Kapitel 11

»In diesen Räumen gibt es keinen Alkohol.« Der FBI-Agent rieb sich erneut über die Stirn und stöhnte. »Und sogar wenn wir welchen hätten, würde ich ihn selbst trinken, bevor ich ihn Ihnen gebe.«

»Oh, das ist aber rüde.« Oma Nadine schniefte.

»Können Sie mir denn überhaupt helfen? Können Sie mir irgendwas geben? Irgendeine Information?«

»Ja.« Oma seufzte. »Ich vermute, das kann ich, aber das wird Sie etwas kosten.«

»Erpressung eines Regierungsbeamten?«

»Ich habe einen US-Senator entführt. Haben Sie selbst gesagt. Denken Sie, das Gesetz gilt für mich? Außerdem, denken Sie, es kümmert mich?«

»Ma’am, ich kann mit absoluter Sicherheit sagen, dass Sie der Illusion erlegen sind, dass keinerlei Gesetze oder Vorschriften für Sie gelten.«

»Oh, danke sehr! Wie nett.« Oma Nadine lehnte sich auf ihrem Stuhl zurück. »Wo soll ich anfangen?«

»Am Anfang.«

»Es begann mit einem Fluch.«

»Mist.«

»Keine Sorge, es war ein guter Fluch. Und er war nicht echt, aber das wusste er nicht. Wissen Sie, manchmal brauchen wir eine Erlaubnis, um etwas zu tun. Wir müssen gesagt bekommen, dass etwas in Ordnung ist.«

Beth

Jace sah aus, als hätte er eben einen Geist gesehen. Ich wedelte mit der Hand vor seinem Gesicht, und er holte Luft und begann, heftig zu husten und an der Halskette zu zerren.

»Wann warst du denn einkaufen?« Ich berührte die Kette.

»Nicht anfassen, ich bin verflucht!«, rief er.

Ich hatte noch nie einen Nervenzusammenbruch mit angesehen. Aber ich war mir zu fast einhundert Prozent sicher, dass genau so einer gerade stattfand. Jace zerrte an dem Ding um seinen Hals, strangulierte sich dabei fast selbst und hielt wieder die Luft an.

»Mach sie ab!«, rief er.

»Jace. Atme«, befahl ich.

Sein wilder Blick zuckte hin und her, nur mich sah er nicht an. Schließlich packte ich ihn und zog ihn an mich. »Es wird alles gut. Es sind nur sechs Tage.«

»Du darfst mich nicht anfassen. Ich meine es ernst, Beth. Das ist ernst!«

»Richtig. Du und deine Halskette, ihr seid verflucht.« Ich klopfte ihm mütterlich auf den Rücken. »Du hast gerade eine Menge Druck. Es ist okay, ab und zu durchzudrehen. Du musst nur ein paarmal tief Luft holen, und dann besorgen wir dir etwas zu essen.«

»Ich bin nicht …« Er fing an zu hyperventilieren. »Was, verdammt noch mal, trägst du da eigentlich für ein Parfüm?« Er wich mit wildem Blick zurück.

»Gar keines.«

»Oh, Shit!« Endlich hatte Jace sich von der Halskette befreit und schleuderte sie ins Meer, wobei er sich fast noch den Arm ausrenkte.

»Besser?« Ich verschränkte die Arme.

»Ungemein.« Er atmete immer noch angestrengt. »Tut mir leid, das gerade eben.«

»Oh, ist schon in Ordnung. Ich habe mich schon oft gefragt, wie es wohl wäre, mitzuerleben, wenn jemand komplett den Verstand verliert.« Ich lächelte.

Und bekam dafür seinen Mittelfinger zu sehen.

»Hey, Senator, Ihre Manieren.«

Er kniff die Augen zusammen. »Dieser verdammte Kapitän hat mich mit einem Fluch belegt. Und zwar mit dir!«

Stinksauer verpasste ich ihm einen Schlag auf den Arm. »Wieso gehst du dann nicht einfach zurück in dein perfektes Leben mit deinem riesigen Vermögen und lässt mich hier in Frieden! Ich brauche diesen Urlaub, aber ich brauche dich nicht, wenn du so« – ich schubste ihn – »wütend bist!«

»Schön!«, rief Jace laut, und dann kniff er sich in den Nasenrücken. »Ich meine, du hast recht. Ich gehe. Ich muss nur … er hat einfach …«

»Aloha!« Eine Frau kam auf uns zu. »Ich wollte nicht Ihre sicher sehr gesunde und emotionale Unterhaltung unterbrechen, bei der Sie beide Ihre tiefsten Gefühle erforschen und …«

»Wer sind Sie?«, unterbrach Jace.

Die Frau war ganz in Schwarz gekleidet und trug ein Namensschild, auf dem Dr. Z stand.

»Ich bin die Geschäftsführerin dieser schönen Einrichtung hier, und ich habe Sie erwartet.« Sie konnte nicht viel größer als einen Meter sechzig sein, war asiatischer Abstammung und trug eine schwarze Brille, die ihr halbes Gesicht bedeckte. »Also, wenn Sie mir ins Center folgen würden.«

»Center?«, echote ich. »Ich dachte, das sei ein Hotel.«

»Oh, es ist so viel mehr als das! Hier im Ocean Breezes Couples’ Retreat ist es unser ganzer Stolz, die neuesten Paartherapien, Entspannungsbehandlungen und …«

»Moment.« Jace hob die Hand. »Paartherapie?«

»Natürlich.« Dr. Z nickte. »Deshalb sind Sie doch hier, oder nicht?«

»Nein«, antwortete ich für uns beide. »Nein, nein, nein und nein.«

»Seltsam.« Sie verschränkte die Arme. »Ich habe Ihre Reservierung seit über einem Monat.«

»Einen Monat!«, schrie ich förmlich. Diesmal hielt Jace mich auf, als ich auf die unschuldige Frau losgehen wollte.

»Kommen Sie.« Sie ignorierte meinen Gewaltausbruch. »Das Abendessen beginnt in etwa zehn Minuten, und wir müssen Sie zuvor noch einkleiden.«

»Sie haben unsere Koffer?« Das war die beste Nachricht des ganzen Tages.

»O nein.« Dr. Z schnippte mit den Fingern, und zwei Männer kamen angelaufen. Der eine übergab ihr ein Päckchen, der andere einen Schlüssel. »Hier im Ocean Breezes Couples’ Retreat – ach je, das ist immer so lang. Hier im OBCR bewerten wir Gleichheit höher als individuellen Stil. Sowohl Männer als auch Frauen tragen hier täglich die gleiche weiße Kleidung, um ihrem Bemühen nach einem Neuanfang Ausdruck zu verleihen.«

»Neuanfang?« Jace warf mir einen nervösen Blick zu.

»Ah, hier sind wir.« Dr. Z führte uns einen Pfad entlang zu einer großen Hütte. »Darin finden Sie Kleidung zum Wechseln. Bitte beeilen Sie sich. Sie wurden später als erwartet hier abgesetzt, und wir möchten nicht, dass Ihr Abendessen kalt wird.«

Damit schloss sie die Tür und ließ Jace und mich allein in der Hütte zurück.

Nach einigen Augenblicken der Stille sagte ich: »Ich glaube, wir wurden aufs Kreuz gelegt.«

»Ach, denkst du?«, gab Jace barsch zurück.

»Hey, versuch ja nicht, das mir anzuhängen!« Ich marschierte auf ihn zu. »Außerdem ist es ja nicht so, als hätten wir die Flucht ergreifen können, wenn du an dir herumzerrst, als hättest du Flöhe oder so. Meine Halskette, ein Fluch, ein Fluch, ein Fluch!«

»Das ist nicht lustig. Ich wurde verflucht!«, widersprach er.

»Ja, mit einem Nervenzusammenbruch, und jetzt befinden wir uns in einer Psychoanstalt für unglückliche Paare! Zum Teufel mit dir und deinem Rat vorhin. Ich will das Märchen, hörst du!« Ich reckte den Zeigefinger hoch zur Decke. »Ich will das Märchen, verdammt!«

»Mit wem redest du da?«

»Mit Gott.«

»Wieso?«

»Damit er Grandma sagen kann, dass ich eine zweite Chance will.«

»Nett.« Jace grinste. »Und ich bin der mit dem Nervenzusammenbruch.«

»Treib mich nicht zum Äußersten. Ich bin nur so weit« – ich deutete auf seine Brust und zeigte einen Zentimeter mit den Fingern – »so weit davon entfernt, auszurasten.«

»Tja, wir wollen nicht wissen, wie es aussehen würde, wenn du ausrastest. Schnell – versteckt alle Plätzchen!«

»Arghh!« Ich schubste ihn gegen das Bett, so dass dieses gegen die Wand knallte und er rücklings auf die Matratze plumpste. Und erst da registrierte ich, dass ich auf ihm saß. Rittlings. Und er war warm. Und, ihr großen Götter in Asgard, mein Körper genoss es.

»Hübsche Oberschenkel.« Er schmunzelte. »Stark. Ob du mich wohl wieder freilassen würdest, bevor ich mir wegen Blutverlusts beide Beine amputieren lassen muss?«

»Also bitte, als ob es deine Beine wären, um die du dir Sorgen machst.«

Es klopfte an der Tür. »Fünf Minuten!«

»Sie wird immer wiederkommen.« Jace schnaubte unter mir. »Ich sage, wir machen schnell und ziehen uns um, sehen zu, dass wir etwas zu essen bekommen, und danach rufen wir Grandma an. Wir können den nächsten Flug nehmen und haben immer noch Zeit für einen netten, ruhigen Urlaub.«

»Wie mutig! Du rennst mit eingezogenem Schwanz davon.«

»Willst du damit sagen, dass du bleiben willst?« Jace hob hilflos die Arme.

»Nein, das will ich nicht sagen.« Ich stemmte die Hände in die Hüften. »Ich will sagen, ich komme damit klar, hierzubleiben. Ich habe Eier aus Stahl. Was hast du?«

»Eier. Ganz normale. Solche, die ich gern unversehrt wissen möchte, und wenn ich noch viel länger hierbleibe, werden sie sich in meinen Körper zurückziehen und mich als Eunuchen zurücklassen. Willst du, dass das passiert? Willst du das auf dein Gewissen laden?«

»Drei Minuten!«, rief Dr. Z.

Ich warf ihm einen Satz weiße Kleidung zu. »Ich bin ein Teilchen ohne Ladung, und du bist ein Kerl ohne Eier!«

»Wie bitte?«, rief er laut, und seine Hände glitten an seine Hose.

Wollte er mir das Gegenteil beweisen? War das hier jetzt ein Wettbewerb? Ernsthaft?

»Du hast mich schon verstanden!« Ich zog mein Shirt aus und warf es auf den Boden. »Du willst nicht hierbleiben, weil du weißt, dass du es nicht durchstehen würdest!«

»Ist das eine Herausforderung?« Er trat zwei Schritte auf mich zu. »Hmm, Beth?«

»Es ist nur dann eine Herausforderung, wenn der andere eine Chance hat.«

»Was bekomme ich, wenn ich bleibe?« Sein Blick glitt begierig über meinen Oberkörper.

Ich verschränkte die Arme und sah ihn finster an.

»Das nicht.«

»Als ob ich da fragen müsste.«

»Du bist ein Mistkerl!«, zischte ich, zog mir das weiße Leinenshirt an und danach die weißen Leinenhosen.

»Ich bin Politiker, Schätzchen. Ich bin schon Schlimmeres genannt worden.«

»Die Zeit ist vorbei!« Dr. Z klopfte erneut an die Tür.

»Also, was sagst du?« Ich streckte die Hand aus. »Wette?«

»Spiel.«

»Mutprobe.«

»Abgemacht«, sagten wir einstimmig.

»Du bleibst sechs Tage lang, und ich helfe dir in Sachen Ich bin eine Prostituierte. Was auch immer nötig ist, ich werde es in diese niedlichen kleinen Kameras sagen. Ich küsse dich sogar im Fernsehen.«

»Und ich …« Jace runzelte die Stirn.

»Du gibst mir sechs Tage.« Nervös fuhr ich mir mit der Zunge über die Lippen. Ich hatte nicht vorgehabt, danach zu fragen, aber je mehr ich darüber nachdachte, umso besser wurde die Idee. Immerhin war es sein Kuss gewesen, der mir zwölf Jahre lang nicht aus dem Kopf gegangen war; seine Berührung, an die ich jedes einzelne Mal gedacht hatte, wann immer ein Mann den Arm um mich gelegt hatte. Wenn irgendjemand hier in dieser gottverlassenen Hütte verflucht war, dann war ich das. Verflucht mit Erinnerungen an einen Mann, der in mir den Wunsch nach dem Märchen weckte. Ich hatte mich viel zu lange selbst bemitleidet. Und wahrscheinlich hatte Jace recht. Vielleicht war das Märchen nicht real, aber ich wollte es erleben, wenigstens eine kleine Weile. Und er würde derjenige sein, der dafür sorgte.

»Verzeihung?«

»Echte sechs Tage. Keine Verpflichtungen. Sechs Tage Urlaub mit Essen, Trinken, Spaß und …« Ich spürte, wie mir die Hitze in die Wangen kroch. »Nur sechs Tage. Sechs Tage als eine normale Frau in einer normalen Beziehung mit einem normalen Mann.« Falls der normale Mann zufällig so aussah, als seien seine Bauchmuskeln aus Granit gemeißelt.

»Hör auf, sechs zu sagen.« Jace stieß ein unanständiges Wort aus. »Das hört sich an wie Sex, und ich habe dir gerade noch zugesehen, wie du dein Shirt ausgezogen hast.«

Ich spürte meine Wangen heiß werden.

»Und deshalb will ich dich am liebsten gegen die Wand drücken und es dir vom Leib reißen. Also, wenn du sechs Tage willst, solltest du wissen, dass du damit sechs Tage mit allem Drum und Dran willst. Ich werde meine Hände nicht bei mir behalten.«

»Schön.« Meine Unterlippe zitterte. »Ich will nur umworben werden.«

»Du willst das Märchen«, sagte er leise.

»Ja, das will ich.«

»Sechs Tage schaffe ich«, flüsterte Jace. »Nur hasse mich nicht am siebten Tag, denn dann werde ich gehen.«

Ich schnaubte. »Immer langsam, Jace. So unwiderstehlich bist du auch wieder nicht. Das Risiko ist es wert. Ich will Beth Altbacken eine Weile vergessen.« Außerdem, er war doch schon einmal gegangen. Was machte da ein zweites Mal aus?

»Beth.« Jace seufzte. »Du bist nicht altbacken. Sieh mal, vielleicht ist das ja nicht …«

Eine Pfeife ertönte, und dann öffnete Dr. Z die Tür. »Fertig?«

Jace streckte mir die Hand hin. Ich nahm sie und fühlte das Kribbeln bis in meine Zehenspitzen.

»Fertig.«