommt zu weltweiten und wochenlangen Lockdowns teilweise ganzer Wirtschaftszweige und des sozialen Lebens. Anders als bei der Schweine- und Hongkong-Grippe sind dieses Mal auch die westlichen Industriestaaten von der Pandemie betroffen. Bis Mitte des Jahres gelingt es unter anderem den Regierungen von Thailand und Neuseeland, das Infektionsgeschehen zu stoppen. In anderen Ländern steigen die Krankenzahlen jedoch nach einer ersten Entspannungsphase wieder an. Die USA sind das zahlenmäßig am stärksten betroffene Land.
Als eine der möglichen Ursprünge einer leicht von Mensch zu Mensch übertragbaren Lungenerkrankung wurde seit Jahren von Forschern vor einem Pool an Wildtieren wie Fledermäusen gewarnt, in denen verschiedene Stämme von Corona-Viren natürlich vorkommen. Durch Verzehr können diese dann auf den Menschen überspringen. Neben dem anfänglich unklaren und zurückhaltenden Krisenmanagement der chinesischen Regierung wurde sowohl der Weltgesundheitsorganisation WHO als auch Staaten wie den USA vorgeworfen, nicht entschlossen genug auf die Gesundheitskrise reagiert zu haben. Unklare Verhaltensregeln und im Internet verbreitete Verschwörungstheorien und Fehlinformationen führen zu großer Frustration in der Bevölkerung.
Durch den bis auf systemrelevante Bereiche teilweise extrem durchgeführten Lockdown in einer Vielzahl von Industriestaaten wie Deutschland, Italien, Australien und Singapur kommt es zum größten Wirtschaftseinbruch seit der Weltfinanzkrise 2008. Durch Grenzschließungen werden nicht nur der internationale Warenverkehr und die damit verbundene globale Produktion empfindlich gestört. Es kommt auch zu einem fast vollständigen Einbruch im Tourismus-, Flug- und Kultursektor. Aktien von Luftfahrt- und Tourismusunternehmen wie TUI (Airlines, Hotels, Kreuzfahrten) verfallen. Zahlreiche Firmen müssen Insolvenz anmelden oder werden teilverstaatlicht. In Deutschland wird das Insolvenzrecht temporär ausgesetzt. Hingegen werden potentielle Impfstofffirmen an der Börse teils höher bewertet als Lufthansa. Für Internetplattformen und Online-Händler wie Amazon stellt die Corona-Krise eine perfekte disruptive Umgebung zum Wachstum dar.
Nach seinem All-Time-High bei 13.795 sinkt der DAX innerhalb eines Monats bis auf 8.255 Punkte. Das entspricht einem Minus von rund 40 % in gerade einmal 20 Handelstagen. Ähnlich sieht es im Dow Jones aus. Am 13.02. notiert der Index bei 29.568 Punkten und verliert dann bis zum 24.03. beeindruckt durch die europäischen Börsen und kurz darauf durch die Pandemie im eigenen Land bis auf 18.213 Punkte.
Nur rund fünf Monate später stehen die Indizes fast wieder auf dem Niveau vor der Krise. Besonders betroffen sind erneut die Airlines durch die zahlreichen Reisebeschränkungen. Weltweit erhalten Firmen staatliche Unterstützungen. Die Lufthansa muss sogar eine staatliche Regulierung zulassen, um die Hilfen annehmen zu können. Es trifft aber ebenso die Tourismusbranche in einem erschreckend großen Ausmaß. In einer Mixtur aus staatlicher Unterstützung, nachlassender Schreckensmeldungen zum Virus und wirtschaftlicher Vernunft kämpften sich die Aktien als auch die Indizes wieder zurück in alte Höhen.
Mit der Corona-Pandemie wird vorerst der Höhepunkt der Berichterstattung erreicht, der spätestens zur US-Präsidentenwahl begann. Sogenannte Fake News, deren Kommentierung und der Versuch, sie „richtig“ zu stellen, sorgen für große Verunsicherung und eine gewisse Verzerrung der Börsenstände gegenüber der realen Wirtschaft.