14 ROCK’N’ROLL DAMNATION

Ohne Fleiß kein Preis

Im Januar 1978 bezogen AC/DC wieder die Albert-Studios, um ihre nächste Platte aufzunehmen, von der, wie sie wussten, viel abhängen konnte. Sie waren von den Behörden um den Triumph einer siegrei­chen Heimkehrtournee gebracht worden, aber wichtiger als Australien war ihnen, in Europa und vor allem in Amerika den endgültigen Durch­bruch zu schaffen. Das war nicht ohne eine Platte möglich, die das Zeug dazu hatte, die Hitparaden zu erobern. AC/DC hatten durch ihren Erfolg in Übersee weiter Auftrieb erhalten, was die Studioarbeit positiv beein­flusste ‒ das neue Werk enttäuschte die Erwartungen nicht.

Insgesamt klang Powerage ruhiger als sein Vorgänger, die Wurzeln der Musik im Blues waren fast durchweg erkennbar. Dennoch hatten sich AC/DC nicht zurückentwickelt, wie manche Kritiker ihnen vorwar­fen; die Kompositionen waren erstklassig. Eine Neuerung in der Ar­beitsweise bei den Aufnahmen war, dass Angus bei sechs der zehn Stücke seine sämtlichen Gitarrenparts gleich auf seine Rhythmusspur einspielte, dass man also seine Solos nicht nachträglich hinzumischte. Zum ersten Mal hörten die Leute AC/DC in ihren Wohnzimmern „in gleicher Besetzung“ spielen wie in der Konzerthalle: zwei Gitarren, Bass, Schlagzeug, Gesang, sonst nichts. Bei diesen Stücken wurden, wie Angus berichtete, keinerlei Overdubs gespielt, so dass man mit Teilen von der Powerage tatsächlich Livemusik im Studio zu hören bekommt.

Dies gab der Platte das Mehr an Biss, das auch schon die Verpackung versprach. Das Bild auf der Hülle zeigte Angus, aus dessen Ärmeln je ein dicker Strang von Kabeln herausführte, mit einem Gesichtsausdruck, wie man ihn sonst nur aus Horrorkomödien kennt. Die Lichterscheinungen um seinen schmächtigen Körper erstickten jeden weiteren Zweifel im Keim: Der gute Angus war für das Foto unter Strom gesetzt worden.

Vor der erneuten Abreise nach Europa im April traten AC/DC an zwei Abenden im Lifesaver, ihrem alten Stammklub in Sydney, auf. Man hatte sie als „The Seedies“ angekündigt, doch ihre heimische Anhänger­schaft, nunmehr vornehmlich männlich und etwas älteren Jahrgangs als zwei Jahre zuvor, hatte den Hinweis verstanden ‒ die Band hatte zu Hause den gutgemeinten Beinamen „Der Schlamperhaufen“ erhalten ‒ und war in Scharen gekommen.

Da man den Verkauf von Let ThereBe Rock nicht mit einer Tournee hatte unterstützen können, hatte die Platte in Australien keinen großen Eindruck hinterlassen, aber die Band stand in jener Zeit bei den Musik­kennern des Landes nicht zuletzt deshalb in gutem Ansehen, weil in ihrer Nachfolge eine Kneipenrockbewegung mit Sydney als Zentrum eingesetzt hatte, die dabei war, die Musikszene von Australien völlig umzukrempeln. Führend in der erstarkten Klubszene waren Hardrock-Gruppen wie Rose Tattoo oder Angel City.

Ende April begann die nächste Konzertsaison für AC/DC, die, nun erstmalig auch unter Einsatz von so gewinnträchtigen Nebenzweigen wie Souvenirverkauf, im großen Stil als „Powerage-Welttournee“ ver­marktet wurde. Die Musik selbst wurde mit einer neuen, größeren Verstärkeranlage ebenfalls in ansprechenderer Form unters Volk ge­bracht. Nicht zuletzt hatte Angus auch seine ganz persönliche Ausrü­stung aufgestockt, indem er sich eine Reihe strahlend weißer Zähne hatte einsetzen lassen, mit denen er nun, wenn er das Gesicht zu seinem bösartigen Katzengrinsen verzog, das Publikum das Fürchten lehren konnte.

Die Powerage-Welttournee führte AC/DC ab Ende April 1978 durch Großbritannien und dann von Juli bis September durch die Vereinigten Staaten, mit ein paar Abstechern nach Kanada. Dabei erwiesen sie sich in gewohnter Weise als schlechte Vorgruppe, da sie den Stars des Abends, seien es Aerosmith, Van Halen, Rainbow, Foreigner oder Alice Cooper, regelmäßig die Schau stahlen. In Jacksonville (Florida), ihrer Hochburg der ersten Stunde, konnten AC/DC als Hauptgruppe das mit 14.000 Sitzen bestückte Coliseum restlos füllen, und angesichts dessen ist es nicht zu verwundern, dass sie den Sinn mancher Konzerte in den ländlicheren Gegenden bezweifelten, die vielleicht nur hundert Kilo­meter weiter gerade einmal zwanzig rotnackige Farmersburschen in die Kneipen lockten. Doch auch diese wenig triumphalen Auftritte gehör­ten zum Aufbauprozess, wie die Band wohl wusste.

Angus beschrieb die Gefühle eines Musikers recht treffend, als er in einem Interview mit der Zeitschrift Sounds sagte: „Ich bin gerne auf Tour, aber es kommt darauf an, was man daraus macht. Ich werde unruhig, wenn wir mal einen Tag frei haben, denn der ganze Tournee-Alltag besteht daraus, Däumchen zu drehen und zu warten, bis es abends losgeht. Wenn wir dann einmal einen Tag frei haben, fühle ich mich gar nicht gut, dann fehlt mir irgendwas.“ – „Manchmal ist es eine Plage, jede Nacht in einem anderen Hotel zu sein“, räumte Bon ein. „Aber das ist immer noch besser, als sein ganzes Leben irgendwo an der Drehbank zu stehen. Ich bin frei und treffe ständig neue Leute, und nachts bekomme ich immer neuen Körperkontakt. Ich möchte mit niemandem tauschen.“

Doch wenn die Musiker ihre Sache auch überzeugend vertreten konnten, so waren die langen und harten Monate und Jahre auf der Straße doch nicht ganz ohne Wirkung geblieben. In einem Interview, das sein alter Freund und Bandkamerad Vince Lovegrove für eine Fernseh- dokumentation führte, gab Bon zu, dass er es manchmal satthabe, als Heimatloser durch die Lande zu ziehen: „Ich bin jetzt seit dreizehn Jahren unterwegs: Flugzeuge, Hotels, Groupies, Whiskey, Menschen, Städte. Das geht an die Substanz. Wir bleiben dran und wir werden es schaffen, aber dieser tägliche Trott macht einen dabei kaputt.“

Auch bei Schlagzeuger Phil Rudd, der oft als Fahrer der Band ein­gespannt wurde, machten sich erste Folgen des dauernden Tourneestresses bemerkbar. Er war, ebenso wie Bon, ein leidenschaftlicher Haschischkonsument, und mehr als einmal musste er nach einem leich­ten Nervenzusammenbruch im Krankenhaus mit Beruhigungsmitteln behandelt werden.

Auch in Amerika bekam die Band nun Schwierigkeiten wegen ihrer „außergewöhnlichen“ Auftritte. In Detroit drehte der Veranstalter ihnen nach fünf Liedern den Strom ab, weil sie angeblich zu laut spielten. Nach diesem Vorfall hielten sie, so will es die Legende, so lange still, bis er ihnen ihr Geld aushändigte; dann schlug Malcolm ihm mit der Faust ins Gesicht. Der Veranstalter wollte die Polizei rufen, die Band drohte mit einer Klage, und so endete die Sache mit einem Patt.

Als die Band im Oktober erneut Europa in Angriff nahm, wurde If You Want Blood ‒ You’ve Got It veröffentlicht, eine Liveplatte, die am 30. April in Glasgow aufgenommen worden war. Sie protzte auf der Hülle mit einer Fotomontage, auf der man sah, wie Angus sich seine Gitarre mit dem Hals voran ins Gedärm rammte. In Europa und Amerika wurde If You Want Blood ‒ You’ve Got It von der Käuferschaft noch besser angenommen als der Vorgänger vom April des Jahres (und konnte dabei dessen Absatz noch einmal ankurbeln, so dass Powerage Ende 1978 die erste Goldene Schallplatte für AC/DC in Amerika ein­brachte). If You Want Blood ‒ You’ve Got It gilt bis heute als eine der besten Liveplatten des Hardrock, die die Stimmung in einem Rock­konzert ohne Verluste eingefangen hat, den Hörer direkt in den toben­den Hexenkessel des Apollo Theatre in Glasgow versetzt.

Man bekam mit der Platte schnörkellosen Geradeausrock geboten, der ohne alle Umschweife, wie etwa endlose Schlagzeugsolos oder plumpe Vertraulichkeiten des Sängers mit dem Publikum, wie man sie von Konzertmitschnitten anderer Gruppen kennt, auf den Punkt brachte, was schon Powerage angedeutet hatte: In der Rockmusik war ein neues Zeitalter angebrochen.

Doch der Prophet gilt nicht viel im eigenen Land. In Australien wurde If You Want Blood ‒ You’ve Got It von der Plattenfirma zunächst zurückgehalten. Die Marktstrategie gebot es, mit der Veröffentlichung zu warten, bis die Band wieder im Lande spielen würde. Doch die Behörden verhinderten erneut eine AC/DC-Tournee, und so erschien die Platte schließlich zu Weihnachten, wiederum ohne in den Platten­läden für viel Wirbel zu sorgen. Die Bürokraten hatten es geschafft, Australien von AC/DC zu befreien. So viel konnte man nach drei nur mäßig verkauften Platten sagen.

In Übersee jedoch kam der Rubel langsam ins Rollen, und Bon antwortete in einem Interview in London auf die Frage, ob ihn der Erfolg verändert habe: „Bei mir hat sich nur der Alkoholkonsum ver­ändert. Ich kann mir jetzt leisten, doppelt so viel zu saufen.“ Am Abend desselben Tages, nach dem Konzert im Hammersmith Odeon, bekam er Gelegenheit, dies wieder einmal zu beweisen. Von der Party, die die Plattenfirma organisiert hatte, erholte er sich erst wieder, nachdem man ihm in den frühen Morgenstunden den Magen ausgepumpt hatte.

Es war bei dem zweiten Gastspiel der Band auf der Powerage- Tournee in Glasgow, dass Bon sich vor dem Konzert versehentlich aus der Halle aussperrte, als er draußen ein wenig frische Luft schnappte. Er erzählte später von dem Zwischenfall: „Ich ging nach vorne zum Haupteingang, wurde aber nicht reingelassen, bis ein T-Shirt-Verkäufer den Türstehern versicherte, dass ich wirklich der Sänger war. Das alles hatte mich zehn Minuten gekostet, und drinnen sagten die anderen: ,Wo ist dieser Hurenbock schon wieder?‘“

Gegen Ende des Jahres kehrte die Band nach Australien heim, um wie jedes Jahr im Kreise der Familie Weihnachten zu feiern. Bon erzähl­te in einem Interview mit der Melbourne Sun: „Ich freue mich darauf, meine Eltern zu besuchen. Ich habe sie jetzt drei Jahre nicht mehr gesehen. Hoffentlich erkennen sie mich überhaupt noch. In den letzten Jahren hat keiner von uns eine eigene Wohnung gehabt. Ich hatte acht Monate lang eine gemietet, aber ich war nur sechs Wochen da. Wir haben nur unsere Eltern in Australien. Wir leben in Hotels, und nach dem Konzert sagen wir schon nicht mehr: ,Ich gehe ins Hotel zurück‘, sondern: ,Ich gehe nach Hause.‘“

„Wir leben wie im Untergrund“, pflichtete ihm Angus bei. „Bon lebte schon immer irgendwie auf der Straße, und ich wohne gleich nebenan. Wenn man reich ist, kann man sich vielleicht eine Villa mit Park leisten. Ich werde mir irgendwann auch etwas kaufen, aber wahrscheinlich nur so ein Polizeiwachhäuschen an einer großen Straßenkreuzung; da ist wenigstens immer was los. Im Augenblick fühle ich mich aber in den Hotels ganz wohl. Über Weihnachten wohne ich zu Hause bei meinen Eltern, aber nach ein paar Tagen werde ich mir wahrscheinlich ein Hotel suchen, da habe ich meine Ruhe. Meine Brüder bringen nämlich ihre Kinder mit, und um sechs Uhr morgens kommen die ins Zimmer gerannt und schreien los: ,Er ist da!‘ Im Hotel kann ich mich beschwe­ren, wenn Krach im Zimmer ist.“