Kapitel 13

»Wie hat der Senator es aufgenommen, mit einem Fluch belegt zu sein?«

»Er war nicht sehr erfreut, so viel weiß ich. Er hat meine sehr teure Fruchtbarkeitskette ins Meer geworfen!«

»Tragischer Verlust«, meinte der Beamte trocken.

»Aber ja!« Oma Nadine schlug mit ihrer kleinen Faust auf den Metalltisch. »Fruchtbarkeitsketten kann man nicht einfach überall kaufen!«

»Davon habe ich keine Ahnung.«

»Ich schon.« Oma Nadine schniefte. »Immerhin habe ich Jahre damit verbracht, sie zu sammeln und bei meinen Enkeln zu deponieren: in ihren Autos, Häusern, Büros, Booten …«

»Ma’am, wollen Sie damit sagen, Sie sind schon seit Jahren … so?«

»Wie denn?«

»Wahnsinnig.«

Oma Nadine lächelte. »Manche Menschen definieren Wahnsinn als Genie. Wie sehen Sie das, Gus?«

»Ich heiße nicht Gus.«

»Sie sehen aber wie ein Gus aus. Ich bleibe bei Gus.«

Der Beamte schaute sehnsüchtig zum Fenster. »Ich denke, es ist Zeit für eine Pause.«

Beth

Händchen halten mit Jace war wie zum ersten Mal mit dem Schulbus fahren. Man ist völlig durcheinander, weiß nicht, neben wem man sitzen soll, ist nicht sicher, ob man an der richtigen Haltestelle ist, also schaut man die ganze Zeit aus dem Fenster, um nicht das eigene Haus zu verpassen. Und dann, wenn man zufällig tatsächlich das eigene Haus verpasst, ist es einem völlig egal, weil man sich bereits mit allen angefreundet hat und die Fahrt genießt.

»Hier ist es.« Er ließ meine Hand los.

Der blöde Bus blieb stehen.

Und jetzt lief dieses nervtötende Kinderlied »Die Räder am Bus« wie eine kaputte Schallplatte in meinem Kopf.

»Ich denke, wir gehen einfach rein.« Ich wollte gerade anklopfen, als die Tür weit aufgerissen wurde.

»Das. Gibt’s. Nicht.« Jace fluchte und trat gegen den Türrahmen.

Oma Nadine deutete auf den Boden. »Ich glaube, du hast gerade eine Ameise getötet.«

Seine Nasenflügel blähten sich. Aber er sagte nichts.

Oma Nadine klatschte in die Hände. »O gut. Sie lebt noch, sieh nur.« Sie deutete wieder nach unten.

Jace sah nach unten und stampfte dann mindestens fünf Mal auf, bevor er sich wieder unter Kontrolle hatte.

»Ach herrje. Nun« – Oma Nadine hielt sich die Hand an die Wange – »ich schätze, jetzt ist sie mausetot.«

Jace stampfte noch einmal auf.

Oma Nadine brachte ihn ziemlich sicher um den Verstand. Ich nahm seine Hand und drückte sie. Wenigstens hörte er zu stampfen auf.

»Kommt rein, kommt rein!«

Oma Nadine machte die Tür weit auf und führte uns in ein kleines Büro mit einem leise plätschernden Wasserfall und zwei schwarzen Ledersofas. Die Wand gegenüber der Tür bestand aus einem großen Fenster mit Meerblick. Alles in allem, wenn das mein Büro wäre, wäre mein Leben vollkommen.

»Setzt euch«, sagte Oma Nadine liebenswürdig.

Jace ließ meine Hand los und setzte sich auf die Ledercouch. Ich wartete schon darauf, dass er anfing, vor und zurück zu schaukeln.

Tat er aber nicht.

Ich atmete erleichtert aus.

»Also« – Oma Nadine setzte sich uns gegenüber – »erzählt mir von euch. Wieso habt ihr euch für das Ocean Breezes Couples’ Retreat entschieden?«

Mir blieb der Mund offen stehen. Sie machte Witze, oder?

»Du. Hast. Uns. Hergebracht«, antwortete Jace langsam und deutlich.

»Papperlapapp.« Oma Nadine hob eine Tasse Tee an die Lippen und kicherte. »Ich liebe dieses Wort.« Seufzend trank sie noch einen kleinen Schluck. »Tee?«

Ich nahm den Tee, einfach deshalb, damit ich etwas zu tun hatte.

Jace trank einen großen Schluck und schloss die Augen. Wahrscheinlich versuchte er gerade, seine innere Mitte zu finden, oder wie man das auch immer nannte.

»Ist es ein Problem im Schlafzimmer?«

Jace prustete seinen Tee über den ganzen Tisch.

»Oh.« Oma Nadine machte ein ernstes Gesicht. »Das muss schwer für dich sein, Beth, einen Mann zu haben, der nicht …« Sie räusperte sich und formte dann mit den Lippen kann.

»Das reicht.«

Jace wollte sich auf Oma Nadine stürzen, aber ich hielt ihn mit ausgestrecktem Arm auf und gab ihm seinen Tee, ganz ähnlich wie eine Mutter ihrem Kind einen Ball geben würde, um es abzulenken.

»Hör zu, Grandma …« Ich bemühte meinen ruhigen Tonfall, der große Ähnlichkeit mit meinem ärgerlichen Tonfall hatte, nur leiser war. »Du hast uns Betäubungsmittel verabreicht, uns unter Vortäuschung falscher Tatsachen hierhergebracht, uns in eine Einrichtung für Paare gezwungen, wo wir eine Therapie machen müssen, so als wären wir tatsächlich ein Paar, und jetzt das? Du unsere Therapeutin? Verzeih, wenn wir nicht gerade bester Stimmung sind.«

Oma Nadine setzte ihre Teetasse ab und seufzte. »Grandma ist im Augenblick nicht anwesend. Einen Moment bitte.« Sie griff nach ihrer Handtasche und holte einen Schal mit Leopardenmuster heraus, drapierte ihn um ihren Hals, legte noch einmal Lippenstift auf und schob sich dann ein Tic Tac mit Zimtgeschmack in den Mund. »In Ordnung, jetzt dürft ihr mich als Grandma ansprechen. Gemäß dem Gesetz zur Übertragbarkeit von Krankenversicherungen und zur Rechenschaftspflicht der Krankenversicherer muss ich beide Titel getrennt halten, versteht ihr.«

»Schön, Grandma.« Ich biss die Zähne zusammen. »Du sagtest, du hättest deine Verkuppelungsversuche hinter dir gelassen, und jetzt bist du schlimmer denn je!«

»Ich sehe, ihr seid verwirrt.« Oma Nadine schüttelte den Kopf. »Ich habe mich für das Betäubungsmittel entschuldigt, euch hierhergebracht, um euch vor den Medien zu schützen und um dir, Beth, einen Urlaub zu verschaffen, und ich habe mit meinem Geld dafür bezahlt, dass ihr einen kostenlosen Aufenthalt an einer der Top-ten-Flitterwochen-Adressen haben könnt. Also, habe ich irgendwas ausgelassen?«

Mir klappte der Mund zu.

Jace runzelte die Stirn.

»Niemand hat gesagt, ihr müsst an der Therapie teilnehmen.« Oma Nadine zuckte mit den Schultern. »Ich dachte nur, es wäre von Vorteil. Macht es oder lasst es.«

»Dann lassen wir es«, antwortete Jace und stand auf.

»In Ordnung, ich lasse Dr. Z wissen, dass ihr die Sitzungen ablehnt.« Oma Nadine lächelte in ihren Tee.

»Moment.« Ich hob die Hand. »Was passiert, wenn wir die Sitzungen ablehnen?«

»Och, nichts, Liebes, sei nicht so eine Schwarzseherin.« Sie leckte sich über die Lippen und verbarg ihr Lächeln hinter ihrer Teetasse.

»Jace« – ich zupfte an seinem Hemd – »setz dich.«

»O nein, ich werde nicht …«

»Setz dich, oder so wahr mir Gott helfe, ich werde diese Riesenspinne wiederbeleben und auf dein Kissen verfrachten.«

Jace schimpfte und setzte sich wieder.

»Was beinhaltet die Therapie?«

»Kommunikation«, antwortete Oma Nadine unbeschwert. »Den Partner kennenlernen.«

»Aber wir sind keine Partner.«

»Sechs Tage«, flüsterte Oma Nadine.

»Was?«, fragte Jace, »was hast du da gesagt?«

»Nichts.« Oma Nadine klatschte zweimal in die Hände, das Licht wurde gedimmt, und im Hintergrund begann klassische Musik zu spielen. »Jetzt schließt die Augen.«

Jace stieß noch einen Kraftausdruck aus.

»Hör auf zu fluchen, mein Sohn, es lässt dich einfältig klingen.«

»Hat sie mich gerade dumm genannt?«, flüsterte Jace neben mir, und seine Lippen streiften meine Wange.

»Pfft.« Oma Nadine kicherte. »Würde ich dich dumm nennen wollen, würde ich es dir direkt ins Gesicht sagen.«

»Richtig.«

»Jace?«

»Ja, Grandma?«

»Du verhältst dich dumm.«

Jace fluchte wieder.

»Siehst du?« Oma Nadine grinste triumphierend. »Also ihr beide, schließt die Augen. Ich gebe euch einen Überblick, was ihr von der Therapie habt. Tut, was ihr wollt, aber trefft keine Entscheidung vor heute Abend. Einverstanden?«

»Okay«, sagte ich, die Zähne immer noch zusammengebissen.

Jace nickte.

»Gut.« Oma Nadine klatschte noch einmal in die Hände, wodurch die Rollläden an dem großen Fenster herunterfuhren und uns in tiefe Dunkelheit tauchten.

Na großartig, genau das, was wir jetzt brauchten: verletzbar im Dunkeln mit Oma Nadine.

»Ich möchte, dass ihr fühlt«, wies Oma Nadine uns an. »Beth, leg die Hände auf Jace’ Beine.«

Langsam streckte ich die Hände aus und legte sie Jace auf die Oberschenkel.

»Jace, dreh dich zu Beth um, damit es bequemer ist.«

Sein Körper bewegte sich, und wir saßen uns auf der Couch gegenüber. Meine Hände lagen unbeholfen auf seinen Oberschenkeln, und ich konnte durch die Leinenhose seine Körperwärme spüren. Ich konnte beinahe seinen Herzschlag spüren und das Blut, das durch seine Adern strömte.

»Nun, Jace«, fuhr Oma Nadine leise fort, »möchte ich, dass du Beth’ Gesicht mit den Händen berührst. Ich möchte, dass du sanft bist, und ich möchte, dass du dir einprägst, wie sie sich anfühlt.«

Ich fühlte die Wärme von Jace’ Händen, kurz bevor seine Fingerspitzen erst mein Kinn und dann meine Wangenknochen streiften. Seine Hände wanderten über mein Gesicht, und seine Berührung war so sanft, dass es beinahe weh tat. Ich beugte mich ihm entgegen, und er fuhr mit den Händen über meinen Nacken und meine Schultern.

»Fühle, wie ihr Körper auf dich reagiert«, kommentierte Oma Nadine. »Fühle ihre Haut, jeden Sinneseindruck, jede Berührung. Ich möchte, dass du dir ihr Gesicht so einprägst, dass du blind ein Bild von ihr zeichnen könntest, wenn man dich darum bitten würde.«

Meine Finger gruben sich in seine Beine, als er weiter über mein Gesicht strich und die Hände in mein Haar eintauchen ließ. Ich keuchte auf und biss mir dann auf die Lippe, als sein Kopf meinem immer näher kam.

»Und jetzt«, flüsterte Oma Nadine, »Beth, möchte ich, dass du das Gleiche tust wie Jace, nur dass du bei seinen Beinen anfängst und die Hände an seinem Körper nach oben bewegst, bis sie auf seiner Brust liegen.«

Und so begann meine Höllenqual. Qual deshalb, weil jede Bewegung meiner Hände über seine Oberschenkel meinen Hormonspiegel in tödliche Bereiche schnellen ließ. Muskeln, von deren Existenz ich gar nichts gewusst hatte, waren nun ein fester Bestandteil meiner Erinnerung. Mein Körper jubelte vor Entzücken, als meine Hände seine Bauchmuskeln erreichten. Sie waren fest, und ich war drauf und dran, ihn zu zerfleischen, und zwar aus keinem anderen Grund als dem, dass es ein so gutes Gefühl war, ihn zu berühren.

Als meine Hände seinen Oberkörper erreichten, fühlte es sich an, als sei ich gerade im Wollmantel in eine Sauna gegangen und wüsste jetzt nicht, wie ich das Ding ausziehen sollte. Ich atmete unkontrolliert und beugte mich so weit vor, dass ich sein Eau de Cologne riechen konnte.

Oma Nadine klatschte in die Hände, und die Lichter gingen an. Ich saß praktisch auf Jace’ Schoß. Sein Gesicht war nur ein paar Zentimeter von meinem entfernt, und mein Körper war so angespannt, dass er kurz davor war, zu explodieren. Ich wollte ihn – überall – und hatte nicht einmal Schuldgefühle, weil ich schwitzte wie eine Hure in der Kirche.

»Alles vorbei.« Oma Nadine klatschte noch einmal, und die Lichter wurden strahlend hell, so dass ich zurückwich.

»Ich würde sagen, die erste Lektion lief sehr gut.« Oma Nadine stand von ihrem Sessel auf.

»Was war denn die Lektion?«, fragte ich heiser.

Oma Nadine wandte sich ab und lachte. »Ich bin sicher, ihr findet es heraus.«

Jace nahm meine Hand. »Sie hat Vergnügen daran, andere zu quälen.«

»Nein.« Oma Nadine drehte sich zu uns um. »Ich habe Vergnügen daran, andere zu inspirieren, und deinem Anblick nach zu urteilen« – Oma Nadine musterte Jace von oben bis unten – »würde ich sagen, du bist so inspiriert, wie ein Mann nur inspiriert sein kann.«

»Pool«, platzte Jace heraus. »Wir sollten, äh, schwimmen gehen.«

»Okay.«

Jace zog mich mit sich aus dem Büro und marschierte durch den Eingangsbereich. Dabei zerrte er mich mit so viel Kraft hinter sich her, dass mir beinahe der Arm abriss – nicht dass es ihm aufgefallen wäre. Der Mann war auf einer Mission.

Wir liefen zum Poolbereich.

Jace zog hektisch sein Hemd aus und sprang ins Wasser, und ich konnte ihm nur noch mit offenem Mund nachstarren.

»Was ist denn mit dir los?«

»Inspiration.« Jace fluchte. »Zu viel verdammte Inspiration.«