»Gehen wir das noch einmal durch. Abgesehen von den Drogen, haben Sie sonst noch etwas getan, um dem Senator zu schaden?«
Oma Nadine rieb sich die Hände und ließ den Blick durch den Raum schweifen.
»Ma’am?«
»Oh, na gut!« Oma Nadine stieß einen schweren Seufzer aus. »Mag sein, dass ich den beiden in ihrer Beziehung auf die Sprünge geholfen habe.«
»Geholfen?«
»Lavendel in der Hütte, Fruchtbarkeitsperlen unter der Matratze, ein Traumfänger neben dem Tauchbecken, jeden Nachmittag Austern als Vorspeise und eine Kollektion Liebeslieder von Michael Bolton.«
»Michael Bolton?«, wiederholte der Beamte.
»Probieren Sie es aus, bevor Sie darüber lästern.« Oma Nadine grinste spöttisch.
Ich rannte zu unserer Hütte, warf mich gegen die Tür und öffnete sie mit dem dort hängenden Schlüssel.
Jace war direkt hinter mir.
Und ich war außer Atem.
Aber ich wusste nicht, ob vor Aufregung oder Scham.
Meine Vergangenheit holte mich wieder ein. Aber es war keine schwierige Vergangenheit, in der ich Drogen genommen oder an Magersucht gelitten hätte oder Ähnliches. Nein, es ging lediglich um Unsicherheiten, denen ich mich nie gestellt hatte. Und das war das Blöde an Unsicherheiten: Sie verschwanden nie wirklich, außer man setzte sich mit ihnen auseinander. Und ich hatte mich mit meinen nie auseinandergesetzt. Niemals.
Und Brett? Er hatte gerade jede einzelne von ihnen wieder an die Oberfläche gebracht …
»Beth Altbacken, fade Nuss, kriegt von niemand einen Kuss!«, skandierten einige von Bretts Freunden und klatschten sich dann gegenseitig ab.
Dann hauten sie alle ab. Alle, bis auf JP.
»Also, Beth.« Er grinste spöttisch, und eine Strähne seines dunklen Haares fiel ihm ins Gesicht. »Jetzt, wo du weißt, dass Brett nichts mit dir zu tun haben will, und wenn man bedenkt, dass du dich wie eine totale Schlampe dem Star eines gegnerischen Footballteams an den Hals geschmissen hast« – er holte tief Luft – »dachte ich, dass du mit mir ausgehen könntest.«
»Mit dir ausgehen?«, fragte ich schwach. »Im Sinne von Date?«
JP grinste, und dann brach er in Gelächter aus. »Tut mir leid, ich kann das nicht. Die Jungs haben mir zehn Dollar gezahlt, damit ich dich um eine Verabredung bitte, aber dein Gesichtsausdruck ist unbezahlbar. Ich habe eine Freundin, und sie wäre ganz schön sauer, also wieso sollte ich einer nerdigen Jungfrau an die Wäsche gehen, bei der die Kerle schreiend das Weite suchen?«
Ich sackte zu Boden. Die kalten Fliesen kühlten die Hitzewallung, die meinen Körper erfasst hatte. Ich versuchte, durch die Nase ein- und durch den Mund auszuatmen, und dann fühlte ich starke Arme, die mich hochhoben.
Ich schmiegte mich in Jace’ Umarmung und schloss die Augen, wütend auf mich selbst, weil ich es zugelassen hatte, dass eine schlechte Erinnerung an die Highschool mich derart hilflos machte.
Innerhalb von Sekunden waren wir draußen, und Jace hielt mich in den Armen, während er in das Tauchbecken stieg. Ich saß auf seinem Schoß, die Arme um seinen Nacken geschlungen.
»Danke«, sagte ich kleinlaut.
Jace sah wütend und angespannt aus. Sein Kiefer spannte sich an, als er den Blick von mir abwandte, fluchte und mit einer Hand aufs Wasser klatschte. »Was in aller Welt hat der Kerl mit dir angestellt?«
»Nichts.« Ich wollte von seinem Schoß herabrutschen, aber er drückte mich enger an sich.
»Beth.«
»Es ist total bescheuert.« Ich verstummte. »Ich glaube, ich war noch nie so beschämt. Tut mir leid, dass ich mich blöd benommen habe. Es ist nur …«
»Beth« – Jace strich mit der Hand über mein Gesicht – »du hast keinen Grund, dich beschämt zu fühlen, aber wenn du mir nicht in den nächsten zehn Minuten erzählst, was passiert ist, dann wird man mich wegen Mordes anklagen, und US-Senatoren machen sich nicht gut in einem Bundesgefängnis.«
Ich schenkte ihm ein schwaches Lächeln. »Es ist eine langweilige Geschichte.«
»Zufälligerweise mag ich langweilig«, flüsterte er.
Wäre das von irgendeinem anderen Mann gekommen, hätte ich es als vernichtende Kritik an meiner Persönlichkeit empfunden. Aber so wie Jace es gesagt hatte? Nun ja, bei ihm fühlte es sich real an, so als hätte er damit ausgedrückt, dass er mich mag, so als sähe er mehr in mir als andere.
»Ich und ein paar andere Nerds waren seine Mitleidsdates beim Abschlussball. Ich habe mit ihm getanzt. Er war echt nett, und dann hat er mir gesagt, ich wäre doch ziemlich cool für einen Nerd. Ich weigerte mich, ihn zum Abschied zu küssen, und aus irgendeinem Grund hat es ihn verärgert, dass ich ihn nicht ranließ.« Ich wollte ihm die Wahrheit eigentlich nicht erzählen, aber es gab wirklich keine andere Möglichkeit. »Ein paar seiner Freunde sahen, wie du und ich uns küssten, und er war wütend, weil ich dich geküsst hatte – jemanden von einer anderen Schule und im Jahrgang unter ihm – und nicht ihn. Er setzte ein Gerücht in die Welt, dass ich ihn angegraben, er mich aber abgewiesen hätte, und dass ich ihm leidtäte und dass ich ihn gebeten hätte, mir meine Jungfräulichkeit zu nehmen.«
»So ein Arsch«, zischte Jace und wiegte mich in seinen Armen. »Ich hätte nie gedacht« – er seufzte an meinem Nacken – »ich hätte nie gedacht, dass mein Kuss so viele Probleme verursachen würde.«
Wenn er nur wüsste, wie viel dieser Kuss wirklich in mir angerichtet hatte.
»Der Rest des Jahres war die reine Hölle.« Ich zuckte mit den Schultern und ignorierte die leise Stimme in mir, die mir sagte, ich sollte ihm ganz genau erzählen, wie sehr mich sein Kuss beeinflusst hatte, wie sehr er meine Einstellung zu Verabredungen und das Warten auf den Richtigen verändert hatte. »Zettel in meinem Spind von irgendwelchen Leuten, die mich Schlampe, Hure, Miststück oder Naivling nannten. Es war, als könnte ich gar nicht gewinnen. Plötzlich passte ich nirgendwo mehr dazu. Meine schlauen Freunde hatten Angst, dass es stimmte, was Brett sagte, weil er so beliebt war. Und die beliebten Leute hielten es einfach nur für armselig. Meine Freiheit kam, als ich meinen Abschluss machte und aufs College ging.«
»Beth« – Jace fuhr mit dem Daumen über meine Unterlippe – »sag mir, was du willst.«
»Wie bitte?«
»Erstens« – Jace strich weiter über meine Lippen – »ich könnte ihn umbringen und dafür ins Gefängnis gehen, aber ich glaube, das haben wir bereits als allerletzte Option festgelegt.«
Ich lachte.
»Zweitens: Ich kann eines Tages Präsident werden und dann der CIA befehlen, ihn mit Handschellen an ein Bett mit ausgestopften Tieren und Pornoheften zu ketten und so seine politische Karriere ein für alle Mal zu beenden.«
»Und drittens?« Ich schmiegte mich an ihn.
»Drittens ist mein Favorit«, flüsterte Jace. »Willst du wissen, wieso?«
Ich nickte, ganz berauscht von seinem Duft.
»Weil dazu du und ich gehören, jede Menge Küsse, eventuell auch Drogen und eine richtig gute Zeit. Was sagst du dazu?«
Ich küsste ihn auf die Wange. »Ich sage, dass es vielleicht ganz gut ist, Oma Nadine hier zu haben, denn sie scheint eine eigene Apotheke zu besitzen.«
»Exzellent«, flüsterte Jace, musterte mein Gesicht und ließ den Blick dann auf meinen Lippen ruhen. »Und jetzt werde ich dich küssen.«
»Das musst du nicht.« Aber ich beugte mich trotzdem vor. Seine körperliche Anziehungskraft auf mich sollte illegal sein. Entweder das, oder man sollte das irgendwie in Flaschen abfüllen und an alleinstehende Frauen verkaufen.
»Das ist das Problem, Beth.« Seine Lippen streiften meine. »Ich muss nicht, aber ich möchte es wirklich gern.«
»Oh.« Das war alles, was mir über die Lippen kam, bevor unsere Zungen einander trafen. Ich fuhr mit den Fingern in sein langes Haar und zog ihn an mich, und er stöhnte tief auf, während seine Hände mit dem nassen Leinenshirt beschäftigt waren, das mir nach dem Ausflug in den Pool immer noch am Körper klebte.
Ich schlang die Beine um ihn und schwebte über ihm, als er mir das nasse Shirt auszog, zur Seite warf und sich wieder leidenschaftlich meinen Lippen widmete.
»Du bist wunderschön, Beth.«
»Jace, küss mich einfach. Du musst mir keine Komplimente machen und …«
Er bog sich zurück, und seine Augen sahen beinahe schwarz vor Sehnsucht aus. »Sag mir nicht, was ich sagen oder tun soll. Wenn ich dir ein Kompliment mache, dann sagst du danke sehr. Ich mache das bei Frauen nicht oft. Ich muss das oft genug im täglichen Leben tun. Verdammt, es ist mein Job, den Leuten ein gutes Gefühl zu geben. Aber du? Es ist nicht mein Job, dich dazu zu bringen, dass du mich magst. Es ist mein Job, dich dazu zu bringen, dass du dich selbst magst, und verdammt will ich sein, wenn ich nicht versuche, dich dazu zu bringen, dass du erkennst, was für ein wundervoller Mensch du bist, innerlich und äußerlich, bevor diese sechs Tage vorbei sind.«
Er zog sein eigenes Shirt aus, nahm mich und hob mich auf den Rand des Pools. Seine Lippen drückten sich auf meinen Hals und dann auf meine Schulter, und er zog meinen BH-Träger nach unten und küsste die Haut an meinem Schlüsselbein. Seine Küsse waren eine Mischung aus sanft und drängend. Ich konnte gar nicht genug von dem Gefühl seiner Lippen auf meiner Haut bekommen und beschloss, selbst wenn ich nur vierundzwanzig Stunden mit diesem Mann hätte, dann würde ich sie genießen. Ich würde sie voll und ganz genießen und es nicht bereuen.
Wie konnte man etwas bereuen, von dem man sein ganzes Leben lang geträumt hatte?
Seine Hände glitten an meine Oberschenkel, und er zog mich enger an sich, schlang meine Beine um seine Taille und drückte sich an mich.
»Hu-hu!«, rief da eine laute Stimme.
Jace fuhr zurück und fluchte.
»Klopf, klopf!«
»Dr. Z.« Jace kniff die Augen zusammen. »Wenn wir sie ignorieren, wird sie wieder gehen.«
»Richtig«, sagte ich atemlos, und Jace küsste mich noch einmal.
Das Klopfen hörte auf, und dann plötzlich erschien eine Gestalt auf der anderen Seite der Sichtschutzwand neben dem Tauchbecken.
»Da sind Sie ja!« Dr. Zs Kopf wippte erleichtert auf und ab. »Ich habe Ihr Gepäck!«
»Von Grandma?«
»Grandma?«, wiederholte sie verwirrt und runzelte die Stirn. »Nein, dieses Gepäck kommt von einem Travis Titus?«
»Mistkerl!« Jace schlug wieder mit der Hand aufs Wasser.
Ich lachte. »Danke sehr, Dr. Z. Lassen Sie es einfach bei der Tür stehen, und wir holen es dann.«
»In Ordnung, und vielleicht sollten Sie die Badeanzüge nehmen anstelle Ihrer Unterwäsche.« Sie zwinkerte und verschwand wieder.
Ich sah an mir hinab. Mein purpurner BH leuchtete im Pool wie ein Signalfeuer.
»Ups«, meinte ich laut.
»Also bitte.« Jace knabberte an meiner Schulter und küsste mich wieder. »Als wäre das ein Ups.«
»Stopp.« Ich lachte und stemmte mich gegen ihn.
»Das ist ein Wort, das ich nicht oft höre.« Er zwinkerte und stieg dann aus dem Pool, nicht ohne seine Leinenhose auf den Boden sinken zu lassen, so dass er in aller nackten Pracht dastand. »Ups«, rief er dann, tappte in den Duschraum und schloss die Tür.
Ich nutzte diesen Augenblick zum Nachdenken, indem ich komplett ins kalte Wasser eintauchte.