7. LUIS PAZOS VON NURBARESISTWAHRES.DE
Eigentlich spricht der Name schon Bände – Nur Bares ist Wahres! Der verheiratete zweifache Familienvater outet sich als unnachgiebiger Einkommensinvestor. Luis fing schon 1994 damit an, Finanzinstrumente zu verwenden. Dabei war er an den Finanzbörsen in der ganzen Welt unterwegs. Während er bei der Bundeswehr seinen Dienst absolvierte, fand 2002 eine Anlageklasse sein Interesse – die sogenannten Income Trusts.
Seine Motivation, ein regelmäßig und zugleich hohes zweites Einkommen durch diese Anlageklasse zu generieren, war groß und so arbeitete er sich in das Thema ein. Abseits der gängigen Assetklassen gilt Luis Pazos heute als Experte für das Thema Real Estate Investment Trusts, kurz: REITs. Sie dienen vor allem in Kanada und den USA der Einkommenserzielung durch Kapitaleinkommen und bessern dort die (wenn überhaupt) vorhandene Rente entsprechend auf.
Als Einkommensinvestor hat Luis vor allem seinen Fokus auf Investments, die unmittelbare Erträge generieren. Und wer seit 1994 an den weltweiten Börsen tätig ist und der Anlageklasse der Trusts seit 2002 treu ist, hat einige herbe Rücksetzer auf sein Erfahrungskonto verbuchen müssen. Für Luis waren dies jedoch Marktbereinigungen, die er zu nutzen wusste, um seinen passiven Einkommensstrom weiter zu vergrößern.
Heute lebt Luis mit seiner Familie in Südniedersachsen und arbeitet in einer Managementfunktion bei einem Privatunternehmen. Nebenberuflich hat er das Investieren in einkommensstarke Anlageklassen nie gestoppt und bietet heute Interessierten die Möglichkeit, sich diversifizierte Portfolios mit seiner Hilfe anzulegen, ganz nach der persönlichen Ausrichtung des jeweiligen Investors. Auf seinem Blog NurBaresIstWahres.de bloggt Luis über die neusten Erkenntnisse und Trends und unterzieht verschiedene Anlageprodukte regelmäßig sehr strengen eigenen Belastungstests, um herauszufinden, ob diese für seinen einkommensorientierten Investmentansatz tauglich sind.
Shutdown-Crash: Mein fünfter Absturz
Wie ich als Finanzblogger bisher durch die Corona-Krise gekommen bin.
In dem Moment, wo ich diese Zeilen auf das virtuelle Papier bringe, entspricht der Gesamtwert meiner Wertpapierdepots fast exakt auf den Cent genau dem Stand zum Jahreswechsel 2019 auf 2020. Eine skurrile Vorstellung: Hätte ich mich zu Beginn des neuen Jahres aus dem Alltag komplett aus- und erst Mitte Juni wieder eingeklinkt, der Corona-Crash oder präziser formuliert der Shutdown-Crash wäre komplett an mir vorbeigegangen und ich hätte die ausgewiesene Nullrendite vermutlich achselzuckend zur Kenntnis genommen.
Noch ein Hinweis zur Terminologie. Warum Shutdown- und nicht Corona-Crash? Nun, es war keineswegs das Virus, welches die Börsen auf zwischenzeitige Talfahrt geschickt hatte. Dies lässt sich sehr gut daran ablesen, dass schon frühere Pandemien (Schweinepest, Geflügelgrippe) die Kapitalmärkte vergleichsweise kalt gelassen haben. Gleiches gilt übrigens auch für das Coronavirus, welches seit Jahren ein Schattendasein fristete. Noch 2017 taugte es gerade einmal als Namensgeber für den obligatorischen Bösewicht in der französischsprachigen Originalausgabe des jüngsten Asterix-Bands „Asterix in Italien“ – eine Ironie der Geschichte. Erst als sich drastische realwirtschaftliche Auswirkungen durch das nahezu weltweit Schockfrosten der ökonomischen Aktivitäten seitens der öffentlichen Hand abzeichneten, startete ab dem 20. Februar 2020 der mittlerweile legendäre Abverkauf; hierauf wird zurückzukommen sein. Der 20. Februar markiert übrigens auch einen von zwei Gedenktagen der Heiligen Stephana, einer frühchristlichen Märtyrerin, die auf äußerst unappetitliche Weise im Jahr 177 nach Christus aus dem Leben befördert worden sein soll. Bekannt ist sie allerdings weniger unter ihrem griechischen denn unter dem latinisierten Namen Corona, zu Deutsch „Krone“, weshalb sie Gläubigen unter anderem als Schutzpatronin in Geldangelegenheiten gilt.
Zurück zu den Anfängen
Zeitsprung: 1.817 Jahre später, inmitten des bis dato längsten Bullenmarktes der Geschichte, erwarb ich mein erstes börsennotiertes Wertpapier. Von einem Teil meines ersten Gehalts sowie Sparrücklagen kaufte ich im August 1994 eine mir mittlerweile entfallene Anzahl von Aktien der Bayer AG. Die Order gab ich am Tresen in der Filiale der örtlichen Sparkasse auf, den Auftrag durfte ich noch handschriftlich auf Durchschlagpapier quittieren, ganz ohne umfassende Belehrung seitens meiner Kundenbetreuerin. Warum die Bayer AG? Die Kaufentscheidung folgte ebenso wie die Wahl meines Lieblingsfußballvereins Jahre zuvor einer Variante des Prinzips der sozialen Bewährtheit: Eine von mir nach wie vor verehrte Tante arbeitete seinerzeit beim Leverkusener Chemiekonzern. Des hanebüchenen Ansatzes zum Trotz hatte ich das Glück, in dieser Boomphase so gut wie nichts falsch machen zu können.
Dasselbe galt glücklicherweise auch für den ersten Crash, den ich drei Jahre später ohnmächtig über mich ergehen lassen musste, als im Sommer 1997 die Asienkrise die Weltbörsen in die Knie gingen ließ. Ohnmächtig deswegen, da ich mich seinerzeit in Spanien im Urlaub befand und keinerlei Möglichkeit hatte, auf mein Depot zuzugreifen beziehungsweise eine Order aufzugeben. Zu manch richtiger Entscheidung im Leben kommt es bisweilen auch deshalb, weil die Tür zur falschen Entscheidung verschlossen ist. Als ich Wochen später wieder handlungsfähig war, lag das Kind ohnehin schon im Brunner und das Gemüt war wieder heruntergekühlt. Exakt ein Jahr später durfte ich ein weiteres Mal meine Nerven stählen lassen, als die Russland- und LTCM-Krise die Kurse rund um den Globus in den Keller schickte, derweil ich mich erneut im Urlaub befand.
Beim dritten großen Crash in meinem Börsianerdasein sollte ich schließlich mehr Glück haben, dem die Lektüre geeigneter Literatur ein wenig nachhalf. Festgebrannt in mein Gedächtnis hat sich jeder entscheidende Tag im Herbst 1999, gegen Ende der zum Bersten aufgepumpten Dotcom-Blase, die noch fröhlich Kursraketen in den Börsenhimmel schoss. Schon fast gespenstisch still war es, als ich seinerzeit den Wohnbereich unseres Studentenwohnheims betrat. Gebannt war der Blick der Mehrheit meiner paralysierten Kommilitonen auf den Teletext von n-tv gerichtet. Dem Tunnelblick verfallen waren selbst jene, die bis dato nicht gerade durch ihr übermäßiges Interesse an der Entwicklung der internationalen Finanzmärkte aufgefallen waren. Diese Szene rief mir einen Ausspruch ins Gedächtnis, den Joseph Kennedy, Großinvestor und Vater des späteren US-amerikanischen Präsidenten John F. Kennedy, wenige Monate vor dem Börsencrash von 1929 getätigt haben soll: „Wenn schon Schuhputzer Dir Aktientipps geben, ist es Zeit, Aktien zu verkaufen.“ Diese spontane Eingebung hat mir viel Geld gespart. Der Dotcom-Crash im Frühjahr beendete den 113 Monate währenden Bullenmarkt, dessen Länge in den USA im Spätsommer 2018 noch getoppt werden sollte, und leitete ein verlorenes Jahrzehnt ein. Der Schaden für die ohnehin schwach ausgeprägte Aktionärskultur hierzulande ist noch nicht einmal mit eingerechnet.
Bargeld statt Buchgewinn
Von den vielen aufgesogenen und zahlreichen erprobten Kursgewinnstrategien schlichtweg übersättigt, besann ich mich mitten im Börsental der Tränen einer schlichten Volksweisheit: Nur Bares ist Wahres. Also weg vom Differenzgeschäft, hin zur Einkommenserzielung. Bei der Sondierung des kanadischen Wertpapiermarkts stieß ich im Jahr 2002 dann auf eine börsennotierte Wertpapiergattung, die sich durch hohe Dividendenrenditen und ein monatliches Ausschüttungsintervall auszeichnen – der perfekte Hebel für ein regelmäßiges und automatisiertes Zweiteinkommen. Die nachfolgenden Recherchen förderten weltweit zahlreiche weitere Hochdividendenwerte und ertragsstarke Anlagen mit ähnlichen Merkmalen zutage. Ich hatte mein Thema gefunden.
Hochdividendenwerte beziehungsweise ausschüttungsstarke Wertpapiere stellten daraufhin recht bald das Flaggschiff meiner persönlichen Geldanlage sowie mittlerweile einen erklecklichen Anteil meines Einkommens dar. Mit ihnen sollte ich dann auch in voller Bandbreite durch die nächsten beiden globalen Abstürze an den Finanzmärkten hindurchmarschieren. Wie schon dem Dotcom-Crash, so haften auch der Weltfinanzkrise zwischen 2007 und 2009 und dem Shutdown-Crash im Februar und März 2020, konkret dem jeweiligen Umschlagen der Situation, etwas höchst Janusköpfiges an. Bereits im römischen Pantheon nahm der doppelgesichtige Gott eine Ausnahmestellung ein. Er ist nicht nur ohne Entsprechung in all den anderen Astralkulten der Antike, im Gegensatz zu seinen Mitgottheiten ist er zudem ein wandelnder Widerspruch, eine Allegorie auf Anfang und Ende, Vergangenheit und Zukunft, Leben und Tod, Boom und Bust. Das machte ihn zutiefst menschlich und vermutlich liegt darin auch die Tatsache begründet, dass er sich in Rom so großer Beliebtheit erfreute. Immerhin begrüßen wir ihn noch heute bei jedem Jahreswechsel und erweisen ihm beim unvermeidlichen Rück- und Ausblick unsere Referenz.
Würde Janus heute noch verehrt werden, er wäre (auch) der Börsengott schlechthin, welcher ebenso regelmäßig wie unvermutet seine Antlitze auf dem Parkett aufblitzen lässt. Und das mit Vorliebe direkt hintereinander. So auch 2020. Gerade einmal wenige Wochen ist es her, da herrschte angesichts der hohen Bewertungen quer über alle Vermögensklassen und den Globus hinweg noch der blanke Anlagenotstand. An letzterem Umstand hat sich nichts geändert, allerdings wird dieser nunmehr durch hohe Unsicherheit ebenfalls quer über alle Vermögensklassen und weltweit begründet. Keine Frage, die internationalen Kapitalmärkte befinden sich seit dem 20. Februar im Angstmodus und wer nicht nur von der Seitenlinie zuschaut, darf zumindest später behaupten, an einem säkularen Ereignis teilgenommen zu haben. Drei Besonderheiten sowie drei Lektionen hat mir die jüngste Vergangenheit besonders eindrücklich vor Augen geführt.
1. Besonderheit: Die Geschwindigkeit
Bemerkenswert ist zum einen die Geschwindigkeit, mit der nahezu global synchron neue Tiefs vermeldet wurden. Innerhalb von nur vier Wochen verlor der Deutsche Aktienindex (DAX) von seinem Hoch aus gerechnet rund 40 Prozent, mit 37 Prozent im Minus stand es um den Dow Jones Industrial Average kaum besser. Lediglich im legendären Oktober 1929 ging es noch einen Tick rasanter bergab. Davor ereignete sich Vergleichbares das letzte Mal im Mai 1837, also vor einer beträchtlichen Weile. Voran ging übrigens jeweils eine kreditgetriebene Schönwetterperiode einschließlich einer massiven Aufblähung der Vermögensmärkte, an die sich eine mehrjährige Rezession anschloss. Das kann, muss sich jedoch keineswegs wiederholen.
2. Besonderheit: Die Bandbreite
Dass die Märkte für den Handel mit unternehmerischen Beteiligungen alle paar Jahre korrigieren oder auch mal crashen, ist eine Binsenweisheit. Zuletzt war dies übrigens im zweiten Halbjahr 2018 der Fall, als es im Nachhinein betrachtet durchaus clever war, nach dem Abbröckeln der Kurse um zehn bis fünfzehn Prozent zu investieren beziehungsweise nachzukaufen. Einzigartig ist hingegen, dass in dieser ersten (?) Welle (fast) alles mit Abschlägen unterschiedlicher Intensität abverkauft wurde, neben Aktien also auch Unternehmens- sowie Staatsanleihen und sogar Gold und Kryptowährungen. Ergänzend sei angemerkt, dass es sich bei besagten Staatsanleihen nicht um Papiere notorischer Pleitekandidaten wie beispielsweise Argentinien handelte. Selbst ein Korb internationaler, mit Doppel- und Dreifach-A bewerteter Titel, also die bestbeleumundeten Forderungen, die derzeit überhaupt gehandelt werden, verlor in der Spitze über zehn Prozent! Das sind genau jene Papiere, die in der Finanzwirtschaft zur Risikoklasse 1 gezählt und üblicherweise sehr sicherheitsbedachten Anlegern empfohlen werden.
3. Besonderheit: Die Unsicherheit
Mitte März signalisierte der vom Nachrichtensender CNN täglich berechnete Fear & Greed Index mit zwei von einhundert Punkten extreme, um nicht zu sagen kaum noch zu steigernde Angst. Noch Anfang des Jahres, Janus lässt grüßen, stand der Indikator bei über 95 Punkten, also kaum noch zu steigernder Gier. Einher mit Angst vor Verlusten ging offenbar auch die Angst vor verpassten Chancen (Fear Of Missing Out, FOMO), die perfekte Melange für eine ausgeprägte Borderline-Börse. So waren denn Tagesverluste von 25 Prozent und mehr selbst bei Aktien solider Großunternehmen keine Seltenheit, ebenso wenig wie Tagesgewinne in derselben Größenordnung – bisweilen sogar aufeinanderfolgend. Auch das dürfte in dieser Ausprägung kein lebender Börsianer bisher so erlebt haben.
Der kapitale Schwarzen Schwan in der Erscheinungsform des Shutdown-Crashs auf Makroebene brütete auf Mikroebene in kürzester Zeit zahlreiche Junge aus. Zumindest bezüglich klassischer Anlegerfehler reimt sich die Geschichte nicht nur, sie wiederholt sich tatsächlich. Bereits ein einziger Crash-Monat hat zahlreiche bürgerliche Existenzen an den Rand des Ruins beziehungsweise um ihre Ersparnisse gebracht, wie der Autor dieser Zeilen aus mehreren persönlichen Zuschriften und Hilferufen in Onlineforen erstaunt zur Kenntnis nehmen musste. Der Ökonom und Managementlehrer Fredmund Malik wies einmal darauf hin, dass der Markt keine Fehler vermeide, sondern diese bestrafe. Schauen wir uns in diesem Zusammenhang die drei bedeutendsten Lektionen für Privatanleger an.
1. Lektion: Vermeide Klumpenrisiken!
Es ist richtig, Diversifikation, also die Streuung des Vermögens über zahlreiche Anlageklassen, bietet keinen hundertprozentigen Schutz vor Verlusten. Das gilt allemal, wenn Sentimentindikatoren wie der CNN-Index unter die Panikschwelle fallen. Dies hat meines Erachtens niemand so formvollendet formuliert wie Diogenes Rant alias Dr. Martin Krall: „Wenn die Märkte durch Panik in die Illiquidität abrutschen, wird die stochastisch maximal unabhängige ‚Braunsche Bewegung‘ des atomistischen Marktes eingefroren und gleichgerichtet.“ Das bedeutet freilich nicht, dass Diversifikation falsch und noch weniger, dass die Konzentration der Mittel richtig ist. Dies sollten sich insbesondere Einkommensinvestoren zu Herzen nehmen, deren primäres Ziel darin besteht, laufende Einnahmen zu generieren und eben nicht Kursgewinne zu erzielen. Sie können durch Streuung ihr Risiko verringern, ohne an Rendite einzubüßen. Genau deshalb wird das Eingehen von Klumpenrisiken auch nicht mit Überrenditen honoriert. Zu spüren bekommen haben das beispielsweise Anleger, die jüngst stark im Bereich der Energieinfrastruktur disponiert waren, wo sich der Ölpreisverfall crashverschärfend ausgewirkt hat. Auf die Spitze getrieben hat es ein Anleger, der vor wenigen Monaten der Meinung war, sein gesamtes Vermögen in ein einziges „ausfallsicheres“ Papier zu stecken – seine Lieblingsaktie Royal Dutch Shell. Ob er nach über 60 Prozent minus in der Spitze zur Erkenntnis gekommen ist, dass sich Polygamie zumindest an der Börse auf jeden Fall auszahlen kann?
2. Lektion: Kaufe nur, was du verstehst!
Ebenfalls ein immer wieder zu beobachtender „Klassiker“ ist die allzu sorglose Investition, ohne den Beipackzettel gelesen zu haben. Wer jedoch mehr investigative Energie in den Kauf eines Kühlschranks oder die Planung des Sommerurlaubs als in die Auswahl und das Verständnis von Geldanlagen steckt, kann entsprechende Rendite-Risiko-Profile und damit die Eignung einer Investitionsmöglichkeit für die persönliche Vermögensplanung logischerweise nicht beurteilen. Hinzu kommt in Schönwetterzeiten die sukzessive abnehmende Risikosensibilität, eine Wahrnehmungsverzerrung, die nur allzu oft in Unwetterperioden Janus ihre Referenz erweist. So wie bei jenem Anleger, der in guten Zeiten unwissentlich einen Gutteil seines Vermögens in eine 2x Leveraged Mortgage Real Estate Investment Trust Exchange Traded Note investiert hat. Ja, das Papier ist so riskant, wie es sich anhört, auch wenn als Emittent die Schweizer UBS firmiert. Mitte März wurde es im Einklang mit den Emissionsbedingungen zwangsliquidiert, für alle Anteilseigner faktisch ein Totalverlust. Zuletzt beschäftigte den Anleger, ob denn nunmehr die Zinszahlungen weiter fließen würden und er an künftigen Kurssteigerungen partizipieren könne …
3. Lektion: Spekuliere nicht auf Kredit!
Wen in seinem Leben die Aussicht reizt, einmal Lehman Brothers im Westentaschenformat durchzuspielen, sollte hierfür nach Möglichkeit Wertpapiere auf Kredit erwerben. Dabei gilt: Je höher der Hebel, desto besser die Chance. Internationale Broker gewähren üblicherweise eine Margin von 50 Prozent. Will heißen: Zahle einen Euro ein und investiere zwei. Hört sich gut und rechnet sich angesichts von Niedrigstzinsen. Warum also nicht Euro für 2,5 Prozent pro Jahr aufnehmen und Royal Dutch Shell in Pfund kaufen, wenn allein die Dividendenrendite über sechs Prozent beträgt und der Konzern seit 1945 die Ausschüttungen nie ausgesetzt oder gekürzt hat? Nun, der Teufel ist bekanntlich ein Eichhörnchen und meldet sich pünktlich zum ungünstigsten Zeitpunkt mit dem Margin Call. Dieser dürfte beispielsweise einen Anleger ereilt haben, der seine Zinsverpflichtungen „vor Corona“ aus den Dividendenzahlungen bedienen konnte und noch vor den Tiefstständen hauchdünn über der Beleihungsquote mäandert – parallel dazu flatterte zudem die Kündigung seines Arbeitgebers herein. Merke: Wer Eigenkapital investiert, verliert maximal seinen Einsatz, wer Fremdkapital investiert, kann sich ruinieren. Zudem mangelt es dem Kreditspekulanten an der wichtigsten Ressource überhaupt, die zumindest an den Finanzmärkten vieles heilen kann: Zeit!
Sofern das Kind nicht auf den Grund des Brunnens gefallen ist, was hoffentlich auf die Leserschaft zutrifft, stellt sich konsequenterweise die Frage nach der Positionierung für die kommenden, mit Sicherheit nicht minder turbulenten Zeiten in der Finanz- ebenso wie in der Realwirtschaft. Immerhin wurde Janus von der Kaufmannschaft Roms auch als Schutzgottheit der Unternehmen verehrt. Welches Gesicht hat er der Zukunft zugewandt und was mag sein Blick verheißen? Diesbezüglich musste selbst das Universalgenie Sir Isaac Newton vor exakt 300 Jahren nach einer kapitalen Fehlspekulation im Zuge des sogenannten Südseeschwindels konstatieren: „Ich kann zwar die Bewegungen der Himmelskörper berechnen, aber nicht die Verrücktheit der Menschen.“ Die ehrliche Antwort auf obige Frage lautet daher: Das weiß wohl nur der liebe Gott. Und in der Tat, eine erste Näherungslösung bietet der Rückgriff auf ein religiöses Werk, welches seinen über die Jahrhunderte bis in die jüngere Gegenwart leidgeprüften Lesern auch unter widrigsten Umständen half, Vermögen aufzubauen, zu erhalten und zu mehren.
Eine zeitlose Formel
Die Rede ist vom babylonischen Talmud, in welchem die Überlieferungen bedeutender rabbinischer Gelehrtengenerationen zusammengetragen wurden, die das Werk weit über den Status eines reinen Geschichts-, Moral- und Regelbuchs erheben. Es bündelt zusätzlich eine Vielzahl schier zeitloser Alltagsweisheiten in durchweg praxisorientierte Handlungsimperative. Die auch als Drei-Speichen-Regel bekannte Empfehlung Rabbi Isaak bar Aha zur Ordnung der Finanzen ist im Traktat Baba Mezia festgehalten: „Man soll sein Vermögen stets in drei Teile teilen: Ein Drittel Land, ein Drittel Handelswaren und ein Drittel bar zur Hand.“ Diese Formel diente übrigens auch dem deutschen Dichterfürsten Johann Wolfgang von Goethe als Kompass, der so sein Millionenvermögen erfolgreich durch historisch höchst anspruchsvolle Gezeiten navigieren konnte.
In die Gegenwart übertragen entspricht dies einem breit über Immobilien (Land), Aktien beziehungsweise Unternehmensbeteiligungen (Handelswaren) sowie Liquidität in Form von Barrücklagen, Anleihen und Edelmetallen (bar zur Hand) gestreuten Anlagemix und wird heutzutage sogar unter dem Begriff der Modernen Portfoliotheorie (MPT) akademisch gelehrt. Praktischerweise lässt sich diese Vermögensallokation auf Wunsch komplett mit börsennotierten Wertpapieren abbilden und das im Gegensatz zu Antike, Mittelalter und früher Neuzeit sogar global. Bei Wahl des richtigen Brokers fallen dafür vernachlässigbare Kosten an, so dass der Ansatz auch relativ kleinen Vermögen zugänglich ist.
Die Quoten müssen freilich der individuellen Präferenz sowie Lage und hierbei besonders der Risikotoleranz und Risikotragfähigkeit angepasst werden – das gilt insbesondere für die Barreserve. Und ja, die ist zwingend in der Währung zu halten, in der üblicherweise Zahlungsverpflichtungen zu leisten sind. Die Risikotoleranz beschreibt dabei das Ausmaß, Verluste emotional auszuhalten, also beispielsweise Kursverluste aussitzen zu können, ohne die angstgetriebene Reißleine zu ziehen und die selbstauferlegte Strategie beziehungsweise Anlageregeln willkürlich zu ändern. Die Risikotragfähigkeit beschreibt dagegen die Verlusthöhe, die sich ein Anleger tatsächlich also unabhängig von seinem Nervenkostüm leisten kann. Sie wird im Wesentlichen von absehbaren Ausgaben bestimmt und schwankt daher in Abhängigkeit des Lebensstils.
Das Wichtigste zuletzt
Der so ermittelte Anlagemix beziehungsweise die einmal festgelegte Vermögensverteilung gilt es dann in regelmäßigen Abständen wieder in Balance zu bringen, da sich die verschiedenen Anlageklassen über die Zeit meist unterschiedlich entwickeln. Dieses sogenannte Rebalancing hat zudem den Charme, dass der Anleger automatisch antizyklisch vorgeht. Ansonsten sollten es Privatanleger der Crew von Odysseus gleichtun und die Gehörgänge mit Wachs versiegeln, um nicht den Sirenengesängen der (Finanz-)Presse zu erliegen und sich in Ataraxie zu üben, sprich den Anlagemix zu halten – komme, was wolle. Hierzu gehört auch, den wichtigsten Vermögenswert überhaupt zu pflegen, das eigene Humankapital. Allein diesen vermag kein noch so großer Crash zu entwerten und kein noch so totalitäres System zu enteignen. Vor diesem Hintergrund kann dann auch die verordnete häusliche Beschulung des Nachwuchses eine segensreiche Wirkung entfalten!