Feuer und Schwefel den Konzerthallen!
AC/DC hatten sich vollständig von dem schweren Schlag erholt, den ihnen Bons Tod versetzt hatte und der ihnen leicht das Genick hätte brechen können. Sie waren als eine der größten Rockgruppen der Erde aus der Krise hervorgegangen, und für sie galt nun, in die Zukunft zu blicken und ihren Erfolg weiter auszubauen. Auch die Trennung von ihren australischen Produzenten und von ihrem australischen Manager war endgültig überwunden, und die Band war nun mit ihrem englischen Sänger überdeutlich ein internationales Produkt ‒ AC/DC befanden sich in einem neuen Zeitalter.
Die amerikanische Plattenfirma konnte eine solche Nachfrage auch nach sämtlichen alten Platten von AC/DC verzeichnen, dass sie sich nun endlich dazu entschloss, Dirty Deeds Done Dirt Cheap zu veröffentlichen, die bislang zurückgehalten worden war. Im Mai 1981 erschien das fünf Jahre alte Werk in europäischer Fassung in den Vereinigten Staaten. Malcolm und Angus hatten zuerst Bedenken gehabt, Aufnahmen mit deutlich unterlegener Studiotechnik auf den Markt zu bringen, die außerdem mit der Musikerbesetzung von 1976 nicht dazu dienlich sein konnten, den Stand ihres neuen Sängers zu festigen. Schließlich hatten sie aber doch eingewilligt, jedoch nur unter der Auflage, dass die Platte verbilligt verkauft werden und mit einem Aufkleber versehen sein möge: „Alle Titel 1976 aufgenommen von Bon Scott, Angus Young, Malcolm Young, Phil Rudd und Mark Evans“
Die Zeit für die Veröffentlichung hätte nicht günstiger gewählt sein können. Der „Oldie“ schnellte sofort auf Platz 3 der amerikanischen Hitliste hoch und übertraf damit sogar Back In Black. Das Titelstück wurde zu einem der größten Radiohits, den die Gruppe bis dahin in Amerika gehabt hatte. Das zeitigte überraschende, jedoch nicht völlig unvorhergesehene Folgen. Wie seinerzeit in Australien, so versuchten nun in Amerika die jugendlichen Anhänger der Band, unter der in dem Lied genannten Telefonnummer jene ominöse Agentur zu erreichen, die mit dem Slogan „Aufträge jeglicher Art – schnell, billig und hart“ für sich warb. Diesmal war das Opfer ein Ehepaar in Illinois, Norman und Marilyn White, die wegen der fortlaufenden Belästigungen einen Prozess anstrengten, in dem es um 250.000 Dollar ging. Da sie wegen des anonymen Charakters der Anrufe schwerlich auf Unterlassung klagen konnten, baten sie das Gericht, ein Rundfunksendeverbot für das Lied zu verhängen und eine Neuaufnahme ohne die fragliche Textstelle anzuordnen. So hatte Bon nach der überraschenden Weihnachtspost im Gefolge seiner Beerdigung nun ein weiteres Mal posthum für Aufsehen gesorgt.
Am 22. August 1981 trat die Band mit den Vorgruppen Whitesnake, Blue Oyster Cult, Slade und Blackfoot auf dem Monsters-Of-Rock-Festival in Castle Donington in Mittelengland auf. Es war das zweite Jahr dieser wichtigsten britischen Rockveranstaltung, die heute Legendenstatus hat und aus der eine Tradition von alljährlichen Hardrock- und Heavy-Metal-Festivals in ganz Europa hervorgegangen ist. Damals war der Auftritt von AC/DC leider von technischen Schwierigkeiten begleitet. Außerdem konnte die Verstärkeranlage die Menge von 80.000 Zuschauern, die anstatt der erwarteten 50.000 gekommen waren, nur unzureichend beschallen, was aber dem Triumph der Band keinen Abbruch tat.
Vor dem Festival hatte die Band bereits eine Zeitlang mit Mutt Lange in Paris die Aufnahmen für die nächste Platte vorbereitet. Brian berichtet: „Ich war wirklich zufrieden, denn Angus und Malcolm ließen sich richtig Zeit. Bei Back In Black hatte alles sehr schnell gehen müssen. Wir waren jetzt fast eineinhalb Jahre ständig unterwegs gewesen, und wir brauchten alle ein bisschen Ruhe. Malcolm und Angus hatten ihre Riffs beieinander. Wir trafen uns in Paris und probten ungefähr drei Wochen etwas außerhalb in einer alten Fabrik. Dann kam Mutt und wir gingen ins Studio. Es war für uns ein echtes Problem, dass wir den Sound nicht wie gewünscht hinbekamen. Wir wollten möglichst live klingen. Deshalb wechselten wir das Studio, kurz bevor wir nach Donington gingen. Am Ende waren wir wieder in der alten Fabrik, in der wir geprobt hatten, und da war der Sound großartig.“
Die Aufnahmen wurden mit einer mobilen Einheit, die man aus England kommen ließ, gemacht. „Wir waren alle hochzufrieden“, schwärmt Brian. „Angus und Malcolm wollten auf dieser Platte Akkorde, die richtig wuchtig daherkommen, und es ist wirklich eine tolle Sache dabei herausgekommen. Es sind ein paar echte Klassiker dabei.“
For Those About To Rock ‒ We Salute You, wie das neue Werk betitelt wurde, konnte tatsächlich mit einer geradezu umwerfenden Klangmauer aufwarten, die aber dennoch, von einigen verstärkenden Einlagen einer dritten Rhythmusgitarre abgesehen, von nichts weiter als den gewohnten vier Instrumenten erzeugt wurde. Mutt Lange hatte wahrscheinlich die Dopplungstechniken noch umfangreicher angewendet als zuvor. Die bis dahin eingängigsten und mitreißendsten, volltönigen Kehrreime der Hintergrundsänger schienen besonders für amerikanische Ohren noch angenehmer zu sein als die auf Back In Black und Highway To Hell. Einige Kritiker hielten den Klang der Platte jedoch für zu bombastisch geraten ‒ einmal benutzte einer dafür den Begriff Luftpumpensound ‒, wofür neben dem allgemeinen Klangbild vielleicht auch der Kanonendonner verantwortlich ist, der in dem Titelstück als Spezialeffekt hinzugemischt worden war.
Brian erzählt, wie er zu den Ideen für seine Lieder kommt: „,Put The Finger On You‘ zum Beispiel geht auf einen alten Film mit James Cagney zurück, der einmal spätabends im Fernsehen lief. An einer Stelle guckt er Bogey an und sagt: ,Nimm dich in acht, Bursche, sonst bist du dran! – I’m going to put the finger on you.‘ In dem Lied geht es um eine Frau, und da hat der Satz natürlich eine etwas andere Bedeutung, aber hinter all unseren Songs steckt eine Geschichte. Sie sollen Unterhaltung sein, aber wenn wir ins Studio gehen, wollen wir Klassiker produzieren.“
For Wose About To Rock ‒ We Salute You kam im November 1981 in die Plattenläden und wurde sofort zu einem Verkaufsschlager, besonders in Amerika: Nach einer Woche waren mehr als eine Million Einheiten verkauft, nach einem Monat war die Platte auf Platz 1, und nach knapp zwei Monaten wurde sie mit Platin veredelt. Letztere Auszeichnung hatte Back In Black in Amerika erst nach über einem Jahr bekommen.
Die sich anschließende Welttournee führte die Band während der letzten beiden Monate des Jahres durch die Vereinigten Staaten und Kanada, dann nach einer Pause im Juni durch Japan, und schließlich nach einer weiteren Pause ab Ende September mit Unterbrechungen bis Ende 1982 durch Europa ‒ der neue Status der Band als gegebene Größe im Geschäft hatte ihr ermöglicht, die ganze Sache etwas gemächlicher anzugehen. Dafür war jedoch die Bühnenshow noch aufwendiger gestaltet als beim letzten Mal. Zum Finale wurden aus zwei gewaltigen Kanonen in historischem Design, die links und rechts der Bühne standen, ohrenbetäubende Salutschüsse abgegeben, während die Band „For Those About To Rock (We Salute You)“ spielte (natürlich kam dieser Geräuscheffekt vom Band, während man aus den Geschützrohren Rauch aufsteigen ließ). Die „Höllenglocke“ war, nebenbei bemerkt, auch wieder mit von der Partie.
Weil die neuen Showelemente mit den kommunalen Brandschutzverordnungen von Hartford (Connecticut) in Konflikt gerieten, wäre die Band um ein Haar im Gefängnis gelandet. Die Polizei war von der Feuerwehr gerufen worden und wartete nun hinter der Bühne. Brian erzählt: „Wir waren eigentlich schon fertig und wollten mit der Zugabe beginnen, da kam einer von den Roadies angelaufen und sagte, dass sie uns verhaften würden, wenn wir die Kanonen abschießen würden. Malcolm hat natürlich nie etwas gegen ein bisschen Ärger einzuwenden und sagte gleich, dass wir es machen sollten. Aber leider hatten sie den Technikern, die die Kanonen bedienen, hinter der Bühne vorsichtshalber schon mal Handschellen angelegt, und deshalb konnten wir „For Those About To Rock“ an jenem Abend nicht spielen. Ohne die Kanonen hätte sich das angehört wie „Highway To Hell“ mit akustischen Gitarren. Wir machen keine halben Sachen.
„Als wir von der Bühne kamen, hatten sie Ian Jeffery schon Handschellen angelegt und hielten ihm die Pistole unter die Nase. Sie hielten auch für uns schon Handschellen bereit und sagten, sie würden uns alle als Brandstifter ins Gefängnis stecken. Verrückt, so was!“
In einem Konzertbericht der Zeitschrift Sounds fasste Dave Lewis die Bühnenshow von Angus Young in einem Abschnitt folgendermaßen zusammen: „Angus trägt den bösen Buben jetzt eher noch dicker auf. Er windet sich wie in einem epileptischen Anfall mit zuckenden Gliedmaßen auf dem Boden, fegt wie wildgeworden kreuz und quer über die Bühne und springt von den Lautsprechertürmen. Im Mittelteil von „Bad Boy Boogie“ streift er sich mit lasziven Scheuerbewegungen Stück um Stück die durchgeschwitzte Schuluniform vom Leib, zieht das Oberhemd mit dem Ärmel von hinten zwischen seinen Beinen hindurch und hält es dort festgeklemmt, während er mit der freien Hand durch wiederholtes Auf- und Abreiben an dem straff gespannten Ärmel offenbar die elektrostatische Erregbarkeit des Stoffes in Erfahrung bringen will. Er tänzelt hüftschwingend an der ersten Zuschauerreihe vorbei, steckt seine Finger von innen mit einer Pistolengebärde durch den geöffneten Hosenschlitz und streckt dem Publikum schließlich vom Schlagzeugpodest aus seinen blanken Hintern entgegen.“
„Ich weiß auch nicht, warum ich das mache. Ich weiß es einfach nicht“, beteuert Angus. „Es könnte an dem Schlagzeug liegen; ich bin schon auf die Bühne gegangen und habe vorher zu jedem gesagt, dass ich es nicht machen würde, und dann hörte ich dieses Schlagzeug hämmern und machte es doch. Es kommt auch auf das Publikum an, ob ich es mache, und früher hatte ich immer am meisten Spaß dabei, wenn die Leute uns nicht kannten und nicht wussten, was passieren würde. Das Gute daran ist, dass die Leute was zu lachen haben und das ganze Konzert nicht mehr so ernst nehmen. Ich kann mir nicht vorstellen, dass Leute wie Mick Jagger so etwas auch machen würden. ... Die Energie kriege ich von der Schuluniform. Ich bin eigentlich ein ziemlich träger Mensch, aber wenn ich diese Sachen anziehe, werde ich putzmunter. Mit denen ist irgendwas. Wenn ich die anziehe, bin ich für ein paar Stunden jemand anders, auch wenn sich das verrückt anhört. Das versetzt mich immer wieder in Erstaunen. Ich ziehe das Ding an, schaue in den Spiegel und bekomme Angst vor mir selbst.“
Wenn die Band ihre Auftritte auch um Extraeinlagen wie die Glocke und die Kanonen und eine riesige Lichtshow ständig bereichert hatte, so war doch der Kern der Darbietung, die Musik, mit der alten Aggressivität und Frische im Urzustand verblieben. Angus gibt uns einen tieferen Einblick in das System, nach dem die Konzerte auch nach Jahren und Jahrzehnten immer noch funktionieren: „Wenn man ständig auf Tour ist, muss man aufpassen, dass man nicht in Routine verfällt. Um das zu vermeiden, denke ich an etwas Schlechtes. An etwas Böses. Böse denken heißt böse spielen. Wir wollen eine hohe Spannung erzeugen und sie aufrechterhalten. Townshend ist auf der Bühne immer gewalttätig. Er muss sich auch danach fühlen, damit er es jedesmal schafft, so auszusehen. Manchmal, wenn ich besonders böse gespielt habe, muss ich in die Garderobe geführt werden, weil ich nichts mehr sehe. Auf der Bühne denke ich an das Äußerste, nur um weiterspielen zu können. Die Leute sind gekommen, weil sie sehen wollen, wie du wild wirst. Sie wollen dich besser sehen als das letzte Mal.“
Die Bühnendarbietung wurde durch die Ausstaffierung mit optischen Effekten immer weiter verfeinert, doch die Musik der Band zog nach wie vor den Unwillen so manches Musikjournalisten auf sich. Richard Harrington schrieb in der Washington Post: „Brian Johnson klingt so, als würde er jeden Morgen mit Eisenfeilspänen gurgeln und mit Industriereiniger nachspülen. Dabei hat er das Ohr eines Van Gogh für Melodie und Tonlage. AC/DC mögen eine hervorragende Livegruppe sein, aber ihre Platten fangen an, immer demselben Strickmuster zu folgen. Stücke wie „Inject The Venom“ oder „Breaking The Rules“ könnten genausogut Parodien auf AC/DC sein. Der erfrischende Chaos-Rock von einst ist zu einer todlangweiligen Sache verkommen.“
Derartige Kommentare wurden von den Betroffenen natürlich überhaupt nicht wahrgenommen. Angus blieb völlig gelassen, wenn er auf Fragen nach dem Verhältnis der Band zu den Medien einging: „Wir wissen nicht, was die Leute über uns sagen. Wir wollen einfach nur auf der Straße sein, von Konzert zu Konzert ziehen. Das ist das Größte für uns. Wir hören uns auch gar nicht oft im Radio. Immer wenn ich den Kasten andrehe, kommen da Gruppen wie Styx, und ich mache sofort wieder aus. Das ist kein Rock’n’Roll, das ist Showbusiness.“
Malcolm behauptete: „Wir sind eine Klubband, obwohl wir nicht mehr in Klubs spielen. Ich kenne eine Menge großer Gruppen, die es nie überleben würden, in einem Klub zu spielen. Wenn die Leute uns auf der Bühne sehen, denken sie bestimmt: ,Guck dir diese armen Kerle an, die denken, sie spielen in einer Kneipe‘, auch wenn wir gerade vor 10.000 oder 20.000 Leuten spielen. So eine Gruppe muss man einfach mögen – so einfach ist das mit uns. Das Wichtigste ist, dass man dabei bleibt, was man ursprünglich machen wollte, und das ist: spielen. Einfach auf die Bühne gehen und ein gutes Konzert hinlegen. Was die Leute über einen sagen oder nicht sagen, ist doch egal.“
„Wir sind für die Leute im Publikum keine Bedrohung“, erklärte Brian weiter. „Die denken sich doch: ,Das da oben könnte auch ich sein. Ich könnte der Gitarrist da sein ... oder der Sänger. Der sieht auch nicht besser aus als ich. Im Gegenteil, ich sehe besser aus als er. Der Rhythmusgitarrist hat auch nur Jeans, T-Shirt und Turnschuhe an.‘ Deshalb kommen die Leute in die Konzerte.“
„Wenn wir in Amerika unterwegs sind, kann einen das hohe Tempo schon kaputtmachen“, musste Brian jedoch zugeben. „Wenn man erst um sieben Uhr morgens ins Bett kommt, gerät der ganze Lebensrhythmus durcheinander. Wenn es abends dann losgeht, reißt man sich zusammen. Du hörst, wie das Publikum langsam verrückt wird, und merkst, dass es ernst wird. Und dann geht’s an die Arbeit.“
Brian beschrieb unvermutet volkstümliche Szenen, die sich hinter den amerikanischen Bühnen abspielten: „In der Bar hängt eine Dartscheibe. Wenn man vor dem Konzert eine Runde Darts spielt, sind die 5000 oder 20.000 Leute, die draußen in der Halle auf einen warten, plötzlich keine Bedrohung mehr. Dann denkt man nur noch daran, wie man in die nächste Runde kommt. Bei zehn Dollar Einsatz pro Kopf geht es schließlich um rund zweihundert Pfund. Das ist gut, weil man sich dabei ein bisschen wie zu Hause in England fühlen kann.“+++
„She’s Got Balls“– Und vor der Halle demonstrierten die FrauenrechtlerInnen]