»Kennt Ihre Einmischung denn kein Ende?«
Oma Nadine blinzelte. »Nein, natürlich nicht. Sie brauchen mich. Und ich garantiere Ihnen, bis die Geschichte zu Ende ist, werden Sie ganz meiner Meinung sein. Grandmas Methoden sind die besten.«
»Ich bezweifle sehr, dass Ihre Enkelsöhne da derselben Meinung sind.«
»Ich erlaube mir, diesbezüglich anderer Ansicht zu sein. Meine Enkelsöhne lieben mich.«
»Hat deshalb einer von ihnen gedroht, Sie zu erwürgen?«
»Ach das.« Oma Nadine schnaubte. »Dazu müsste er mich erst einmal zu fassen kriegen.«
Schon merkwürdig: Noch vor ein paar Minuten war ich drauf und dran, die alte Dame umzubringen, und jetzt fühlte ich mich, als hätte mir jemand das noch schlagende Herz aus der Brust gerissen, darauf herumgetrampelt und es dann völlig zerquetscht und schmutzig wieder zurück in meinen Brustkorb gesteckt.
»Was ist denn los?« Kacey umarmte Oma Nadine und warf Travis einen hilflosen Blick zu.
Der wiederum sah Jake an, der mit den Schultern zuckte und mich mit dem Ellbogen anstieß. Nichts. Ich hatte keine Ahnung.
»Oh, ich habe es vermasselt.« Oma Nadine wischte sich ein paar Tränen aus dem Gesicht. »Ich dachte, ich könnte es durchziehen, aber« – sie schniefte – »es … ging einfach nicht. Das Projekt war zu groß, und die Gemüter, die mir bei der Planung halfen, waren einfach zu klein.«
»Hat sie uns gerade dumm genannt?«, fragte Jake.
»Nein«, antwortete ich aufrichtig. »Wenn sie das tun will, dann kommt sie einfach und sagt es, glaub mir.«
»Seine Karriere wird am Ende sein«, jammerte sie.
Ich hatte das dumpfe Gefühl, dass dieses seine sich auf mich bezog und dass meine Karriere bereits im Eimer war, aber, hey, als ewiger Optimist wartete ich ab.
»Jace.«
Tja, Shit.
»Deine Umfragewerte sind schlecht, es ist wahr. Ich habe die aktuellen Zahlen verfolgt. Im Augenblick glaubt jeder, du seist mit deiner neuen Familie in Urlaub gefahren, aber irgendwer hat sich an die Presse gewandt und behauptet, du bluffst nur, um deinen Hintern zu retten. Und als Kerry noch einmal interviewt wurde, hat sie noch mehr Unsinn von sich gegeben, dass du kein Familienmensch wärst und häufig Prostituierte bezahlen würdest.«
Jake runzelte die Stirn.
»Na los, wirf den Stein, Bastard. Und dann sehen wir, ob er zuerst dich oder mich trifft«, spottete ich.
Er schüttelte den Kopf und verschränkte die Arme.
»Also, warum sind wir hier?«, fragte Travis. »Wie mir scheint, muss Jace zurück nach Portland und das in Ordnung bringen. Und du musst ihm helfen.«
»Nun ja« – Oma Nadine rang die Hände – »möglicherweise habe ich durchsickern lassen, dass er mit seiner Verlobten und ihrer Familie hier ist.«
»Natürlich.« Ich biss die Zähne zusammen. Mir gefiel nicht, in welche Richtung das ging.
»Also, das erklärt, wieso du uns angerufen hast, und warum Jake und Char in Panik geraten sind, weil Rick sie ständig angerufen hat, aber …«
»Oh, wie ärgerlich.« Oma Nadine wischte sich noch ein paar Tränen aus dem Gesicht. »Ich sage es jetzt einfach.«
»Bitte tu das.« Okay, meine Zähne würden sich noch komplett abschleifen.
»Ich habe ihnen gesagt, es sei eine Hochzeit, und dass eure Flitterwochen ein Mittel zur Vertuschung wären, um die Medien fernzuhalten.«
Ich fühlte mich unsicher auf den Beinen. Kein stolzer Augenblick.
Oma Nadine redete weiter. »Schließlich habe ich Rick erreicht, und er meinte, das sei eine gute Geschichte, aber falls wir der Presse irgendwie einige Fotos von uns zusammen zuspielen könnten, würde das helfen.«
»Hmm.« Travis’ Augen leuchteten zustimmend. »Das ist tatsächlich ziemlich brillant.«
»Findest du?« Oma Nadine strahlte.
Ich gab ihm einen Klaps auf den Arm. Komplimente, Zugang zu Benadryl und irgendwelche sonstigen Ermunterungen für Grandma sollten Freunde unterlassen, verdammt noch mal.
»Was denn?« Er zuckte mit den Schultern. »Ist doch nicht so, als müsstet ihr tatsächlich heiraten oder so. Ich meine, komm schon, Jace, ist doch nicht so, als würdest du je heiraten, nach der ganzen Geschichte mit …«
Oma Nadine verpasste ihm einen Klaps auf den Hinterkopf. Er zuckte schuldbewusst mit den Schultern, während Jake nervös zwischen Beth und mir hin und her sah.
Sie war die ganze Zeit über unheimlich still geblieben, und ich drehte fast durch vor Verlangen, in ihren Kopf zu schlüpfen und herauszufinden, was sie dachte. Aber sie stand da wie eine erstarrte Statue, während alle anderen die nächsten paar Tage planten.
»Ihr werdet weiterhin die Therapiesitzungen besuchen.« Das kam von Oma Nadine.
»Pfeif auf die Therapie«, widersprach Jake.
»Jake, du bist ein Esel«, erwiderte Oma Nadine. »Das ist auch der Grund, warum du dich immer noch an die Regeln halten musst. Ich weiß, wie schwer es dir fällt, nicht aus dem Rahmen zu fallen, aber mir zuliebe gehst du zur Therapie. Arme Char, muss sich mit so viel Wut herumplagen.«
»Ich bin nicht wütend!«, rief Jake laut.
»Hör auf, so zu schreien«, mahnte Oma Nadine ruhig. »Ich bin nicht taub, und du wirst auf mich hören, oder ich feuere dich noch einmal.«
Er verstummte.
»Also« – Travis rieb sich die Hände – »ich schätze, damit bleibt uns nur noch eins zu tun.«
»Und was?«, fragte Beth kleinlaut.
»Happy Hour.« Er nickte. »Ich habe schon vor langer Zeit gelernt, nicht zu streiten. Mit ein paar Tequila geht alles viel leichter. Findest du nicht auch, Jake?«
Jake machte schmale Augen, und dann geschah etwas Seltsames. Char küsste ihn auf den Hals und lachte, und er errötete.
Ganz offensichtlich entging mir hier etwas, aber das spielte keine Rolle, denn Beth stand immer noch reglos da. Fast wollte ich schon mit der Hand vor ihren Augen wedeln.
»Was sagst du dazu, Thor?«, fragte Jake, die Hände in die Hüften gestemmt.
»Wenn er Thor ist, bin ich Iron Man.« Das war Travis.
»Und Green Arrow ist für mich reserviert.« Jake hob die Hand.
»Kinder.« Kacey schüttelte den Kopf. »Es ist, als hätten wir Flitterwochen mit kleinen Jungs in Capes.«
»Also bitte, als ob er cool genug für ein Cape wäre.« Ich deutete auf Jake und kam mir augenblicklich wie ein Zehnjähriger vor.
Aber das passierte mit einem, wenn man sich im Umfeld der Familie Titus befand. Gerade war man noch ein geistig gesunder Erwachsener, und im nächsten Augenblick stritt man sich über Marvel Comics und brüllte aus Leibeskräften eine sechsundachtzigjährige Frau an, während sie Lippenstift auftrug.
Irgendwie hatte ich meine Männlichkeit verloren, meine geistige Reife und alles, was dazugehörte. Denn ich wollte am liebsten beide Gebrüder Titus nach Strich und Faden vermöbeln, und das nur aus dem Grund, weil sie mit mir über etwas so Dummes wie Comics debattierten und mir nicht recht geben wollten.
Ich spürte Beth’ Hand auf meinem Arm.
»Also, damit ist das geklärt.« Travis klatschte in die Hände. »Avengers … ab an die Bar!«
»Die beste Idee, die er heute hatte.« Bei Chars belustigtem Lächeln fühlte ich mich ein wenig besser angesichts der Tatsache, dass meine gesamte Karriere in Oma Nadines Händen lag. Ihren erschreckenden, manipulierenden, kleinen Händen.
Ich sprach ein Stoßgebet und folgte den anderen über den Kai zur Bar, während Oma Nadine einen Hotelpagen bezahlte, damit er das Gepäck zu den reservierten Hütten brachte.
Reserviert. Im Sinne von: Alles war geplant, und das schon sehr lange.
Verdammt, als Gott Himmel und Erde schuf, da schuf Er am letzten Tag Oma Nadine und sagte: »Ich habe einen Plan für diese Menschen …«
Und ich war einfach eine unglückliche Seele, die Teil besagten Plans wurde.