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N atürlich hatte sie ihm kein Wort geglaubt, sondern war nur eingeschnappt herumgefahren und hatte im Hinausstürmen noch eine verärgerte Bemerkung der Art gemacht, dass ihm wohl nicht mehr zu helfen sei und er selbst Schuld an allem habe, was ihm jetzt passierte. Und dennoch mussten Arthurs Worte wohl etwas in Saree bewirkt haben, denn als sie das nächste Mal kam, um ihm Essen zu bringen, ließ sie sich nichts anmerken, und es war, als hätte es das vorherige Gespräch und vor allem ihre Reaktion darauf gar nicht gegeben.

Aber etwas änderte sich. Der Tag ging auch jetzt wieder zu Ende, ohne dass er ihren Vater oder sonst irgendjemanden gesehen oder gar erfahren hätte, was man ihm eigentlich vorwarf, doch Saree kam pünktlich auch am nächsten Morgen zu ihm, dann zur Mittagsstunde und am Abend, und ihre Gespräche wurden langsam vertrauter. Wie immer wartete ihr Bewacher hinter der von ihm verschlossenen Tür – wie sie ihm versicherte, außer Hörweite –, bis sie laut gegen die Tür hämmerte und er sie wieder hinausließ.

Was im Übrigen immer länger dauerte. Saree fand ganz offensichtlich Gefallen an den Gesprächen mit ihm, auch wenn diese hauptsächlich darin bestanden, dass sie redete und er zuhörte. Sie stellte nur dann und wann eine vermeintlich unverfängliche Frage, auf die er genauso unverfänglich antwortete. Es brauchte nicht viel kriminalistisches Gespür, um zu merken, dass sie nicht nur hier war, um ihm Essen und Wasser zu bringen, sondern hauptsächlich, um ihn im Auftrag ihres Vaters auszuhorchen. Das verübelte er ihr nicht, denn schließlich tat sie nur, was ihr Vater ihr aufgetragen hatte; und so ganz nebenbei war sie ein wirklich entzückendes Mädchen, das ihn ein bisschen an Martha in ihrem Alter erinnerte, auch wenn Saree ungleich quirliger und auch ein bisschen vorlauter war.

Und es brauchte kaum mehr kriminalistisches Geschick, bis Arthur sie so weit hatte, dass im Grunde er sie aushorchte statt umgekehrt.

Saree erzählte von ihrem Leben, ihren Geschwistern und den Streichen, die sie sich manchmal gegenseitig spielten, von ihren Pflichten im Haus und dem Leben in der Stadt im Allgemeinen, aber nach und nach erfuhr er auch mehr über das, was sich in der Welt des Schwarzen Turms zugetragen hatte, nachdem Martha und er dem Greif entkommen waren.

Im Prinzip blieb es bei dem, was er schon erfahren hatte, nur dass sich die Geschichte wohl deutlich dramatischer und nicht annähernd so heldenmütig und heroisch abgespielt hatte, wie sie sie erzählte. Zweifellos hatte sie sie von ihren Eltern gehört und diese wiederum von ihren, und wie es schon immer der Fall war, schrieben die Sieger die Geschichte, nicht die Besiegten.

Oder die Opfer. Der tapfere Freiheitskampf der Menschen hier mochte von einem gewissen Erfolg gekrönt sein, aber dieser Erfolg war mit Blut bezahlt, mit Blut und einem Meer von Tränen. Mehr als ein halbes Jahrhundert Krieg, der am Ende eine ganze Welt erfasst hatte, bedeutete unzählige Tote, unzählige zerstörte Familien und niedergebrannte Dörfer und Städte, und obwohl er sich bemühte, seine wahren Gefühle zu verbergen, fiel es ihm zunehmend schwerer, Sarees Berichten von großen Schlachten und heroischen Siegen mit der gebührenden Begeisterung zu folgen, denn bei allem wurde ihm doch immer schmerzlicher bewusst, dass er all dieses Leid und all dieses Blutvergießen und Morden mit verursacht hatte.

Aber wie hätte er wissen können, dass Martha und er einen entsetzlichen Krieg vom Zaun brechen würden, als sie sich dem Greif entgegenstellten?

Und auch das war etwas, was er zwar gewusst, aber niemals in seiner ganzen Tragweite begriffen hatte: Etwas Schlimmes nicht mit bösen Hintergedanken, sondern in bester Absicht getan zu haben, änderte nichts daran, dass man sich schuldig fühlte.

Es war am Nachmittag des fünften Tages seiner Gefangenschaft, als Saree außer der Reihe und ohne ein Tablett zu ihm kam und der Wächter die Tür nicht hinter ihr schloss, sondern lediglich davor stehen blieb.

»Ist irgendetwas nicht in Ordnung?«, fragte er leise alarmiert.

»Du.« Saree amüsierte sich ganz unverhohlen über das anscheinend deutlich sichtbare Erschrecken in seinen Augen und gab dann dem Posten draußen auf dem Gang einen Wink. Der Mann kam herein, knallte einen Eimer mit Wasser so heftig vor Arthurs Füßen auf den Boden, dass es bis zu seinen Knien hochspritzte, und warf ein Bündel eng zusammengelegter Kleider auf sein Strohbett, bevor er die Zelle ebenso wortlos wieder verließ.

»Du hast Besuch, Arthur Zimmermann der Soundsovielte«, fuhr Saree fort. »Und es geziemt sich nicht, hohem Besuch ungewaschen und übel riechend entgegenzutreten. Also wasch dich und zieh dich um. Ich warte so lange draußen auf dem Gang. Wenn du noch irgendetwas Besonderes brauchst, sag Bescheid …«

Arthur bedachte sie mit einem Blick, der sie dazu brachte, die Zelle hastig zu verlassen und die Tür hinter sich zu schließen, und begann seine Kleider abzulegen. Nach fünf Tagen Gefangenschaft in diesem winzigen Kellerverlies roch er tatsächlich ein wenig streng – um es charmant auszudrücken – und auch seine Kleider hatten eine Wäsche mehr als nötig. Trotzdem wusch er sich mit mechanischen Bewegungen und spürte nicht einmal wirklich, wie eisig das Wasser war, obwohl es ihn zugleich mit den Zähnen klappern ließ. Wer sollte ihn besuchen? Saree hatte von »hohem Besuch« geredet, und obwohl sie zu spöttischen Bemerkungen neigte, hatte ihrer Stimme doch der dazu passende Ton gefehlt.

Rasch schlüpfte er in die bereitgelegten Kleider und schlug mit der flachen Hand gegen die Tür, die bereits schwungvoll aufgerissen wurde, noch bevor er ein zweites Mal ausholen konnte. Der Wächter erwartete ihn, stumm und finsteren Blickes wie immer, während Saree ihn von unten herauf anerkennend musterte. »Du siehst ja schon fast wieder wie ein normaler Mensch aus.« Sie schnüffelte. »Und du riechst auch beinahe wie einer. Möchtest du dich noch von deinem alten Zuhause verabschieden?«

»Verabschieden?«

Saree wollte antworten, doch der Wachtposten schüttelte fast unmerklich den Kopf und schickte einen entsprechenden Blick hinterher, sodass sie es dabei beließ, sich auf dem Absatz umzudrehen und eine einladende Bewegung mit beiden Händen zu machen. Nach allem, was er von Saree erfahren hatte, hätte er es weitaus übler treffen können, aber er hoffte trotzdem inständig, Larrns »Gästezimmer« nie mehr wiederzusehen. Dennoch fragte er sich, ob es wirklich Zufall war, dass der Wächter nur einen halben Schritt hinter ihm ging und die ganze Zeit die Hand am Schwertgriff hatte.

Sie stiegen nach oben und durchquerten die große Halle, und als sie am Eingang vorbeikamen, erblickte er gleich eine ganze Anzahl gesattelter Pferde, die vor dem Haus angebunden waren, einige davon mit prachtvollen Satteldecken und Schabracken, und eines sogar in einem kunstvoll ziselierten Schuppenpanzer aus Metall. Allmählich wurde aus seiner Neugier schon wieder so etwas wie Sorge.

Arthur schüttelte das Gefühl ab und folgte Saree eine breite Treppe ins erste Stockwerk hinauf und durch einen langen Gang, an dessen Ende sich eine reich mit Schnitzereien verzierte, schwere Doppeltür befand, vor der gleich zwei bewaffnete Männer standen. Sie trugen Rüstungen, die aber keinerlei Ähnlichkeit mit der hatten, die Larrn bei ihrer ersten Begegnung angehabt hatte.

Durch die offen stehende Tür konnte er einen langen Tisch mit einer Anzahl hochlehniger Stühle erkennen, auf denen ein halbes Dutzend Männer saßen, die ihm allesamt den Rücken zukehrten. Er versuchte, Saree einen Hilfe erbittenden Blick zuzuwerfen, dem sie aber auswich, während sie einen halben Schritt vor der Tür stehen blieb.

»Ich warte hier«, sagte sie, immer noch, ohne ihn direkt anzusehen. »Keine Angst. So schlimm wird es schon nicht werden.«

»Das macht mir ja jetzt so richtig Mut«, murmelte er.

Der Mann hinter ihm versetzte Arthur einen sanften Stoß, der ihn mehr in das Zimmer hineinstolpern als gehen ließ. Direkt hinter ihm wurde die Tür wieder geschlossen.

Der Raum war so groß, dass er schon eher die Bezeichnung Saal verdiente, und der Tisch, an dem die Besucher saßen, glich einer Tafel. Fast die gesamte Rückwand wurde von einem gewaltigen Kamin eingenommen, und auf halber Strecke dorthin stand ein kleiner Tisch mit einem dreibeinigen Schemel, zu dem er mit mehr oder weniger sanfter Gewalt hinbugsiert wurde. Um den Wächter nicht zu provozieren, nahm er rasch freiwillig auf dem Schemel Platz und sah erst dann zu der Versammlung von sechs oder sieben fremden und zwei bekannten Gesichtern hin. Das eine bekannte gehörte dem Wirt Tobias, das andere Larrn, der ihn nicht einmal unfreundlich musterte, aber sehr angespannt. Die anderen Männer waren in den besten Jahren, mit ernsten Gesichtern und grauen Schläfen, und sie waren durchweg prachtvoll oder kriegerisch – oder beides – gekleidet. Ihre Blicke waren weitaus weniger freundlich als der Larrns.

Die einzige Ausnahme war ein uralter Mann ganz am linken Ende der Tafel, der sich schwer mit beiden Händen auf einen Stock stützte, obwohl er auf einem Stuhl saß, und zumindest so aussah, als wäre er den hundert Lebensjahren deutlich näher als den neunzig. Er trug saubere, ordentliche Kleider, die genauso neu wirkten wie die, die man Arthur gebracht hatte, und die zwar seiner Größe entsprachen, aber irgendwie nicht zu seiner übrigen Erscheinung passen wollten. Das einzig andere Auffällige an ihm war, dass er nicht das gleiche Amulett trug wie Larrn und alle übrigen Anwesenden – das, wie Arthur inzwischen von Saree erfahren hatte, den gemeinsamen Widerstand gegen den Greif symbolisierte.

»Guten Tag, Arthur«, begann Larrn. »Ich muss mich entschuldigen, dass ich mich die ganze Zeit nicht bei dir gemeldet habe. Aber ich hatte viel zu tun. Ich hoffe, es geht dir gut.«

»Ich bin gut behandelt worden«, antwortete Arthur und konnte an dem kurzen, betrübten Aufflackern in Larrns Augen ablesen, dass das nicht unbedingt die Antwort war, die er hatte hören wollen. Nach kaum einer Sekunde hatte sein Gastgeber jedoch seine Fassung zurückerlangt und zwang sich zu einem Lächeln.

»Diese Herren«, setzte er neu an und rasselte eine Anzahl Namen herunter, die sich Arthur nicht einmal hätte merken können, wenn er gewollt hätte, »sind die Vorsteher der fünf größten an Martens Hof angeschlossenen Ortschaften. Sie sind hier, um mit dir zu sprechen. Du kannst dir denken, worüber?«

»Über die Entscheidung, ob ihr mich aufhängen, verbrennen oder steinigen wollt?«, fragte Arthur. Die Worte taten ihm schon leid, bevor er sie ganz ausgesprochen hatte und die Reaktionen auf den strengen Gesichtern erkannte; aber Larrn hatte sichtbare Mühe, ein Grinsen zu unterdrücken.

»Ja, du hast ganz zweifellos zu lange mit meiner Tochter geredet. Wir haben schon lange keinen Hochstapler mehr hingerichtet. Vielleicht während der schlimmsten Kampfhandlungen, das will ich nicht ausschließen, aber solange ich mich zurückerinnern kann, nicht mehr.«

»Dann kann mir auch nichts passieren«, antwortete Arthur. »Schließlich bin ich kein Hochstapler.«

»Du behauptest also weiterhin, der echte Arthur zu sein?«, fragte der Mann zur Linken Larrns, ein grauhaariger Hüne in voller Rüstung, der Helm und Schwert demonstrativ vor sich auf den Tisch gelegt hatte. Sein nicht wirklich zu Arthurs Vorstellung von Martens Hof passender Anblick erinnerte ihn auf fast schon abstruse Weise so sehr an einen mittelalterlichen Ritter, dass er beschloss, ihn für sich auch so zu nennen.

»Wenigstens der einzige Arthur, den ich kenne«, erwiderte er.

Larrn warf ihm einen verstohlen-warnenden Blick zu. »Vielleicht können wir das Ganze ja abkürzen.« Er wandte sich mit einer entsprechenden Geste an den alten Mann am Ende der Tafel. »Owald, was sagst du? Ist er es?«

Der Greis beugte sich vor, wobei er sich auf seinen Stock stützen musste, damit er nicht vom Stuhl rutschte und mit dem Gesicht auf die Tischplatte schlug. Er blinzelte angestrengt, aber so trüb, wie seine vom grauen Star gewordenen Augen waren, bezweifelte Arthur, dass er ihn erkannt hätte, selbst wenn er unmittelbar vor ihm gestanden hätte. Dafür maß Arthur ihn umso aufmerksamer, aber in dem von Falten und Runzeln zerfurchten altersfleckigen Gesicht war so rein gar nichts Vertrautes. Und wie auch?

»Ich bin nicht sicher«, antwortete Owald schließlich. »Die Stimme kommt mir bekannt vor, aber es ist lange her.«

»Beinahe achtzig Jahre«, bestätigte Larrn.

»Ich finde, dafür hat er sich gut gehalten«, fügte der Ritter spöttisch hinzu.

»Das ist nicht sehr hilfreich, Ser Aldred«, maßregelte Larrn den hochgerüsteten Hünen, um sich dann in fragendem Ton Arthur zuzuwenden: »Und du? Erkennst du diesen Mann? Das solltest du. Er war hier, als dies noch ein einfaches Gehöft war. Er hat Arthur getroffen, ebenso wie seine Begleiterin.«

»Martha«, sagte der Alte. »Sie war Martens Tochter.«

Arthur sah noch einmal genauer hin, und ganz kurz meinte er nun doch etwas Vertrautes zu gewahren. Ja, es … konnte sein, dass er ihn einst bei den Borks auf dem Hof gesehen hatte, und an den Namen Owald meinte er sich jetzt als den eines damals noch sehr jungen Knechts zu erinnern. Eindeutig erkannt hätte er ihn aber auf keinen Fall. Wie hätte es nach all der langen Zeit auch möglich sein können?

Tobias beugte sich ein Stück vor und musterte Arthur, als sähe er ihn zum ersten Mal. »Die Alten erzählen sich, dass Arthur Zimmermann eines Tages wieder auftauchen wird, und das nicht als uralter Mann, sondern als jemand …«

»… der unser aller Zeit verschwendet«, schnitt Ser Aldred dem Wirt das Wort ab. »Der Bursche ist ein Hochstapler, so wie alle anderen auch. Verpasst ihm ein paar anständige Stockhiebe und jagt ihn aus der Stadt.«

»Vermutlich«, räumte Larrn ein. »Aber wir müssen sichergehen. Ich habe ein … ein seltsames Gefühl bei ihm.«

»Ein Gefühl?«, höhnte Aldred.

»Ein Gefühl«, bestätigte Larrn ungerührt. »Saree hat lange mit ihm gesprochen. Sie vertraut ihm, und ich vertraue meiner Tochter. Sie ist eine gute Menschenkennerin. Es ist nicht leicht, sie zu belügen.«

Ser Aldred starrte Larrn fünf Sekunden lang aus aufgerissenen Augen an. »Nur, damit wir alle das richtig verstehen«, ächzte er schließlich. »Du hast uns hierhergerufen, weil deine Tochter ein gutes Gefühl bei diesem Betrüger hat?«

»Ich bin kein Betrüger!«, mischte sich Arthur ein. »Ich habe nie behauptet, etwas anderes zu sein als das, was ich bin.«

Der Hüne riss seinen Blick mit einiger Mühe von Larrn los, versicherte sich kurz der allgemeinen Aufmerksamkeit und fuhr dann an Arthur gewandt und in hämischem Tonfall fort: »Ja, wie konnte ich nur daran zweifeln! Arthur, der Retter, auf den die ganze Welt seit fast einem Jahrhundert wartet!« Er verbeugte sich in seinem Sessel so weit, dass seine Stirn fast die Tischplatte berührte. »Ich hoffe, Ihr könnt mir meine Unwissenheit verzeihen, Herr! Wie konnte ich auch nur einen Moment lang daran zweifeln, dass Ihr der seid, den uns die Seherin Ela als unseren Retter verheißen hat!«

Arthur verstand nichts mehr. Er wollte antworten, wusste aber nicht, was, und wandte sich mit einem fast flehenden Blick an Larrn, der ihn auf eine sonderbar traurige Weise erwiderte.

»Spott war noch nie der richtige Weg, um den Greif in seine Schranken zu verweisen«, grummelte Tobias, während Aldred aussah, als hätte er nicht übel Lust, Arthur im nächsten Moment beim Kragen zu packen und kräftig durchzuschütteln. »Wenn auch nur der Hauch einer Chance besteht, dass dieser Mann der ist, auf den wir hoffen, sollten wir das in aller Ruhe prüfen«, fuhr der Wirt fort.

Larrn legte seinen Arm auf den Aldreds. »Es ist unser aller Entscheidung. Ist er wirklich nur ein Betrüger, dann soll er bestraft werden. Stellt sich nach eingehender Prüfung aber heraus, dass er der ist, auf den wir warten …«

»Warum sollte jemand auf mich warten?«, fragte Arthur hilflos. »Ich wollte nicht hierher zurück. Martha und ich waren glücklich dort, wo wir waren.«

»Dann nenn uns auf der Stelle den Grund, der dich nach Martens Hof geführt hat«, verlangte Aldred.

»Martha«, erwiderte Arthur, weiter an Aldred und den neben ihm sitzenden Larrn gewandt. »Der Man-Iht hat uns aufgespürt. Er hat uns angegriffen und Martha entführt, und ich …« Er sprach nicht weiter, als ihm auffiel, wie absolut still es mit einem Male geworden war und wie erschrocken ihn alle anstarrten.

»Was hast du gesagt?«, erkundigte sich der Hüne schließlich. Etwas … änderte sich in seinem Blick. Arthur war nicht sicher, ob es ihm gefiel.

»Schon seit vielen Jahren wurde kein Man-Iht mehr gesehen«, fügte Larrn hinzu. »Manche bezweifeln sogar, dass es sie je gegeben hat.«

»Ich kann dir versichern, dass es mindestens einen gibt«, schnaubte Arthur. »Hamann. Der Kerl ist meine Nemesis. Mit ihm hat alles angefangen. Ich dachte, er hätte unsere Spur verloren, aber dann ist er plötzlich aufgetaucht. Er hat Martha entführt, und ich bin ihm gefolgt.«

»Einfach so?«, vergewisserte sich Ser Aldred. Er klang noch immer aggressiv und abfällig, und dennoch wirkte er zugleich erschüttert.

»Ganz so einfach war es dann doch wieder nicht«, gestand Arthur. »Aber schließlich wurde meine Frau entführt.«

Er versuchte, so sachlich und ruhig zu berichten, was an jenem schrecklichen Abend geschehen war, wie er es gerade noch konnte. Und das war nicht sehr ruhig. »Ich will nichts von euch«, schloss er. »Lasst mich einfach gehen, damit ich Martha suchen kann. Vielleicht gebt ihr mir ein Pferd und eine Waffe, aber wenn nicht, dann versuche ich es eben so.«

»Du allein?«, vergewisserte sich der Hüne. »Du allein gegen einen Man-Iht? Gegen eine Armee aus Gehörnten und Geflügelten und tausend anderen Ungeheuern? Und gegen den Greif?« Er versuchte zu lachen, aber es verunglückte. »Sind da, wo du herkommst, alle so größenwahnsinnig?«

Arthur ignorierte die letzte Frage, schon, weil er nicht sicher war, wie lange er sich noch beherrschen konnte, nicht aufzuspringen, über den Tisch zu flanken und diesem aufgeblasenen Dummkopf zu zeigen, dass auch seine Geduld Grenzen hatte. »Ich allein«, bestätigte er stattdessen. »Ich habe es schon einmal getan.« Das klang nicht nur ein bisschen angeberisch, das war es. Aber er brodelte mittlerweile innerlich nur so vor Zorn und Hilflosigkeit.

Aldred setzte denn auch zu einer entsprechenden Antwort an, doch dann riss er stattdessen plötzlich ungläubig die Augen auf und sog so scharf die Luft ein, dass es fast wie ein kleiner Schrei klang, und auch auf den Gesichtern der anderen breitete sich eine Mischung aus Unglauben und jähem Erschrecken aus. In der allerersten Sekunde dachte Arthur noch, dass alle ihn anstarrten, doch dann wurde ihm klar, dass ihre Aufmerksamkeit wohl eher etwas hinter ihm galt, und er drehte mit klopfendem Herzen den Kopf und sah über die Schulter zurück.

Wo gerade noch der große Kamin gewesen war, befand sich jetzt eine Tür, die nicht wirklich seine Stelle eingenommen hatte, sich aber irgendwie den Platz in der Wirklichkeit mit ihm teilte. Mit einem leisen Knarren schwang sie nach außen, und eine schlanke Gestalt trat in den Saal. Hinter ihr verschwand die Tür so lautlos, wie sie aufgetaucht war, und der große Kamin eroberte seinen Platz in der Realität zurück.

Aber das registrierte Arthur kaum. Nicht minder fassungslos als alle anderen starrte er den hochgewachsenen dunkelhaarigen Jungen an, der sich einen Moment lang verwirrt umsah, die martialische Versammlung auf der anderen Seite des Tisches stirnrunzelnd einen nach dem anderen musterte und dann direkt auf ihn zukam. Sein Gesicht hellte sich auf.

»Du hast doch nicht wirklich geglaubt, dass du mich einfach so zurücklassen kannst, Vater?«, fragte er.