27 GOODBYE AND GOOD RIDDANCE TO BAD LUCK

Auch manch alter Besen kehrt noch gut

Malcolm, der so weit wieder genesen war, und Angus begannen recht bald im neuen Jahr, Material für die nächste Platte zu schreiben. Dieses Mal konnten sie ohne jeglichen Zeitdruck arbeiten. Angus blickt zu­rück: „Wir hatten viel Zeit, und das war gut. Davor hatten wir immer unsere Verpflichtungen gehabt. Manchmal standen die Konzerttermine für die nächste Tournee schon fest, und wir hatten immer noch mit der Platte zu tun. Diesmal war der Druck nicht da. Wir schrieben Lieder, hörten sie in aller Ruhe an und sagten: ,Das ist gut‘ oder ,Da fehlt noch was‘ und änderten vielleicht hier und da etwas. Wir gehen nicht gerne mit leeren Händen ins Studio und fangen da an. Wir wollen vorher alles schon fertig haben, so dass wir uns bei den Aufnahmen aufs Spielen und auf den Klang konzentrieren können.“

Zum ersten Mal in der Geschichte von AC/DC, von einzelnen Stücken aus der Anfangszeit abgesehen, schrieben Malcolm und Angus die Texte selbst. Brian hatte in einem wütenden Scheidungskrieg mit seiner Frau Carol seinen Mann zu stehen. Auch die Neuaufnahme einiger alter Titel von Geordie für die LP-Veröffentlichung Keep On Rocking nahm seine Zeit in Anspruch, so dass Malcolm wegen Brians Abwesenheit für das neue Material einige Stimmproben selbst aufnehmen musste. Einer der beteiligten Toningenieure setzte daraufhin das Gerücht in die Welt, Brian habe die Band verlassen.

Wenn sich dies auch als Falschmeldung heraussteilen sollte, so gab es dennoch eine kleine Umbesetzung, und zwar auf dem Schlagzeug­hocker. Die Band steckte mitten in den Proben für das neue Album, als Simon ausschied. Offenbar war ihm das lange Warten seit der letzten Tournee zu viel geworden, und er hatte ein Angebot von Ronnie James Dio angenommen, als Gastmusiker an dessen neuer Platte Lock Up The Wolves mitzuwirken. Daraus wurde dann doch mehr, und Malcolm und Angus entschlossen sich, ihn auszuwechseln.

Diesmal mussten AC/DC nicht lange nach einem Ersatz suchen. Das Management hatte schnell einen Vorschlag: Chris Slade, der schon bei den verschiedensten Gruppen gespielt hatte, darunter Manfred Mann’s Earth Band, Uriah Heep und The Firm, ein Projekt von Jimmy Page und Paul Rodgers. 1989 trommelte er bei Gary Moore, und auf einem dieser Konzerte sah Malcolm ihn sich genauer an. In einem Dauertest konnte Chris sich dann gegen sämtliche Mitbewerber mühelos durchsetzen.

Der Mann mit dem auffälligen Glatzkopf wurde am 30. Oktober 1946 in Pontypridd/Wales geboren und war damit siebzehn Jahre älter als sein Vorgänger! Nach der Erprobungsphase war er ab Januar 1990 festes Mitglied bei AC/DC. Für Außenstehende schien er eine merk­würdige Wahl zu sein, da er vom Aussehen her wenig zu den anderen passte und zudem eine recht große Nummer im Geschäft war. Bisher hatten die Young-Brüder immer relativ unbekannte Leute in die Band geholt.

Malcolm erklärte, warum man sich für Chris entschieden hatte: „Er war genau der Mann, den wir brauchten; er spielt solide, hart und mit viel Energie.“ ‒ „Chris spielt so ähnlich wie Phil Rudd“, sagte Angus. „Sie schlagen beide so hart, wie sie können. Und Chris sieht richtig zum Fürchten aus. Wenn man seine Glatze sieht, kann man wirklich Angst kriegen.“

Nach Abschluss der Proben war die Band in die Windmill-Road-Studios nach Irland gegangen, um mit den Aufnahmen zu beginnen. George Young und Harry Vanda hatten wieder die Regler bedient, doch dann hatte man sich doch noch gegen sie entschieden und war ab Oktober 1989 in Toronto im Studio gewesen. Der größte Teil der Aufnahmen fand jedoch schließlich in sechs Wochen konzentrierter Arbeit in den Little-Mountain-Studios in Vancouver statt.

Es war der erfolgreiche Hardrock-Produzent Bruce Fairbairn, der die Band nach Kanada geholt hatte. Er hatte zuvor Gruppen wie Aerosmith, Bon Jovi und Poison den „richtigen“ Schliff verpasst und sie für den Dudelfunk aufpoliert, doch bei seinem neuesten Projekt unterließ er es tunlichst, die Ecken und Kanten abzuhobeln, die die Musik von AC/DC erst zu dem machen, was sie ist.

„Der Name Bruce Fairbairn war allseits im Gespräch, und deshalb ging Malcolm nach Vancouver, um sich mit ihm zu treffen“, erzählte Angus nach Abschluss der Arbeiten. „Bruce sagte zu Malcolm, er wolle AC/DC nicht verändern und uns nicht etwas machen lassen, wozu wir keine Lust hätten. Es ist heutzutage schwer, Rockproduzenten zu fin­den. Viele Leute geben sich dafür aus, aber sobald man dann mit ihnen arbeitet, wollen sie einem ihre Balladen unterjubeln. ... Das Material war schon fertig, als wir nach Vancouver gingen. Bruce brachte nur die Dynamik ein bisschen mehr heraus. Er ist ein großer Fan unserer alten Platten. Ihm gefällt daran das Ungestüme, das Raue und die minimale Produktion. Er wollte wieder diesen kompro­misslos harten Sound hinkriegen, und er hat dabei ganze Arbeit gelei­stet. Wir haben kaum mit Overdubs gearbeitet. Nur manchmal, wenn jemand in der Nase gebohrt und den falschen Akkord geschlagen hatte, mussten wir ein bisschen nachbessern.“

„Die Arbeit im Studio erinnerte mich an die alten Tage, als wir mit den Arrangements herumexperimentierten und Sachen einfach so aus Spaß ausprobierten“, erzählte Brian. „Irgendwie war uns natürlich klar, dass in den drei Jahren seit unserer letzten Platte eine ganze Generation von Fans hinzugekommen war, und die sollen sehen, was es mit dem ganzen Krach und dem ganzen Spaß auf sich hat.“

Die Platte erschien schließlich im September 1990 unter dem Titel The Razor’s Edge auf Atco, einer Tochtergesellschaft der Atlantic Recording Corporation. Was gleich beim ersten Auflegen auffallen musste, war der kristallklare Klang. Dafür kam die Musik aber auch im Vergleich zu früheren Platten etwas drucklos aus den Lautsprechern. Leider schien auch Brians Stimme seit Blow Up Your Video schwächer geworden zu sein, wobei dieser Eindruck durch die wiederum teilweise recht ein­fallslose Melodieführung noch verstärkt wurde. Die vielgepriesene Prä­zision von Chris Slade machte sich vor allem dadurch bemerkbar, dass sein Schlagzeug eher von einer Rhythmusmaschine als von einem Menschen aus Fleisch und Blut bedient worden zu sein schien.

Die Käuferschaft sprang auf The Razor’s Edge voll an. Die Verkaufs­zahlen erreichten ähnliche Höhen wie einst in den Tagen von Back In Black und For Those About To Rock ‒ We Salute You. Die Platte kam in Amerika bis auf Platz 2 der Hitliste und festigte das „Comeback“, das Blow Up Your Video eingeleitet hatte.

Die erste Single war, wie bei der Vorgängerplatte, vorab erschienen. Angus erzählte, wie er auf den Titel Thunderstruck gekommen war: „Ich saß im Flugzeug, und wir flogen gerade über Ostdeutschland, als der Blitz einschlug. Ich dachte, mein letztes Stündchen hätte geschla­gen. Die Stewardess sagte: ,Der Blitz hat die Maschine getroffen.‘ Ich sagte: ,Nein, der Donner, es hat gekracht.‘“

Die zweite Single, „Moneytalks“, wurde von Angus folgendermaßen erklärt: „In Amerika entscheidet sich alles am Geld. Das ist woanders nicht unbedingt so. In Europa wird man in eine bestimmte Klasse oder Schicht hineingeboren. In Amerika kann man sich in die Klasse oder Schicht einkaufen. Wenn man Smoking trägt, gehört man dazu. Das Lied ist eine Spitze gegen die charakterlosen Reichen.“

Das düster klingende Titelstück war wegen seiner Tempowechsel für AC/DC äußerst ungewöhnlich. Angus berichtete über die Entste­hung: „Wir hatten das Grundriff, und es hatte so etwas Bedrohliches an sich. Und nur deshalb arbeiteten wir daran weiter. Früher hätten wir keine so anspruchsvollen Sachen gemacht.“ ‒ „Die Platte ist ziemlich melodisch, und das mochten wir nie so“, sagte Brian. „In Songs wie ,Moneytalks‘ oder ,Thunderstruck‘ sind richtige Melodien drin. Den Quatsch musste ich mir erst wieder beibringen.“

Inzwischen zeigten sich die Musikjournalisten, einst die Todfeinde der Band, auf breiter Basis der Musik von AC/DC zugeneigt. Craig Tomashoff schrieb in People. „Die Gruppe wird nie so schnell und laut, dass sie vergisst, die Sache mit einer eingängigen Melodie interessant zu machen. Das sind richtige Lieder und keine Lärmorgien.“

Auch das unnachgiebige Festhalten der Band an ihrem Stil fand seine Anerkennung in der Presse. Jim Washbum schrieb hierzu in der Los Angeles Times: „In einer Zeit, in der die meisten anderen Hardrock-Gruppen einfühlsame halbakustische Balladen produzieren, weil die Marktforscher ihnen die weibliche Anhängerschaft zugesichert haben, wenn sie auf Kuschelrock umstellen würden, spielen die Youngs mit ihrer Truppe nichts als stur vorangetriebenen Geradeausrock, und ihre Themen erstrecken sich immer noch vom Schwingen des Tanzbeins bis zum Schwingen eines anderen Körperteils.“

Es war der Band wohl bewusst, dass im MTV-Zeitalter auch sie nicht ohne Begleitvideos zu den Singles würde bestehen können, und nicht zuletzt war ihre Rückkehr ins Fernsehen und in die Zeitschriften und Hitparaden seit Who Made Who David Mallets witzigen Kurzfilmehen zu verdanken. Für „Thunderstruck“ hatte man sich wieder etwas Beson­deres einfallen lassen. Man konnte Angus bei seinem Entengang von unten durch einen gläsernen Bühnenboden zuschauen. Einen Teil der schätzungsweise tausend Fans, die die Kulisse bildeten, hatte man in ein mehrstöckiges halbkreisförmiges Gittergerüst gegenüber der Bühne gesperrt, das bis unter die Decke der Halle reichte.

„Der Videodreh war wirklich eine tolle Sache“, sagte Brian in einem Interview mit der St. Louis Post-Dispatch. „David Mailet hatte am selben Morgen im Radio ein paar Mal durchgeben lassen, dass wir Leute brauchten, und es kamen dann mehr als tausend Fans. Ich glaube, die waren mit ihren Stimmen genauso laut wie die Musik.“

In dem Begleitvideo zu „Moneytalks“, das bei einem amerikani­schen Konzert der darauffolgenden Tournee gedreht wurde, spielten falsche Dollarnoten mit Angus’ Konterfei und dem Schriftzug der Band, die man haufenweise in die Zuschauermenge pumpte, eine zentrale Rolle. Auf der Rückseite der Blüten, die übrigens in allen Konzerten der Welttournee von der Decke regneten, waren als Staatssymbole in der Rockmusikdiktatur von AC/DC Glocke und Kanone in die übliche Ornamentik der Scheine eingearbeitet. Dem Ganzen wurde durch das Motto „In Rock We Trust“ statt dem gewohnten „In God We Trust“ ein besonders frecher (oder vielleicht geschmackloser?) Beiklang gegeben.

In dem Video zur dritten Single, „Are You Ready“, bekam man eine Vorstellung vom Strafvollzug in der oben angesprochenen Rockmusik­diktatur: Die Insassen eines Gefängnisses bekommen einen Kurzhaar­schnitt mit hinten einrasiertem originalen AC/DC-Schriftzug verpasst und werden von den Wärtern auf recht unsanfte Weise in einen Raum befördert, in dem die Band vor Hunderten von anderen Sträflingen spielt.