Auch Eingriffe in die Arbeit anderer bedürfen einer guten Reflexion. Immer wieder berichten mir Führungskräfte, dass sie fürs Loslassen schnell die Quittung bekommen würden. Die Qualität der Arbeit ihrer Mitarbeitenden würde nicht stimmen und sie müssten die Ergebnisse »retten«. Führungskräfte greifen ein und übernehmen selbst oder steuern alles durch und verteilen lediglich Aufgaben mit bis ins letzte Detail von ihnen vorgegebenen Ausführungswegen. Sie haben wegen dieser Erfahrungen kein Vertrauen darin, dass ihre Mitarbeitenden verantwortungsvolle Aufgaben allein lösen können. Gleichzeitig beteuern sie, Verantwortung abgeben zu wollen und wünschen sich, dass ihre Mitarbeitenden ein echtes Gefühl von Ownership entwickeln. Aber so entstehen Problemmuster. Es ist nicht klar, ob die Führungskraft eingreift, weil die Qualität der Arbeit schlecht ist, oder ob die Qualität der Arbeit schlecht ist, weil die Mitarbeitenden es gewohnt sind, dass die Führungskraft ständig eingreift. Wir können nicht mehr sagen, welches Verhalten das andere auslöst. Sie bedingen sich irgendwann gegenseitig. Fakt ist, dass die gleichen Führungskräfte hochqualifizierte Mitarbeitende beschäftigen. Aber wer es gewohnt ist, dass die eigene Arbeit nie ausreicht, dessen Arbeit wird auch künftig nicht ausreichen. Und wer es gewohnt ist, dass die Führungskraft ständig eingreift und die Verantwortung übernimmt, wird auch nur so viel tun wie eben nötig. Es entsteht eine sich wiederholende selbsterfüllende Prophezeiung.
Außerdem ist nicht klar, ob die Ergebnisse der Arbeit wirklich nicht gut genug sind oder ob sie lediglich dem Anspruch der Führungskraft nicht entsprechen. Wer glaubt »ich bin o. k. – du bist nicht o. k.« wird immer die »beste« Lösung parat haben. Nicht selten steht dem Team sogar ein ausgeprägter Wunsch der Führungskraft nach Perfektion im Weg und demotiviert es. Oder die Führungskraft war selbst einmal die beste Fachkraft und wurde deshalb zur Führungskraft ernannt. Sie vergisst, dass es bei Führung nicht darum geht, Beste:r zu sein, sondern es anderen Menschen zu ermöglichen, zu wachsen.
Eingreifen ist niemals eine gute Lösung. Schon bei Kindern nicht. Sie lernen durch das Selbermachen am meisten. Das ist für Eltern oft schwer auszuhalten, weil alles länger dauert und die Zeit meist drängt. Aber den Kindern ist es enorm wichtig. Sie können extreme Emotionen entwickeln, wenn Eltern eingreifen und für sie übernehmen. Mein Sohn wird jetzt drei Jahre alt und er will alles selbst machen. Dieser Wille ist bei ihm noch ausgeprägter als früher bei seiner Schwester. Aber er sieht natürlich auch den ganzen Tag, was sie tut, und möchte mindestens schon genau so groß sein. Also versuchen wir, ihn so gut es geht machen zu lassen. Ich bin wirklich kein geduldiger Mensch und muss mir in solchen Situationen oft innerlich in die Hand beißen. Aber es ist nicht nur ein Lernprozess für meinen Sohn, der neue Fähigkeiten erlangt, sondern auch jedes Mal für mich.
Wer eingreift stoppt den Lernprozess. Sowohl den eigenen als auch den der anderen Person. Es bleibt einfach kein Platz für Wachstum, denn erst dort, wo sich jemand zurücknimmt und uns Raum gibt, können wir uns entfalten. Viele Menschen glauben jedoch wirklich, die Ergebnisse von anderen könnten nie so gut sein wie die eigenen. Ganz nach dem Motto: »Ich bin o. k. – du bist nicht o. k.« reißen sie alles an sich. Eingreifen heißt dann so viel wie: »Ich habe kein Vertrauen in dich. Du kannst das nicht.« Diese Botschaft ist Gift für jede Beziehung. Nicht nur, dass wir uns nicht weiterentwickeln und unsere Hürden nicht bewältigen können, wir geraten auch noch in Rollen, die wir eigentlich nicht haben wollen. Eltern, die ihre Kinder nicht machen lassen, ziehen Jugendliche heran, die zuhause keinen Finger rühren. Wer es nicht gewohnt ist, Verantwortung zu bekommen, übernimmt sie auch nicht. So ist es auch im Arbeitskontext. Mitarbeitende, die nichts zu Ende bringen können, keine Erfolgserlebnisse haben und keine Selbstwirksamkeit spüren, identifizieren sich auch nicht mit ihrer Aufgabe.
Aber wir brauchen Menschen, die Verantwortung übernehmen wollen und selbstwirksam handeln. Deshalb müssen wir unsere Muster reflektieren und die Menschen begleiten, statt in ihr Handeln einzugreifen. Statt anderen in die Parade zu fahren, sollten wir sie lediglich dabei unterstützen, Herausforderungen selbst zu bewältigen. Wenn die Qualität nicht stimmt, lautet die Frage, was Mitarbeitende brauchen, um die Qualität zu erreichen. Dabei sind sie immer selbst in der Verantwortung und damit auch am Steuer. Führungskräfte können mit Sparring, Coaching und Unterstützung zur Seite stehen und die Rahmenbedingungen schaffen, die es braucht, aber sie übernehmen nicht. So können sie ihren Mitarbeitenden eine nachhaltige Entwicklung ermöglichen und selbst noch eine Menge lernen. Herausforderungen auf diese Weise miteinander zu meistern, stärkt das gegenseitige Vertrauen immens.