11 BREAKING THE RULES

Perlen vor die Säue

AC/DC kehrten Ende November nach achtmonatiger Abwesenheit nach Australien zurück. Bis Ende des Jahres war sowohl in Australien wie auch mit einer kleinen Verzögerung in Europa in leicht verschiedenen Fassungen Dirty Deeds Done Dirt Cheap erschienen. Die Idee zu dem Titel kam von Angus, wie er sich erinnert: „Ich hatte den Spruch aus dem Comic Beany und Cecil. Da gab es so einen Typen, Ganoven­johnny, der hatte eine Visitenkarte, auf der stand: Aufträge jeglicher Art ‒ schnell, billig und hart. Sondertarife; auch sonn- und feiertags.‘“ Und so wirbt auch das Titelstück der Platte für eine recht skrupellose Agen­tur, die nicht viele Fragen stellt, sondern sich unverzüglich und, so der einprägsame Kehrreim, zu einem Spottpreis um pädophil veranlagte Schulleiter oder alleingelassene junge Damen kümmert. In „Big Balls“ gibt Bon sich als geschätzter Gastgeber von exquisiten Gesellschafts­abenden, wobei man den Text jedoch auch anders verstehen kann. Auch „Ain’t No Fun (Waiting ’Round To Be A Millionaire)“ glänzt durch überlegenen Wortwitz. „Problem Child“, das über Jahre hinweg ein fester Bestandteil der Konzerte bleiben sollte, handelt Aussagen der Band zufolge von Angus, jedoch behauptete Fraser Young, der Neffe von Malcolm und Angus und zeitweise Tontechniker bei AC/DC, später in einem Interview mit der französischen Fanzeitschrift Let There Be Light, Bon habe das Stück ihm gewidmet. „Jailbreak“, das nur auf der australischen Fassung der Platte erschien, mag wohl auch auf Bons persönliche Erfahrung des Eingesperrtseins zurückgehen, es ist aber vor allem ein allgemeiner Schrei nach Freiheit.

Insgesamt ist deutlich zu hören, dass man bei den Aufnahmen im vorangegangenen Februar mit größter Eile vorgegangen war. Die Ar­rangements sind recht einfallslos, und solistische Glanzleistungen von Angus ‒ wie auf den ersten beiden Platten ‒ sucht man vergeblich, aber Bons kehliger Gesang gibt dem Album seine Frische. Seine Stimme schmeckt nach verspritztem Blut in qualmigen australischen Billardstu­ben. Der an eine Stammtischrunde mahnende Hintergrundgesang er­zeugt raue Partyatmosphäre, in die die etwas verstaubt und muffig klingenden Instrumente als Schmuddelelement hervorragend hinein­passen. Die Texte sind frech, aber überall mit einem selbstironischen Augenzwinkern versehen und wirken nie anstößig. Dirty Deeds Done Dirt Cheap spielt man am besten in Gesellschaft als stimmungssteigern­des Mittel, wenn es auf einzelne Töne nicht so ankommt.

Der Beginn der Australientournee, die man A Giant Dose Of Rock’n’Roll betitelt hatte, verlief noch äußerst zufriedenstellend, wobei vor allem das Konzert vom 5. Dezember im Myer Music Bowl in Mel­bourne hervorzuheben ist, das der Gruppe einen glänzenden Empfang als siegreiche Heimkehrer aus der Fremde bescherte. Doch es sollte nicht mehr lange dauern, bis sich der Band unerwartete Hindernisse in den Weg stellten.

In Albury wurde der Verkauf des Tournee-Programms verboten, weil Bon darin mit einer obszönen Bemerkung zitiert wurde. Doch das war erst der Anfang. AC/DC sollten von da an im gesamten Lande mit den zahlreichen selbsternannten Tugendwächtern heftig zu kämpfen ha­ben. In Canberra und Wollongong drohte die Polizei, der Band den Strom abzudrehen, falls Angus sich auf der Bühne ausziehen würde. Im Tamworth war es der Bürgermeister, der durch sein persönliches Ein­greifen das Konzert verhinderte. Auch der Radiosender 2SM, der die Gruppe anfänglich unterstützt hatte, gab bekannt, so lange keine Auf­nahmen von AC/DC mehr zu spielen, wie Angus Young sich auf unsitt­liche Weise zur Schau stellen würde. Bon sagte dazu nur grinsend: „Es stimmt, meistens sieht man in den Zeitungen seinen Hintern, und nicht sein Gesicht ‒ welches ich eigentlich vorziehe.“

Berichte, dass australische Mädchen sich in Nacheiferung ihrer Idole angeblich scharenweise tätowieren ließen, schadeten der Gruppe eben­so wie die Geschichte von der Witwe, die neuerdings pausenlos obszö­ne Anrufe bekam ‒ ihre Telefonnummer war dieselbe wie die der Auftragsagentur in „Dirty Deeds Done Dirt Cheap“. Der Fall AC/DC gelangte sogar bis ins australische Palament, wo sich ein Abgeordneter erhob, um seine Sorge um die Jugend des Landes zu bekunden, deren Moral durch die Gruppe ernsthaft bedroht sei.

Die Band, die an einigen Spielorten Bürgschaften hinterlegen muss­te, hatte schon einiges an Unmut aufgestaut, als sie die Nachricht erreichte, dass nun auch die Stadtväter von Warmambool drauf und dran waren, den dortigen Termin platzen zu lassen. Das brachte das Fass endgültig zum Überlaufen. Ein Zeitungsartikel berichtete unter der Überschrift „Rockgruppe will das Land verlassen“: „AC/DC, die unzüch­tigste Rockgruppe Australiens, hat damit gedroht, das Land wegen der angeblichen ,Hexenjagd‘ auf sie zu verlassen und sich in England eine neue Heimat zu suchen.“ Angus wurde folgendermaßen zitiert: „Was bringt es, wenn wir einmal quer durchs ganze Land fahren, und dann hat irgendeiner unser Konzert abgesagt, weil er uns obszön findet? Wenn die Behörden uns jetzt noch weiter Ärger machen, verlassen wir Australien.“

Doch diese Darstellung enthielt auch eine gewisse Unaufrichtigkeit, war doch der endgültige Abschied von Australien schon lange so gut wie beschlossen. Die Band hatte in Europa erste größere Erfolge feiern können, und es stand außer Frage, dass sie nur von dort aus ihre Welteroberungspläne weiterverfolgen würde können. Die Organisa­tion der Musikindustrie war in England viel besser als auf dem rückstän­digen Fünften Kontinent. Außerdem war die Giant-Dose-Of-Rock’n’Roll-Tournee schlecht besucht. Das lag vor allem daran, dass ein großer Teil der begeisterten Anhängerschaft von 1975 unreife Mädchcn gewesen waren, die in den acht Monaten der Abwesenheit der Band offensicht­lich das Interesse verloren hatten. Die fünf hatten jedoch immer noch das Image einer Teenie-Gruppe und konnten deshalb nur mühsam neue, ältere Anhängerschichten gewinnen. A Giant Dose Of Rock’n’Roll sollte die letzte AC/DC-Tournee durch Australien bis 1981 sein – leider zu spät für Bon.

High Voltage war im Oktober 1976 in Amerika erschienen und hatte dort, ähnlich wie in Europa, ein geteiltes Echo hervorgerufen. Im Billboard war zu lesen, dass die Gruppe „eine Kreuzung aus Led Zeppelin und der Sensational Alex Harvey Band“ sei. „Der Sänger hat eine unver­wechselbare Stimme, und die Gitarren stehen von vorne bis hinten im Mittelpunkt“. Der Rolling Stone hatte jedoch für die Wortmeldung von fünf ehrgeizigen Nachwuchsmusikern nichts als Verachtung übrig: „Al­len, denen es um die Zukunft des Hardrock zu tun ist, sei hiermit gesagt, dass dieses Genre mit der Veröffentlichung der ersten LP dieser australischen Rotznasen den absoluten Tiefpunkt erreicht hat. Sänger Bon Scott spuckt die Wörter auf eine aggressive Art und Weise aus, die einem wirklich auf die Nerven geht, aber wie soll man es sonst anstel­len, wenn man um jeden Preis ein Star werden will, so dass man jede Nacht eine Nummer schieben kann? Dummheit befremdet, berechnen­de Dummheit beleidigt!“

Obwohl der Absatz von High Voltage in Europa vielversprechend gewesen war und die Band dort kurz davor war, auch kommerziell den Durchbruch zu schaffen, verlief das Geschäft mit der Platte in Amerika nur schleppend, was darauf zurückzuführen war, dass es nicht möglich gewesen war, auf dem Rückweg von England dort für ein paar Kon­zerte haltzumachen ‒ Bon hatte wegen seines Vorstrafenregisters kein Visum erhalten. So waren AC/DC in Amerika Anfang 1977 immer noch ein unbeschriebenes Blatt.

Nach dem Misserfolg von High Voltage wollte Atlantic Records die Gruppe für den amerikanischen Markt schon abschreiben. Die Veröf­fentlichung von Dirty Deeds Done Dirt Cheap wurde abgelehnt, was aber auch an der schlampigen Produktion der Platte lag. Die Platten­firma in Amerika dachte schon daran, AC/DC ganz fallenzulassen, aber der Hauptgeschäftsführer des britischen Unternehmenszweiges, Phil Carson, schaffte es schließlich, sie umzustimmen.