– Und es ward Rock
In der zweiten Januarhälfte des Jahres 1977 fanden AC/DC sich bei George Young und Harry Vanda in den Albert-Studios ein, um ihre nächste Platte aufzunehmen. Die beiden hatten inzwischen Flash And The Pan, ein weiteres ihrer vielen eigenen Studioprojekte, ins Leben gerufen; unter diesem Pseudonym veröffentlichen sie übrigens bis heute Schallplatten. Obwohl auch dieses Mal bei den Aufnahmen wegen einer bevorstehenden Europatournee Eile geboten war, sollte ein Werk daraus hervorgehen, das bis heute als eines der besten von AC/DC zu gelten hat und das die Musiker selbst als den Wendepunkt in ihrer musikalischen Entwicklung bezeichnen.
Let There Be Rock stützt sich nicht mehr nur auf die alten Rock’n’Roll-Riffs der vorangegangenen Platten; zum ersten Mal kann man davon sprechen, dass sich Malcolm und Angus mit ihren Rhythmen gegenseitig ergänzen, anstatt stur synchron zu spielen, und der Klang der beiden Gitarren ist angenehm verschieden wie nie zuvor und wie auch seither nicht mehr. „Whole Lotta Rosie“, vielleicht das bekannteste Stück der Platte, erzählt von einer von Bons zahlreichen Eroberungen, einem tasmanischen Mädchen mit den beeindruckenden Maßen 107-99-142 und einem Lebendgewicht von 120 Kilogramm. Die Geschichte beruht übrigens auf einer wahren Begebenheit. In „Crabsody In Blue“ trägt Bon auf urkomische Weise eine Ode an seine Filzläuse vor. Das Titelstück erzählt in Kurzfassung die Genesis der modernen Unterhaltungsmusik und setzt dabei Tschaikowski als Schöpfer ein. Die Musik von AC/DC hatte mit Let There Be Rock eine völlig neue Richtung bekommen; Europa hatte die Band reifen lassen.
Aus den Tagen, die die Gruppe im Studio verbrachte, ist eine nette Geschichte überliefert, wenn es auch vielleicht nicht mehr als eine solche ist: Als Angus gerade ein Gitarrensolo einspielte, fing sein Verstärker plötzlich an zu qualmen, doch während die anderen überraschte Gesichter machten, bedeutete ihm George durch heftige Gebärden weiterzuspielen, solange der Ton noch durchkomme. George sagte später dazu: „Wir unterbrechen doch keine knallheiße Aufnahme, nur weil irgendwelche Verstärker in die Luft fliegen.“
Nach ein paar Abschiedskonzerten in Sydney, Melbourne, Adelaide und Perth stand nun wieder Großbritannien auf dem Spielplan, bevor die Band im April im Vorprogramm von Black Sabbath das europäische Festland bereiste. Die einstigen Könige des Heavy Metal waren 1977 nur noch ein Schatten ihrer selbst, und AC/DC fegten ihre von Drogen geschwächten Arbeitgeber in regelmäßiger Weise glatt von der Bühne. Es sollte nicht lange dauern, bis daraus Spannungen zwischen den beiden Bands entstanden, die sich in einem Faustschlag in Geezer Butlers Gesicht entluden, nachdem dieser das Messer gegen Malcolm gezogen hatte. Dies war ein willkommener Anlaß für Black Sabbath, ihren Mitstreitern die Tür zu weisen. Doch blieb als Erfolg zu verbuchen, ein weiteres Mal als ungesetzter Sieger aus einer Tournee mit einer etablierten Band hervorgegangen zu sein.
Nach dem Erfolgsgeheimnis von AC/DC gefragt, hob Angus Folgendes hervor: „Uns war es immer egal, ob wir Haupt- oder Vorgruppe waren. Wenn wir auf den Bühne standen, war es unser Konzert, und welcher Name auf den Plakaten oben stand, war uns immer ziemlich gleichgültig. ‒ Wir stellen uns einfach hin und lassen es krachen. Wenn dein Verstärker in die Luft fliegt oder deine Gitarre den Geist aufgibt, dann schlag sie kaputt und schnapp dir eine neue! Das war schon immer unsere Einstellung.
„Wir wollen in unseren Konzerten nicht alles Note für Note von unseren Platten abspielen. Das wäre stinklangweilig für unser Publikum. Wir probieren immer neue Sachen aus, und so bekommen wir auch viele Ideen für unsere Lieder ‒ ganz spontan, während es auf der Bühne rundgeht.“ Bon merkte dazu an: „Wir gehören zum Publikum, denn wir sind zusammen mit den Leuten in einer Halle. Wir sind keine unantastbaren Ausstellungsstücke. Die Fans kriegen von uns, was sie wollen.“ – „Wenn ich auf meiner Gitarre mal danebengreife, ist das für mich, als ob ich die Fans betrügen würde“, beteuerte Angus. „Wir können nicht einfach rumsitzen und denken, die Welt würde uns etwas schulden, weil wir uns so lange abgerackert haben. Wir geben alles, bis zum Schluss. Zu uns kann keiner sagen, wir hätten uns nicht bemüht.“
Als Let There Be Rock im Mai 1977 in Amerika und im Oktober des Jahres in Europa in die Plattenläden kam, war der bis heute verwendete markante Schriftzug des Bandnamens aus gotisch anmutenden Buchstaben das Erste, was ins Auge sprang. Der aus der Bibel entlehnte Titel mag in Amerika gewisse Gruppen von Menschen in Alarmbereitschaft versetzt haben, die dann Jahre später zum großen Schlag gegen AC/DC ausholen sollten. Die Platte wurde jedoch sowohl von der Presse als auch von der Käuferschaft besser aufgenommen als ihre Vorgänger, obwohl natürlich weiterhin viele Kritiker bemängelten, dass AC/DC wohl eher Bannerträger der alten Garde der Rockmusik waren und kaum als die Vorhut eines neuen musikalischen Zeitalters gelten konnten.
Doch davon ließ sich die Band nicht beirren. Bon stellte in einem Interview klar: „Die Musikzeitschriften haben keine Ahnung davon, was die Leute wirklich hören wollen. Diese Jungs müssen die ganze Woche in einer Fabrik rackern, wenn sie nicht auf der Straße sitzen. Am Wochenende wollen sie weggehen, einen draufmachen und die Sau rauslassen. Das können sie bei uns.“
Der New Musical Express sah diesen Anspruch der Band erfüllt, wie eine Publikumsanalyse nach einem Konzert in der Stahlstadt Sheffield deutlich machte: „Das Publikum ist jung und hat mit der Hippiebewegung und Acid-Rock nichts mehr zu schaffen. Die Träume dieser Jugendlichen drehen sich um Sex & Drugs & Rock’n’Roll, und bei AC/DC können sie zwei Stunden lang in diesen Träumen schwelgen. Politik und Gesellschaft kümmern sie nicht, ihnen ist es darum zu tun, den Samstagabend so zu gestalten, dass für sie die nächste Woche einigermaßen erträglich wird. Und AC/DC liefern ihnen genau die richtige Musik dazu.“
Kurz nach der Veröffentlichung von Let There Be Rock in Amerika wurde bekannt, dass Bassist Mark Evans die Gruppe verlassen hatte. Er galt als der ruhigste und ausgeglichenste der fünf, und die von der Band ausgegebene Begründung ging dahin, Mark sei der Belastungen des Lebens als heimatloser Vagabund müde geworden und man habe sich in Freundschaft getrennt. Die Wahrheit scheint jedoch die zu sein, dass er von den Young-Brüdern zum Sündenbock für die erlittenen Rückschläge gemacht worden war. Dies hatte sich schon nach dem enttäuschenden Reading-Festival im vergangenen August angekündigt. Mark bekam für alle zukünftigen Ansprüche auf Tantiemen eine lächerliche Auslösesumme von 2000 Dollar, doch sollte er die Verzichtserklärung später widerrufen.
Beobachter werteten Marks Rausschmiss als weiteren Beweis für die Entschlossenheit der Young-Brüder, alles rücksichtslos beiseitezuräumen, was ihnen auf ihrem Welteroberungszug im Wege stand. Manchen Gerüchten zufolge waren Malcolm und Angus damals kurz davor, auch Bon zu entlassen. Atlantic Records in Amerika war durch Let There Be Rock endlich wach geworden und hatte die anfänglichen Vorurteile abgelegt, jedoch zweifelte die Plattenfirma an Bons Zuverlässigkeit und hielt außerdem seine Stimme für wenig geeignet, die amerikanischen Hörer zu überzeugen.
Es ist vielfach behauptet worden, Malcolm und Angus hätten ihren neuen Bassisten, der ihnen bis heute treu zur Seite steht, durch eine Anzeige in den britischen Musikzeitschriften geworben. Doch auch hier weicht die Legende von der Wahrheit ab. Cliff Williams, geboren am 14. Dezember 1949 in Romford nahe London, hatte die Stelle bei AC/ DC angeboten bekommen, nachdem Michael Browning einen Hinweis auf ihn von einem Freund erhalten hatte.
Es war Cliff, der Bon von nun an ein wenig Rückhalt geben sollte. Er war wie geschaffen dazu, in der Gruppe den Platz als Bons bester Kumpel einzunehmen. Schon vom Alter her passte er besser zu Bon als die anderen. Er war in Liverpool aufgewachsen, wo er Anfang der Siebziger, ebenso wie jener, in einer Country-Rock-Band gespielt hatte. Jetzt, mit 27, lebte er in recht geordneten Verhältnissen, las Bücher und spielte bis zu seinem Einstieg bei AC/DC in einer wenig bekannten Gruppe namens Bandit. Bons Alkoholkonsum hatte immer weiter zugenommen, da er keinen anderen Weg wusste, den harten Musikeralltag zu bewältigen, und er sich in der Gesellschaft von Malcolm, Angus, Phil und Mark nie richtig wohl gefühlt hatte. Oft suchte er nach den Konzerten mit Fans oder weiblichen Bewunderern das Weite. Von nun an gab es auch noch Cliff.