22 THAT’S THE WAY I WANNA ROCK’N’RLL

Vom Leben und Streben eines Rockers

Nach Weihnachten 1982 legte die Band einige Monate Pause ein, bevor sie begann, an dem Nachfolger von For Those About To Rock ‒ We Salute You zu arbeiten. Die Aufnahmen fanden wieder in den Compass-Point-Studios in Nassau statt. Das Ergebnis mit dem Namen Flick Of The Switch erschien im August 1983.

Malcolm und Angus hatten entschieden, auf Mutt Langes Fertigkei­ten zu verzichten, und selbst hinter dem Mischpult Platz genommen. Angus erklärte die Ablösung wie folgt: „Viele Leute glaubten, Mutt Lange sei das, was AC/DC ausmacht, und das ging uns auf den Wecker. Mutt hatte davor noch nie mit einer richtigen Rock’n’Roll-Band gearbei­tet. Er hat zwar ganz klare Vorstellungen von dem Sound, den er hinkriegen will, und er gibt klare Anweisungen, und dafür hat er auch Anerkennung verdient, aber wir hatten andere Vorstellungen als er und ließen uns von ihm nicht viel sagen. Wenn wir das gemacht hätten, was er wollte, hätte er uns noch viel mehr blankpoliert.

„Unser Bruder hat uns immer recht freie Hand im Studio gelassen. Bei Mutt mussten wir um alles kämpfen. Back In Black war in Amerika unser meistverkauftes Album, aber Malcolm hatte sich um viele der Lieder selbst gekümmert, weil Mutt sie nicht richtig verstanden hatte. Wir wussten schon immer, was wir wollten, und letzten Endes kam es immer darauf an, was wir von uns beisteuerten. Wir haben die Dinge dann immer mehr selbst gemacht. Das ist irgendwie schon komisch: Mit manchen von diesen Leuten arbeitet man jahrelang zusammen, hört sich geduldig an, was sie einem zu sagen haben, und plötzlich merkt man, dass man eigentlich schon immer gewusst hat, worauf es eigentlich ankommt.“

Die Plattenhülle von Flick Of The Switch zierte eine einfache Bleistiftzeichnung auf weißem Grund, und in dieser Schlichtheit spiegelte sich die Musik. Die technischen Spielereien aus der Zeit mit Mutt Lange hatte die Band weggelassen und präsentierte sich nun wieder in gewohnter Einfachheit. Damit begegneten sie all jenen, die bemängelt hatten, die Band sei zu glatt geworden, mit einem Schnau­ben der Verachtung. „Wir wollten rauer klingen, und wir wollten eine richtig harte Platte“, erklärte Angus. „Wir hatten schon immer diesen Sound, aber diesmal wollten wir einfach noch härter sein. Das werden die Leute auch merken, wenn sie die Platte hören. Sie werden wissen, dass sich die Platte so anhört, weil wir es so wollten.“ – „Meistens geht doch eine Weiterentwicklung bei den Bands irgend­wann zu weit“, merkte Malcolm an, und Angus schloss: „Die Kritiker können die Platten schlechtmachen, aber sie müssen sie ja nicht kaufen. Die Leute kaufen die Platten, und die können sagen, wenn ihnen etwas nicht gefallt.“

Dies taten die Leute, indem sie Flick Of The Switch eben nicht kauften, zumindest nicht in dem gewohnten Umfang. For Those About To Rock ‒ We Salute You war zwar ein Riesenerfolg in den Hitparaden gewesen, hatte sich aber auf lange Sicht schon nicht mehr ganz so gut verkauft wie Back In Black, und mit Flick Of The Switch ging dieser Abwärtstrend nun weiter. Das Album schaffte zwar noch den Sprung an die Spitze der Hitparaden, konnte aber bei weitem nicht so viele Einhei­ten verkaufen wie seine beiden Vorgänger.

Das Werk ist jedoch insgesamt ein erfrischendes Paket roher Gewalt, das dem Hörer beim Öffnen die ungeschliffenen Töne aus dem Klangschatz der frühen AC/DC entgegenschleudert, als der Eigenan­trieb der Musik ausreichte, um die Botschaft ans Ziel zu bringen, und moderne Studiotechnik überflüssig war.

Die Produktion der Platte war mit weitreichenden personellen Ver­änderungen im AC/DC-Gefolge einhergegangen. Nicht nur Produzent Mutt Lange, sondern auch Peter Mensch und das Leber&Krebs-Management, Fotograf Robert Ellis und zahllose Bühnenarbeiter und andere Mitarbeiter waren Opfer einer umfangreichen Säuberungsaktion ge­worden. Schließlich hatte es auch Schlagzeuger Phil Rudd erwischt.

Phil hatte ein massives Drogenproblem, und er hatte außerdem wegen persönlicher Dinge mit Malcolm Ärger bekommen. Ian Jeffery, der damals für begrenzte Zeit in Nachfolge von Peter Mensch das Management übernommen hatte, erzählt: „Am Ende gab es eine böse Auseinandersetzung zwischen Phil und einem anderen Mitglied der Band. Es kam zu Handgreiflichkeiten, und zwei Stunden später setzte ich Phil in ein Flugzeug nach Hause.“ Die Band stellte die Angelegen­heit damals etwas anders dar: „Er hatte schon eine ganze Weile daran gedacht auszusteigen“, so Angus. „Die Studioarbeit machte ihm nichts aus. Es waren die Tourneen. Er spielt lieber mit seinen Jachten.“ Flick Of The Switch sollte für ganze zwölf Jahre Phils letzte Platte mit AC/DC sein.

Die Band hatte zunächst Probleme, die Lücke zu füllen. Noch bevor die Aufnahmen ganz abgeschlossen waren, flogen mehrere Kandidaten zur Begutachtung nach Nassau, die aber auf Malcolm und Angus alle keinen großen Eindruck machen konnten. Nach der Rückkehr an den Londoner Stützpunkt der Band wurde dann in der Musikpresse eine anonyme Anzeige aufgegeben. Angus scherzt: „Wir setzten einfach eine Anzeige in die Zeitung: ,Schlagzeuger gesucht ‒ jeder unter 1,60 m kann sich melden.‘“

Die Stelle fiel schließlich an den erst zwanzigjährigen Simon Wright aus Manchester, der bei den recht unbekannten Gruppen Tora Tora und A II Z gespielt hatte, bevor er sich dann in London einer Band namens Tytan angeschlossen hatte. Simon erzählte: „In der Anzeige stand: ,Heavy-Rock-Schlagzeuger gesucht. Wenn du nicht hart schlagen kannst, brauchst du dich gar nicht erst zu melden.‘ Ich konnte natürlich nicht ahnen, dass es AC/DC waren. Ich rief an und wurde zu einem Vorspiel geladen. Als ich dann Brian, Angus, Malcolm und Cliff sah, wollte ich meinen Augen erst nicht trauen. Beim ersten Mal ging alles ganz gut. Ein paar Tage später musste ich nochmal kommen. Da spielte ich dann mit der Band zusammen. Ich war ziemlich nervös, aber es gefiel ihnen wohl, was ich spielte, und sie haben mich genommen.“

Obwohl die Verkaufszahlen der Flick of the Switch weit hinter den Erwartungen zurückblieben, waren die Konzerte der sich anschließen­den Tournee gut besucht. Diesmal handelte es sich aber nur um eine zweimonatige Konzertreise durch Amerika ab Mitte Oktober. Unter den vielen, die dem Läuten der Glocke folgten und die Salutschüsse aus den Kanonen hörten, war auch Brians Vater. Nach dem Konzert schilderte er der Zeitschrift People seine Eindrücke: „Ich war in Monte Cassino, als die Amerikaner das Ding plattmachten, und ich war in El Alamein dabei, als wir Rommel mit unserem Trommelfeuer zurück­schlugen, aber so etwas Lautes wie das hier habe ich noch nie in meinem Leben gehört.“

Neben dem alles zu beherrschen scheinenden Musikerdasein der fünf, das sich zwischen Bühne, Bus und Bar abspielte, hatte ihr Leben auch eine Seite, von der man durch die Medien kaum etwas erfuhr. Bis auf das jugendliche Neumitglied der Gruppe waren die Musiker alle verheiratet, Brian und Malcolm hatten Kinder. Es ist nur verständlich, dass sie sich, als ihnen niemand mehr den Platz auf dem Rockolymp streitig machen konnte, endlich auch einmal mehr ihren Familien wid­men wollten.

Brian war, ebenso wie Cliff, nach Amerika übergesiedelt, aus Steuer­gründen, wie er sagte. Der einstmals eingefleischte Geordie wollte jedoch auch (nun, da er keine Geldsorgen mehr hatte) einen Platz an der Sonne für sich und seine dreiköpfige Familie, wie er an anderer Stelle zugab: „In Nordengland ist es kalt und feucht, und ich hatte es satt, den Leuten zu erzählen, wie schön es da sei.“ Nun bastelte er in seinem neuen Heim in Fort Myers (Florida) an Motorrädern herum und beschäftigte sich in seinen Mußestunden mit Militärgeschichte.

Malcolms Familie wuchs stetig, und Angus lebte, wenn er nicht gerade unterwegs war, mit seiner holländischen Frau Ellen in der Nähe von Venlo, wo er mit der Malerei begonnen hatte. Er hatte sich, was man ihm gar nicht zutrauen mag, auf Naturbetrachtungen spezia­lisiert: „Ich male Landschaften: Berge, Blumen, Bäume ‒ nichts allzu Kompliziertes.“ Einen anderen Teil seiner Bilder beschrieb er als „heitere atmosphärische Straßenszenen“, die wohl nicht viel von dem hatten, was er selbst in zehn zermürbenden Jahren auf der Straße erlebt hatte.

Ellen bekundete Sorge um die Gesundheit ihres Angetrauten: Je­desmal, wenn er sich im Konzert auf den Boden fallen lässt, bekomme ich es mit der Angst zu tun. Da ist kein Trick dabei. Er fallt wirklich um.“ Angus hatte inzwischen auch wirklich Knochenschäden an den Knien, ganz von dem Zahn abgesehen, den er sich hin und wieder mit seiner Gitarre ausschlug.

Die Vorstellung der meisten Leute von der Person Angus Young stützt sich auf das, was sie im Konzert oder in den Zeitschriften von ihm zu sehen bekommen. So ist es denn auch nicht zu verwundern, dass viele seiner Anhänger, die Kontakt zu dem nur 1,57 m kleinen Privatmann in Jeans und Cowboystiefeln suchen, diesen bei einer Begegnung zuerst gar nicht erkennen. Angus erzählt, wie er dies ausnutzt, um sich gelegentlich aus einer Klemme zu helfen: „Manche von den Frauen, die nach den Konzerten zu mir wollten, waren ganz schöne Brummer. Ich öffnete die Tür und sagte einfach: ,Tut mir leid, ich bin nur sein Butler.‘“

Die wahnsinnige Bühnenshow von Angus Young ist umso beein­druckender, wenn man bedenkt, dass er dazu keine stärkeren Auf­putschmittel als die unvermeidliche Tasse Tee braucht. Für Musikerver­hältnisse lebt er äußerst gesund: kein Alkohol, keine Drogen, und gesunde Ernährung. „Ich mag frisches Brot und frische Milch“, erklärt er. „In Amerika kriegen wir immer nur Hamburger, und sogar die Milch ist nicht echt; da werden irgendwelche Vitamine zugesetzt. Sie schmeckt wässrig. Ich bin von zu Hause her anderes gewohnt.“

Abgesehen von der ungeheuren Zufuhr von Tee, für die Angus berüchtigt ist, ist sein einziges Laster das Rauchen, was er als eine Art Familienbrauch beschreibt: „Ich glaube, außer meiner Mutter raucht jeder in meiner Familie. Mein Vater war der einzige Mensch, den ich je im Schlaf habe rauchen sehen. Er starb an Lungenkrebs. Er war aber auch Lackierer in einer Fabrik. Damals trugen sie noch keine Masken, und irgendwann sagte ihm dann der Arzt, dass er wegen seiner Lunge aufhören müsse. Ich möchte niemandem raten, das Rauchen anzufan­gen. Ich selbst wurde damals darin unterstützt. Als ich vierzehn war, konnte ich mir Zigaretten kaufen, und keiner kümmerte sich darum.“

Was andere fleischliche Genüsse angeht, die das Leben auf der Straße für einen Rockmusiker bereithält, so wurde hier schon früh Zurückhaltung geübt. „Ich rühre sie nicht an“, antwortete Brian auf die Frage nach Groupies. „Ich bin ein verheirateter Mann mit zwei Kindern. Außerdem gibt es in Amerika schlimme Krankheiten, die man sich holen kann, und da gehe ich kein Risiko ein. Sie bekommen einen kräftigen Händedruck, und das ist so ziemlich alles. Wir sind anständige Jungen in dieser Band. Wenn wir Spaß haben wollen, wird eine Runde Karten geklopft.“

Dieses Bild vom bürgerlichen Privatleben der Musiker muss ange­sichts der schlüpfrigen Texte der Lieder und angesichts ihres wilden Auftretens auf der Bühne doch sehr verwundern. Doch auch Mutt Lange, ihr ehemaliger Produzent, konnte nur bestätigen: „Man hält sie für wilde Tiere, aber sie würden alle für eine Dame aufstehen. Im Grunde sind sie viel zu anständig.“ Ein Sprecher der Plattenfirma drück­te es einmal so aus: ,,AC/DC würden sich hüten, Eselsohren in den Menüplan auf dem Hotelzimmer zu machen.“

Angus erklärte einmal in einem Interview mit der Zeitschrift Spin: „Man muss zu sich selbst stehen und darf sich nicht darum kümmern, was die Leute über einen sagen. Wenn eine Rock’n’Roll-Band kommt, heißt es doch sofort: Jetzt fliegt bestimmt gleich ein Fernseher aus dem Fenster.‘ Malcolm sagt da nur: ,Wozu eigentlich? Wäre doch schade um den schönen Fernseher.‘ Alle sind sie nur auf eine Skandalgeschichte aus. Von uns erwartet man nichts als Sex, Drogen und Rock’n’Roll. AC/ DC steht für Rock’n’Roll, Gegen das Erste habe ich ab und zu auch nichts einzuwenden, aber die Drogen können mir gestohlen bleiben, nein danke.

„Als ich klein war, waren diese ganzen Hippiebands angesagt. Die spielten nur, wenn sie auf Drogen waren ‒ ich fand sie scheußlich. Sie hörten sich einfach beschissen an. Ich dachte schon immer, dass Drogen reine Zeitverschwendung sind.“

Natürlich war Angus’ Abneigung gegen Drogen durch das, was er bei AC/DC erlebt hatte, nur noch verstärkt worden: „Bon starb am Alkohol, und jene Zeit hat mich ziemlich verändert. Es war eine Tra­gödie, weil wir einander so nahegestanden hatten. Mir wurde bewusst, wie zerbrechlich ein Mensch ist und wie schnell alles verloren sein kann. Ich selbst hatte eigentlich nie etwas mit Alkohol und Drogen zu tun. Ich komme auch so morgens schlecht aus dem Bett. Ich habe in all den Jahren so viele Leute abstürzen sehen, und das muss einfach nicht sein. ‒ Wenn man Berufsmusiker ist, hat man so viel um die Ohren, dass man sich um so etwas wie Drogen gar nicht kümmern kann.“