9 RISING POWER

Fünf Sterne über dem fünften Kontinent

Im Juli 1975 nahmen AC/DC in dem neuen Tonstudio im Stammhaus des Albert-Verlags in der Sydneyer King Street ihre zweite Schallplatte auf. Bon schrieb oft noch seine Texte, während der Rest der Band schon die Rhythmusspuren einspielte, wobei Angus, wie Augenzeugen glaub­haft versichern können, im Raum umhersprang, als spiele er vor Publikum. Meistens wurden ‒ und werden ‒ die Stücke von der Gruppe gemeinsam eingespielt und nur die Gitarrensolos und der Gesang nach­träglich hinzugemischt.

T.N.T., so der Name des neuen Werkes, war und ist ein verlässliches Zeugnis dafür, dass die Zeit in Melbourne die Band geformt hatte; es ist runder, schärfer und härter als sein Vorgänger. AC/DC hatten sich nun hörbar für eine Richtung entschieden, während High Voltage, um es positiv auszudrücken, noch recht vielseitig geartet gewesen war. Das Titelstück ist das einzige auf der Platte, das mit seinen Ecken und Kanten und seinem aggressiven Refrain etwas aus dem Rahmen fällt, „(She’s Got) The Jack“, eine ironische Warnung vor bestimmten Geschlechtskrankheiten und dichterische Meisterleistung von Bon, ist vom Blues beeinflusst, der Rest ist durch Rock’n’Roll-Riffs und melo­diöse Gitarrensolos gekennzeichneter, intelligent arrangierter Gerade­ausrock, dem Bons Geschrei mit dem enthusiastischen Tonfall in der Stimme die Krone aufsetzte. Besonders hervorzuheben sind hier nur noch die Dudelsackeinlage von Bon auf „It’s A Long Way To The Top (If You Wanna Rock’n’Roll)“ sowie die Neuaufnahme eines Chuck-Berry-Klassikers, „School Days“, und der ersten AC/DC-Single „Can I Sit Next To You Girl“; dafür wollte Bon jedoch Dave Evans’ Eingeständnis eines Misserfolgs bei einer Dame auf keinen Fall über­nehmen und änderte den Text zu seinen Gunsten ab. Die Platte blieb wegen der anhaltenden Verkäufe des Vorgängers zunächst unveröf­fentlicht.

Damals war es vor allem George, der die Riffs und Harmonien seiner Brüder zu ganzen Songs zusammenschmiedete. Angus gibt uns eine Beschreibung der Studioarbeit: „George nahm unser schlechtestes Stück und probierte es auf dem Klavier aus, mit Arrangements wie bei 10CC oder vielleicht sogar Mantovani. Wenn er fertig war und die Struktur stimmte, nahmen wir den Song und brachten unseren Straßenschmutz rein.“

Es war in jenem australischen Winter auf einem Konzert mit Stevie Wright im Victoria Park in Sydney, dass Bon den kleinen Angus vor einer begeisterten Zuschauermenge zum ersten Mal auf den Schultern über die Bühne trug. Da mochte wohl die Erinnerung an die Konzerte mit Geordie zwei Jahre zuvor in England im Spiel gewesen sein. Bon feierte den Erfolg auf seine Weise: Als Erinnerung an die Show ließ er sich eine neue Tätowierung stechen, den schottischen Wappenlöwen mit Distelzweig, umkränzt von dem Spruch „Scotland Forever“.

Im September fanden sich AC/DC in Melbourne ein, um den Vertrag mit Michael Browning zu erneuern und einige Termine wahrzuneh­men. Bei einem Gratiskonzert in einem Kaufhaus der Stadt brach ein Tumult los. Die Band wurde von einigen hundert kreischenden Schulmädchen quer durch das ganze Haus gejagt. Bei dem entstehenden Chaos soll es sogar zu Plünderungen gekommen sein.

In den schmutzigen Spelunken der Vororte ging es jedoch noch wilder zu. Als einige Zuschauer auf den liegend Gitarre spielenden Angus eintraten, kam es zu einer Schlägerei. Dabei trug Schlagzeuger Phil Rudd einen gebrochenen Daumen davon, so dass die Gruppe ihr ehemaliges Mitglied Colin Burgess um Aushilfe bitten musste. Mit dem schlugen sie sich in Perth durch die ersten Konzerte der folgenden Australientournee. Von da aus arbeiteten sie sich wieder nach Osten vor und machten schließlich noch einen kleinen Abstecher in den heißen Nordosten des Landes.

Am Neujahrstag 1976 gab es einen kleinen Aufruhr bei einem Kon­zert in Adelaide, nachdem man der Band den Strom abgedreht hatte. Bon rief die Zuschauer dazu auf, aus Protest die Bühne zu stürmen. Irgendwann tauchte er dann mitten im Gewühl mit einem Dudelsack unter dem Ellbogen auf, von einem Bühnenarbeiter auf den Schultern getragen.

Der Dudelsack gehörte damals zum festen Bestandteil der Konzerte von AC/DC, und er kam auch in dem Begleitvideo zur neuen Single „It’s A Long Way To The Top (If You Wanna Rock’n’Roll)“ zum Einsatz. Dort sah man die Band auf der Pritsche eines Tiefladers spielen, während sie durch die Straßen von Melbourne gefahren wurde. Dabei wurde ihnen von drei Dudelsackspielern in schottischer Tracht und unzähligen Fans das Geleit gegeben.

Als T.N.T. schließlich im Februar 1976, genau ein Jahr nach High Voltage, veröffentlicht wurde, waren AC/DC in Australien ebenso be­liebt wie die Stars aus England und Amerika. Die neue Platte ging gleich in der ersten Woche 11.000-mal über die Ladentische, was für australi­sche Verhältnisse ein beträchtlicher Verkaufserfolg ist. Beide LPs ka­men an die Spitze der australischen Hitliste und wurden mit Silber, Gold und Platin veredelt. So begann sich das pausenlose Touren der vergan­genen zwei Jahre auszuzahlen.

Aber während sie zu Hause einen kometenhaften Aufstieg verzeich­nen konnten, der sogar ihre eigenen Erwartungen übertraf, hatten sie sich in der übrigen Welt, wo bisher noch keine ihrer Aufnahmen er­schienen war, noch nicht bemerkbar machen können. Durch den Er­folg in der Heimat wurde ihr Wunsch nach weltweiter Anerkennung nur noch weiter genährt. Dazu bedurfte es der Unterstützung einer einflussreichen Plattenfirma, die das Produkt AC/DC wirkungsvoll ver­markten konnte.

Diese Unterstützung kam schließlich von dem amerikanischen Un­ternehmen Atlantic Records, das sich schon Ende der Sechziger erfolg­reich einiger Hardrock-Gruppen angenommen hatte, darunter Cream und auch amerikanische Bands wie Iran Butterfly und Vanilla Fudge. Das Flaggschiff von Atlantic aber war Led Zeppelin. Der Erfolg von AC/DC in ihrem Heimatland beeindruckte die Londoner Vertreter der Plattenfirma derart, dass sie die Band sofort unter Vertrag nahmen, der sich aber nicht auf Australien erstreckte und die Verträge mit Alberts in Sydney unberührt ließ.

Da nun eine Tournee durch Großbritannien (mit möglichem Abste­cher nach Amerika) bevorstand und es abzusehen war, dass umfangrei­che Verpflichtungen die Band gefangennehmen würden, beschloss man im Januar 1976, sofort ins Tonstudio zu gehen, um dort Material für eine spätere Veröffentlichung zu erarbeiten und aufzunehmen. So geschah es, dass in den Albert-Studios, während T.N.T. gerade in die Platten­läden kam, in aller Eile schon die nächste Platte, Dirty Deeds Done Dirt Cheap, aufgenommen wurde.

Im März war es auf dem Abschiedskonzert im Lifesaver in Sydney, dass Angus zum ersten Mal vor vollem Hause einen Striptease präsen­tierte, auf dessen Höhepunkt er dem Publikum nicht das versprochene Körperteil, sondern seinen blanken Hintern entgegenstreckte. Diese Einlage ist bis heute fester Bestandteil der Bühnenshow von AC/DC.

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Bon uberlässt Angus für ein Gitarrensolo das Feld