Kapitel 12

»Dieser Kapitän, haben Sie ihn dafür bezahlt, dass er den Senator verflucht?«

»Natürlich nicht!« Oma Nadine schüttelte den Kopf. »Kein Geld hat den Besitzer gewechselt.«

Der FBI-Agent trank einen Schluck Kaffee.

»Allerdings« – Oma Nadine machte eine Pause – »gibt es ja auch andere Möglichkeiten der Bezahlung.«

Der FBI-Agent verschluckte sich. »Ma’am, Prostitution ist illegal.«

»Ich würde niemals meinen Körper verkaufen.« Oma Nadine schüttelte vehement den Kopf. »Außerdem hat der Kapitän schon von den Früchten genascht. Ein ehemaliger Liebhaber, Sie verstehen. Er war nur zu gern bereit, mir bei meinen … Bemühungen zu helfen.«

»Ihren Bemühungen um die Liebe?« Der Beamte runzelte die Stirn.

»Ja. Nennen wir es so. Das hat einen gewissen Klang!«

Jace

Ich hatte gerade einen Pakt mit dem Teufel geschlossen. Ich hatte den Vertrag mit Blut unterzeichnet, und nun musste ich nur noch die nächsten sechs Tage überstehen. Die gute Nachricht? Ich konnte meine Karriere retten. Und Beth hatte recht. Sie war die Antwort. Sobald ich dazu käme, würde ich Rick eine SMS schicken.

Was die Sache anging, dass ich ihr ein sechstägiges Märchen schenken sollte? Nun, das stellte ich mir, mehr oder weniger, wie Babysitting vor. Überhäufe sie mit Geschenken, geh mit ihr essen, gib ihr Unmengen von Wein zu trinken und warte darauf, dass sie nachts einschläft. Okay, also falls ich ins Kittchen wandern wollte, dann wäre es wie Babysitting. Ich musste nur dafür sorgen, dass sie glücklich war, sechs Tage lang, und dann war ich auf der sicheren Seite. Eine Frau zu umwerben – wie schwierig konnte das schon sein? Ich umwarb rund um die Uhr Menschen. Andererseits waren die meisten Menschen, die ich umwarb, nicht solche, nach denen ich seit meinem ersten Tanz geschmachtet hatte.

Das andere Problem wäre dieser verdammte Fluch. Ich war kein Idiot. Ich glaubte nicht an Flüche – aber der Mann hatte recht gehabt. Vor zweiunddreißig Minuten waren wir auf der Insel angekommen. Und seit zweiunddreißig Minuten starrte ich nur noch Beth’ Lippen an, betrachtete ihre Hände, die das Besteck hielten, und schloss die Augen, wenn die Brise ihren Duft in meine Distanzzone wehte.

Shit.

Sechs Tage.

Nicht einmal eine ganze Woche.

Eine Woche lang konnte ich alles tun.

»Jace.« Beth’ leise Stimme drang über den Tisch zu mir. Wenigstens klang sie nicht mehr sauer. »Hast du irgendwas von dem gehört, was ich gesagt habe?«

»Sicher doch.« Ich nippte an meinem Wein.

»Dann stimmst du mir zu?«

»Absolut.«

»Am Hals, findest du nicht auch?«

»Ähm …« Tja, Himmel noch mal, das hatte man davon, wenn man vor sich hin träumte. »Hals ist perfekt.«

»Wie lange sollte es sein?«

»Lang genug.« Ich war der König der vagen Aussagen. Ich konnte den ganzen Tag über Fragen beantworten, ohne dabei tatsächlich Antworten zu geben. Punkt für Jace.

»Und die Farben?«

»Ich denke, leuchtende Farben sind am besten.« Ich nickte. »Sie scheinen … Aufmerksamkeit zu erregen.« Ich schenkte ihr mein schönstes Politikerlächeln.

»Hmm, vielleicht hast du recht.« Sie sah auf das Blatt in ihrer Hand und fing an zu schreiben. »Ist morgen gut?«

»Sicher.« Ich beugte mich vor, um zu sehen, was sie da hinschrieb. Aber sie zog das Blatt zurück. »Du musst unterschreiben.«

»Was unterschreibe ich denn da?«, fragte ich mit einem weiteren höflichen Lächeln.

»Du sagtest doch, dass du zuhörst.« Sie gab mir den Stift.

»Habe ich auch. Tue ich.«

»Gut. Hier unterschreiben.«

Zu meiner Schande muss ich gestehen, dass ich nur unterschrieb, weil ich nicht wie ein Volltrottel dastehen wollte.

Dr. Z kam an unseren Tisch. »Ich darf annehmen, dass Sie das Infoblatt ausgefüllt haben?«

»Haben wir.« Beth grinste.

»Phantastisch.« Dr. Z nahm die Mappe und zog das Blatt, das ich unterschrieben hatte, heraus. Dann weiteten sich ihre Augen ein wenig. »Wie überaus mutig von Ihnen beiden!«

»Das dachten wir uns auch.« Beth nahm meine Hand.

Ich hatte ein ganz schlechtes Gefühl.

»Ein Drache als Pärchen-Tätowierung! Und am Hals! Wie reizend! Der Drache symbolisiert die Verbindung zueinander. Es kommt selten vor, dass ein Paar schon kurz nach seiner Ankunft so engagiert ist!«

»So sind wir eben«, gab ich trocken zurück. Wie in aller Welt sollte ich mich da nur herausreden? Ich hatte dieses verdammte Papier unterschrieben. »Engagiert.« Ich kickte Beth unter dem Tisch ans Schienbein.

Sie zuckte zusammen, während Dr. Z die übrigen Blätter durchsah. »In Ordnung, ich erstelle einen Zeitplan für den Rest Ihrer Woche und schiebe ihn am Abend unter Ihrer Tür durch. Ihre erste Sitzung findet mit einer unserer neueren Therapeutinnen statt. Sie ist absolut reizend.«

Der Klang von Dr. Zs Absätzen auf dem Fliesenboden fühlte sich wie eine Schlinge um meinen Hals an, die sich rhythmisch immer weiter zuzog.

»Tattoo?« Ich legte den Kopf schief. »Du hältst dich für sehr witzig, oder?«

»Du warst nicht aufmerksam.«

»Doch.« Irgendwie. Falls es dazugehörte, dass ich ihren Mund anstarrte, und falls meine Stegreifaufgabe darin bestand, mir ihren Duft einzuprägen, dann, jawohl, war ich sehr aufmerksam gewesen.

»Nein, warst du nicht. Wir haben uns die Hand darauf gegeben. Sechs Tage. Ich will nicht, dass du mich ignorierst. Ich will nicht, dass du SMS schreibst. Ich will die Phantasie. Gott weiß, es sind doch nur sechs Tage.« Ihr Gesichtsausdruck wurde ein wenig traurig, bevor sie lächelte, um ihre Enttäuschung zu überspielen.

Shit.

»Du hast recht.« Ich nahm ihre Hand. »Ich mache es besser. Es war einfach ein langer Tag.« Und wenn sie nicht aufhörte »sechs« zu sagen, dann würde ich noch hier in der Öffentlichkeit »Sechs« mit ihr hinlegen.

»Ich weiß.« Beth starrte auf unsere Hände.

Ich hätte die Hand zurückziehen sollen. Ich hätte das Weite suchen sollen. Stattdessen legte ich meine andere Hand auf ihre beiden Hände und flüsterte: »Wieso gehen wir nicht zurück aufs Zimmer. Ich lasse dir ein Bad ein und umwerbe dich auf Teufel komm raus.«

Was auch bedeutete, dass man mich mit Heiligsprechung belohnen würde, weil ich nicht versuchte, sie zu verführen, sobald wir allein waren.

»Ich dachte, du seist so wortgewandt?«

»Erschöpfung. Die macht sich jetzt bemerkbar. Außerdem lastet ein Fluch auf mir. Erwarte keine Perfektion.«

»Wer sagt denn, dass ich Perfektion will?« Sie zwinkerte. »Ich will nur das Märchen.«

»Hatten wir diese Unterhaltung nicht schon einmal? Es ist beides dasselbe.«

»Nein« – Beth stand auf – »das stimmt nicht. Und deshalb bist du auch so verbittert. Manche Dinge sind nicht nur schwarz und weiß, Mr. Senator. Und jetzt umwirb mich.«

»Tag eins.« Ich schmunzelte.

»Tag eins«, pflichtete sie bei.

Ich hielt ihre Hand den gesamten Weg zurück zur Hütte.

 

»Klar, ich tanze mit dir.« Sie legte ihre Hand in meine. Ich führte sie auf die Tanzfläche, unfähig, den Blick von ihrem glitzernden Kleid oder ihrem hübschen braunen Haar abzuwenden. Meine Cousine würde mich umbringen, weil ich sie sitzenließ, aber die Anziehungskraft war zu stark.

»Du bist wirklich hübsch.« Ich zog sie in meine Arme und versuchte, lässig zu wirken, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass meine Hände zitterten. »Wie heißt du?«

»Beth.« Sie legte den Kopf in den Nacken, gerade so, dass ich in ihre irre grünen Augen sehen konnte. »Und du?«

»Jace.« Und am Ende des Wortes schlug mein Stimmbruch zu. Na toll, damit hatte ich gerade mein Alter preisgegeben. Zweifellos war sie im Abschlussjahrgang und hielt mich in etwa für so reizvoll wie einen Siebtklässler mit Erkältung.

»Danke.«

Sie lehnte den Kopf an meine Schulter. Wenigstens meine Körpergröße sprach für mich.

»Wofür?«

»Für die Rettung.« Sie lachte. Und ein Teil von mir, der bisher geschlummert hatte, erwachte blitzartig zum Leben. Gott, sie war wundervoll.

»Ich rette dich jederzeit gern. Tag und Nacht.«

»Ist das ein Versprechen?«

Ihr Lächeln war mein Untergang. Es weckte in mir den Wunsch, sie zu küssen, und das Letzte, was ich gebrauchen konnte, war, dass jemand sah, wie ich ein Mädchen von einer anderen Schule küsste und mir bei der Abwehrreihe des Footballteams eine blutige Nase holte. Das hier war deren Gebiet, nicht meines.

Aber ich konnte das Wort nicht aufhalten: »Natürlich.«

Ich senkte den Kopf, und sie kam mir auf halbem Weg entgegen. Unsere Lippen berührten sich, und ich küsste sie, leidenschaftlicher als je in meinem ganzen Leben. Es war ein Kuss, der hallo und lebe wohl zugleich sagte, denn ich wusste, er war etwas, das ich nicht noch einmal tun würde. Sie war weit außerhalb meiner Liga. Unter den gegebenen Umständen spielte ich mit dem Feuer, wenn ich ein Mädchen küsste, das ganz bestimmt die Freundin des Quarterbacks war. Aber ich konnte nicht anders.

»Munroe«, sagte plötzlich spöttisch jemand hinter mir.

Ich löste mich von Beth und drehte mich langsam zu dem vermutlich größten Kerl an der Schule um.

Aber es war der Trainer des Footballteams. Oje. Er kannte mich nur, weil ich unabsichtlich einen seiner Spieler für den Rest der Saison außer Gefecht gesetzt hatte.

»Mit wem bist du hier?«

»Mit meiner Cousine.« Ich schluckte nervös.

Er spähte an mir vorbei und schmunzelte. »Sie sieht nicht wie deine Cousine aus.«

»Nicht sie.« Ich biss die Zähne zusammen. »Sie ist nur … eine Freundin.«

Hinter ihm gestikulierte meine Cousine wie wahnsinnig.

»Sieh mal, ich muss los. Meine Begleiterin braucht mich.« Es war auch nicht so, dass ich irgendwelche geheimen Zeichen von Beth bekam oder so. Ich drehte mich um und drückte ihr kurz die Hand. »Hat mich gefreut.«

Sie nickte mir traurig zu, und ich ging.

Als ich mich noch einmal umdrehte, war sie verschwunden.

 

Der Klang des Weckers holte mich abrupt aus meinem Traum. Wieso in aller Welt träumte ich jetzt ausgerechnet davon? Ich schlug mit der Hand auf den Wecker und sah zu Beth hinüber. Sie schlief wie ein Stein, war viel zu schön, als gut für sie war, und ich war geil ohne Ende von diesem verdammten Traum. Ich hätte nicht einfach gehen sollen. Ich hätte mir ihre Nummer geben lassen sollen. Nicht dass das irgendwas geändert hätte. Heutzutage begegnete man sich nicht mehr in der Highschool und heiratete dann sofort. Damals hatte ich noch an Liebe auf den ersten Blick geglaubt. Zur Hölle, ich hatte gedacht, es sei Liebe. Der Rest der Erinnerung war höllisch schmerzhaft. Mein Therapeut hatte gesagt, mein Gedächtnis hätte irgendwie den Rest der Nacht aus meinem Bewusstsein verdrängt; er hatte gesagt, Unfälle könnten so etwas bewirken, und ich würde mich selbst schützen. Aber wovor? Ich wusste es nicht.

Als ich im Krankenhaus aufgewacht war, war ich ein anderer gewesen – alles hatte sich verändert. Meine Eltern hatten gesagt, ich sei nicht mehr derselbe, aber ich hatte keine Ahnung, wieso. Ich war nur noch zwanghafter gewesen in meinem Bemühen, ihnen zu gefallen, alles richtig zu machen. Meine Karriere gut hinzubekommen.

Stichwort Karriere. Ich nahm mein Handy vom Nachttisch und bekam gleich mal die Anzeige, dass der Akku fast leer war. Ich stand auf, um meine Tasche zu holen, und dann fiel mir ein, dass ich ja keine Tasche hatte. Eben die als Gepäck aufgegebene Tasche, die immer noch nicht aufgetaucht war.

Ich vermutete, dass Oma Nadine sie in Geiselhaft hatte. Oder vielleicht auch Jake und Travis. Diese Bastarde mussten Bescheid wissen. Und wie in aller Welt hatte diese Frau das alles einen Monat im Voraus planen können? Vor einem Monat hatte ich mich bereit erklärt, bei ihrer Intrige mit Char und Jake mitzuspielen.

Irgendwo in der Finsternis meines Verstandes flackerte ein Birnchen auf.

Ich hatte ja gesagt.

Das war mein Fehler gewesen. Ich hätte weit, weit weg bleiben sollen.

Russland. Ich hätte nach Russland auswandern sollen.

»Beth.« Ich stieß sie leicht an.

Sie lag auf dem Bauch und trug noch die Sachen von gestern Abend. Sie streckte sich, und ihr Shirt rutschte einige Zentimeter nach oben, enthüllte ihren flachen Bauch und eine feine Narbe, wo offensichtlich mal ihr Blinddarm gewesen war.

Sie stöhnte und hob die Arme hoch über den Kopf.

Und ihr Shirt rutschte noch weiter nach oben.

So wie mein Blick.

Ich blinzelte einige Male; es faszinierte mich, wie glatt ihre Haut aussah. Ich wollte sie berühren – zum Teufel damit, ich wollte mit der Zunge darüberlecken. Hatte ich das eigentlich neulich nachts getan?

»Jace.«

Ihre Stimme klang leise, sexy ohne Ende, leicht rauchig. Shit, ich war in Schwierigkeiten.

»Was?«

»Müssen wir zu dieser Paartherapie gehen?«

»Oje, Süße, jetzt schon kneifen? Wo sind denn deine Eier geblieben?«

»Ich will keine Eier.« Sie gähnte. »Ich will nur ein geladenes Teilchen sein. Ich habe Mädchenorgane. Ich spucke große Töne. Ich sage großartige Wörter. Und genau jetzt will ich einen riesengroßen Kaffee und eine große Mütze Schlaf.«

»Hör auf, immer ›groß‹ zu sagen.«

Denn mein Körper zeigte auf dieses Wort eine wirklich große Reaktion, und ich kämpfte ohnehin schon, nachdem ich ihr zugesehen hatte, wie sie gähnte, sich streckte und maunzte.

»Also gut. Dann enorm. Ich will einen enormen Kaffee, eine enorme …«

Ich hielt ihr den Mund zu. »Lass uns den Morgen als stille Zeit festlegen. Für Reflexion, Nachdenken und …«

Sie biss mir in die Hand.

»Kaffee.«

»Bissspuren.« Ich zeigte ihr meine Hand.

»Umwirb mich.«

Sie ließ sich wieder aufs Bett fallen, und ich musste zugeben, dass mir ihr diktatorisches Gehabe gefiel. Ich stand auf und fing an, mich mit der Kaffeemaschine zu befassen.

Die Dusche rauschte.

»Ich bin ja so stolz auf dich!«, rief ich laut, ohne mich umzudrehen. »Du hast sie ganz allein angemacht.«

Und dass ich anmachen sagte, machte mich wiederum an. Verdammter Fluch! Ich schüttelte mich und stellte die Kaffeetasse unter den Spender.

»Aghh … du verfluchtes …«

Bumm. Bumm. Bumm. Bumm.

Absolute Stille und dann ein ohrenbetäubendes: »Jace!«

Ich rannte ins Badezimmer.

»So riesig!«, kreischte Beth.

Die Dusche war begehbar, ohne Vorhang, Tür oder irgendetwas, das den Körper auch nur im Geringsten verbarg.

Beth stand in der Ecke, eine Shampooflasche in der Hand, und deutete auf die Ecke gegenüber.

Das Erste, was ich registrierte, war, dass sie nackt war, aber das geriet schnell in den Hintergrund, als sie noch einmal aufschrie, die Shampooflasche an meinem Kopf vorbeiflog und mit einem dumpfen Geräusch landete.

»Fang sie!«

Eine Spinne, die verflucht viel Ähnlichkeit mit einem geschrumpften Martial-Arts-Kämpfer hatte, raste auf mich zu. Nun war ich ja nicht gerade ein Fan von Spinnen. Ich hasste sie nicht, aber das hieß auch nicht, dass ich den Gedanken, dass etwas Haariges seine Fänge in meine Haut schlug, besonders angenehm fand. Also tat ich das, was jeder logisch denkende Mann tun würde.

Ich sah mich nach einer Knarre um.

Und als mir klarwurde, dass ich weder James Bond war, noch in einem Spionageroman lebte, schnappte ich mir den nächstbesten Gegenstand.

Den Föhn.

Er war nicht eingesteckt, aber groß genug, um kampftauglich zu sein. Damit prügelte ich auf Teufel komm raus auf die Spinne ein, bis nur noch Stücke von Beinchen und Haarbüschelchen übrig waren.

»Hast du sie erwischt?« Beth tauchte zitternd hinter mir auf.

»Ja.« Ich wischte mir mit dem Arm über die Stirn. »Es war eine wahre Schlacht. Jede Menge Tote und Blutvergießen. Aber … ich habe sie erwischt.«

»Mein Held«, flüsterte sie und schlang von hinten die Arme um mich.

Ich erstarrte.

Nicht weil sie mich ihren Helden nannte. Also bitte, so ein Narziss war ich nun auch nicht. Es lag daran, dass sie nackt war. Und sie hatte ihre Nacktheit zu einem sehr günstigen Zeitpunkt vergessen.

Männer überall auf der Welt: Bitte um Applaus. Ich reagierte kein bisschen. Nicht ein Keuchen oder Erbeben. Ich kostete das Gefühl einfach nur aus.

Auskosten: Anderes Wort für völlige Regungslosigkeit, wenn eine Frau sich derart erotisch an einen drückt, dass man nur noch die Augen schließen und lächeln kann. Siehe auch: Euphorie.

»Ich bin nackt.« Beth ließ mich wieder los. Mein Körper spannte sich augenblicklich an allen falschen Stellen an, und ich schäme mich, zuzugeben, dass ich kläglich stöhnte, oder vielleicht war es auch ein Knurren. Und noch bevor ich wusste, was ich da tat, drehte ich sie herum, schob sie in die Dusche, drückte sie gegen die Wand und nahm sie wie ein …

Na toll, ich war also nicht nur in einem Zustand der Euphorie erstarrt, sondern gab mich auch noch Tagträumen hin.

»Danke.« Aus dem Augenwinkel sah ich, wie Beth sich unter der Dusche zurücklehnte und die Augen schloss.

Es war, als würde ich meinen ganz persönlichen Werbespot für Pantene Pro-V zu sehen bekommen, nur dass das Mädchen noch heißer und greifbar war.

Aber nicht für mich.

Nicht im wirklichen Leben.

»Willst du mich weiter beobachten oder dich fertig machen?«, fragte Beth, und Wasser tropfte von ihrem Gesicht.

»Darf ich es mir aussuchen?«, flehte ich schon fast.

»Nein, aber du darfst ein Knie in die edlen Teile bekommen, wenn du nicht in fünf Sekunden hier raus bist. Die Spinne ist tot, du hast die Welt gerettet, und jetzt nimm deinen Hammer und geh.«

»Ähm – Hammer?«

»Hammer, Föhn – alles dasselbe. Geh, Thor. Geh und leg dein Cape an. Wir haben Therapiestunde.«

Männer. Wir sind einfache Wesen. Nein wirklich, es stimmt. Im Prinzip hatte sie mich einen Avenger genannt, was meiner Meinung nach bedeutete, dass ich Iron Man etwa zwei Schritte voraus war und außerdem wesentlich besser aussah.

Ich zog mich an und hatte dabei die ganze Zeit ein selbstzufriedenes Grinsen im Gesicht.

 

Dank der wasserverschwendenden Prinzessin konnte ich nicht mehr rechtzeitig duschen. Und Doktor Z hatte ausdrücklich gesagt, dass wir pünktlich sein mussten. Da ich diese Therapie nicht gleich mit Verspätung anfangen wollte, opferte ich mich zum Wohle aller.

»Es dauert nur eine Stunde, und dann haben wir etwas, das der Zeitplan als Zeit für Spaß am Pool bezeichnet.« Beth sah auf ihre Uhr und gab mir einen Lageplan der Anlage.

Ich schloss die Tür unserer Hütte ab und drehte den Lageplan auf die Seite.

»Nach Norden«, sagte ich und sah mir den roten Kreis mit dem Namen Serenity Circle an.

»Mir gefällt der Name nicht.« Beth schnaubte. »Klingt wie ein Ort, an dem man sich zudröhnt.«

»Falls es dort Drogen gibt, sag einfach nein.« Ich stopfte den Plan in die Vordertasche meines langweiligen Leinenhemdes und nahm ihre Hand.

»Was machst du da?« Sie wollte die Hand wegziehen.

Ich hielt sie fest. »Wonach sieht es denn aus?«

»Du hältst meine Hand.« Sie drückte meine Hand, und dann zeigte sie ein mädchenhaftes Lächeln, und jedes Gefühl von Feindseligkeit löste sich augenblicklich in nichts auf.

»Genau.« Ich zog sie näher an mich heran und atmete tief ein. Verdammt, ihr Shampoo roch gut. »Du sagtest, du willst ein Märchen für sechs Tage. Ich dachte mir, Händchenhalten wäre ein guter Anfang.«

»Oh.«

Ihr Gesicht wurde dunkelrot, und meine Magengegend fühlte sich augenblicklich so an, als hätte mich jemand mit einem Baseballschläger windelweich geprügelt.

Mit ihr hatte noch nie jemand Händchen gehalten.

Darauf würde ich jede Summe wetten.

Wegen so etwas errötete ein Mädchen nicht. Den meisten Mädchen war das total egal. Welcher Mann würde nicht ihre Hand halten? Welcher Mann würde nicht zumindest versuchen, sie auf Teufel komm raus zu umwerben?

Falsche Wortwahl. Man sollte niemanden auf Teufel komm raus umwerben, aber ich schweife ab.

Seufzend gingen wir Hand in Hand zu dem Gebäude, und ich gab mir selbst ein Versprechen. Auch wenn ich wusste, dass ich es nächste Woche um diese Zeit höchstwahrscheinlich bereuen würde.

Ich würde es tatsächlich versuchen. Ich würde meine emotionalen Lasten vor der Tür zurücklassen, ins »Hotel Happy Romance« einchecken und ihr das Gefühl geben, begehrt zu werden.

Und wenn es Zeit war, zu gehen, würde ich es tun, ohne zurückzublicken. Aber auch, ohne irgendetwas zu bereuen, und das war Grund genug, den Sprung zu wagen.