13 BIG BALLS

Der Griff nach den Sternen

Die nächste und wichtigste Station für AC/DC auf dem Weg an die Weltspitze hieß Amerika. Wenn die Band auf dem größten und einträg­lichsten Markt der Welt Halt finden wollte, würde sie sich den, wie schon in Australien und Europa, durch ausgedehntes Touren erarbeiten müssen. Auch jenseits des Atlantik würde ihnen nichts in den Schoß fallen. Trotz des ziemlich starken Albums Let There Be Rock konnte man sich nicht auf die Gunst der Radiosender, die fast ausschließlich eingän­gige Popmelodien spielten, verlassen.

Doch als Rock’n’Roller von echtem Schrot und Korn nahm man den bevorstehenden, mit großen Strapazen verbundenen Neuanfang jen­seits des Atlantik völlig gelassen. Bon sagte in einem Interview mit der Zeitschrift Circus: „Die Leute haben lange darauf gewartet, dass eine ehrliche Rock’n’Roll-Truppe kommt und ihnen ordentlich einheizt. Jetzt kommen sie aus ihren Löchern, um uns zu hören. Und das sind nicht die gleichen Leute, die zu James Taylor oder einer Punk-Band gehen würden.“ – „Wir können den Jugendlichen das geben, was sie wirklich wollen, und das ist Rock’n’Roll“, erklärte Angus. „Sie wollen in der Masse mit uns mitgehen, uns alles nachmachen, was wir auf der Bühne tun. Wenn die ganze Halle mitgeht, dann haben wir es geschafft. Vielen anderen Bands gelingt das nicht.“

Nachdem Cliff Williams, das neue Mitglied von AC/DC, im Juni wäh­rend eines zu diesem Zwecke eingelegten Australienaufenthalts eingear­beitet worden war, kam die Band Ende des Monats in Amerika an. Micha­el Browning hatte inzwischen ein Büro in New York bezogen, um von dort aus die Geschicke der Australier besser leiten zu können. Eine erste Klubtournee führte sie durch den tiefen Süden der USA, von Texas bis Florida. Diese Region hatte Gruppen wie ZZ Top und Black Oak Arkan­sas hervorgebracht, und wo sollten AC/DC einen Ansatzpunkt finden, wenn nicht hier? Der Höhepunkt dieses ersten Schwimmversuchs in unbekanntem Gewässer war ein Konzert in Jacksonville (Florida) im Vorprogramm von REO Speedwagon vor 8000 Zuschauern.

In den unbekannten Gewässern waren eben dieses Jacksonville und Columbus (Ohio) zwei Inseln, auf denen AC/DC mit ihren Platten schon gelandet waren. Die für das Musikprogramm zuständigen Mitar­beiter der dortigen Radiosender waren auf den Geschmack gekommen und beschallten die Hörer mit Musik aus High Voltage und Let There Be Rock. Jacksonville und Columbus waren die ersten beiden Hochburgen von AC/DC in Amerika. Das übrige Land wurde von den Medien in eine andere Richtung beeinflusst; die Diskowelle, die Amerika ein Jahr später überschwemmen sollte, war bereits im Heranrollen.

Das erste Gastspiel der Band in New York am 24. August begann mit einem Konzert im Vorprogramm der Dictators im Palladium und endete einige Stunden später mit einem Auftritt vor dem verständnislosen, auf seichte Popmusik eingestellten Publikum der Marbles (die natürlich heute längst vergessen sind). Ein Teil der Presse bestätigte den fünf Australiern ihre Überlegenheit beim Vergleich mit den Punkrockern im Palladium.

Von New York ging es an die Westküste, wo die Band zuerst im Norden bei ein paar großen Konzerten im Vorprogramm von Ted Nugent spielte und dann Anfang September einige Klubauftritte in Kalifornien bestritt, davon vier im Old Waldorf in San Francisco und einen im legendären Whisky A-Go-Go.

Als zusätzliches Showelement trug Angus im Sommer 1977 einen Schulranzen auf dem Rücken, aus dem Rauchwolken aufstiegen, während er wie von der Tarantel gestochen von einem Bühnenende zum anderen rannte und tobte, als hätte man ihm drei Stunden Nachsitzen aufgebrummt. Eine technische Neuerung, die Angus aus dem Abend im New Yorker Palladium mitbrachte, war ein Gitarrenzubehör zur draht­losen Übertragung der Signale an die Verstärkeranlage. Während Angus bis dahin durch sein Kabel in seiner Bewegungsfreiheit doch recht einge­schränkt gewesen war, konnte er nun den Bühnenraum, und bei einem gelegentlichen Bad in der Menge auch den Zuschauerraum, unbegrenzt für seine Show nutzen. Angus erklärt: „Das Kabel wickelte sich immer um die Mikrofonständer, und um das wieder in Ordnung zu bringen, war jedesmal ein Großeinsatz unserer Roadies nötig.“

Nach sechs Wochen in Europa in den Monaten September und Oktober kamen AC/DC Anfang November für weitere sechs Wochen nach Amerika zurück, um zunächst wieder im Süden mit Vorgruppen wie UFO oder den Motors durch die Klubs zu tingeln, und dann selbst für Kiss oder Rush Konzerte in großen Stadien zu eröffnen. Angus berichtet von den Schwierigkeiten, die sie hatten, von den Größen des Showbusiness überhaupt ernst genommen zu werden: „Kiss hatten die Medien hinter sich, hatten eine riesige Bühnenshow und alles, was sonst noch dazugehört. Wir waren fünf Zigeuner, die in einem alten Kombiwagen tourten. Oft wollten sie uns gar nicht erst in die Halle lassen, weil wir nicht mit einer Limousine vorfuhren.“

Anfang Dezember fand in den Atlantic-Studios in New York ein Konzert statt, das vom Rundfunk übertragen wurde und von dem ein Mitschnitt auf Schallplatte gepresst und zu Werbezwecken an die Radio­sender des Landes verschickt wurde. In der Woche darauf durften AC/ DC sich an drei aufeinanderfolgenden Tagen im Rahmen der Kiss-Tournee im Madison Square Garden präsentieren.

Durch die Anstrengungen der vergangenen Monate hatte die Band es geschafft, Let There Be Rock in die amerikanische Hitliste zu bringen, wenn auch nur an deren unteres Ende. Auch aus Großbritannien wur­den Verkaufserfolge vermeldet, so dass man nun, für 1977 mit dem Erreichten zufrieden, nach Australien heimkehren konnte. Unterwegs wurde für einen Abend im Londoner Hammersmith Odeon haltge­macht. Daraus sollte sich die Tradition eines alljährlichen Weihnachts­konzertes in der berühmten Halle entwickeln. Nach Weihnachten und dem Jahreswechsel wollte man wieder eine neue Platte aufnehmen und eine Heimattournee machen.

Die zuversichtliche Stimmung verflog jedoch sehr rasch, als sich der Gruppe das australische Einwanderungsgesetz in den Weg stellte. Die Behörden weigerten sich, dem englischen Bassisten und den vielen Bri­ten unter den Bühnenarbeitern Visa auszustellen. Angus machte seinem Ärger in einem Interview mit RAM folgendermaßen Luft: „Wir dachten eigentlich immer, wir seien eine australische Band, aber wir sind uns da gar nicht mehr so sicher. Diese Scheißkerle wollen uns hier nicht mehr spielen lassen, nicht einmal das!“ Damit wurde die zunehmende Ent­fremdung der Band von ihrem Ursprungsland weiter vorangetrieben.

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Ein echter Rock’n’Roller verdient sein Brot wie in den alten Tagen durch schweißtreibende Arbeit