30 HARD AS A ROCK

Der Kreis schließt sich

Die Band meldete sich nach der Razor’s-Edge-Welttournee erst im Juni 1993 zurück, und das nur mit einer Single, „Big Gun“. Das Stück war ein Beitrag zur Filmmusik von Last Action Hero mit Arnold Schwarzen­egger, der in dem begleitenden Videoclip von David Mailet als „sech­stes Mitglied“ von AC/DC zu sehen war. Das Soundtrackalbum, auf dem außer AC/DC Alice in Chains, Queensryche, Anthrax, Def Leppard, Megadeth und andere zu hören waren, war um einiges erfolgreicher als der Film selbst, der zwar sehr viel Geld gekostet hatte, aber an den Kinokassen letztendlich nicht viel einbrachte.

Mit „Big Gun“ gab Rick Rubin seinen Einstand als AC/DC-Produzent. Er hatte sich zuvor als Förderer des Rap einen Namen gemacht ‒ 1984 hatte er mit Russell Simmons erfolgreich die auf diese Musikrichtung spezialisierte Plattenfirma Def Jam gegründet ‒ war aber auch durchaus anderweitig interessiert. Er produzierte neuerdings für Mick Jagger, Tom Petty, Johnny Cash und ebenso für Aerosmith, war also recht vielseitig. Daneben war er schon immer AC/DC-Fan gewesen und hatte sich der Band bereits 1985 mit einem Angebot genähert. ‒ Das Ergebnis der Zusammenarbeit bei „Big Gun“ ließ Gutes für die nächste Platte hoffen; das Stück konnte den Hörer mit seinem kernigen Rock’n’Roll-Grundriff um einige Jahre in der Geschichte von AC/DC zurückverset­zen, enthielt aber dennoch moderne Elemente und war auch dem Klang nach auf der Höhe der Zeit.

Inzwischen waren die Gruppenmitglieder zu Männern mittleren Alters herangereift und hatten sich im privaten Bereich weiter ausein­andergelebt, was die häufigeren ausgedehnten Pausen zur Folge hat­ten, doch wirkte sich dies, wenn man Angus Glauben schenken mag, dennoch nicht auf ihr Zusammenwirken in der Band aus: „Wenn man einmal sagt: ,Also gut, jetzt nehmen wir auf‘, dann ist man mehr oder weniger drei Jahre lang zusammen. Da hat man eine Enge wie in einer Ehe. Man braucht danach kleine Pausen, so dass man sich darauf freuen kann, wieder zusammenzukommen. Und wenn es dann so weit ist, hat man das Gefühl, man wäre nie auseinandergegangen; dann spürt man die alte Bindung wieder, und jeder spricht mit jedem. So etwas wie Streitlust gab es bei uns nie. Wir sind zusammen ein kleines Team und wir müssen miteinander auskommen. ... Meistens ist es so, dass ich Malcolm anrufe und sage: ,Okay, ich habe genug Material.‘ - Eine Woche brauche ich noch‘, kommt dann seine Antwort. Wir kommen zusammen, gehen alles durch, was wir haben, und suchen das Beste aus. So haben wir es schon immer ge­macht. Wir können überall komponieren, manchmal sogar unterwegs. Oder wir kommen gerade von einer Tournee, spielen einander unsere Ideen vor, einigen uns über das, was wir machen wollen, und sagen dann: ,Okay, wir sehen uns zur nächsten Platte wieder.‘“

Nach einer weiteren mehr als zweijährigen Wartezeit erschien end­lich im September 1995 die nunmehr sechzehnte Platte von AC/DC ‒ Ballbreaker. Die Musiker zeigten sich auf mehreren Veröffentlichungs­parties in Hamburg, Paris und New York. In New York bekamen sie eine Auszeichnung für insgesamt mehr als 80 Millionen verkaufter Schallplatten überreicht.

Malcolm sagte über Produzent Rick Rubin: „Er war schon als kleiner Junge in New York AC/DC-Fan, und er liebt die alten Sachen. Er erzählte uns, ,Highway To Hell‘ sei einer der ersten Songs gewesen, die er mit einer Rap-Gruppe gemacht hatte.“ Angus merkte an: „Meine ersten Eindrücke von ihm waren die: ein Typ mit Sonnenbrille, doppelt so groß wie ich, der auf dem Boden Joga macht und uns erzählt, was für ein großer AC/DC-Fan er ist.“ Brian bestätigte: „Er ist mehr Fan als Produzent. Er war ein zusätzliches Paar Ohren ‒ und das braucht man, wenn man eine Platte aufnimmt. Ich glaube, die Songs hören sich mehr nach den alten AC/DC an als alles, was wir seit For Those About To Rock gemacht haben.“

Die freudige Überraschung, die den Anhängern der Band im Laufe der Studioarbeit durch die Meldungen der Musikpresse bereitet wurde, war die Rückkehr von Phil Rudd, des AC/DC-Schlagzeugers der ersten Tage. Er hatte sich nach seinem Ausstieg zwölf Jahre zuvor nicht mehr als professioneller Musiker betätigt, sondern sich auf Neuseeland dem Hubschrauberfliegen, dem Rennfahren, aber auch der Tierzucht und dem Obstbau gewidmet. Der Vater von zwei kleinen Kindern hatte sich auch ein Tonstudio eingerichtet, in dem er für aufstrebende junge Bands produziert hatte.

„Wir hatten Phil ungefähr zehn Jahre nicht gesehen, und als wir in Neuseeland spielten, meldeten wir uns bei ihm“, erzählte Malcolm. „Er war noch ganz der Alte. Als ich und Angus dann im Mai ’94 probten, sagten wir: ,Probieren wir es doch mit ihm aus.‘ Wir hatten uns schon darauf geeinigt, dass wir musikalisch wieder zu den alten Tagen zurück wollten, und dazu fehlte uns nur noch Phil.“

Dass man sich für Ballbreaker rückwärts orientieren wollte, war also schon vorher beschlossene Sache gewesen, und die Vorbereitungspha­se begann nach Angus’ Erzählung folgendermaßen: „Malcolm rief mich an und sagte: ,Na, wie geht’s? Ich langweile mich. Ich habe eine ganze Menge Ideen. Fangen wir an?‘ So oder so ähnlich läuft es immer. Wir wissen schon, wenn wir lange genug Pause gemacht haben. Das war aber diesmal gar nicht so lange, wie manche Leute denken. Wir kamen zusammen und spielten, und die Songs ergaben sich einfach so.“

Im Laufe der Arbeit ergaben sich Probleme, die das Projekt verzö­gerten. Die Band verbrachte zehn Wochen in einem New Yorker Stu­dio, konnte dort aber nicht den gewünschten Klang herstellen und verlagerte schließlich in die Ocean-Way-Studios nach Los Angeles, während die bereits bespielten Tonspuren samt und sonders gelöscht wurden.

„Wir spielten dieses Mal oft einfach nur locker zusammen, und wegen der Verzögerungen im Studio spielten wir noch mehr“, berich­tete Malcolm. Ich glaube, bei dieser Platte verbrachten wir fast ein ganzes Jahr nur mit Spielen. Die Musik bekam eine richtig feste Gestalt, die sich sonst erst auf der Tournee herausbildet. Das gab uns im Studio ein tolles Gefühl. Wir wollen, dass unsere Platten so klingen wie unsere besten Konzerte. Normalerweise müssen wir die Augen zumachen und uns vorstellen, wir wären auf der Bühne, aber diesmal war die Livestim­mung auch so schon da.“

Brian Johnson schwärmte in seiner gewohnten Art: „Die Zeit war toll. Es machte so viel Spaß, dass ich gar nicht mehr nach Hause wollte. Wenn man zusammenkommt, ist das immer ein Vergnügen, denn am Anfang weiß man nicht, sie sich alles entwickelt. Die Jungs kommen einfach mit ein paar Riffs an ‒ ich weiß gar nicht, so sie die tollen Dinger herhaben ‒, und ich muss nur meinen Mund aufmachen und losschreien. Und dafür komme ich umsonst in die Konzerte.“

Die Band verbrachte noch einmal fünf Monate im Studio in Los Angeles, doch das Ergebnis rechtfertigte den Aufwand, den man getrie­ben hatte: Ganz den Wünschen von Malcolm und Angus entsprechend war auf Ballbreaker das zu hören, was die Anhänger von AC/DC mindestens fünfzehn Jahre lang vermisst hatten: ein starker Rhythmus anstelle von zu viel Melodie, interessante Riffs und ein weniger polierter Klang, kurzum: bodenständiger und geradliniger Hardrock ohne alle Schnörkel. Phil Rudd hatte durch sein knochentrockenes Spiel sein übriges dazu beigetragen, den Stücken ihren alten Reiz zu geben.

In dem bluesgetränkten, etwas ausladenden „Boogie Man“ erinnerte Brian einige Kritiker an Angus’ Kindheitsidol Louis Armstrong. „Burnin’ Alive“ roch – Gott bewahre! – verdächtig nach Sozialkritik, doch schrie Brian laut genug, um für AC/DC eigentlich inakzeptable Begriffe wie Hoffnung oder totaler Krieg in dem altvertrauten unverständlichen Röcheln aufgehen zu lassen, so dass den Anhängern der „reinen Lehre“ die sachte anklingende Botschaft erspart blieb. Auch bei näherer Be­trachtung von „The Furor“ und „Hail Caesar“ glaubte man, ernsthaftere Töne zwischen den Zeilen von Malcolm und Angus ausmachen zu können, doch insgesamt blieb es, was den Themenumfang anging, bei dem gewohnten Dreigespann Wein, Weib und Gesang, mit deutlichem Übergewicht auf dem zweiten. Leider bewiesen die Young-Brüder wie auf The Razor’s Edge auch hier wieder, dass sie als Texter nicht den Witz eines Brian Johnson, geschweige denn eines Bon Scott, besitzen. Ihre abgerissenen Halbsätze enthielten oft nicht so sehr Zweideutigkeiten als vielmehr kaum verschleierte Eindeutigkeiten und konnten damit recht plump wirken.

„Den Titelsong haben wir als letzten geschrieben“, erzählte Mal­colm. „Das ging ziemlich schnell: Wir versuchten es mit dem Härtesten, was uns einfiel, und das Stück fasste das ganze Album zusammen.“ – „Ich bin echt stolz auf die Platte“, sagte Angus. „Ich liebe wirklich jedes einzelne der Lieder, und das will etwas heißen bei einer Band, die es schon so lange gibt wie uns.“

Für die Zukunft versprachen die Musiker eine Ausdehnung ihrer Aktivitäten auf die exotischeren Teile der Welt. „Wir wollen überall hingehen, auch dahin, wo sich noch kein Mann und keine Frau hinge­traut hat“, begeisterte sich Angus. Jetzt ist der Eiserne Vorhang gefal­len, und man kann auch in immer mehr Ländern im Osten spielen. Auch Asien öffnet sich und will seinen Anteil an der westlichen Kultur ‒ und was könnte da besser geeignet sein als AC/DC?“ Für die Ballbreaker-Tournee plante man denn auch Besuche in Südamerika und in Japan, wobei die dortige Anhängerschaft die Gruppe schon von frühe­ren Konzertreisen durch die östliche Halbkugel kannte.

Ab einem gewissen Alter hat jede Band damit zu rechnen, dass die Presse zum Erscheinen einer neuen Platte Auflösungsgerüchte in die Welt setzt. Dieses Mal waren auch AC/DC davon betroffen. Ballbreaker und die anschließende Tournee waren von übereifrigen Musikjourna­listen als großes Abschiedsgeschenk an die Fans mit Phil Rudd als Nostalgiebonbon angekündigt worden. Doch davon wollte die Band nichts wissen. Malcolm sagte nur: „Das sagen die doch jetzt immer, weil es uns schon so lange gibt. Nein, wir machen weiter. Was sollen wir auch sonst tun?“

Ebenfalls dementieren musste die Band das Gerücht, Angus wolle seine Schuluniform endgültig einmotten. „Angus ist der Schuljunge. Wenn er die Uniform anhat, ist er nicht mehr mein kleiner Bruder; dann wird er zum Tier. Nein, ich kenne Angus zu gut, und ich könnte ihn auf der Bühne nicht wie Eric Clapton in einem Designeranzug sehen.“

Zu Ballbreaker gab es wieder ganze drei Singleauskopplungen mit jeweils einem Begleitvideo. Für „Hard As A Rock“ steckte David Mailet die mitwirkenden Fans, ähnlich wie bei „Thunderstruck“ fünf Jahre zuvor, in mehrstöckige Gittergerüste, die auf drei Seiten der Bühne als vierseitige Pyramide mit der offenen Seite zum Zuschauerraum aufge­baut waren, so dass die Leute in ihren Käfigen über der Bühne mehr oder weniger zu liegen kamen.

Einen Gutteil der Dreharbeiten verbrachte Angus freischwebend in der Luft auf einer riesigen Abrissbirne, die ihn schließlich unter dem Bersten von Filmglas und Explodieren von Rauchbomben schwungvoll durch ein geschlossenes Fenster beförderte. „Es ist wirklich zum Angst­kriegen“, musste der Star der Szene danach zugeben. „Ich bin nicht der Mutigste, und ich bekomme auch keine Extragage dafür. Ich sah mein ganzes Leben noch einmal blitzartig vor mir ablaufen, als ich da oben hing. David Mailet denkt sich immer etwas Neues aus, wie er mich am besten umbringen könnte.“ Das Ganze fand übrigens in den Bray-Studios in Windsor statt, wo auch schon Frankenstein- und Dracula- Filme gedreht wurden.

Die weltumspannende Ballbreaker-Tournee begann am 12. Januar 1996 in Greensboro (North Carolina). Bonie Shepherd beschrieb in der Zeitschrift Guitar Attack seine Eindrücke: „Von oben wird langsam eine Videoleinwand heruntergelassen, auf der die schrecklichen Schädel von Beavis und Butthead erscheinen. Greensboro windet sich vor Lachen. Als dann in dem Film Angus als Zeichentrickfigur auftaucht, werden die Stimmen der 14.000 Zuschauer fordernder. Nach diesem kleinen Vorspiel setzt sich ein Kran langsam in Bewegung und schwingt eine Abrissbirne gegen den oberen Teil des Bühnenaufbaus, eine Häu­serfassade, die nach hinten in sich zusammenfällt. Genau in diesem Moment setzt das Schlagzeug von Phil Rudd ein, und schemenhaft erscheint Angus in gedämpftem Scheinwerferlicht. ,Back In Black‘; danach die Begrüßung durch Brian: ,Hallo Greensboro, wir haben das Vergnügen, unsere Welttournee hierbei euch zu eröffnen, und ich bitte euch, die Rückkehr von Phil Rudd zu begrüßen.‘ Und allein dessen Spiel gibt der Band ihren alten Biss wieder. Besonders bei den etwas langsameren Stücken stellt man fest, dass er einfach Gold wert ist.“

Das Vorprogramm bestritten dieses Mal übrigens die Poor, eine australische Gruppe mit einem gewissen James Young am Schlagzeug. Natürlich hieß der nicht zufällig so; es handelte sich um einen Vetter von Malcolm und Angus.

AC/DC waren natürlich längst zu einer auf Dauer etablierten und anerkannten Größe in der Rockmusik geworden; ihre Lieder wurden von Musikern jeder erdenklichen Richtung nachgespielt, und selbst Leute wie Tina Turner bekannten sich zu den Werken der einstigen Aussätzigen; in aller Welt kamen Tributbands auf, die großenteils oder ausschließlich Material ihrer Vorbilder spielten, was schon ihre Namen verrieten: Hell’s Bells, Back In Black, Long Gone Bon, Powerage, Sin City. Hinzu kamen große und kleine Nachahmergruppen, die mehr oder weniger unverhohlen den Stil der fünf Australier kopierten. Zu nennen wären hier vor allem AB/CD aus Schweden. Und schließlich war da noch der Angus-Young-Imitator Fritz aus Regensburg, der seine Vorstellung regelmäßig in Diskotheken und auf anderen Veranstaltun­gen zum Besten gab.

Ende 1995 war in Australien eine Tributschallplatte erschienen, für die eine ganze Reihe von einheimischen Gruppen Neufassungen von AC/DC-KIassikern aufgenommen hatten. Darauf stach unter anderem eine höchst eigenwillige Version von Jailbreak“ hervor, das die Einge­borenenband Yothu Yindi in einer Mischung aus klassischem Rock und traditioneller Stammesmusik wiedergab.

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Bon sieht zu, wie die Rakete Angus vom Bühneboden abhebt.