20 BACK IN BLACK

Guter alter Wein in neuen Schläuchen

Bevor die Tournee in der neuen Besetzung richtig losgehen konnte, wurden Ende Juni/Anfang Juli einige Probekonzerte in Belgien und Holland vorgeschaltet, um abschätzen zu können, wie das Publikum auf Brian reagieren würde. Das Ergebnis war überwältigend, wie Angus stolz berichtete: „Unser Manager sagte: ,Wir nehmen besser keine große Halle.‘ Wir wussten ja nicht, was auf uns wartete. Wir spielten also in einer kleineren Halle mit 2000 Plätzen, aber am Schluss sagte der Ver­anstalter: ,Es sind 15.000 gekommen, und es reisen immer noch Leute aus ganz Europa an.‘ Da fühlte ich mich gut, so als ob wir uns für eine gerechte Sache einsetzen würden.“

Von Antwerpen wusste Brian Folgendes zu erzählen: „Nach dem Konzert kam ein Fan mit einer Tätowierung von Bon auf dem Arm zu mir und sagte: ‚Dieser Kerl hier war mein Held, aber jetzt ist er nicht mehr da. Ich wünsche dir alles Glück der Erde.‘ Ich stand nur da und zitterte. Der arme Junge wurde von Tausenden von Menschen auf der ganzen Welt geliebt, und dann setzen die Leute ihr ganzes Vertrauen auf mich. Seitdem weiß ich, dass ich für diesen Fan und für so viele andere wie ihn singe.“

Nachdem Brian die Feuerprobe also bestanden hatte, wurde die Back-In-Black-Welttournee am 30. Juli, einen Tag vor Veröffentlichung der Platte, im County Fieldhouse in Erie (Pennsylvanien) im wahrsten Sinne des Wortes eingeläutet: Als effektvolle Showeinlage hatte man eine eineinhalb Tonnen schwere Bronzeglocke mitgenommen, die Brian nun zu Anfang eines jeden Konzerts zu den einleitenden Klängen von „Hell’s Bells“ mit einem Vorschlaghammer bearbeiten durfte.

Nach ein paar Konzerten antwortete Brian in einem Interview auf die Frage, wie er sich bei seinen Auftritten nun fühle: „Mein Selbstver­trauen nimmt langsam zu. Für mich ist jetzt aber jedes Konzert immer noch das erste, denn jedes Mal ist es ein anderes Publikum. Die Leute kennen die Band nur mit Bon als Sänger, also bin ich überall der Neue.“

Doch wohin er auch kam, Brian wurde von den Konzertbesuchern sofort ins Herz geschlossen. Er blickt zurück: „Ich kann mich noch genau an das erste Konzert erinnern. Die Fans spannten im Publikum ein zehn Meter langes Spruchband auf. Auf dem stand: ,DER KÖNIG IST TOT – LANG LEBE DER KÖNIG.‘ Ich lasse mich sonst durch nichts so leicht aus der Ruhe bringen, aber das haute mich einfach um. Und in England machten mir die Fans dann durch Sprechchöre Mut. Sie wussten ganz genau, dass ich Angst hatte.

„Alle waren unglaublich nett. Ich hatte erwartet, dass vielleicht ein paar Leute etwas sagen würden, aber es kam kein Einziger. Von Anfang an standen alle voll auf meiner Seite, und dabei waren die ersten Konzerte, bevor die Platte herauskam. Die Leute kannten die Lieder also noch gar nicht.“

Da Brian mit sämtlichen Niederlagen, die man als Musiker nur erleben kann, bestens vertraut war, bedeutete es ihm neben dem rein kommerziellen Erfolg nun umso mehr, von den AC/DC-Fans so viel Hingabe zu erfahren, auch wenn ihre Hartnäckigkeit manchmal zum Ärgernis werden konnte: „Wenn sie dich finden wollen, finden sie dich auch. Einmal klopften drei Jungs nach einem Konzert an meine Tür, die waren bestimmt nicht älter als zwölf. Ich war ziemlich sauer, weil sie mich geweckt hatten, und sagte: ‚Wisst ihr eigentlich, wie spät es ist?‘ Sie meinten nur ganz unschuldig: ,Wir haben uns die ganze Zeit seit heute Nachmittag unten in der Besenkammer versteckt gehalten, dass wir dich treffen können.‘ Da musste ich sie natürlich ins Zimmer bitten. Ich ließ etwas zu essen kommen und saß ein bisschen mit ihnen zusammen. Solche Hingabe muss einfach belohnt werden.“

Die Band bereiste Amerika bis Mitte Oktober und zog dann bis Ende Januar 1981 kreuz und quer durch Europa, wo aber die Glocke, bedingt durch die geringe Größe der Hallen, leider nicht an allen Spielorten zum Einsatz kommen konnte. Die Presse hatte natürlich wieder etwas zu mäkeln: Malcolm und Angus nahmen in Großbritannien die Star­fighters, die Gruppe ihres Neffen Stevie Young, in ihr Vorprogramm, was ihnen den Vorwurf der Vetternwirtschaft einbrachte. Starfighters war übrigens der ursprüngliche Name von Onkel Georges Gruppe gewesen, bevor sie sich in Easybeats umbenannten.

Auch in Deutschland hatte die Band leichtes Spiel, die Konzertbesu­cher von ihrem neuen Mann zu überzeugen, wie ein Bericht in der Fan Zeitschrift Daily Dirt deutlich macht: „Ziemlich genau um 21 Uhr erlosch die Beleuchtung der Frankfurter Festhalle, was von 18.000 Fans lautstark begrüßt wurde. Langsam, fast schon gespenstisch, glitt die Höllenglocke von der Decke herab. Plötzlich stand Brian Johnson, der Neue von AC/DC, im grellen Scheinwerferlicht neben ihr. Mit kräftigen, weit ausholenden Schlägen begann er, auf sie einzuschlagen, als wolle er sie zertrümmern, wobei jeder Schlag von der Menge laut mitgezählt wurde: ,One! ‒ Two! ‒ Three!‘ Kaum war der dritte Glockenschlag verklungen, als Angus Young die Bühne enterte, und in der Halle brach endgültig die Hölle los: Tausende von Händen reckten sich in die Höhe und klatschten im Takt mit, und so manch einer bereute es bereits jetzt, sich für einen Platz in den vordersten Reihen entschieden zu haben.“

Die letzten Stationen waren Japan und Australien, wo AC/DC im Februar 1981 als heimkehrende Helden begrüßt wurden. Sie hatten seit der A-Giant-Dose-Of-Rock’n’Roll-Tournee nicht mehr in ihrem Heimat­land gespielt, und obwohl seitdem nur vier Jahre vergangen waren, schien es wie ein Menschenalter. Es war ein Menschenalter. – Nach einem Konzert in Sydney vor 30.000 Zuschauern wurde mit alten Freun­den gefeiert: Harry Vanda und George Young waren da, im Übrigen alle anderen Youngs, Plattenfirma und Manager, auch das ehemalige Mit­glied Mark Evans. Die Band bekam bei der Feier insgesamt vierzig Silber-, Gold- und Platinauszeichnungen überreicht.

Brian schwärmte: „Ich hätte schon Vorjahren bei AC/DC sein sollen. Jetzt merke ich, dass ich in meinem Leben viel Zeit vergeudet habe. Bei Geordie musste ich auf Plateauabsätzen über die Bühne stelzen, und das mochte ich nie so richtig. Die Jungs von AC/DC sind bescheiden, sie sind einfach ganz normal, und das mag ich an der Band. Hier gehörte ich gleich dazu. In anderen Bands brauchte ich immer eine Weile, bis ich die Leute kannte, aber hier war es so, wie wenn man mit ein paar Freunden einen trinken geht, nichts weiter. Natürlich war es schwierig für mich, bei einer Band einzusteigen, wo gerade einer gestorben war, aber das ist ja auch normal, und ich wäre ein echter Waschlappen, wenn ich sagen würde: ,Mein Gott, ich halte den Druck nicht aus, ich schaffe es nicht!‘“

„Ich weiß, dass Bon immer noch da ist und alles beobachtet. Einmal hatte ich nachts im Hotelzimmer den Beweis dafür, dass er in irgendeiner Form anwesend war, aber mehr kann ich wirklich nicht sagen, das ist alles viel zu persönlich. Ich weiß, dass er es gut findet, was die Band macht. Er wollte nicht, dass die Jungs auseinandergehen oder eine lange Trauerzeit einlegen. Er will, dass wir auf dem Geist aufbauen, den er zurückgelassen hat. Wenn wir ältere Sachen wie zum Beispiel ,Let There Be Rock‘ spielen, ist es manchmal so, als ob Bons Geist über der Bühne schwebt. Das ist dann ein komisches Gefühl, aber wir wissen genau, dass er gewollt hätte, dass wir seine Lieder weiterhin spielen, und wenn man sich anschaut, wie die Fans reagieren, weiß man, dass auch sie sie hören wollen.

„,The Jack“ wollten wir erst überhaupt nicht spielen, wir dachten, es sei zu eng mit Bon verknüpft, zu persönlich. Aber dann, zwei Wochen bevor wir mit Amerika fertig waren, fingen wir an, es zu spielen, und es machte niemandem etwas aus, und in England störte sich auch keiner daran. Da wussten wir: ,Von jetzt an können wir alles machen, denn die Fans werden es akzeptieren.“ Die waren einfach froh, dass es AC/DC noch gab. Es war eigentlich viel zu einfach. ... Es ist noch gar nicht so lange her, da spielte ich mit Geordie in Newcastle vor 900 Leuten und dachte, das sei die ganz große Nummer. Dann war ich plötzlich mit diesen Jungs hier auf Tournee, und am Anfang dachte ich, wenn ich zu den ganzen schreienden Fans auf die Bühne hinausging: .Moment mal, da stimmt doch irgendwas nicht.‘ Ich komme aus der Arbeiterklasse, und wenn man morgens im Hotelzim­mer aufwacht und sich umschaut, wie man so lebt, mit Limousinen vor der Tür und dem ganzen anderen Kram, dann kann einen das schon durcheinanderbringen, aber da gibt es noch die Band; die Jungs stehen mit beiden Beinen auf der Erde und würden es nicht zulassen, dass ich irgendwann abhebe.“

Angus musste zugeben, dass es eine große Umstellung für ihn bedeu­tete, mit einem neuen Frontmann zu spielen: „Ich hatte mich an Bon gewöhnt. Brian ist eine Person für sich, mit einem ganz natürlichen Wesen, und das hilft der Sache wirklich weiter. Manchmal hielt Bon sich eher im Hintergrund, und dann war er wieder vorne. Brian ist wie ich. Er steckt voller Energie und ist immer ganz vorne.“

Natürlich wollten viele der Kritiker AC/DC auch jetzt nicht in Ruhe lassen. Doch Brian, der sich seinerzeit schon mit Geordie abgestrampelt hatte, ohne dies von der Presse honoriert zu bekommen, ließ sich ebenso wenig aus der Ruhe bringen wie seine Bandkameraden. „Mit AC/DC ist es ganz einfach“, sagte er in einem Interview mit RAM. „Die Kritiker verstehen unsere Musik nicht, und deshalb können sie sie auch nicht beschreiben. Das ist uns aber scheißegal. Wir gehen auf die Bühne und spielen, was wir spielen ‒ fertig. ... Ich habe der Musikpresse noch nie geglaubt. Ich kaufe mir die Hefte nur, weil ich wissen will, wer wo spielt. Die Kritiken sind nur die Mei­nung eines Einzelnen, nicht die der Zuschauer. Ich lese sie erst gar nicht, und die anderen in der Band auch nicht. Wenn eine Konzertkritik mal gut ausfällt, ist das ja ganz nett, aber wir können auch drauf verzichten.“

Doch es gab genug Kritiker, die sich der Band und ihrer neuen Bühnenshow durchaus zugeneigt zeigten. Nach einem der insgesamt sechs Londoner Konzerte im November schrieb Fred Williams im Re­cord Mirror. „Das Glockenläuten im Dunkeln, bevor die Band zu spie­len anfängt, ist so ziemlich das Einzige, was an Bon Scott erinnert. Nun beginnt eine Reise bis an den Rand des Irrsinns, die von Sänger Brian Johnson geleitet wird, der wie ein betrunkener Matrose über die Bühne schlingert. Dazu bewegt sich Angus Young in einem Anfall von wahn­sinniger Hysterie umher, und sein Gitarrenspiel ist das Einzige, was er an sich unter Kontrolle hat. Dabei scheint aber er mehr von seiner Gitarre gepackt zu sein, als er sie selbst gepackt hält. ... Das Schuljungenelement von AC/DC scheint die Abschlussprüfung bestanden und die Schule verlassen zu haben. Der Bassist und der Rhythmusgitarrist wackeln im Gleichschritt nach vorne, um die Refrains mitzusingen, und Gesten wie eine hochgereckte Faust werden von der Menge wie von einem einzigen Mann beantwortet. Zum Glück ist die Musik stark genug, sich bei dem ganzen Drumherum noch behaupten zu können, und bietet dem Zuschauer mit aggressiver Männlichkeit die Stirn. Die Rhythmen, deren eleganter Aufbau durchaus mehr als drei Akkorde zulässt, kommen aus dem Herzen des Hardrock. Jeder, der die Bindekräfte anzweifelt, mit denen Musik auf Menschen wirken kann, sollte sich ein AC/DC-Konzert ansehen.“