KAPITEL 12
25. Dezember 1982
»Überraschung! Frohe Weihnachten, Babe.«
»Oh, wow … auch dir frohe Weihnachten, Mags.« Grant Dale küsste seine umwerfend gut aussehende Freundin. Obwohl draußen alles mit einer dicken Schneeschicht bedeckt war, stand sie in einem kurzen, ärmellosen Kleid vor der Tür. »Hatte nich damit gerechnet, dich heut zu sehen, Süße«, fügte er hinzu und bat sie in die Wohnung.
»Ich dachte, ich komm einfach hoch und besuch dich.«
»Scheiße, Mags … ich hab dein Geschenk noch nich besorgt«, gab er zu.
»Is in Ordnung, wirklich.« Maggie gab ihm ebenfalls einen Kuss, dieses Mal auf die Wange.
»Wer ist da gekommen, Grant?«, rief Senga Dale vom oberen Treppenabsatz herunter.
»Ähm … is nur ’n Kumpel, Mum«, sagte Grant. Seine blassen Wangen leuchteten jetzt im selben kräftigen Rot wie die Nase von Rudolph dem Rentier.
»’N Kumpel! ’N Kumpel?«, sagte Maggie neckend.
Senga kam die Treppe herunter.
»Na, wen haben wir denn da? Hast nich gesagt, dass dein Kumpel ein Mädchen is!« Senga sah Maggie mit einem Lächeln an und stellte sich vor.
Maggie erklärte, dass sie die Schlagzeugerin in Grants Band sei, und wurde anschließend von Senga ins Wohnzimmer gebeten. Als sie an der Hausherrin vorbeiging, warf diese Grant einen anerkennenden Blick zu.
»Entschuldige bitte das Chaos, Maggie. Die Kleinen spielen oben mit ihren Geschenken, aber das Geschenkpapier lassen sie natürlich überall liegen.«
»Aye, das kenn ich«, sagte Maggie. »Hab selber ’n paar Schwestern.«
»Bleibst du zum Abendessen, Maggie?«, sagte Senga. »Is mehr als genug für alle da.« Sie ahnte, dass Grant und Maggie mehr als nur Bandkollegen waren.
Auch wenn Maggie eine andere Hautfarbe hatte als die meisten Menschen in Ayrshire, wirkten die zwei wie ein gut zueinander passendes Pärchen – beide groß gewachsen und mit feinen Gesichtszügen.
Senga setzte einen Tee auf und brachte ihn zusammen mit einem Berg schokoüberzogener Hobnobs-Kekse auf einem Tablett aus der Küche.
Grant kniete vor dem Fernseher und schaltete zwischen einem Zeichentrickfilm mit Waschbären, von dem einer mit der Stimme von Leo Sayer sprach, und dem Spielfilm The Island of Adventure hin und her.
»Wie immer nur Mist in der Glotze«, stellte er fest. »Alles Dreck bis Top of the Pops um zwei.«
»3-2-1 kommt nachher«, sagte Senga. »Ich liebe ja diesen Ed Roger.«
Grant lachte.
»Was is?«, fragte sie.
»Ted Rogers, Mrs. Dale«, korrigierte Maggie.
»Ach, weißte, Kleines, mir ist’s egal, ob’s mehrere gibt. Ich mag sie alle«, sagte sie lachend. »Was hat er dir eigentlich geschenkt, Maggie?«, sagte Senga und trank einen Schluck aus ihrer Tasse.
»Ähm, na ja …«
»Noch gar nix, Mum. Hab was im Embassy-Katalog bestellt, is aber noch nich angekommen … aber vielen Dank, dass du das Thema ansprichst«, sagte Grant.
»Schon in Ordnung, Mrs. Dale. Er wusste ja nich, dass ich heut vorbeikomme. Sollte ’ne Überraschung sein.«
»Ach, das is ja wirklich reizend, Kleine. Is doch süß … oder, Grant?«
»Aye, wirklich reizend, Mum«, sagte Grant und zappte wieder zu den Waschbären.
»Kannste die Umschalterei nich mal sein lassen? Oder versuchste etwa, beide Programme auf einmal zu schauen?«, sagte Senga. »Bis zur Weihnachtsansprache der Queen kannste eh ausschalten. Ihr jungen Leute … immer muss bei euch die Flimmerkiste laufen. Keine Zeit mehr für ’ne kleine Unterhaltung, was?«
»Sie haben ganz recht, Mrs. Dale«, sagte Maggie, als Grant seiner Mutter einen genervten Blick zuwarf.
»Gott bewahre, wenn jetzt noch ’n Sender dazukommt. Dann sind’s vier, und die senden alle den ganzen Tag über! Eure Generation wird bald nur noch Selbstgespräche führen«, sagte Senga und schüttelte betrübt den Kopf.
Grant schaltete auf das Testbild von BBC Two. »So besser für dich, Mum?«, sagte er sarkastisch.
»Is ’n schönes Mädchen, diese Maggie«, sagte Senga im Flüsterton.
»Aye, aber wenn du sie weiter so zuquatschst, wird sie hier nich alt«, sagte er.
»Nich frech werden, Jungchen!« Senga stand auf und gab ihrem Sohn im Vorbeigehen einen sanften Klaps aufs Ohr.
»Ich hab dir ’ne Kleinigkeit besorgt, Grant«, sagte Maggie und rückte etwas näher an ihn heran.
»Ach, Scheiße, Mags. Du willst unbedingt, dass ich mich mies fühle, oder?«
Sie lachte. »Komm mit raus, und ich zeig’s dir«, sagte sie. Sie standen auf.
»Wir gehen kurz raus, Mum«, rief Grant.
»Aber sie is doch gerade erst gekommen, Grant.«
»Nur eine Minute, Mum … wir bleiben auch zum Essen.« Die Tür fiel hinter ihnen ins Schloss. Draußen hatte es gerade wieder angefangen zu schneien. Grant legte seine schwarze Harrington-Jacke über Maggies bloße Schultern. Im Kontrast mit dem blütenweißen Schnee wirkte Maggies Haut um einiges dunkler, als sie es tatsächlich war. Am Ende des Weges schaute Grant sie an. Sie sah aus wie eine blonde Donna Summer. Er konnte kaum fassen, wie sehr sich sein Leben in so kurzer Zeit verändert hatte. Vor sechs Monaten noch hatte er sich mit seinem aggressiven Vater rumärgern und im Auftrag von Franny Duncan, dieser fetten Mistsau, den Willenlosen, Schwachen und Alten das letzte bisschen Kleingeld aus der Tasche ziehen müssen. Jetzt hatte er einen neuen Namen, spielte in einer Band – auch wenn diese noch nicht aufgetreten war und von einem wahnsinnigen Manager geleitet wurde – und vögelte regelmäßig mit der unheimlich attraktiven Schlagzeugerin der Gruppe. Wenn das keine amtliche Kehrtwende war!
Maggie führte ihn zum Ende der Straße und legte ihm die Hände auf die Augen, bevor sie die Ecke erreichten.
»Gut, bist du bereit?«, fragte sie ihn.
»Aye. Glaub ich jedenfalls«, antwortete er nervös.
Maggie zog ihre Hände zurück, und Grant öffnete die Augen. Am Straßenrand parkte ein hellblauer Campingbus von Volkswagen. Er schien gut in Schuss, der chromierte Kühlergrill glänzte, und es waren keinerlei Roststellen zu sehen. Die Seiten waren mit Peace-Logos und Slogans wie »Anti-Complacency League, Baby« verziert. Er sah verdammt cool aus.
»Heilige Scheiße, Mags!«
»Gefällt er dir?«, jauchzte sie ausgelassen wie ein kleines Kind.
»Aye … aber weißt du, Mags, ich wollte dir eigentlich nur ’n Fläschchen Parfüm schenken. Rive Gauche oder so!«
»Ha, ha, ha. Schon in Ordnung. Der Bus is für dich und für mich«, sagte sie. »Ein Geschenk für uns beide.«
Grant war sprachlos. Auch wenn er noch fast den gesamten Batzen seiner Fat-Franny-Reserve besaß, waren sowohl er als auch Maggie offiziell auf Stütze. Es hätte Jahrzehnte gedauert, um vom staatlichen Arbeitslosenbeistand genug Geld für den Kauf dieses Wagens zurückzulegen.
»Hör mal, ich will nich, dass du das jetzt in den falschen Hals kriegst oder so, aber woher hast du die Kohle für das Ding?«
Sofort blitzte ein verletzter Ausdruck in ihrem Gesicht auf.
»Scheiße, Mags … tut mir leid. Die Kiste is großartig, wirklich. Vergiss, dass ich gefragt hab, in Ordnung?«
»Der Bus hat mich keinen Penny gekostet. Hab ihn beim Pokern gewonnen«, sagte sie.
In Anbetracht von Maggies Verbindungen zu den Quinns aus Galston warf diese Antwort nun weitere Fragen in Grants Oberstübchen auf. Er entschied sich jedoch dafür, diese vorerst für sich zu behalten. Nach Neujahr würde er Maggie immer noch dazu befragen können. Da sie erst zwei Monate zusammen waren, schien ihm dieses »Geschenk« anfänglich wie ein riesengroßer Schritt. Andererseits war es jedoch nicht gerade so, als hätte Maggie ihm angeboten, zusammen mit ihr in den VW-Bus einzuziehen. Und einen eigenen Schlüssel bekam er auch nicht. Unterm Strich war es nur ein bequemer und mobiler Treffpunkt, an dem sie Zeit miteinander verbringen konnten, um sich zuzuschütten, high zu werden, John Peel zu hören und miteinander zu pimpern. Er beschloss, es als eine nette Geste von ihr anzusehen, sich derart auf ihn einzulassen.
In ein paar Tagen würde er mit seiner Mutter nach Österreich aufbrechen, die einen Teil des Geldes, das ihr verstorbener Ehemann geschickt hatte, dafür verwenden wollte, sich einen lang gehegten Wunsch zu erfüllen: den Besuch des traditionellen Neujahrskonzerts der Wiener Philharmoniker. Senga hatte Grant gebeten, sie zu begleiten, während Grants Großmutter auf seine beiden jüngeren Geschwister aufpasste. Was die Zukunft für Grant und Maggie bereithielt, würde bis 1983 warten müssen. Erst musste die fette österreichische Lady singen.