6. MARIELLE SCHÄFER VON BEZIEHUNGS-INVESTOREN.DE
Marielle ist gerade einmal 28 Jahre alt, aber hat heute bereits mehr als 10 Jahre Erfahrung an der Börse. Sie ist eines der Kinder, die ihre Eltern dazu bewegt haben, ein eigenes Depot anzulegen. Marielle arbeitet als Personalentwicklerin in einer Unternehmensberatung in Frankfurt. Kein Wunder also, dass Marielle schon früh mit dem Thema Finanzen in Berührung kam, zumal ihr Arbeitgeber auch in der Finanzbranche tätig ist.
28 Jahre alt, mehr als 10 Jahre Erfahrung – da hat Marielle auch schon mehrere Krisen am Finanzmarkt mitgemacht. Marielle investiert heute sowohl alleine für sich selbst, gemeinsam mit ihrem Mann Mike und seit 2018 auch für den gemeinsamen Sohn. Seit 2016 bloggen Marielle und Mike als die
Beziehungs-Investoren.de
und bieten Paaren eine Informationsquelle für die Themen Geld und Beziehung.
Geld und Partnerschaft sind zwei Themen, die bei uns hier in Deutschland doch auch gleichzeitig ein häufiger Grund für Streits sind. Marielle und Mike zeigen, dass es zwar nicht ohne Streit geht, aber wie man die Themen miteinander vereinbaren und gemeinsamen an einem Ziel arbeiten kann. Krisen und Herausforderungen sind also nicht unbekannt, wenngleich sich beide (oder mittlerweile alle drei) viel Mühe geben, gemeinsam an den Chancen solch stürmischer Zeiten zu arbeiten. Und das gilt natürlich auch für die Börse und die gemeinsamen Investments.
Herausforderungen sind dazu da, gestärkt daraus hervorzugehen
Mein bisheriger Weg als Investorin am Kapitalmarkt begann 2008. Hier geriet meine Welt als
damals gerade 16-Jährige aus den Fugen. Und das nicht wegen der Finanzkrise! Ich erlebte ein sehr prägendes Jahr in Neuseeland. Am anderen Ende der Welt ging ich ein Jahr zur Schule, lernte richtig gut Englisch und lebte in einer Gastfamilie. Diese Familie lebte als Patchworkfamilie komplett anders als ich es aus meiner bis dahin sehr behüteten Kindheit- und Jugend in einer intakten Familie gewohnt war. So war es selbstverständlich, dass meine Familie mich in Neuseeland besuchen kam. Wir verbrachten einige sehr schöne Tage des Wiedersehens, bevor sie weiterzogen und die beiden Inseln erkundeten. Dann kam plötzlich der Anruf, den man sonst nur aus Filmen oder Serien kennt. Der eine Anruf, der mein Leben von jetzt auf gleich komplett auf den Kopf stellen sollte: Mein Papa hatte einen tödlichen Unfall.
2008 werde ich niemals vergessen und wohl immer als tiefsten Einschnitt meines Lebens in Erinnerung behalten. Denn ich habe in 2008 so viel gelernt wie in keinem anderen Jahr bis dahin. Ich habe so sehr gelitten wie niemals zuvor. Und ich habe so viel Wunderbares erlebt, woran ich mich mein Leben lang erinnern werde.
2008 war zeitgleich der Startschuss in meine Investoren-Karriere. Denn nach dem Tod meines Vaters teilte meine Mutter sein Aktiendepot auf die von meinen beiden Brüdern und mir auf. Bis dahin hatte unser Papa bereits in unseren Namen in Aktien investiert, allerdings wuchsen unsere Kinderdepots durch die Aufteilung seines eigenen Depots noch einmal stark an. Meine Mutter wollte sich zu diesem Zeitpunkt nicht mit Finanzen oder Vermögensaufbau beschäftigen. Als plötzliche Witwe mit drei minderjährigen Kindern hatte sie anderes als Geldanlage im Kopf. Und so ließ sie alles liegen, schaute nicht mehr in die Depots und besprach diese auch nicht mit uns Kindern. Neben dem familiären Tumult war die Finanzkrise in vollem Gange. Trillionen Euro wurden vernichtet und Banken wie die Lehman Brothers gingen zu Grunde. Das alles interessierte meine Mutter nachvollziehbarerweise recht wenig. Und so entwickelte sich mein Aktiendepot ganz alleine weiter.
Zwei Jahre später, an meinem 18. Geburtstag, übergab meine Mutter mir die Zugangsdaten zu meinem Depot und einen Ordner mit allen nötigen Dokumenten. Ab diesem Zeitpunkt war ich selbst verantwortlich für mein Geld und ein zu diesem Zeitpunkt bei knapp 50.000 Euro schweren Depot. Eine ganze Menge für eine 18-jährige Schülerin.
Die ersten Blicke in dieses Depot waren schockierend und demotivierend zu gleich. Denn mein Vater hatte die meisten Werte – zum Beispiel RWE – im Jahr 2007 gekauft. Ein paar aktive Fonds, die er in mehreren Tranchen erworben hatte, waren auch dabei. Die Auswirkungen der Finanzkrise waren in 2010 noch lange nicht aufgeholt. Dementsprechend rot waren die Zahlen in meinem Depot. Mein erster aktiver Blick in mein Depot hielt mir also die
Auswirkungen einer Börsenkrise Rot auf Weiß vor Augen. Ich entschied es erst einmal meiner Mutter gleich zu tun: Liegenlassen und später wieder reinschauen. Denn so viel verriet sie mir: „Langfristig geht alles wieder hoch, einfach abwarten. Du brauchst das Geld ja gerade nicht.“
In 2011 startete ich mein duales Studium in BWL (mit Fachrichtung Tourismus) bei der inzwischen Pleite gegangenen Thomas Cook AG im schönen Oberursel. Im Depot ging es aufgrund des Atomausstiegs vor allem für meine größte Position RWE weiter bergab, zeitweise stand der Wert bei ‑90 % und ich sagte mir: „Nun ja, jetzt macht es auch keinen Sinn mehr zu verkaufen. Ich vererbe diese Aktien einfach irgendwann meinen Enkeln als Erinnerung an ihren Uropa…“ Damals scherzhaft gedacht, war dies eigentlich der Startpunkt für mein Verständnis für die Buy and Hold-Strategie.
Im Studium lernte ich täglich mehr über die Funktionsweise von Unternehmen und begann mich mehr und mehr mit dem Kapitalmarkt zu beschäftigen. Ich verkaufte die Werte aus meinem Depot, die ich nicht mehr haben wollte (inkl. aller aktiven Fonds) und kaufte andere Unternehmen. Mal war es Siemens, mal Daimler oder auch MTU Aero Engines – meistens jedoch DAX-Aktien. Denn mein einziger Austausch zum Thema Aktien war mein Opa. Dieser bläute mir regelmäßig ein, dass nur DAX-Aktien sicher seien. Da er bis heute engagierter Aktionär ist und mich mit seiner stoischen Aussage „Ich finanziere all unsere Urlaube durch die Börse“ angefixt hat, vertraute ich ihm. Als Tourismusstudentin liebte ich natürlich das Reisen und war immer auf der Suche, diese Reisen zu finanzieren.
Manche meiner neuen Käufe hielt ich 2 Monate, manche 6 Monate und manche 1 Jahr oder länger. Ich machte die ersten Gewinne und hielt Aktien immer so lange, bis sie endlich wieder in der Gewinnzone waren – bei Daimler halte ich bis heute. Mit Verlusten verkaufen fällt mir noch immer sehr schwer – zu Beginn meiner Investorenkarriere kam es für mich gar nicht in Frage. Ich hatte immer die Aussage meiner Mutter im Kopf, dass alles irgendwann wieder hochgehen würde. Dass ich in dieser Zeit mit dem Geld woanders deutlich mehr verdienen könnte, war mir damals noch nicht klar.
Gegen Ende meines Studiums wurde mein Freund Mike neugierig und wollte wissen, was ich denn an den Börsen dieser Welt so machte. Ich berichtete ihm, brachte ihm bei, was ich wusste und gemeinsam lernten wir weiter. Wir lasen Blogs, wir testeten Strategien und verschlangen viele Bücher. Finanzbildung war angesagt, damit aus den Bauchgefühl-Entscheidungen rationale Wissens-Entscheidungen werden konnten.
Inzwischen investiere ich seit 2015 regelmäßig mit meinem heutigen Mann zusammen an der Börse in ausgewählte Einzelaktien. Zusätzlich kaufte ich selbst immer wieder (vorrangig) Dividendenaktien. Noch immer verkaufe ich bei entsprechenden Gewinnen oder Bewertungsveränderungen. Dennoch behalte ich bis heute manche Buchverluste zu lange im Depot. Doch irgendwann werde ich mich sicherlich auch besser damit fühlen, Verluste frühzeitig zu begrenzen und „Prinzip Hoffnung“ komplett über Bord zu werfen.
Zusätzlich investiere ich seit meinem Berufseinstieg im April 2016 monatlich 400 Euro in verschiedene ETFs. Meine ETFs möchte ich für die Altersvorsorge nutzen – habe also einen sehr langfristigen Investitionszeitraum. Die Aktien hingegen kaufe ich mit einem mittelfristigen Zeithorizont von 1-5 Jahren, da diese für den Vermögensaufbau dienen sollen.
Anfang 2020 steckte mein Gesamtvermögen zu 2/3 im Aktienmarkt. Dafür habe ich zwei Depots: Etwa 2/3 des Geldes liegen in meinem eigenen persönlichen Depot. Das andere Drittel befindet sich in unserem gemeinsamen Depot als Paar. Mit knapp 1 % habe ich einen sehr kleinen Teil meines Geldes mittels Crowdinvesting in Immobilien oder Unternehmensfinanzierungen investiert. 4,5 % meines Vermögens befinden sich in einem Bausparvertrag mit relativ guter Verzinsung von knapp 2 % jährlich. Mein restliches Kapital von etwa 27 % hielt ich zu Jahresbeginn in Bargeld vor.
Zusätzlich bin ich Eigentümerin einer Wohnung im Rhein-Main-Gebiet, die seit Dezember 2019 vermietet ist, sowie zu 50 % Eigentümerin unserer derzeitigen Familienwohnung, die wir zu 90 % finanziert haben. Beide Wohnungen rechne ich nicht in mein Gesamtvermögen – denn den heutigen Wert kann ich weder seriös abschätzen, noch kann (oder will) ich die Wohnungen zeitnah verkaufen.
Bereits zu Beginn der Krise war mein Vermögen also gut verteilt. Mit den Bargeldreserven war ich bereit, in 2020 und meine Zukunft zu investieren.
Meine bisherige Vermögensentwicklung
Seit 2015 führe ich gemeinsam mit meinem Mann ein monatliches Haushaltsbuch. Wir dokumentieren jeden Monat unsere Einnahmen, Ausgaben und aktuellen Vermögensstände. Unser selbst entwickelter Excel-Finanzplaner umfasst zudem unsere zu Jahresbeginn gesetzten Budgets für sämtliche Ausgaben- und Einnahmenkategorien. Er berechnet automatisch unsere Sparquoten, unsere Planungsabweichungen und unseren Grad der finanziellen Freiheit. Denn die finanzielle Freiheit ist unser gemeinsames Ziel. Diese haben wir für uns erreicht, wenn unsere passiven Einnahmen unsere Ausgaben decken. Passive
Einnahmen erlangen wir derzeit durch Dividenden, Zinsen, die Untervermietung mittels Airbnb sowie seit Dezember durch die Vermietung meiner Wohnung (in der wir vorher 8 Jahre gemeinsam gelebt haben).
Seit wir unsere Finanzen so eng dokumentieren und uns darauf fokussieren, passives Einkommen zu generieren, stiegen unsere beiden Gesamtvermögen kontinuierlich an. Seit Beginn unserer Aufzeichnung in 2015 konnte ich mein Vermögen bis Januar 2020 um 69 % steigern. Dies freut mich besonders, da ich noch immer am Beginn meiner beruflichen Laufbahn bin und bereits diverse Ausfallzeiten zu verzeichnen habe. So bin ich beispielsweise seit Mitte 2018 in Elternzeit und arbeitete in 2019 ausschließlich in Teilzeit (zwischen 15 und 25 Stunden).
Im Jahr 2019 konnte ich – trotz hoher Einmalausgaben für den Erwerb unserer zweiten Immobilie – mein Gesamtvermögen um 16,84 % steigern. Ich erzielte eine durchschnittliche Sparquote von 18,61 % trotz Elternzeit und Teilzeit-Einkommen. 2019 war für mich also finanziell gesehen ein weiteres erfolgreiches Jahr.
Gleichzeitig haben wir in 2019 wenige neue Aktien erworben. Aufgrund des Immobilienkaufs lag unser Fokus in 2019 darauf, wieder höhere Bargeld-Reserven aufzubauen. Zudem erschienen uns die Aktienmärkte schon lange überfällig für eine Korrektur. Doch ob und wann diese kommen würde, wussten natürlich auch wir nicht.
Zu Jahresbeginn 2020 erstellten wir basierend auf einer Menge verschiedener Kennzahlen eine neue Investitionsliste für dieses Jahr. Hier werten wir eine Vielzahl an Kennzahlen für uns aus und vergeben dafür (ähnlich der Levermann-Strategie) Punkte. Zusätzlich lesen wir die Jahresberichte der Unternehmen auf der Longlist. Dann erstellen wir basierend darauf eine Shortlist, die verschiedene Regionen und Branchen umfasst. Das daraus entstehende Ranking für etwa 25 Aktien aktualisieren wir monatlich. Wann immer genügend Geld verfügbar ist, kaufen wir eine nächste Aktienposition für unser gemeinsames Depot. Hierfür wählen wir immer die Aktie, die aktuell die besten Kennzahlen vorweist. So zumindest der Plan ohne Corona!
Im Januar und Februar waren wir damit beschäftigt, diese Liste zu erstellen und Geschäftsberichte der Unternehmen in der engeren Auswahl zu lesen. Und kurz bevor wir den ersten Kauf tätigen konnten, kündigte sich die Krise an – ein Glücksfall, oder?
Wie Corona in mein Leben kam
Im Januar reisten wir mit anderen Finanzbloggern – z. B. P2P-Lars Wrobbel, Alex Dividenden Fischer und Annie Schnabelkraut – durch Asien. Immer mal wieder hörten wir auf dieser Reise von diesem mysteriösen Virus, der Wuhan in China lahmlegte. Wir diskutierten, dass ein solcher Lockdown in Deutschland keinesfalls möglich sei. Gegen Ende unserer Reise begannen die Fragen, wie die Lage in Thailand denn sei. Bei unserem Rückflug vom Flughafen in Bangkok erschien uns der Anteil der mundschutz-tragenden Menschen bereits höher als bei unserer Ankunft auf Phuket im Dezember. Allerdings machten wir uns noch keine Gedanken, dass das Virus uns nach Europa folgen könnte.
Doch das tat es!
Bereits Anfang Februar war Corona ein großes Thema in unserer kleinen Familie. Denn direkt nach unserem Urlaub wurden unser Sohn und ich selbst krank. Wir beide hatten einen Husten und bei mir zog sich dieser inkl. starker Halsschmerzen über ganze 5 Wochen hin. Doch der Arzt sagte mir mehrfach, es handle sich lediglich um eine Bronchitis. Auf Corona testen würden sie uns nur, wenn wir mehr Symptome hätten oder in einem Risikogebiet (zu diesem Zeitpunkt ausschließlich China) gewesen wären.
So nervig diese Krankheitsphase war, so gut war sie für meine Finanzentscheidungen. Denn in dieser Phase beschäftigte ich mich nicht mit der Börse und wir verschoben unsere eigentlich bereits für Februar geplante erste Investition für 2020 auf den März. Und dies war unser Glück!
Denn im Verlaufe der ersten 1-2 Wochen des März nahm die Corona-Thematik auch in Deutschland immer mehr Fahrt auf.
Zu diesem Zeitpunkt waren wir weiter davon überzeugt, dass ein Lockdown wie in Wuhan oder anderen Teilen Chinas in Deutschland unmöglich sei. Die Schulschließungen und damit die Betreuungsunterbrechung der Tagesmutter unseres Babyinvestors waren noch unvorstellbar. Auch wenn Corona inzwischen in Italien angekommen war, machten wir uns noch immer eher lustig über die ersten Hamsterkäufer und verbrauchten munter unser Toilettenpapier.
Und wir kauften Anfang März die ersten 2 neuen Aktien für unser Depot – Arbor Realty Trust und Siltronic. Denn beide standen in unserer Liste ganz oben.
Zwei Wochen später gingen die Börsen deutlicher nach unten und unsere beiden neuen Investitionen mit dazu. Beide Werte standen kurz nach ihren Käufen mit -60 % in unseren
Depots! Damit hatten wir nicht gerechnet und im ersten Moment war unser Impuls, diesen Crash sofort zu nutzen und all unser vorhandenes Kapital schnellstmöglich in weitere Werte zu investieren.
Wir wollten durchatmen und in Ruhe nachdenken, wie wir vorgehen wollten. Denn was sind denn jetzt die richtigen Aktien, die unser Kapital nach der Krise vermehren würden? Wir waren uns einig, dass dies der Zeitpunkt sein musste, auf den wir so viele Jahre gewartet haben. Wir wollten investieren.
Doch wir wurden abgelenkt: Von heute auf morgen wurde ich ins Homeoffice verbannt – mit dabei unser 1,5-jähriger Sohn. Mike sollte weiterhin vor Ort arbeiten und Notbetreuung für seine Schulkinder organisieren. Meine Tage sahen ab sofort so aus: Arbeiten mit Kind. Kind beaufsichtigen mit Arbeiten.
Ich versuchte alle Schlafphasen unseres Sohnes (zum Glück macht er noch fast 2 Stunden Mittagsschlaf) mit den wichtigsten Terminen oder Aufgaben, bei denen ich mich konzentrieren musste, zu füllen. Frühstück gab es vor dem Laptop beim ersten Videocall – denn wenn er aß, konnte ich in den Bildschirm schauen. Calls habe ich beim Spaziergang um den Häuserblock (leider nicht auf dem Spielplatz) erledigt. Und wenn Mike heimkam, durfte er weiterspielen und ich arbeitete noch 2 Stunden einigermaßen konzentriert. Und dann ging es schon wieder ans Kochen und die Einschlafprozedur. Alle Eltern, die in den vergangenen Monaten zuhause waren und ihre Kinder gleichzeitig mit ihren Arbeitgebern versorgt haben, werden mir beipflichten: Aktien und Geldanlage sind in dieser Phase plötzlich gar keine Priorität mehr.
Mein Depot fiel und fiel. Doch ich merkte es gar nicht. Zwar las ich mal hier mal dort eine Schlagzeile oder hörte von Arbeitskollegen erschrockene Worte über die steigenenden Arbeitslosen- und Kurzarbeiterzahlen. Doch wie Corona mein Vermögen beeinflusste, wurde mir erst beim Erstellen unseres Monatsabschlusses Anfang April klar. Ende März 2020 lag meine Vermögensentwicklung auf Jahressicht bei -19,5 %. Seit Beginn unserer Aufzeichnungen hatte sich mein Gesamtvermögen nur noch um 38 % gesteigert. Zur Erinnerung: Zu Jahresbeginn lag dieser Wert noch bei 69 %. Mein hoher Depotanteil am Vermögen wurde mir jetzt also zum Verhängnis.
Dies ist besonders ärgerlich, da ich 2020 eigentlich vorhatte, finanziell richtig durchzustarten. Wir haben letztes Jahr nach dreijähriger Suche im Rhein-Main-Gebiet endlich eine Immobilie gefunden. Dafür hatte ich in den letzten Jahren immer wieder Geld zur Seite gelegt. Für den
Moment der Kreditaufnahme wollten wir mit möglich viel Liquidität ausgestattet sein, sodass wir möglichst gute Konditionen bekämen. Ende 2019 haben wir unsere Immobilie endlich übernommen, entsprechend sollte jetzt die Zeit sein, um aus dem angesammelten Barbestand durch kluge Investitionen mehr zu machen.
Was machten diese Zahlen mit mir? Nichts! Ich hatte schlicht und ergreifend keine Energie oder Zeit, mich zu ärgern, panisch zu verkaufen oder mich anderweitig mit meinem Geld zu beschäftigen.
Mein Umgang mit den Corona-Auswirkungen
In einer ruhigen Minute in den Osterferien (als Mike endlich frei hatte), nahmen wir uns gemeinsam Zeit, um unsere Finanzen anzuschauen. Erster Schritt: Unsere vorhandenen Aktienwerte im Detail analysieren. Viele Abende haben wir als Paar darüber diskutiert, welche Unternehmen aus dieser Krise wohl gut und welche weniger gut herauskommen werden. Unser Ergebnis war, dass wir uns darauf verständigten, ab sofort wöchentlich eine Aktie im Wert von 3.000 Euro nach- oder neuzukaufen. Stur an unserer Liste entlang.
Gleichzeitig beschlossen wir, den ETF-Sparplan unseres Sohnes zu verdoppeln, sodass auch er von den niedrigen Kursen profitieren würde. Gesagt, getan begannen wir damit. Jedoch stiegen – trotz anhaltender steigender Corona-Fallzahlen überall auf der Welt – die Börsen rasch wieder nach oben. War mein Gesamtvermögen im März im Vergleich zum Februar noch um 14 % gefallen, so stieg es im Laufe des Aprils wieder um 7,7 % und im Mai um 2,47 % an.
Diese wahnsinnig schnelle Gegenbewegung trotz der vielen negativen Neuigkeiten wie enorm hohen Arbeitslosen- und Kurzarbeitszahlen sowie drohender Insolvenzen auf der ganzen Welt überraschte mich sehr. Mein Mann und ich entschieden, unsere wöchentlichen Investitionen nach wenigen Wochen wieder zu beenden und stattdessen abzuwarten.
Im Mai entschieden wir uns, bei Wirecard nachzukaufen. Doch darüber hinaus beobachten wir den Markt weiter. Die derzeitige Entwicklung spiegelt aus unserer Sicht nicht die Realität wider und die Wahrscheinlichkeit, dass das „dicke Ende“ und damit eine erneute Kaufgelegenheit an einknickenden Märkten noch bevorstehen, schätzen wir als relativ groß ein. Ob dies so kommen wird, werden wir sehen. In jedem Fall haben wir bislang mit einem guten Gefühl kleinere Investitionen in der Krise getätigt und ansonsten Ruhe bewahrt, was aus meiner Sicht das Elementarste überhaupt ist.
Unsere bisherigen Investitionen während der Krise haben sich inzwischen gut erholt. Doch im Vergleich zu vielen anderen Investoren haben wir die Gelegenheit, günstig zu kaufen, nicht ausgiebig genutzt. Dafür haben wir jetzt noch Geld übrig, das wir bei einer neuen Gelegenheit investieren werden.
Tatsächlich kann ich sagen, dass der Corona-Crash mich nicht wirklich belastet hat. Viel belastender waren die ersten Wochen, in denen ich versuchte, Homeoffice und die Betreuung unseres Sohnes zeitgleich zur Zufriedenheit aller Parteien zu meistern. Da blieb glücklicherweise keine Zeit, sich im Detail mit meinem Depotstand zu beschäftigen und panisch zu verkaufen.
Die Corona-Krise hat mich darin bestätigt, dass mich rote Zahlen im Depot nicht außerordentlich belasten. Ich benötige das Geld in meinem Depot nicht. Schon immer investiere ich nur Geld, auf das ich auch verzichten kann. Wenn das Depot wächst, bringt mir das mehr finanzielle Freiheit. Wenn es fällt, kann ich dies komplett ausblenden. Viel beängstigender wäre für mich, wenn es Probleme mit unserem monatlichen Cashflow gäbe.
Und damit kommen wir auch zu meinem größten Learning aus der Corona-Krise: Meine Einnahmequellen sind stabil!
Mein Job ist bislang krisensicher. Ich habe sogar mehr zu tun als vor der Krise und genieße die Produktivität im Homeoffice zunehmend. Mein Arbeitgeber stellte sich als enorm flexibel heraus und zahlt vor allem weiterhin mein Gehalt pünktlich.
Unsere Mieter zahlen als Rentner ihre Miete ohne Diskussionen weiter. Damit zahlt sich auch unser Immobilienkredit fast von alleine ab. Unsere zusätzlichen Airbnb-Einnahmen sind zwar weggebrochen, doch Ende Mai kamen dann auch wieder die ersten Geschäftsreisenden, um bei uns zu übernachten.
Daneben arbeiten wir als Paar an unserem Business rund um die Beziehungs-Investoren und können uns über ein Zusatzeinkommen aus diesem Bereich freuen. Die Nachfrage und Arbeit ist durch Corona auch hier etwas angestiegen.
Natürlich ärgere ich mich etwas, dass wir nicht direkt nach dem Crash noch mehr Aktien gekauft haben. Mit dem schnellen Anstieg zurück hätte ich, wie bereits beschrieben, nicht gerechnet und trauere der verpassten Chance ein bisschen hinterher. Ich weiß allerdings auch, dass dies nicht die letzte Krise meiner Investorenkarriere gewesen sein wird.
Insgesamt bin ich sehr glücklich, wie wir als Familie die Krise bislang gemeistert haben. Besonders froh bin ich, dass wir entspannt dem entgegensehen können, was eventuell noch folgt. Die Konjunkturaussichten lassen vermuten, dass die Coronakrise noch nicht vorbei ist. Persönlich gehe ich davon aus, dass die Aktienmärkte aktuell weit vorauseilen und hier ein weiterer, zeitnaher Einbruch nicht unwahrscheinlich ist. Zudem wird es sehr spannend, wie viel später und in welcher Form der Immobilienmarkt reagiert.
Und dann sind wir weiterhin mit genügend Geld ausgestattet, um als Profiteure aus der Situation zu kommen. Ob wir dann in weitere Aktien oder vielleicht eine zusätzliche Immobilie als Kapitalanlage investieren, können wir flexibel entscheiden. Denn unser Cashflow ist gesichert.
Wie meine finanzielle Lage aktuell aussieht
Mit Stand Ende April lag meine tatsächliche Vermögensentwicklung in 2020 noch immer 15,5 % unter meinen ursprünglichen Planungen für dieses Jahr. Ende Mai sind es 14 % hinter den Planungen, die ich zu Jahresbeginn angestellt hatte. Meine Einnahmen blieben zwar weitgehend stabil – mit Ausnahme einiger gestrichenen oder verschobenen Dividendenzahlungen. Meine Ausgaben liegen unter den Erwartungen. Doch der hohe Depotanteil sorgt dafür, dass ich derzeit weit hinter meinen Vermögensplanungen liege.
Meine größte Herausforderung liegt jetzt in der Frage: Woher kann ich noch mehr Geld verdienen, um mehr an der Börse investieren zu können. Der Crash hat mich nicht verschreckt. Vielleicht liegt es daran, dass ich mit 18 Jahren bereits ein Depot mit vielen roten Zahlen überreicht bekommen habe? Rote Zahlen tun mir nicht weh, sondern zeigen mir Chancen zum Nachlegen. So kann ich langfristig von den niedrigen Kursen deutlich mehr profitieren. Die Alternative wäre jetzt ängstlich zu agieren und Werte im schlimmsten Fall sogar panisch abzustoßen – keine verlockende Option!
Bislang hatte ich noch keine Krise an der Börse direkt miterlebt. 2008 und 2011 lag mein Fokus in anderen Lebensbereichen. Jetzt als Finanzbloggerin habe ich die Sorgen auch im Umfeld natürlich ganz anders wahrgenommen. Und gleichzeitig empfinde ich es als eine enorm spannende Phase, in der wir uns aktuell befinden.
Mir wird zum ersten Mal „am eigenen Leibe“ bewusst, wie gut ich mit 28 Jahren bereits finanziell vorgesorgt habe: Ich habe verschiedene Einkommensströme bestehend aus meinem Arbeitseinkommen, Mieteinnahmen, Dividenden und unserem gemeinsamen Unternehmen.
Selbst ein Wegfall oder eine Reduzierung des Arbeitseinkommens, sollte Kurzarbeit noch anstehen, macht mir keine Angst. Im Gegenteil: Ich weiß, dass ich die gewonnene Zeit für meine anderen Lebensbereiche (z. B. als Unternehmerin) nutzen würde.
Im Februar habe ich eine Weiterbildung zum Business Coach gestartet, ich habe damit in meinen Marktwert investiert. In meinem Job, in dem ich bisher unregelmäßig Trainings zu verschiedenen Soft Skill-Themen gegeben habe, verändert sich das Aufgabengebiet durch Corona enorm: Ich arbeite plötzlich nicht nur von zuhause, sondern gebe im virtuellen Raum quasi wöchentlich neue Trainings. Ich lerne mehr über mobiles Arbeiten und kann bereits jetzt so viele neue Erkenntnisse mein Eigen nennen.
Diese fachliche Weiterentwicklung wäre ohne Corona in dieser kurzen Zeit für mich nicht möglich gewesen. Und das Beste: Langfristig wird mir dieses Wissen und diese Erfahrung auch auf finanzieller Ebene neue Erfolge ermöglichen.
Denn ich werde dieses neue Wissen im Rahmen meiner Selbstständigkeit oder auch im Job anwenden und dadurch mehr verdienen (und in der Folge mehr investieren) können. Darauf freue ich mich schon jetzt – denn diese rasante persönliche Entwicklung habe ich (auch) der Corona-Krise zu verdanken.
Krisen rütteln uns auf. Unsicherheit lässt uns als Gesellschaft näher zusammenrücken. Herausforderungen sind dazu da, gestärkt daraus hervorzugehen. Und genau das hat Corona für viele Menschen inklusive mir bewirkt.