Die Vögel werden flügge
So verbrachte man Weihnachten 1978 also wieder zu Hause ‒ mit Ausnahme von Bon, der es wieder nicht nach Perth schaffte. Die Band hatte schon die Aufnahme einer neuen Platte fest ins Auge gefasst, als sich in der Gestalt des für AC/DC zuständigen Mitarbeiters von Atlantic in Amerika, der sich von New York auf den Weg nach Sydney gemacht hatte, Unheil anbahnte.
Die Plattenfirma hatte schon immer Vorbehalte gegenüber den Produzenten der Band gehabt. Die Platten Verkäufe in Amerika hatte man sich allein durch die Tourneen erspielt, nun aber sollten durch den Einzug der Gruppe in das Rundfunkprogramm breitere Bevölkerungsschichten angesprochen werden. Dazu war ein etwas ausgefeilterer Klang nötig. Malcolm und Angus wurden dazu gedrängt, einzuwilligen und die Arbeit mit einem von der Plattenfirma bestimmten Produzenten aufzunehmen. Sie waren hin- und hergerissen zwischen der Loyalität gegenüber ihrem Bruder und Förderer, der sie zu dem gemacht hatte, was sie waren, und ihrem Willen zum Erfolg, der ihnen gebot, sich dem Diktat der Plattenfirma zu beugen. Schließlich waren sie auf deren Unterstützung unbedingt angewiesen.
Der Ehrgeiz der Young-Brüder behielt letztendlich die Oberhand, und so kam es, dass AC/DC eine Woche nach dem unerwarteten Besuch aus Amerika mit dem neuen Mann in Sydney zusammentrafen. George trug seine von oben angeordnete Ablösung nach außen hin mit Fassung, doch innerlich kochte er. Angus erzählte gemäß der offiziell vertretenen Linie: „George sagte nur: ,Immer voran, Jungs. Aber lasst euch von denen nicht umbiegen. Denkt immer daran, dass ihr eine Rock’n’Roll-Band seid.‘“
Der Heilsbringer der Plattenfirma war ein Amerikaner namens Eddie Kramer, der schon mit Jimi Hendrix, Led Zeppelin und Kiss gearbeitet hatte und nun in Australien mit AC/DC ein Lied zur Probe aufnahm und daraufhin gemäß den Anweisungen von Atlantic in Miami die ganze Platte produzieren sollte. Doch dort verschlechterte sich die Stimmung im Studio zusehends. Auch nach Wochen war nichts Nennenswertes vorzuweisen. Stattdessen versuchte Kramer angeblich, die Band zu einer Neuaufnahme eines alten Hits der Spencer Davis Group zu bewegen, um ihnen so den sicheren Einstieg in die Radiohitparaden zu verschaffen.
Da nahm Malcolm die Sache selbst in die Hand. Er rief Michael Browning in New York an und bat ihn um Hilfe. Browning schlug sofort einen Produzenten namens Robert John Lange vor, den er schätzte und für sehr begabt hielt. Bon berichtete der Zeitschrift RAM: „Wir sagten Kramer einfach, dass wir uns einen Tag freinehmen würden. Wir schlichen uns dann aber heimlich ins Studio und nahmen an dem Tag sechs Lieder auf. Das Band schickten wir an Lange und fragten ihn: ,Hast du Lust?‘“ Dieser war auch wirklich beeindruckt von der Kostprobe, die Malcolm, Angus und Bon ihm da angerichtet hatten ‒ Bon hatte, wie es sich bei ihnen eingebürgert hatte, für die Demobänder das Schlagzeug mit übernommen –, und traf sich in London mit der Band, um das ins Stocken geratene Projekt wieder in Gang zu bringen.
„Mutt“ Lange, der „Dussel“, wie er genannt wurde, stammte aus Südafrika und hatte mit City Boy, den Boomtown Rats und Graham Parker Erfahrungen als Produzent gesammelt. Trotz dieser „weichen“ Vergangenheit sollte er sich bald als genau die richtige Wahl für AC/DC erweisen. Die Band hatte in den Albert-Studios nie länger als drei Wochen an einer Platte gearbeitet, doch in den Roundhouse-Studios in London sollten sie nun fast drei Monate lang jeden Tag fünfzehn Stunden beschäftigt sein, bis Highway To Hell im Kasten war. Den Titel hatte Angus zuvor einmal in einem Interview der vergangenen Amerikatournee gegeben, die eine Schinderei gewesen war, die diesen Namen verdient hatte.
Angus sagte nach Fertigstellung der Aufnahmen: „Sonst hatten wir nie viel Zeit im Studio, weil wir immer auf Tournee waren, und die Platten wurden sehr eilig aufgenommen. Letztes Jahr waren wir zehn Monate unterwegs, und davor hatten wir keine Pause gehabt, seit es uns gibt. Wir gingen damals einfach ins Studio und nahmen auf. Die meisten Songs wurden natürlich unterwegs geschrieben, und wir konnten nie vorher überlegen und planen.“
Mutt Langes konzentriertes und sorgfältiges Arbeiten war das gerade Gegenteil der eher lässigen Herangehensweise von George und Harry in Sydney. So gelang es ihm aber auch, den Klang der Gruppe zu schleifen und zu verfeinern, ohne ihm die Ecken und Kanten zu nehmen, die der Musik von AC/DC ihren Charakter gaben. Dabei war die Dopplung von Tonspuren die hauptsächliche Veränderung in der Mischtechnik. Auch die hier und da hinzugemischte dritte Rhythmusgitarre war eine Neuerung, sollte jedoch auf den folgenden beiden Platten noch viel umfangreicher eingesetzt werden. Für die Hörer waren vielleicht die stereophon abgemischten Hintergrundgesänge ein mehr oder weniger auffälliges Merkmal des neuen Klanges.
„Es war für Lange eine neue Erfahrung, weil er noch nie mit einer richtig harten Band gearbeitet hatte“, verriet Angus in einem Interview mit der Zeitschrift Musician. „Aber auch wir zogen unseren Nutzen daraus, besonders aus seiner Arbeit mit Bon.“ ‒ „Wir sind diesmal ein bisschen anders, wir sind melodisch“, schaltete dieser sich ein. „Sie brachten mich dazu zu singen, anstatt nur zu schreien, Und es sind sogar Harmonien drin. AC/DC mit Harmonien!“ ‒ „Mutt kannte die Musik im Radio und wir nicht, das war das Entscheidende bei Highway To Hell“, ergriff Angus wieder das Wort. „Jede Woche hörte er sich die Stücke aus den Hitparaden genau an, und er hat wirklich gute Ohren. Er hört eine Stecknadel zu Boden fallen. Besonders Bon war zufrieden mit ihm. Mutt brachte ihm bei, zu atmen und richtig aus der Brust zu singen. Als wir fertig waren, fragte Bon ihn, ob er vielleicht Gesangsunterricht nehmen sollte. Mutt sagte: ,Nein. Bleib bei deinem eigenen Stil.‘ Aber Mutt hat auch etwas von uns gelernt. Er war davon beeindruckt, dass wir spielen konnten und wussten, was ein ganzer Song war, nicht nur ein Riff.“
„Mutt wusste, wie wir uns fühlten“, merkte Malcolm an. „Er hat nicht versucht, uns zu sehr zu beeinflussen, und dabei haben wir eine Menge gelernt. Früher stützten wir uns auf George. Der hat immer unsere halbfertigen Sachen zu Ende gebracht. Diesmal mussten wir alles fertig arrangiert und aufgeschrieben haben. Mutt änderte dann nur noch Kleinigkeiten. Wir brauchten wirklich jemanden von außen, sonst hätten wir uns zu sehr in uns selbst verkrochen.“ Dieses Lob für Lange wiegt umso schwerer, wenn man bedenkt, wie verschlossen sich die Band sonst gegenüber Einflüssen von außen gezeigt hatte.
War die Trennung von ihren Hausproduzenten auch bitter gewesen, so musste sich die Band doch eingestehen, dass Highway To Hell durch den Wechsel hinter dem Mischpult zu ihrem bislang dynamischsten, interessantesten und abgerundetsten Werk geworden war. „Highway To Hell ist das Beste, was wir bis jetzt gemacht haben“, sagte Angus. „Am Schluss hatten wir genug Songs für vier Platten, aber wir haben nur die mit neuen Ideen genommen.“
Das Ergebnis war dank der modernen Aufnahme- und Mischtechnik durchaus tauglich für das Musikprogramm des amerikanischen Rundfunks, wobei es die hartgesottenen Anhänger von AC/DC, die einen weniger geschliffenen Klang gewohnt waren, gleichwohl nicht verprellte. Bon fasste zusammen: „Natürlich ist es immer noch Hardrock, aber wir haben mit mehr Melodie gearbeitet, auch im Hintergrundgesang. Vielleicht ist Highway To Hell ein bisschen kommerzieller, aber nur ein bisschen. Früher habe ich nur geschrien, aber diesmal habe ich mir wirklich Mühe gegeben, an meinem Gesang zu arbeiten.“
Highway To Hell gilt als Meilenstein in der Geschichte des Hardrock. Das Titelstück ist eine der großen Hymnen der Rockmusik, in der Bon sich als sorgloser Rebell gibt, der mit einem Lachen auf dem Gesicht dem lockenden Ruf des Rock’n’Roll in die Unterwelt folgt. Und so war denn auch auf der Hülle der australischen Ausgabe der Platte Bons lachendes Gesicht zu sehen, wie es als einziges der fünf schon fast vollständig von den lodernden Höllenflammen verzehrt war. Im Oktober 1979 dachte man sich jedoch noch nichts beim Betrachten dieses Bildes.
Das beste Beispiel für den damals neuen Klang von AC/DC ist „Touch Too Much“. Hier wurde alles hineingepackt, was Mutt Lange aus dem Studio und den Musikern herauskitzeln konnte. Bons Gesang harmoniert perfekt mit dem wohlabgemischten Chorgesang, und sogar die Rhythmusgitarren bringen passende melodische Elemente ein.
„Love Hungry Man“ ist ebenfalls mit melodischen Elementen versehen, und zwar in solchem Maße, dass sich die Band von dem Stück bald distanzierte. „Die ganze Sache war auf unseren Demobändem viel rauer“, sagte Malcolm. „Im Studio hat sich das dann in die falsche Richtung entwickelt. Wir mussten uns am Ende damit zufriedengeben. Aber uns muss es ja auch nicht gefallen.“
„Night Prowler“ sollte den Musikern einige Jahre später noch unerwarteten Ärger einbringen, aber damals war es einfach nur ein Lied, das sie nach einiger Zeit im Probierstadium endlich vollenden und loswerden konnten. Angus verriet: „Wir hatten ,Night Prowler‘ schon vor zwei Jahren, und wir haben vier verschiedene Versionen davon aufgenommen, aber diesmal bekamen wir die richtige Idee, mit der es klappte. Das ist oft so: Das Lied ist da, aber die Verpackung fehlt noch. Warum sollte man sich übereilen und ein gutes Lied verschwenden, wenn nichts dabei herauskommt?“