»Sind Sie wirklich Köchin und lizenzierte Therapeutin?«, fragte der Beamte.
»Ja.« Oma Nadine nickte begeistert. »Und Pilotin auch.«
»Mit Lizenz?«
»Wieso fragen Sie eigentlich ständig nach Lizenzen? Sehe ich nicht intelligent genug aus, um mehrere Talente und Hobbys zu haben?«
»Warum hatten Sie das Bedürfnis, all diese … Zulassungen zu erwerben?«
»Weil ich meine Enkelsöhne kenne. Es gab einen Punkt, an dem ich dachte, ich müsste lernen, wie man in der Mix Martial Arts Arena kämpft, aber dem Himmel sei Dank ist es dazu nicht gekommen.« Oma Nadine rutschte auf ihrem Stuhl herum. »Außerdem ist einer guten Führungskraft immer eines klar.«
»Und das wäre?«
»Wenn man etwas erledigt haben will, sollte man es auf jeden Fall selbst tun.«
Wenn Sie auch nur in ihre Richtung niesen, werde ich vor nichts zurückschrecken, um Ihre armselige Existenz in Grund und Boden zu stampfen.«
Das hätte ich sagen sollen und nicht: »Ich liebe sie.«
Brett lachte. »Richtig. Ihnen ist schon klar, dass die halbe Welt glaubt, Sie seien mit einer neuen Freundin in Urlaub, und die andere Hälfte ist überzeugt davon, dass Sie mit einer Prostituierten zusammen sind.«
»Tja, da ich sie liebe, ist sie eindeutig keine Prostituierte. Geld wechselt nicht den Besitzer, wenn man in einer Beziehung lebt. Nicht, dass Sie davon eine Ahnung hätten«, spottete ich.
»Ich werde Sie bloßstellen«, drohte Brett. »Was wäre ich schließlich für ein besorgter Bürger, wenn ich einen Senator mit illegaler Prostitution davonkommen ließe?«
»Tun Sie sich keinen Zwang an. Ich habe keine Geheimnisse.« Ich kochte vor Wut und spürte, wie mir die Beherrschung abhandenkam. »Aber lassen Sie Beth da raus. Finden Sie nicht, Sie haben sie in der Vergangenheit genug verletzt?«
Brett machte ein verkniffenes Gesicht. »Sie hat Ihnen von der Highschool erzählt? Also wenn Sie mich fragen, ist das irgendwie armselig. Ich meine, sie ist wie alt – dreißig? Und regt sich wegen etwas auf, das vor zwölf Jahren gewesen ist?«
»Sie sind ein Bastard«, fauchte ich. »Und übrigens: das war ich.«
»Sie?«
»Der Tanz.« Ich straffte mich. »Derjenige, der sie geküsst hat. Das war ich, also nehmen Sie Ihre verdammten Anschuldigungen und stecken sich die sonst wohin, bevor ich das für Sie tue. Wir sind seit Ewigkeiten Freunde, und: Ich. Liebe. Sie. Kümmern Sie sich um Ihre eigenen Angelegenheiten, bevor ich den Freund eines Freundes dafür bezahle, die Bremsleitungen Ihres Wagens durchzuschneiden.«
»Wollen Sie mir drohen?«
»Aber nicht doch. Wir albern nur herum. Natürlich sind Sie ein wenig betrunken nach all diesen Drinks …« Ich griff nach dem Glas an der Bar und schüttete ihm den Inhalt ins Gesicht. »… und ein wenig wacklig auf den Beinen, nachdem Sie in eine irre Barschlägerei geraten sind.« Ich verpasste ihm einen Kinnhaken, packte ihn dann wieder am Hemd und brachte ihn ins Gleichgewicht, damit ich ihm noch einen verpassen konnte. »Habe ich recht?«
Sein Gesicht nahm alle möglichen Rottöne an, bevor er sich gegen meine Brust stemmte.
Ich trat einen Schritt zurück und grinste spöttisch. »Also entweder Sie entschuldigen sich, oder Sie werden sich wünschen, Sie hätten es getan.«
»Ich denke, das Risiko gehe ich ein.« Brett ließ die Knöchel knacken und machte einen ausladenden Schwinger in meine Richtung.
Ich duckte mich und traf ihn mit der Faust ins Gesicht.
Und zwar hart.
»Bastard!« Brett fiel fast vornüber. »Sie lieben sie doch gar nicht! Ihr geht nur zusammen aus! Irgendwas stimmt hier nicht.«
»Es ist ernst, und ich« – mir versagte die Stimme bei der Lüge – »ich liebe sie wirklich.«
Kaum waren die Worte heraus, fühlte ich mich, als hätte ich etwas ganz Besonderes zwischen uns verraten. Als hätte ich sie um die Erfahrung betrogen, das zu hören, weil ich es zu früh gesagt hatte. Aber es war ja nicht so, als würde ich ihr das überhaupt je sagen, oder?
Ich trank noch einen Schluck Whiskey und verzog das Gesicht, als der Alkohol in meiner Kehle brannte. Den Teil hätte ich Beth nicht erzählen sollen. Ich hätte es für mich behalten sollen.
Stattdessen sah sie jetzt aus, als hätte ich ihr gerade gesagt, ich wolle Donkey in Brand stecken und zum Abendessen einen Hundewelpen verspeisen.
»Esst, esst!«, befahl Oma Nadine laut genug, um die Toten zu wecken.
Ich war überrascht, dass ich mir nicht die Hand gebrochen hatte – noch nie im Leben hatte ich einem Kerl so einen harten Treffer verpasst.
»Shrimp?«, fragte Oma Nadine, als Brett sich an der anderen Seite des Tisches niederließ, ein paar Armlängen von mir entfernt.
»Sicher.« Sein Blick glitt vom Teller zu dem leeren Stuhl neben ihm. »Wo ist Paris?«
»Toilette«, sagte ich.
Während Beth leise »Kotzen« sagte.
»Großartig.«
Oma Nadine warf ein Messer in die Luft, schnitt dann vor uns einige Pilze in Scheiben und breitete sie wie einen Fächer aus. Für ihre sechsundachtzig Jahre hatte sie flinke Finger.
Ich fragte nicht, warum sie unsere Köchin war, und das aus demselben Grund, weshalb ich nicht gefragt hatte, warum sie unsere Therapeutin war. Sie war irre. Daher ergab es absolut Sinn, dass sie unser Abendessen zubereitete.
Ich hatte schon halb damit gerechnet, dass sie bei dem Ausflug heute unser Tourenführer wäre, und ich hätte nicht einmal mit der Wimper gezuckt, wenn sie in unser Zimmer marschiert wäre und verkündet hätte, sie sei unser Zimmermädchen. Zur Hölle, sie könnte behaupten, sie sei Präsidentin ihres eigenen Staates, und ich würde mir lediglich ein Glas Scotch einschenken und fragen, von welchem Staat.
Brett aß ein paar Shrimps und leckte dabei nacheinander seine Finger ab.
»Isst er die Dinger, oder will er sie verführen?«, flüsterte Beth neben mir.
Zehn Minuten später schloss Brett die Augen, stöhnte auf und hielt sich am Tisch fest.
»Per Shrimp zum Orgasmus?«, schlussfolgerte ich. »Ich glaube, ich esse nie wieder etwas.«
Doch was ich für Erregung durch Meeresfrüchte hielt, war in Wahrheit ein dem Schmerz geschuldetes Stöhnen. Er erhob sich mühsam und fiel mit einem dumpfen Plumps zu Boden.
»Ach du Schande, Grandma hat ihn umgebracht«, brummte ich vor mich hin und schob meinen Stuhl zurück, um ihm zu Hilfe zu kommen oder ihm vielleicht auch nur einen Tritt zu verpassen, solange er am Boden lag. Da stand das letzte Urteil noch aus.
»Ich, uh …« Brett rülpste, rappelte sich auf und griff nach seinem Wasserglas. »Ich fühle mich nicht besonders.«
»Sind Sie allergisch gegen Meerestiere?«, fragte Oma Nadine, und Besorgnis klang in jedem ihrer Worte mit.
»Nein.« Er schlug sich auf die Brust und rülpste noch einmal.
»Oh, du lieber Himmel!« Oma Nadine ließ das Messer auf den Tisch fallen und eilte an seine Seite. »Ich glaube, doch! Ich glaube, Sie erleiden gerade einen allergischen Schock! Schnell! Wir müssen Sie ins Krankenhaus bringen.«
»Im Ernst?« Er hielt sich wieder am Tisch fest. »Ich fühle mich tatsächlich etwas heiser.«
Oma Nadine nickte mitfühlend. »Ich hole den Geschäftsführer. Wir bringen Sie in null Komma nichts ins Krankenhaus!«
Belustigt sah ich zu, wie Oma Nadine das Blaue vom Himmel herunterlog, während sie Brett zum wartenden Taxi führte. Paris tauchte gerade rechtzeitig auf, um das Fiasko mitzubekommen. Offenbar hatte sie es versäumt, vorher in den Spiegel zu sehen: weißes Pulver schimmerte an ihrer Oberlippe.
»Ach, sie war nicht kotzen, sondern schniefen. Frau mit Stil.« Ich trank einen großen Schluck Whiskey und sah zu, wie der Abend den Bach runterging.
Paris klopfte Brett auf den Rücken, weil er ihren gemeinsamen Abend ruiniert hatte. Brett, einer unbekannten Substanz ausgesetzt und inzwischen davon überzeugt, dass die ihn umbringen würde, bekam eine ausgewachsene Panikattacke, und die beiden rauschten zur Tür hinaus ins wartende Auto.
Oma Nadine winkte ihnen zum Abschied zu, ging dann zurück zu ihrem Arbeitsplatz und machte mit dem Messer weiter. Keine Erklärung, keine Entschuldigung. Nichts.
»Also« – Beth räusperte sich – »was hast du ihm gegeben?«
»Nichts.« Oma Nadine hackte weiter.
»Lüg nicht.«
»Großmütter lügen nicht.« Sie zeigte mit dem Messer auf Beth.
Ich rutschte zur Seite, was mir einen Klaps auf den Arm einbrachte.
»Wir flunkern nur ein wenig oder, wie ich es gerne nenne, überzuckern die Wahrheit.«
»Überzuckern die Wahrheit?« Ich lachte.
»Natürlich. In einer Hand habe ich die Wahrheit …« Sie fächerte einen Pilz auf und zeigte darauf. »In der anderen Hand habe ich die Sauce. Jetzt gebe ich etwas Soße auf den Pilz. Und voilà!«
»Ich bin verwirrt«, meinte Beth.
»Kannst du den Pilz noch sehen?«, fragte Oma Nadine.
»Ja.«
»Aber die Sauce siehst du auch.«
»Und?« Beth deutete auf das Arrangement. »Ich sehe beides, also wie verbirgt die Sauce etwas?«
»Sie umhüllt, meine Liebe.« Oma Nadine bugsierte die Pilze samt Sauce auf einen Teller. »Wenn du einen Bissen davon kostest und die Wahrheit im Geschmack entdeckst, feststellst, dass die Sauce nur Knoblauch ist, und die Pilze das Gericht der Wahl sind, dann kümmert es dich nicht mehr. Willst du wissen, wieso?«
»Wieso?«
»Weil es gut schmeckt.« Oma Nadine zwinkerte. »Die Wahrheit zu überzuckern ist genau das Gleiche. Es mag hinterhältig wirken, und es mag wie etwas vollkommen anderes aussehen, aber in dem Augenblick, in dem du die Wahrheit erkennst, kümmert es dich nicht mehr, denn die Wahrheit hat dich angestarrt« – sie schnitt ein Stück Fleisch in Stücke – »die ganze Zeit über.«
Wieso sah sie mich an, als wolle sie mich abstechen?
Ich schob mir einen Pilz in den Mund und war nur leicht irritiert darüber, dass er wunderbar schmeckte.
»Also« – Oma Nadine schnitt Schweinefleisch klein – »wieso bestellt ihr beide euch nicht eine schöne Flasche Wein, während ich euren Hauptgang fertig zubereite? Wie klingt das?«
»Wirst du uns Drogen in den Wein schütten?«, fragte Beth.
»Der Gedanke kam mir kurz«, räumte Oma Nadine ein. »Seht ihr? Ich kann auch aufrichtig sein. Also, wollen wir Wein bestellen?«
»Was sagst du dazu?« Ich stieß Beth an.
Sie blinzelte und zuckte dann mit den Schultern. Und ich hasste mich. Wie war es möglich, dass sie vorhin zu dieser wunderschönen, strahlenden Frau erblüht war, und jetzt schottete sie sich ab? Das war meine Schuld. Ich hatte all die Selbstzweifel in ihr wieder geweckt.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich dümmlich, obwohl ich wusste, dass es nicht so war, aber ich wollte sie reden hören, damit ich nicht durchdrehte.
»Ich denke, ich bin einfach müde.« Beth zwang sich zu einem Lächeln.
»Willst du zurückgehen?«, bot ich an.
Sie sackte noch mehr in sich zusammen.
Verdammt, wie konnte es sein, dass ich alles nur noch schlimmer machte?
»Ich sage dir was.« In meiner Verzweiflung sagte ich das Erste, was mir in den Sinn kam. Schließlich ging es darum, Spaß zu haben, richtig? Keine Langeweile mehr? »Lass uns ganz schnell essen, und danach gehen wir tanzen.«
»Tanzen? Du?« Beth’ Lächeln kehrte zurück.
Nur dass das Lächeln diesmal vermutlich auf meine Kosten ging.
»Nur weil ich Politiker bin, heißt das nicht, dass ich nicht tanzen kann.«
»Oh, das weiß ich.« Beth tätschelte mir die Hand. »Ich wollte sagen, es ist, weil du ein Weißer bist.«
»Weiße Männer können nicht tanzen?«
»Also gut. Justin Timberlake.« Beth nickte. »Der kann tanzen.«
»Der Mann ist ein Gott.« Das kam von Oma Nadine.
»Ich kann tanzen wie Justin Timberlake«, behauptete ich.
Oma Nadine lachte.
»Ich muss doch sehr bitten.« Ich sah sie finster an.
Sie zeigte mit dem Messer auf mich und schnitt dann mit der linken Hand weiter.
»Nein, kannst du nicht, Jace. Du …« Sie schüttelte den Kopf. »Das wäre unmöglich. Es wäre unfair der Menschheit gegenüber, dir so ein Gesicht und so einen Körper zu geben und dann auch noch die Fähigkeit, verführerisch die Hüften zu schwingen. Wirklich, ich muss ein ernstes Wort mit Gott reden.«
»Ich hoffe, danach nimmst du alles zurück.« Ich küsste sie auf die Wange.
»Und wenn nicht?«
Ich antwortete nicht. Stattdessen betete ich, dass all die Mädchen, mit denen ich auf dem College ausgegangen war, keine absoluten Lügnerinnen gewesen waren.