Der zweite Anlauf
Mit Brian an Bord machten sich AC/DC nun schnellstens daran, die Aufnahme ihrer neuen Platte vorzubereiten. Die erste Hälfte des April probten sie mit Mutt Lange im Studio in London. Angeblich sind die Texte der Lieder alle in dieser Zeit entstanden, da man Brian nicht zumuten wollte, „Leichenfledderei“ zu betreiben und die Verse zu verwenden, die Bon hinterlassen hatte. Um die ungünstigen britischen Steuergesetze zu umgehen, fanden die Aufnahmen Mitte April bis Ende Mai an einem Ort statt, den man auf Anhieb nicht unbedingt mit Hardrock in Verbindung bringt: auf den Bahamas, in den Compass-Point-Studios in Nassau.
„Es gab mehrere Gründe, ausgerechnet da aufzunehmen“, erklärte Angus. „Die Steuer war einer davon, aber es sind natürlich auch nicht immer alle Studios frei, wenn wir sie brauchen. Wir wollten eigentlich in England aufnehmen, da das Land eine wirklich gute Arbeitsatmosphäre hat. Aufs Festland von Europa wollten wir nicht, da wurde damals hauptsächlich Diskomusik produziert. In Schweden gab es ein Studio, das auch von Led Zeppelin benutzt wurde, aber das gehörte Abba, und die brauchten es zu der Zeit selbst. Wir wollten aber nicht herumsitzen und warten, und so machten wir in Nassau weiter. ... Da läuft natürlich alles viel langsamer. Das Studio ist wirklich gut, aber das Leben da ist ein ganz anderes. Die Leute liegen den halben Tag am Strand herum und arbeiten dafür nachts. Aber das machten wir natürlich nicht. Wenn wir einmal mit einer Sache angefangen haben, wollen wir auch weiterkommen.“
Besonders der wenig kosmopolitische Nordengländer Brian konnte sich mit dem tropischen Umfeld überhaupt nicht anfreunden: „Ich wurde aus meinem Arbeiterviertel in Newcastle herausgerissen und einfach so auf die Bahamas verpflanzt: Sand, Sonne, Palmen. Mir gefiel es da überhaupt nicht, und den Jungs von der Band ging es genauso. Und da sollten wir also eine Rock’n’Roll-Platte aufnehmen!“
Er erzählte von seinen Unsicherheiten: „Ich wusste gar nicht, auf was ich mich da eingelassen hatte. Die Hälfte der Lieder war noch nicht fertig, und ich saß da und dachte: ,Das kann gar nicht gutgehen. Und wenn es wirklich in die Hosen geht, bleibt alles an mir hängen.“ Dann hätten sie wahrscheinlich alles in den Mülleimer geworfen und hätten es mit einem anderen versucht. Das alles ging mir so durch den Kopf. – Ich war dann natürlich ziemlich erleichtert, als der Manager mich zu Hause anrief und sagte, er sei begeistert, und auch die Plattenfirma war vollkommen überzeugt von dem, was wir gemacht hatten. Ich hatte zu Hause drei Tage lang nur still herumgesessen und keinen Muckser gemacht.“
Back In Black, so der Titel des Werkes, ist auch uns Beweis genug, dass Brians Befürchtungen ungerechtfertigt gewesen waren. Seine Reibeisenstimme ist höher als die von Bon, passt aber ebenso gut zur Musik und ist äußerst kraftvoll. Sein gepresstes Kreischen ist ein Gesangsstil, der in der Rockmusik einmalig war, dessen Nachahmung aber seitdem von so manchem Stimmbandakrobaten fast täuschend echt betrieben wird. Zu nennen wäre hier vor allem Marc Storace von Krokus.
Die Plattenhülle, ganz in Schwarz gehalten, ist zusammen mit dem Titel Back In Black eine geschmackvolle Widmung an Bon. „Natürlich haben wir die Platte wegen Bon so genannt“, bestätigt Angus. „Wir wollten nicht einfach nur ,Unserem treuen Freund‘ draufschreiben, denn er war schließlich fünf Jahre bei uns, und wir dachten alle, es sei gerechtfertigt, das ganze Album in seinem Gedenken zu gestalten, anstatt nur eine kurze Zeile hintendrauf zu drucken.“
Back In Black zeugte von einem hohen Maß an Konzentration und Eifer, mit dem die Gruppe gearbeitet haben musste, um den lähmenden Schock vom vergangenen Februar zu überwinden. Die Musiker hatten sich selbst und ihren Millionen Anhängern in aller Welt etwas zu beweisen. So konnte denn aber auch das Ergebnis vollauf zufriedenstellen. Das erste Stück der Platte, „Hell’s Bells“, wurde von einem langsamen, finsteren Gitarrenlauf eingeleitet, der mit tiefen, schweren Glockenschlägen unterlegt war. Der Text war ein kraftvoller Ausdruck des Überlebenswillens und Durchhaltevermögens der Band, doch musikalisch betraten sie hier Neuland. Die düstere Stimmung, die durch den schleppenden Rhythmus noch verstärkt wurde, war ungewohnte Kost für die Ohren der Fans, und wie die meisten Lieder auf Back In Black zeugte auch „Hell’s Bells“ von einer neuen künstlerischen Schaffenskraft der Band. Besonders das Titelstück, „Shoot To Thrill“ und „Let Me Put My Love Into You“ waren musikalisch anspruchsvoller als alles, was AC/DC bis dahin gemacht hatten. „You Shook Me All Night Long“ war nicht nur eine Hitsingle, sondern taugte auch zum Rockklassiker (was es ja auch geworden ist), ln allem brodelte Brians siedend heißer Gesang und ergänzte die glatten, aber dennoch kraftvollen Gitarrenriffs zu einem wohlgerundeten Ganzen.
Es wurde der Band von mancher Seite vorgeworfen, mit „Have A Drink On Me“ Alkoholmissbrauch zu verherrlichen und sich damit gar auf äußerst geschmacklose Weise über den verfrühten Tod ihres Sängers lustig zu machen. Brian wies dies entschieden zurück: „Ein paar Kritiker fanden es geschmacklos, das Lied auf die Platte zu nehmen. Darüber haben wir uns wirklich aufgeregt, denn es hat damit überhaupt nichts zu tun. Es erzählt einfach, was Jungs so erleben, wenn sie einen trinken gehen.“
Nach Angaben der Band ist das großartige Titelstück, ebenso wie manch andere herausragende Komposition aus ihrem Schaffen, unterwegs auf der Straße entstanden, wo Malcolm und Angus immer einen Kassettenrekorder griffbereit hatten, um ihre Ideen festhalten zu können. „Malcolm hatte das Grundriff von ,Back In Black‘ schon etwa drei Wochen gehabt“, erzählte Angus in einem Interview mit der Boston Globe. „Eines Abends kam er herein und sagte: ,Hast du die Kassette? Kann ich das mal aufnehmen? Das lässt mir keine Ruhe. Ich kann schon nicht mehr schlafen.‘ Er spielte es, und das tollste war, er fragte mich: ,Was meinst du? Ich weiß nicht, ob es was taugt, ich weiß es einfach nicht.‘“
Back In Black zeigte, dass Brian nicht nur als Sänger, sondern auch als Texter zu AC/DC passte. Der Witz seiner Verse kam zwar an jene „Feinsinnigkeit im Groben“, die Bon Scotts Dichtung ausgezeichnet hatte, nicht heran, aber dennoch verstand es Brian, seine Botschaft zielsicher und mit einem gewissen ironischen Unteiton versehen an den Mann zu bringen. Er selbst sagte mit der für ihn typischen Bescheidenheit dazu: „Ich glaube, bei solchen Riffs kann man gar keine schlechten Texte schreiben. Egal, was ich geschrieben hätte, alles hätte sich gut angehört. Malcolm und Angus waren Profis, bei ihnen lief alles wie geschmiert, und ich war ein Amateur, aber der Zufall schaltete uns irgendwie zusammen. Ich musste die Texte sehr schnell schreiben, und sie passten einfach.
„Als wir mit den Proben anfingen, hatten die Jungs die Riffs fertig, aber wir hatten noch keine Gesangslinien. Und ohne Melodie geht es natürlich nicht, sonst hört sich alles gleich an. Wir überlegten uns also die Melodien, und ich schrieb die Texte, aber ich wusste, dass die Jungs sie sich genau angucken würden. Auf den Bahamas saßen wir dann am Tisch, und die Jungs sagten: ,Diese Zeile gefällt mir nicht, schreib da was anderes‘, oder sie dachten sich selbst was aus. ‒ Meine Texte sind immer ein bisschen ironisch zu verstehen. Manchmal fragen uns die Leute, welchen tieferen Sinn unsere Lieder hätten, denn es müsse ja einen tieferen Sinn geben. Da muss ich dann lachen; es gibt keinen tieferen Sinn. Aber wenn ihr unbedingt irgendwas hineinlesen wollt, von mir aus gerne.“
Malcolm und Angus haben immer behauptet, sich nicht an den Texten vergriffen zu haben, an denen Bon kurz vor seinem Ableben für die neue Platte geschrieben hatte, doch Nachforschungen im Umfeld des Verstorbenen haben einen anderen Schluss nahegelegt. Clinton Walker berichtet in seiner Bon-Scott-Biographie Highway To Hell, dass Anna Baba, die in Bons letzten Lebenswochen mit ihm zusammenlebte, Teile aus Back In Black wiedererkannte, darunter auch den Titel „Rock And Roll Ain’t Noise Pollution“, der entstanden sei, nachdem sich der Hausmeister über den nächtlichen Lärm aus Bons und Annas Wohnung beklagt habe. Bons Notizbücher waren nach seinem Tod nicht mit den übrigen Sachen seinen Eltern ausgeliefert worden und blieben verschwunden.
Die Band gab zwar zu, dass Bon Texte und Demobänder mit seinem Gesang hinterlassen hatte, blieb aber dabei, dass man aus Pietät darauf verzichtet habe, sein Material zu verwenden. „Viele Leute wollen das Letzte vom Letzten rausholen und verwursten alles, was sie in die Finger kriegen können, wenn jemand gestorben ist, aber so etwas machen wir nicht“, erklärte Angus damals. „Wir wollen aus Bons Tod kein Kapital schlagen. Wenn wir mit ihm schon Sachen im Studio aufgenommen hätten, hätten wir sie möglicherweise verwendet, aber so ist es vielleicht besser für ihn. Es gibt noch Sachen von ihm, die wir für andere Platten aufgenommen haben, aber die wollten wir damals nicht nehmen, und wenn wir seinen Nachlass jetzt ausschlachten würden, wäre es das Schlimmste, was passieren könnte.“
Back In Black wurde unmittelbar nach der Veröffentlichung Ende Juli verdientermaßen ein weltweiter Verkaufserfolg: Die Platte kam in Großbritannien auf Platz 1, in Amerika auf Platz 4 und in Australien auf Platz 2, um nur die höchsten Plazierungen zu nennen. Bis Ende 1980 sollte sie in acht Ländern insgesamt siebenundzwanzigmal mit Platin oder Gold veredelt und über die nächsten sechzehn Jahre weltweit 20 Millionen mal verkauft werden. Um es kurz zu machen: Mit Back In Black schwangen sich AC/DC zu einer der größten Rockgruppen der Erde auf.
Für die heraufziehende Back-In-Black-Welttournee kündigte Angus Folgendes an: „Wir werden viele alte Lieder spielen, aber auch viele neue. Wir sind eine Liveband, und viele der alten Sachen sind Livenummern. Deshalb können wir sie nicht aus dem Programm streichen, sonst müssten wir noch mal ganz von vorne anfangen. Es ist vielleicht schwieriger so, aber wir müssen es versuchen. Es wird schwer für uns sein, wenn die Leute dann einen ganz anderen Sänger auf der Bühne sehen, aber wir wollen keinen, der wie Bon singt, sonst würden die Leute ständig Vergleiche anstellen. Er soll die alten Sachen auf seine eigene Weise singen, und dann können wir ihm auch eine Chance geben und die neuen ins Programm nehmen.“
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