24 IF YOU WANT BLOOD – YOU’VE GOT IT
Mexikanische Metzelsuppe mit blauen Bohnen
Das Jahr 1985 begann für die Band mit dem Freilichtspektakel Rock In Rio. An mehreren Tagen kamen insgesamt 400.000 Zuschauer, um neben AC/DC Rockgrößen wie Queen, Ozzy Osboume, Yes, Iron Maiden, Whitesnake und die Scorpions zu sehen. Das ganze Unternehmen war von heftiger Kritik an den Veranstaltern begleitet, die mit Rockmusik in einem der ärmsten Länder der Welt Geld verdienen wollten. „Es war eine verrückte Sache“, sagte später auch Schlagzeuger Simon Wright. „Da war man mitten in der Dritten Welt, und überall sah man diese bettelnden Kinder am Straßenrand hocken. Nur ein paar Meter weiter standen die großen Hotels mit den reichen Touristen.“
Im Frühjahr ging die Band dann in die Mountain-Studios nach Montreux am Genfer See. Obwohl Flick Of The Switch in den Regalen der Plattenläden stehengeblieben war, wollten Malcolm und Angus den Nachfolger wieder selbst produzieren. Es ging ihnen um den rauen Klang, mit dem sie zwei Jahre zuvor in Nassau so zufrieden gewesen waren.
Als Fly On The Wall dann im Juli 1985 erschien, gingen die Meinungen der Kritiker auseinander. Insgesamt klang das Werk ziemlich nach Heavy Metal, wodurch sich wohl viele der alten Freunde von AC/DC verprellt fühlten. Die kreischenden Gitarren, die sehr weit in den Vordergrund gemischt worden waren, ließen keinen Gedanken mehr an den frühen Rock’n’Roll aufkommen, der in der Musik von AC/DC fortgelebt hatte. So viel zum Klang der neuen Platte. ‒ Die Lieder selbst waren jedoch besser als die der Flick Of The Switch: einfallsreiche Riffs, interessante Stimmführung in den Strophen und melodiöse Kehrreime, die mit dem kräftigen Hintergrundgesang der Band zum Mitsingen einluden.
Auch auf diesem Werk war man der Losung „Wenig Technik – Viel Energie“ treu geblieben, die Malcolm und Angus nach der Trennung von Mutt Lange ausgegeben hatten. „Wir machen natürliche Musik“, kommentierte Angus. „Auch in den frühen Tagen haben wir nie mit irgendwelchen Klangeffekten herumgemacht. So waren wir schon immer. Wir sagen nicht: ,So, diesmal benutzen wir das Allerneuste.‘“
Und wie bei vielen anderen Gelegenheiten, so goss Angus auch hier wieder reichliches Lob über seinen Bruder aus: „Ich kann mir noch so viele Riffs ausdenken. Er kommt mit einem einzigen daher, ich höre es mir an und bin baff. Er hat das klassische Gefühl für Gitarre, in Songs wie zum Beispiel „Back In Black“ oder „Fly On The Wall“. Viele Leute wissen Rhythmusgitarre gar nicht richtig zu schätzen.“ Der „Riffmacher“, wie Malcolm genannt wird, hat mit seinen satten, spritzigen Riffs immer die Grundlage der Musik von AC/DC gebildet, und Angus bezeichnet seine eigenen Rhythmusbeiträge, zumeist Akkordeinwürfe in höheren Lagen, gerne als bloße „Farbtupfer in Malcolms Spiel“.
Wie Billboard, die offizielle Zeitschrift der amerikanischen Musikindustrie, im Juni 1985 mitteilte, waren AC/DC die Hardrock-Gruppe mit den weltweit höchsten Verkaufszahlen. Mit 25 bis 30 Millionen verkaufter Langspielplatten standen sie besser da als Van Halen, Def Leppard, Rush oder Led Zeppelin. Dies, obwohl die neuesten Veröffentlichungen von der Käuferschaft überhaupt nicht gut angenommen wurden. Flick Of The Switch war in Amerika nur knapp eine Million Mal verkauft worden, und Fly On The Wall gar kam kaum über die Hälfte davon hinaus.
Die Band gab sich angesichts der ins Stocken geratenen Umsätze natürlich gelassen. Jeder hat seine Höhen und Tiefen“, sagte Angus. „Wir spielen einfach unsere Musik und kümmern uns um nichts weiter. Back In Black war in Amerika unsere meistverkaufte Platte, und die Leute wollen wieder etwas in der Art bekommen. Aber uns gab es schon lange vor Back In Black. In Amerika bedeutet Wohlstand Erfolg, in anderen Teilen der Welt ist man erfolgreich, wenn man etwas macht, was einen zufriedenstellt.“
Brian, der ebenso ein Produkt der Arbeiterklasse war wie die Young-Brüder, empfand ein ähnliches Mißtrauen gegenüber dem amerikanischen Begriff von Erfolg: „Wenn du mal in der ersten Limousine gesessen bist, bedeutet dir der Karren nichts mehr, weil es nicht dein eigener ist; in zwei Monaten fährst du vielleicht wieder in deinem alten Ford herum. Erfolg ist eine unbeständige Sache, und AC/DC behandeln ihn auch so.“
Für Fly Ort The Wall wurde ein knapp halbstündiger Videofilm produziert, in dem die Fliege von der Plattenhülle als Zeichentrickfigur eine der Hauptrollen spielt. Man sieht AC/DC auf der Bühne in einer New Yorker Bar. Die Gäste des etwas zwielichtigen Etablissements schenken der Band zuerst keinerlei Beachtung, doch das Interesse nimmt zu, und gegen Ende zeigen sie sich begeistert, während die Band mit dem Stück „Shake Your Foundations“ das Gebäude zum Einsturz bringt. Die Produktion, bei der Brian Ward Regie führte, war als eine behutsame Annäherung an das MTV-Zeitalter zu verstehen.
AC/DC waren und sind für ihre Vorbehalte gegenüber Videos bekannt. „Das Fernsehen ist gut für Schokoladenwerbung“, spottete Angus. „Ein Rockmusikvideo kann wirklich eine tolle Sache sein, wenn man es so wie eine Platte macht. Viele machen aber Kunst daraus, weil der Regisseur das so will. Solche Leute sind doch nur auf Geld aus und können einem wirklich leidtun.“
Bald sollte es jedoch wieder die Band sein, die Mitleid erregen konnte. Am 31. August 1985, zwei Tage vor Beginn des amerikanischen Teils der Fly-On-The-Wall-Welttournee, wurde Richard Ramirez in Los Angeles festgenommen. Der Massenmörder mit dem Beinamen „Nachtpirscher“ hatte über einen Zeitraum von acht Monaten ganz Kalifornien in Atem gehalten. Er war nachts in die Häuser seiner Opfer eingedrungen, um sie dort kaltblütig zu ermorden. An manchen der Tatorte hatte er hingekritzelte Pentagramme und Auszüge aus AC/DC-Texten hinterlassen, einmal sogar eine Mütze mit dem Schriftzug der Band. Bei der Festnahme trug er ein AC/DC-T-Shirt, und es überraschte niemanden mehr, als man bei der Durchsuchung seiner Wohnung Schallplatten der Gruppe fand. Freunde von Ramirez erzählten der Presse, er sei besonders von Highway To Hell begeistert gewesen.
Es wollte scheinen, dass der „Night Stalker“ nicht nur seinen Namen von einem Stück auf dieser Platte, „Night Prowler“, entlehnt hatte, sondern auch von dem Text beeinflusst gewesen war. Darin ging es um jemanden, der nachts um die Häuser herumschleicht und deren Bewohner damit in Angst und Schrecken versetzt, bis er schließlich in die Gemächer seiner wehrlosen Opfer eindringt. An dieser Stelle bricht das Lied mit einem langgezogenen Schrei ab.
Es schien alles genau zu passen. Wut und Bestürzung breiteten sich im Land aus. Eltern, die immer schon geglaubt hatten, dass die Band einen schlechten Einfluss auf ihre Kinder ausübte, kündigten ihr den Kampf an, und die Kirchenleute, die sich zwei Jahre zuvor durch das besonnene Argumentieren der Musikjournalisten hatten beschwichtigen lassen, gruben nun das Kriegsbeil wieder aus.
Die Band, die sich nun unter Dauerbeschuss befand, hielt sich zunächst bedeckt, sah sich dann aber unter dem zunehmenden Druck gezwungen, an die Öffentlichkeit zu gehen. Angus sagte in einem Femsehinterview: „Ich hatte schon gehört, dass da einer in Kalifornien herumläuft und Leute umbringt. Als dann von Satanismus die Rede war, hätte ich mir eigentlich denken können, dass sie irgendwann auf uns kommen würden.“ ‒ „Okay, es hieß, Ramirez war verrückt nach AC/DC“, räumte Malcolm ein, um gleich darauf fortzufahren: „Na und? Da gibt es irgendwelche Idioten, die deine Band mögen und dein T-Shirt tragen, während sie andere Leute umbringen. Wir sagen ihm doch nicht, dass er das machen soll. Wir sind einfach nur eine Rock’n’Roll- Band, verdammt noch mal!“
Was die Bandmitglieder zu ihrer Rechtfertigung auch vorbrachten, der Name AC/DC wurde in der Öffentlichkeit unweigerlich auf äußerst peinliche Weise mit dem „Nachtpirscher“ in Verbindung gebracht (die spätere Verfilmung des Falles enthielt aber natürlich keine Hinweise auf die australische Hardrock-Gruppe). Wieder wurde versucht, die Band auf ihrer Konzertreise zu behindern. In Springfield (Illinois) scheiterte zwar das Bemühen der Gemeindevertreter, das dortige Konzert zu verhindern, doch bekamen die Musiker in der Stadt kein Hotelzimmer und mussten über hundert Kilometer entfernt in St. Louis übernachten. Da zunächst nicht klar gewesen war, ob das Konzert stattfinden könne, erschienen nur 5000 statt der erwarteten 8000 Zuschauer. „Wir hatten nur drei Tage Zeit, um den Fans klarzumachen, dass wir doch spielen würden“, beklagte sich Angus.
An den Stadtrat von Springfield richtete Angus in einem Fernsehinterview folgende Worte: „Die waren es doch, die das Gesetz brachen. Wir sind durch den ersten Zusatzartikel der amerikanischen Verfassung geschützt, der uns Redefreiheit zusichert. Nachdem die Stadt das Konzert verboten hatte, mussten wir eine Woche lang darum kämpfen, dass wir doch spielen durften. Diese Leute sind so arrogant, und wisst ihr, was das Tollste ist? Gleich hinter der Konzerthalle sind die Puffs und die Massagesalons. Die sollten mal in ihrer eigenen Stadt aufräumen, anstatt auf uns herumzuhacken!“ Knapp drei Wochen nach dem Konzert in Springfield wurde ein Auftritt in Costa Mesa (Kalifornien) abgesagt, da einzelne Bürger ein Verbot erwirkt hatten.
Als People in einer Titelgeschichte unter der Überschrift „Ist die Rockmusik zu weit gegangen?“ unter anderem darüber berichtete, dass die Angehörigen von Ramirez’ Opfern die Gruppe AC/DC möglicherweise verklagen wollten, ergriffen die Musikjoumalisten endlich Partei. Robert Hilburn beispielsweise betonte in der Los Angeles Times. „Die Botschaft ist Rebellion, nicht Teufelsanbetung.“
Wie Angus gegenüber der oben genannten Zeitung angab, sah die Band keinerlei Veranlassung, sich in Zukunft mit ihren Texten zu mäßigen: „Wir werden doch keine todlangweiligen Sachen machen, nur damit wir in Ruhe gelassen werden. Außerdem glaube ich, dass es jetzt egal ist, was wir machen. Wenn wir über Blumen und Bäume singen würden, würden die Leute immer noch etwas Satanisches an dem Lied finden.“
In einem Artikel der Washington Post von Richard Harrington war zu lesen: „Der Heavy Metal schafft es einfach nicht, sich Anerkennung zu verschaffen; dafür hat diese Musik in den letzten sechs Jahren keinerlei Schwierigkeiten gehabt, Aufmerksamkeit zu erregen. Es hat einmal jemand behauptet, der Heavy Metal sei dazu da, Halbwüchsigen mit geringer sexueller Erfahrung zu versichern, dass sie nicht schwul sind. Der Musik liegt auch tatsächlich eine offene Frauenfeindlichkeit zugrunde, woraus verständlich wird, dass die Anhänger der Gruppe AC/DC überwiegend männliche Jugendliche sind. Doch die wahre Kraft von AC/DC liegt in den gewaltigen Akkorden, den Mitgrölrefrains und den ohrenbetäubenden Konzerten, die Millionen von Jugendlichen glücklich machen.“
Angus führte dazu aus: „Die Musik gibt ihnen Energie. Sie können mit den Armen herumfuchteln, die Stühle umschmeißen und in der Gegend herumhüpfen. So können sie Dampf ablassen und glücklich nach Hause gehen.“
Als Rockmusiker waren die fünf auch ohne die gelegentlichen Skandale den argwöhnischen Blicken der bürgerlichen Gesellschaft ausgesetzt. Angus gab Beispiele: „Wenn ich im Flugzeug sitze, weiß ich, dass der Typ neben mir denkt: ,Dieser Hippie ist bestimmt ein Drogenhändler.‘ Wenn ich am Flughafen durch die Zollkontrolle gehe, heißt es: .Folgen Sie mir bitte.‘ Es sind aber immer die, von denen man es nicht glaubt. Wir haben in der Schule gelernt, nicht nach dem äußeren Schein zu urteilen. ... Die Leute glauben, wir sind doof, weil wir in einer Rock’n’Roll- Band sind, die denken, wir sind fünf Idioten, die irgendeine Plattenfirma zusammengewürfelt hat. Wir haben vielleicht keine hohe Schulbildung, aber ich habe trotzdem Bücher gelesen, und wir sind nicht dumm. Brian und Malcolm haben Kinder, und sie werden von ihnen geachtet und respektiert. Sie stellen viel mehr dar als diese Normalbürger; weil sie etwas erreicht haben. Die anderen sind doch nur in der Herde mitgezogen.“