26 SHAKE YOUR FOUNDATIONS

Blattschuss

Nachdem Who Made Who eine Platinauszeichnung erhalten hatte, waren die Weichen für die nächste Platte schon gestellt. Im Februar 1987 wurde die Arbeit an dem neuen Material aufgenommen, und im August ging die Band mit George Young und Harry Vanda ins Studio. Man hatte sich für das Miraval in Südfrankreich entschieden. David Mailet produzierte wieder das Begleitvideo zur ersten Single, „Heatseeker“, in dem eine mit Angus höchstpersönlich geladene Rakete von hinten einen riesigen Fernsehbildschirm durchbrach. Nach dem Ab­sprengen des Geschosskopfes sah man den Gitarristen im Innern inmit­ten von Rauchschwaden sein Solo darbieten. Die Platte erschien nach Vorabveröffentlichung der Single Ende Januar 1988.

Auf Blow Up Your Video, so der Titel, klang die Gruppe insgesamt recht schlapp. Dieser Eindruck entstand nicht zuletzt durch die teilwei­se ziemlich schwachen Strophen, denen nachvollziehbare Gesangslini­en fehlten. Als Ausnahmen hiervon können auf jeden Fall „Two’s Up“ und „Ruff Stuff“ gelten, die durch ihre Harmonien und ihren Einfallsreichtum zu bestechen wissen, sowohl im Gesang als auch in der Musik. Die meisten der Stücke enthielten einige gute Ideen, aber zu mehr hatte es leider nicht gereicht. Nichtsdestotrotz gelang der Band mit der Platte ihr offizielles „Comeback“ – Platz 2 in Großbritannien, Platz 4 in Deutschland usw.

Während der Aufnahmen hatten die Musiker Besuch von gänzlich unerwarteter Seite bekommen. Angus beschrieb in einem Interview mit der Zeitschrift Musician, wie ihr alter Kamerad Bon Scott sich bei ihnen im Studio gemeldet hatte: „Man hört unheimliche Dinge, die sich nicht auf natürliche Weise erklären lassen. Manchmal sitzt man im Tonstudio, und man hört auf den Instrumentalspuren eine andere Stimme singen. Vielleicht bilde ich mir das alles auch nur ein. Manchmal sind da Dinge, auch im Radio, bei denen man zweimal hinhört. Gibt es ein Leben nach dem Tode? Ich weiß es nicht. Es ist noch keiner zurückgekommen, der sagen kann, wie es da aussieht. Vielleicht werden wir alle einmal zu Insekten.“

Die sich gleich Anfang Februar anschließende Welttournee begann in Australien, wo die Band zum ersten Mal seit sieben Jahren wieder spielte. Die weiteren Stationen waren Europa im März und April und von Mai bis September Amerika. Als zusätzliches Element der Bühnen­show wurde Angus zu Beginn eines jeden Konzerts in einem gläsernen Aufzug durch den Boden auf die Bühne befördert.

Im März widmete die Financial Times dem Konzert in der Londoner Wembley-Arena einen Artikel, in dem es hieß: „AC/DC inszenieren nun seit über zehn Jahren das immer gleiche Stück, nur dass Angus kleine Fortschritte gemacht hat: Früher trat er in Schuluniform und Mütze auf, heute trägt er einen grünen Anzug aus Veloursamt, dessen Hose er aber immer noch weit oberhalb der Knie abschneidet. Er führt sich genauso empörend auf wie die Zuschauer, wenn er ihnen kurz seinen blanken Hintern entgegenstreckt und wie eine Hure an den ersten Reihen vor­beitänzelt oder wenn er wie ein Huhn, dem man den Kopf abgeschla­gen hat, über die Bühne tobt.“

Mitte April kehrten AC/DC für ein Zusatzkonzert in die Wembley-Arena zurück. Es war das letzte Konzert in Europa – für Malcolm jedoch sollte es das letzte Konzert der ganzen Tournee sein ...

Im amerikanischen Teil der Welttournee, der am 3. Mai in Portland (Maine) begann, stand auf dem Platz links neben dem Schlagzeug Stevie Young, der Neffe von Malcolm und Angus. Er sah nicht nur so aus wie sein Onkel, sondern er spielte und klang auch so ‒ nicht umsonst hatte er sich dessen Gretsch-Gitarren und Marshall-Verstärker geliehen.

Was war geschehen? Welche Gründe anfänglich auch für Malcolms Ausscheiden genannt wurden, es konnte nicht lange ein Geheimnis bleiben, dass er massive Alkoholprobleme hatte. Der dauernde Tour­neestress hatte alles nur noch viel schlimmer gemacht, und er wusste, dass er sich der Sache in aller Ruhe stellen musste.

Für viele Bands hätte der Verlust ihres Rückgrats das sofortige Ende der Tournee bedeutet. Nicht für AC/DC. Sie konnten aus einer Großfamilie schöpfen, von deren Mitgliedern viele Musiker waren. Stevie konnte sämtliche Lieder von AC/DC auswendig und hatte 1980 mit den Starfighters, seiner damaligen Band, als Vorgruppe für seine beiden jüngsten Onkel gespielt, was ihn mit ihrem Livespiel aufs Innigste vertraut gemacht hatte.

Angus war des Lobes voll über die Aushilfe, als er von dem ersten Konzert ohne Malcolm erzählte: „Ich glaube, Stevie war besser als ich – ich war ein einziges Nervenbündel, und er war ganz ruhig und gelassen.“

Angus nutzte die Gelegenheit, dem „besten Rhythmusgitarristen im Geschäft“, wie er Malcolm zu nennen pflegt, eine umfassende Würdi­gung zuteilwerden zu lassen. „Malcolm hat nie die Anerkennung bekommen, die er verdient“, sagte er in einem Interview mit der Zeit­schrift Hit Parader. „Er ist ein hervorragender Komponist und ein wun­derbarer Rhythmusgitarrist. Es kann nicht jeder Rhythmusgitarre spie­len, aber Malcolm hat genau das richtige Gefühl dafür. Er hat es ganz einfach hingenommen, dass er immer ein bisschen in meinem Schatten stand, aber jetzt, da wir ohne ihn unterwegs sind, merke ich noch viel deutlicher, wie wichtig er für die Band ist. ... Malcolm ist für mich eine wertvolle Quelle. Er kann mir immer sagen, ob ich gut oder schlecht spiele, und er ist ein sehr strenger Kritiker. Wenn es Malcolm gefällt, dann gefällt es der Welt. Viele Leute sagen:,AC/DC ‒ das ist die Gruppe mit dem Kleinen, der in den kurzen Hosen herumrennt.‘ Aber ich könnte es nicht ohne Malcolm und die anderen, die den Rhythmus herauspumpen. Durch sie wirke ich nur ein bisschen besser.“

Ein anderes Gruppenmitglied, das in Angus’ Schatten steht und dies wie selbstverständlich hinnimmt, ist Sänger Brian. „Wir sind anders als jede andere Band“, erklärte er. „Bei uns gibt es keinen Sänger, der allein im Mittelpunkt steht und die ganze Zeit Flüche von sich gibt. Die anderen machen es alle, das ist bei denen wohl Sitte. Einer von unseren Bühnenleuten hat mal für diese eine Gruppe gearbeitet ‒ den Namen möchte ich nicht nennen. In einem Konzert sagte der Sänger l65-mal ,fuck‘. Das war der Rekord. Unser Roadie zählte jeden Abend mit so einem Klicker mit. Ich habe noch nie ,fuck‘ auf der Bühne gesagt. ‒ Doch, einmal. Nach dem Konzert kam dann eine Frau zu mir und sagte: ,Ich kann gar nicht glauben, dass Sie auf der Bühne geflucht haben. Ich bin mit meiner Tochter hier.‘ ‒ ,Tut mir wirklich leid‘, sagte ich, und seitdem habe ich es nie wieder gemacht. Ich sage eigentlich überhaupt nichts auf der Bühne. Die Musik soll bei uns das Reden übernehmen.“

Eine Auszeichnung der eher ungewöhnlichen Art wurde der Band zuteil, als im Januar 1989 eine amerikanische Spezialeinheit den ge­stürzten panamaischen Diktator Manuel Noriega nur durch Dauerbe­schallung mit AC/DC – bei voller Lautstärke, versteht sich ‒ dazu bewe­gen konnte, die vatikanische Botschaft zu verlassen, in die er sich geflüchtet hatte. Als Angus darauf angesprochen wurde, sagte er: Ja, sie haben ihn damit um den Schlaf gebracht. Wir mussten lachen. Ich glaube, wenn unsere Musik gut genug für die amerikanische Armee ist, dann ist sie für jeden gut genug.“ Brian fügte hinzu: „Als ich das mit der vatikanischen Botschaft hörte, dachte ich gleich: Jetzt werden wir wohl nie für den Papst spielen dürfen.‘“

Nach den letzten Konzerten im September hatte die Band das Jahr gemächlich auslaufen lassen, und nun standen wieder private Ver­pflichtungen vornan. Cliff zog von Hawaii nach Fort Myers an die Westküste von Florida, wo er nur fünf Kilometer von Brian entfernt wohnte. Simon ließ sich mit seiner Frau Désirée in Fresno in Kalifornien nieder, und Stevie gründete in Großbritannien die Gruppe Little Big Horn.