Kapitel 8

»Sie wollen mir erzählen, er wollte entführt werden?«

Oma Nadine nickte. »Ja, das ist korrekt.«

»Und unter Drogen gesetzt werden wollte er auch?«

»Natürlich.«

»Und er hat Sie gebeten, ihm etwas Zeit zu geben, bevor Sie seinen Aufenthaltsort preisgeben?«

»Genau das will ich sagen.«

»Haben Sie Senator Munroe ermordet?«

»Oh, Schätzchen, wenn ich ihn ermordet hätte, hätte ich mich nicht erwischen lassen – deshalb bin ich doch hier.«

»Sie sind hier, weil wir Sie gefasst haben.«

»Ich habe mich von euch fassen lassen. Um ihm Zeit zu verschaffen.«

»Also schön, ich beiße an. Zeit wofür?«

»Liebe.«

Jace

Als die Maschine endlich in Honolulu aufsetzte, war ich mehr als reif, die Nerven zu verlieren. Die Kleine vor uns hatte die ganze letzte Stunde geschnattert – über die Schule, das Leben, ihre Mom, ihre Blähungen. Über wirklich alles, was sie dachte, das uns interessieren könnte. Aber den Vogel hatte Beth abgeschossen, als sie mit ihr zu malen anfing.

Und mir war nur übriggeblieben, zuzusehen.

Ich hatte zugesehen, wie ihre Hände über das Papier glitten.

Wie ihre zarten Finger den blauen Farbstift hielten.

Und wie ihr Gesicht aufleuchtete, als die Kleine sie überschwenglich lobte.

Und dann hatte ich alles verdorben, indem ich ein finsteres Gesicht machte, als die Kleine ihr einen High five gab und ich Luft für sie war.

Der Ärger schnitt mir ins Herz. Und ich war kurz davor, den verdammten Verstand zu verlieren. Jedes Mal, wenn ich versuchte, mir einen Grund für meinen Ärger vorzustellen, weil Beth mir keine Aufmerksamkeit schenkte, wurde ich nur noch aufgebrachter.

Wahrscheinlich hätte ich mich für meine Unverblümtheit vorhin entschuldigen sollen, aber so wie es war, war es besser. Sie musste wissen, dass das nur eine einmalige Sache gewesen war. Ja, sie war eine Schönheit, aber das bedeutete nicht, dass ich bereit war, ihr meine Männlichkeit auf einem Silbertablett darzureichen.

Das hatte ich schon ein Mal gemacht. Nie wieder.

Also, wenn mich das unsensibel machte – na und? Ich hatte meinen Job. Ich liebte meinen Job, und ich hatte die Absicht, alles zu tun, um ihn zu behalten.

Ich schaltete mein Handy ein und sah aufs Display.

Rick: Ruf an, sobald du gelandet bist.

Stattdessen simste ich zurück, denn ich wollte nicht dieser nervtötende Typ sein, der lautstark zu telefonieren anfing, während jeder sein Gepäck einsammelte und versuchte, sich durch den engen Gang zu arbeiten.

Ich: Bin gelandet. Kann nicht reden. Alles okay?

Rick: Definiere okay.

Ich: Ist das Problem verschwunden?

Rick: Falls das Problem, das du meinst, eine attraktive Dreißigjährige ist, die für ebendiese Firma arbeitet, deren Gesetzesvorschlag du kürzlich mit der Begründung, er sei nicht ordnungsgemäß verfasst, abgelehnt hast, dann ja. Klar. Super.

Ich: Was?!

Rick: Wie gesagt, ruf an, wenn du Zeit hast. Wir müssen das aus der Welt schaffen. Umfragewerte können über Nacht abstürzen. Die gute Nachricht? Alle denken, du wirst heiraten, und die Medien lieben es. Also halt die Füße still.

Mit einem Fluch steckte ich das Handy wieder in meine Tasche und rieb mir die Schläfen.

»Schlechte Neuigkeiten?« Beth sah mich unschuldig blinzelnd mit ihren grünen Augen an.

»Dank dir, ja.« Ich saß in der Falle. Ich konnte nicht weg, und wenn ich blieb, dann neben Beth, und je länger ich mich in ihrer Gegenwart aufhielt, umso mehr wollte ich mich auf sie stürzen – auf eine total sexuell aufgeladene, frustrierte Weise. So mit Kratzen und Beißen und …

»Dank mir?« Ihre Augenbrauen gingen hoch.

Und ich gab mir alle Mühe, nicht erregt, sondern genervt dreinzusehen.

»Irgendeine Chance, dass ich dir eine unanständig hohe Summe zahlen kann, damit du mich im Fernsehen in die edlen Teile trittst und verkündest, du seist geisteskrank?«

Beth’ Augen verengten sich zu schmalen Schlitzen. »Ich sag dir was: In die edlen Teile trete ich dich kostenlos. Und was den Rest angeht, fick dich ins Knie.«

»Ha«, meinte ich trocken, »die Chemikerin hat also doch Rückgrat.« Ich benahm mich wie ein Mistkerl, das war mir klar, aber ich war sauer. Ich hatte sie ausdrücklich nach ihrer Vergangenheit gefragt. Ich hatte ausdrücklich gefragt, ob es irgendein wie auch immer geartetes Drama in ihrer Vergangenheit gebe, und sie hatte nicht einmal daran gedacht, mir zu sagen, dass sie für GreenCom arbeitete? Technisch gesehen war es meine Schuld gewesen. Ich hatte nicht auf ihre berufliche Laufbahn geachtet, nur auf ihren Titel. Und um ehrlich zu sein, es spielte keine große Rolle. Wesentlich mehr aufgebracht war ich über die Tatsache, dass ich ihr verdammtes Parfüm riechen konnte, und das trieb mir langsam den Junggesellen aus.

»Du bist ein Mistkerl«, zischte sie, drängte sich an mir vorbei und marschierte durch den Gang. Inzwischen hatten fast alle Passagiere den Flieger verlassen.

Mit einem Fluch stand ich auf und folgte ihr.

Ich war von einer sechsundachtzigjährigen Frau unter Drogen gesetzt worden.

Konnte mich nicht an meinen One-Night-Stand erinnern.

Sah mich dem Vorwurf ausgesetzt, ich hätte mit einer Prostituierten geschlafen.

Befand mich auf einem Last-Minute-Urlaub und hatte dabei das Gefühl, manipuliert und möglicherweise entführt worden zu sein.

Und meine Umfragewerte rauschten den Bach hinunter.

Schlimmer konnte es nicht mehr werden.

Endlich erreichte ich das Gate, wo Travis, Kacey, Char und Beth warteten.

Offensichtlich war etwas nicht in Ordnung, denn sie tippten wie verrückt auf ihren Handys herum, und Kacey sah aus, als wolle sie gleich anfangen zu weinen.

»Was ist?«, fragte ich dümmlich. »Ist jemand gestorben?«

Alle sahen mich an.

»Wir können Grandma nicht finden.« Beth’ Stimme klang angespannt. »Sie sagte, sie müsse sich noch die Nase pudern, und jetzt ist sie einfach verschwunden.«

»Ich bin sicher, es geht ihr gut«, versuchte ich zu beruhigen. »Immerhin reden wir hier von Oma Nadine. Wenn irgendwer sie angreifen würde, dann würde ich eher denjenigen bemitleiden. Verflixt, wahrscheinlich würde ich mir das Ganze ansehen und dazu Popcorn bestellen.«

Die anderen schienen sich ein wenig zu entspannen.

Sollte heißen, bis wir eine Hupe hörten.

Und dann sauste ein Blitz im Leopardenlook an mir vorbei.

»Ich denke, ich habe sie gefunden.« Ich deutete mit dem Finger in die Richtung.

Oma Nadine parkte das Flughafengefährt, verpasste sich bei der Gelegenheit selbst ein Schleudertrauma und stieg aus. »Tut mir leid, meine Lieben, es hat eine Ewigkeit gedauert, bis ich eines dieser Dinger finden konnte.«

Ich zuckte zusammen. »Grandma, ich glaube, es ist gegen das Gesetz, wenn du so etwas ohne Begleitung durch Flughafenpersonal fährst.«

Als Oma Nadine mir demonstrativ in die Augen blickte, lief mir unwillkürlich ein Schauer durch den Leib. »Ich bin das Gesetz.«

Ach du heilige Scheiße. In was war ich da nur hineingeraten?

»Steigt ein.« Oma Nadine legte den Rückwärtsgang ein, fuhr dabei fast noch zwei ältere Leutchen über den Haufen, holte dann ihren Lippenstift heraus und fing an, ihre Lippen vor dem Rückspiegel nachzuziehen.

Na toll, sie benutzte Spiegel also nicht zum Fahren, sondern zum Schminken. Wir waren in den besten Händen.

Zum Essen zu gehen war jetzt das Letzte, was ich wollte. Schlafen. Das wollte ich. Und von Rick hören, dass alles in Ordnung war.

Ich hob meine Tasche hoch und ging zu dem Fahrzeug. Dabei warf ich Beth einen Blick zu, die sich gerade an Char lehnte. Weinte sie etwa? Meinetwegen? Ich fühlte mich wie ein Idiot und wollte zu ihr hingehen. Doch da hielten mich Jake und Travis auf, und sie sahen beide so aus, als würden sie mir lieber den Schädel wegballern, als mich auch nur in die Nähe ihrer Familie lassen.

»Hör zu, Dreckskerl«, sagte Jake.

Ich fing an zu lachen. Ich konnte nicht anders. Dreckskerl? Im Ernst? Damit wollte er mir kommen? Und dann verpasste er mir einen Schlag in den Magen. Ich klappte zusammen – kein stolzer Augenblick. Travis packte mich am Hemd und lehnte mich gegen die Wand, damit es nicht so aussah, als wäre mir gerade sämtliche Luft weggeblieben.

»Ich höre.« Ich sah die beiden finster an.

»Wir machen dich kalt.« Travis lächelte, als fände er die Idee, einen Senator umzubringen und dafür in ein Bundesgefängnis zu wandern, extrem aufregend. »Lass sie in Ruhe.«

»Sie?«, echote ich. »Du meinst Grandma?«

»Grandma?« Jake schnaubte. »Die Frau könnte dich im Schlaf noch an der Nase herumführen. Mann, und du tust mir noch nicht einmal leid. Wir sprechen von Beth.«

»Hey«, ich hielt die Hände hoch, »ich habe nichts Falsches getan.«

»Du hast mit ihr geschlafen.«

»Ich weiß nicht genau«, antwortete ich aufrichtig. »Ich kann mich nicht genau … an die Details erinnern.«

Travis stieß Jake an. »Leistungsangst?«

»Hölle, nein«, knurrte ich. »Ich glaube, ich war zu betrunken oder …«

Falsche Antwort.

Noch ein Schlag in die Magengrube.

Mein Magen sackte ein Stockwerk tiefer – nun ja, wenigstens war ich jetzt nicht mehr hungrig!

Travis fluchte. »Spiel keine Spielchen mit ihr. Lass sie in Frieden. Gönn ihr eine entspannte Zeit auf Hawaii und sei nett.«

»Ich bin nett«, verteidigte ich mich.

»Du bist … Politiker«, meinte Jake spöttisch und machte Anführungszeichen in der Luft. »Das heißt im Prinzip, es ist dein Job, nett zu sein und jeden dazu zu bringen, dass er deinen Fähigkeiten vertraut, aber ich durchschaue den Mist. Ich habe das schon durchschaut, als du hinter Char her warst, und ich durchschaue es auch jetzt. Lass. Sie. In. Frieden.«

»Oder was?«, fragte ich spöttisch grinsend. Okay, ich hatte ja tatsächlich nichts anderes im Sinn, aber ich war sauer, weil die beiden mir drohten.

»Ach, das ist einfach.« Travis trat einen Schritt zurück und grinste Jake an, so als hätten sie ein Geheimnis, an dem ich keinen Anteil hatte. »Wenn du sie nicht in Frieden lässt, musst du dich mit dieser Dame dort ganz allein herumschlagen.« Er deutete hinter sich auf das Flughafengefährt, wo Oma Nadine gerade mit ihrem Handy in der Luft herumfuchtelte und laut rief: »Ich habe kein Netz! Verdammtes Dritte-Welt-Land!«

Nur fünf Minuten allein mit dieser Frau, und ich würde ein Kapitalverbrechen begehen. »Na gut, aber zu eurer Information: Ich hatte ohnehin vor, sie in Frieden zu lassen.«

»Aber sicher doch.« Jake verdrehte die Augen. »Deshalb hast du ihr auch die letzten zehn Minuten ständig auf den Hintern gestarrt.«

Natürlich wanderte mein Blick daraufhin direkt dorthin, wohin er nicht wandern sollte, und ich durfte mich über noch einen Schlag in die Magengrube freuen.

»Wie schön, dass wir uns verstehen.« Travis gab mir einen Klaps auf die Wange.

»Himmel, ihr seid ja wie Grandmas Mafia.«

»Sie gäbe einen verdammt guten Mafiaboss ab.« Jake pfiff und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Ach, und übrigens, viel Spaß beim Essen

»Verdammt.« Ernüchtert sah ich zu, wie die ganze Gruppe in das Gefährt stieg und damit zur Gepäckausgabe fuhr, so dass Beth, Oma Nadine und ich allein zurückblieben.

»Ach ja!« Oma Nadine klatschte in die Hände. »Ist das nicht schön! Also, Essen?«