»Interessante Logik. Erst Trickserei, und dann Perlen der Weisheit.« Der Beamte nickte nachdenklich.
»Tja, ich bin nicht ganz so übel.« Oma Nadine schüttelte den Kopf. »Hätte ich die beiden sich selbst überlassen, hätten sie Jahre gebraucht, um zusammenzufinden. Und jetzt sehen Sie sie an.«
»Richtig. Sehen wir sie uns an. Beide vermisst.«
»Ich habe nicht behauptet, ich hätte alles wasserdicht ausgearbeitet. Ich bin sechsundachtzig.«
»Ja, das sagten Sie schon einige Male.«
Ich fahre zur Hölle.«
»Grüß Jake, wenn du dort bist.« Travis klopfte mir auf die Schulter und bestellte Bier.
Wir hatten beschlossen, keine klassische Junggesellen- oder Junggesellinnenparty zu veranstalten, sondern ein Luau zu besuchen. Schließlich brauchten wir lediglich Fotos, und es war nicht schwer, meine Eltern zu überzeugen, dass ich an derartigen Dingen kein Interesse hatte.
Beth wirkte erleichtert.
Beth … Wenn ich ihren Namen auch nur dachte, erweckte das alle möglichen Teile meines Körpers zum Leben. Es weckte mein Verlangen nach ihr, nicht nur physisch, sondern auch emotional – was lachhaft war. Unsere Beziehung dauerte gerade mal drei Tage, und dazu war sie auch noch vorgetäuscht. Und hier saß ich nun, ertränkte meine Sorgen und belog nicht nur meine Eltern, sondern die ganze Welt.
»Also, wenn du mich fragst« – Travis schob mir ein Bier zu – »steht es zwei zu null für Grandma.«
»Ja, das ist nicht hilfreich.« Ich trank einen tiefen Schluck. »Ich fahre immer noch zur Hölle, weil ich alle belüge, und ich bezweifle, dass Jake dort sein wird, wenn man bedenkt, dass er ein neues, Übelkeit erregendes Kapitel in seinem Leben aufgeschlagen hat.«
»Stimmt.« Travis lachte. »Er ist ein ganz neuer Mensch.«
»Und du?«
»Ich?« Travis runzelte überrascht die Stirn. »Ich war immer der Gute; keine Veränderung nötig, abgesehen davon, dass Grandma mich so gedemütigt hat, dass ich nicht nur für mich selbst, sondern auch für die Gesellschaft eine Schande war.«
»Ah!« Ich zuckte zusammen. »Das ist ja ermutigend.«
»Tut mir leid, aber das Beste, was du tun kannst, ist, sie zu heiraten, dich in sie zu verlieben und so viele Urenkel wie möglich zu produzieren.«
»Niemals.« Ich schob das Bier zur Seite. Mir war plötzlich übel. »Du weißt, dass ich das nicht kann, Travis. Du weißt, dass ich nie wieder so verwundbar sein will. Du weißt, ich gehe keine Bindungen ein.«
»Hast du mit Jake das Gehirn getauscht?« Travis beugte sich vor. »Oder bist du high?«
Ich verdrehte die Augen. »Also bitte.«
»Es ist zwei Jahre her, Jace. Lass es hinter dir und gestatte dir, glücklich zu werden.«
»Ich weiß, dass ich glücklich sein kann. Ich bin es nur lieber ohne eine Frau an meiner Seite.«
»Weil du insgeheim Männer bevorzugst?«
»Sind wir hier fertig?« Ich stand auf, aber Travis drückte mich zurück auf meinen Stuhl.
»Sieh mal, ich weiß, dass es erst drei Tage sind. Die Hochzeit können wir leicht vortäuschen, so dass sie nicht rechtlich bindend ist. Deine Eltern werden den Unterschied nicht bemerken, aber für die Welt seid ihr dann trotzdem verheiratet. Wenn ihr wieder in Portland seid, könnt ihr getrennte Wege gehen. Beth kann ihr wirklich spaßiges Leben weiterführen, in dem sie mit Krankheiten spielt und anfängt, Katzen zu züchten. Und du kannst zurück in dein irre großes Penthouse mit dem riesigen Fernsehbildschirm.«
»Tja, wenn du es so sagst …«
»Eine Ehe ist nicht so übel, und ich weiß, dass du Beth magst. Mensch, jeder weiß, dass du Beth magst. Und ich für meinen Teil weiß, dass du sie lieben könntest.«
»Oh, das muss ich hören. Nach drei Tagen? Hat Grandma dir etwas in den Drink getan?«
»Immer langsam, Viagra.« Travis klopfte mir auf den Rücken. »Vor der Hochzeit warst du mit mir Golf spielen. Es war irre heiß, also ließen wir es sein und holten uns etwas zu trinken.«
Die Geschichte würde nicht gut enden.
Er schmunzelte. »Ich habe dich nach der einen Frau gefragt, der du immer noch nachtrauerst.«
»Ich glaube, Grandma ruft nach mir.« Ich stand auf.
Travis drückte mich wieder auf den Stuhl.
Mit einem Schnauben machte ich mich los und wartete.
»Du hast gesagt …«
»Ich weiß, was ich gesagt habe.«
Travis ignorierte meine Bemerkung. »Du hast gesagt, dass es da nur ein Mädchen gäbe, dessen Kuss du nicht vergessen könntest. Ein Mädchen, das du mit allen anderen vergleichst, selbst Kerry. Genau genommen – hast du Kerry nicht sogar einmal Beth genannt?«
»Nein.« Lüge. Ja, hatte ich. Und sie hatte mich dafür geohrfeigt. Andererseits hatte sie auch mit meinem besten Freund geschlafen, also war es wirklich nicht an ihr, ein Urteil zu fällen.
»Du hast geweint.«
»Ich habe nicht geweint.« Ich zuckte zusammen. Ich glaube, ich hatte geweint. Oder zumindest im Suff eine Träne vergossen. Also, was? Verklagt mich doch! »Ich war dehydriert, Travis!«
»Gute Ausrede, Mann. Mal sehen, ob das vor Gericht standhält.« Er trank noch einen Schluck Bier und stellte dann die leere Flasche zurück auf den Tresen. »Du sagtest, und ich zitiere, ›wenn es zweite Chancen gäbe, dann wäre sie meine‹.«
Das Blut rauschte in meinen Ohren. Mein Körper kam mir absolut taub vor. Fühlte sich so eine Panikattacke an? »Dann hast du mich also verpetzt? Bei ihr?«
Ich zeigte auf Oma Nadine, die gerade um den Tisch, an dem die Mädchen saßen, Hula tanzte. Sie zog einen Feuertänzer auf einen Stuhl und fing an zu skandieren: »Lass es leuchten!«
Travis kicherte und zuckte dann zusammen, als der Feuertänzer plötzlich aufschrie. Offenbar war sein Anzug nicht feuerfest. »Ich kann deinen Verdacht weder dementieren noch bestätigen.«
»Du hast mir das angetan.« Ich boxte ihn gegen die Brust.
»Geteiltes Leid ist halbes Leid.«
»Wenn das Leid ist, dann melde mich an«, brummte ich – und wollte es sofort wieder zurücknehmen.
Travis grinste. »Genau das, was ich meine.«
»Du verstehst nicht. Ich muss mich entscheiden.« Ich seufzte. »Beth oder meine Karriere. Und, tut mir leid, Trav, ehrlich. Ich weiß, sie ist deine Schwägerin, aber ich kenne die erwachsene Beth erst seit drei Tagen. Wieso sollte ich wegen vierundsechzig Stunden mein ganzes Leben wegwerfen?«
Travis runzelte die Stirn. »Wer in aller Welt hat denn behauptet, dass du dich entscheiden musst?«
»Aber …«
»Niemand hat gesagt: entweder deine Karriere oder Beth. Im Grunde ist es sogar das Beste für deine Karriere, wenn du dich für Beth entscheidest. Du, mein Freund, hast irgendwie ziemlich deine Prioritäten über den Haufen geworfen, und falls meine Ansicht sich nicht schon mindestens vier Mal bestätigt hat, dann schau nur mal da drüben.« Er zeigte auf die Bühne, wo Beth und Oma Nadine gerade Fruchtbarkeitshalsketten überreicht bekamen, genau wie die, die ich bei meiner Ankunft erhalten hatte. Wobei diese hoffentlich nicht mit Flüchen belegt waren.
»Jace«, dröhnte Oma Nadine ins Mikro, »komm hier herauf. Grandma hat einen Segen für dich.«
»Oder einen Fluch.« Travis hüstelte. »Kommt nur darauf an, wie man es sieht.«
»Lustig.« Ich schob mich durch die Menge und ging auf die Bühne, in der Hoffnung, dass ich jetzt nicht irgendeinen Hulatanz aufführen musste.
Sobald ich auf der Bühne stand, hängte Oma Nadine mir die verdammte Halskette um und übergab Beth eine zweite.
»Ein Segen für das glückliche Paar. Liebe ist die Kombination aller kostbaren Momente des Lebens, zusammengeknüpft in seinem ewigen Kreislauf. Sie endet niemals. Sie ist eine beständige Erinnerung, wenn ihr schwach und müde seid, und sie versagt nie. Wenn ihr aufgeben wollt, macht die Liebe weiter. Wenn ihr weinen wollt, baut die Liebe euch wieder auf, und wenn ihr die Flucht ergreifen wollt, bleibt die Liebe zurück. Jeder von euch trägt ein Symbol der Fruchtbarkeit, aber es ist mehr als das. Es sind Perlen der Liebe. Sie bringen Glück und Wohlwollen in eure Beziehung. Möget ihr sie mit Weisheit tragen, und möge euer gemeinsames Leben stets von Liebe erfüllt sein.«
Ich wandte mich zu Beth um, um ihr einen Kuss zu geben. In genau diesem Augenblick drehte der Wind. Ganz langsam wirbelte er Beth’ Haar auf und wehte es um ihre Schultern. Ihre Augen schimmerten im Mondlicht, und ich hätte für kein Geld der Welt wegsehen können.
Ich musste einfach ihr Gesicht berühren. Meine Fingerspitzen streiften die weiche Haut an ihrem Hals, als ich mich vorbeugte und flüsterte: »Du siehst wunderschön aus.«
Sie lächelte und senkte den Kopf.
»Sieh mich an.«
Sie schluckte, hob den Kopf und sah mir ernst in die Augen. Oma Nadine hatte über Augenblicke gesprochen. Wenn ich nur diesen einen festhalten könnte, wäre ich auf ewig glücklich. Ich wollte diesen Augenblick für mich haben. Ich wollte mich daran erinnern, wie Beth duftete. Ich wollte mich daran erinnern, wie sie sich in meinen Armen anfühlte.
»Cheers!« Alle hoben ihre Gläser, und eine Kamera blitzte auf. Es war wie ein elektrischer Schock für mein Nervensystem. Abrupt tauchte ich aus dem Zauber auf, und meine Zwangslage fiel mir wieder ein.
Ich konnte die Dinge für Beth in Ordnung bringen.
Und das würde ich auch tun.
Sie verdiente das Märchen. Sie verdiente die Chance auf ein Happy End.
Ich geleitete sie zurück an den Tisch, an dem wir mit dem Rest der Familie saßen, und ich war entschlossener denn je, alles zu richten.
»Schöne Ansprache, Nadine.« Mein Vater stieß mit Oma Nadine an und küsste meine Mutter auf die Stirn.
Vielleicht bestand mein Fluch ja darin, von glücklichen Menschen umgeben zu sein, bis ich endlich meinen Hintern hochbekam und eine Entscheidung traf.
»Tolle Party.« Nervös fuhr ich mir mit der Zunge über die Lippen.
»Es ist ein Luau«, korrigierte Oma Nadine. »Wir Hawaiianer feiern nicht, wir veranstalten ein Gelage.«
»Du bist keine Hawaiianerin«, wandte Jake ein.
»Doch.«
Jake seufzte. »Wie kommst du darauf?«
»Ich fahre jedes Jahr hierher.«
»Was dich zur Touristin macht« – Travis trank einen Schluck – »nicht zur Einheimischen.«
»Ich bin einem hiesigen Stamm beigetreten.«
»Sagt man hierzulande Stamm?«, fragte ich. »Ich glaube nicht, dass das politisch korrekt ist.«
»Danke sehr, Mr. Senator«, erwiderte Jake spröde.
»Was, zum Teufel, ist dein Problem?« Ich schob meinen Stuhl zurück. »Willst du dich wirklich schon wieder mit mir anlegen? Willst du, dass ich dir vor versammelter Familie in den Hintern trete? Ich tue das, Jake. Provoziere mich nicht. Ich habe dein aufgeblasenes Getue satt!«
Schweigen am Tisch.
Ich atmete schwer.
Hilfesuchend sah ich mich um. Jake grinste wie ein Idiot, als hätte er das mit Absicht gemacht. Was sollte das?
Und dann applaudierte er. »Na endlich.«
»Na endlich?« Meine Stimme klang heiser. »Raus damit, bevor ich dich erwürge.«
»Es ist nicht normal, immer so gelassen zu sein«, sagte Jake in genau demselben irritierend gelassenen Ton. »Wenn ich nicht schon vorher überzeugt war, dann bin ich es jetzt.«
»Überzeugt?«
»Du brauchst eine Frau.«
»Du solltest den Mund halten. Auf der Stelle.«
»Wieso sollte ich den Mund halten, wenn ich doch weiß, dass es dich total sauer macht, wenn ich etwas sage?« Er stand auf. »Lass uns ein paar Schritte gehen und reden.«
»Hast du denn wirklich keine Angst, dass ich dich umbringe und deine Leiche unter einer Sandburg verstecke?«
»Natürlich nicht.« Er zuckte mit den Schultern. »Politiker hassen Gefängnisse.«
Seufzend schob ich die Hände in die Hosentaschen und folgte dem Mistkerl Jake an den Strand. Na toll, noch ein Gespräch von Mann zu Mann mit einem Mitglied der Titus-Familie. Ich war wirklich verflucht – oder vielleicht auch nur heimgesucht.
Als wir den Strand erreichten, ließ er sich im Sand nieder. Ich tat es ihm nach und harrte der Dinge, die da kommen würden.
»Wir haben alle irgendwelchen Mist, mit dem wir uns auseinandersetzen müssen. Niemand ist perfekt, Jace.«
»Weiß ich.«
»Nein, eben nicht.« Jake verzog das Gesicht. »Denn wenn du es wüsstest, würdest du dich Beth gegenüber nicht wie ein Mistkerl benehmen. Du würdest dir keine Gedanken machen, wie sich die Situation auf deine Umfragewerte auswirkt. Du würdest nicht deine ganze Arbeitswoche vorausplanen, während sie dasitzt und dich anstarrt, als könntest du den Mond vom Himmel holen und die verdammten Sterne dazu. Und todsicher würdest du nicht hier am Tisch sitzen und deine Eltern zusehen lassen, wie du heile Welt mit unserer Familie spielst.«
»Wow, dass du mich so gut kennst«, meinte ich trocken. »Bist du fertig?«
»Mitnichten.« Jake lachte. »Ich weiß, ich bin für gewöhnlich nicht die Stimme der Vernunft, aber lass mich ausreden.«
»Fünf Minuten.«
»Du magst Beth.«
»Ja.«
»Du willst Beth.«
»Ja.«
»Du willst Zeit mit Beth allein verbringen?«
»Ja.«
»Und trotzdem lässt du es zu, dass die Leute um dich herum deine Entscheidungen kontrollieren, weil du jeden glücklich machen willst. Weil du es nicht ertragen kannst, dass du vielleicht deine Eltern enttäuschen könntest, oder sogar Grandma, obwohl du sie erst seit einem Jahr kennst.«
»Willst du mir sagen, ich soll reinen Tisch machen?«
»Ganz und gar nicht.« Jake zuckte mit den Schultern. »Ich sage nur, dass man wirklich dumm sein muss, um sich Sorgen darum zu machen, was alle anderen denken, wenn die Traumfrau direkt neben einem sitzt. Also, du willst sie küssen? Dann küss sie. Du willst sie berühren? Dann tu es. Du willst mit ihr durchbrennen? Dich davonschleichen? Verrückte Dinge machen? Der einzige Mensch, der dich im Augenblick aufhält, bist du selbst mit deinen verdammten Vorstellungen von Perfektion.«
»Das klingt, als würdest du mir die Erlaubnis geben, Drogen zu nehmen oder Sex zu haben.«
Jake lachte laut auf. »Na ja, Drogen sind nicht der richtige Weg. Sieh dir nur Grandma an.«
Ich grinste.
»Und auch wenn ich nicht gerade einen zweiten One-Night-Stand empfehlen würde … es würde nicht schaden, sie zu küssen, statt sie zum Weinen zu bringen.«
»Sie hat geweint?« Mein Herz hämmerte.
»Grandma hat es Char erzählt und sie mir. Was du mit dieser Information anfängst, liegt ganz bei dir. Aber wenn ich dir einen Rat geben darf: Grandma hat sich noch nie geirrt.«
»Wieso kriege ich das eigentlich dauernd zu hören?«
»Weil es stimmt.«
Wir saßen schweigend da.
Mit einem Seufzen klopfte Jake mir auf die Schulter. »Also los, Thor, entführ sie.«
»Nicht du auch noch.«
»Ist ein griffiger Spitzname.« Er kicherte.
»Alles okay hier draußen?« Oma Nadine fiel beinahe auf die Nase, als sie wie ein betrunkener Seemann durch den Sand steuerte.
»Mir ist übel«, platzte ich heraus.
»Lag es am Fisch?«, fragte sie in gedämpftem Ton. »Denn ich sage dir, diese Damentoilette ist nicht mehr dieselbe, nachdem ich da drin war, und …«
»Er sollte auf sein Zimmer gehen. Ich schicke Beth zu ihm«, kam Jake mir zu Hilfe.
»Aber was ist mit der Party?« Oma Nadine wiegte sich in den Hüften.
Ich hustete wie wild.
»Schnell, Grandma, er übergibt sich gleich!« Jake legte den Arm um mich und führte mich eilig zum anderen Ende des Strandes. »Sieh besser zu, dass du wegkommst. Ich schicke dir Florence Nightingale. Ach ja, und PS: Du schuldest mir was dafür, dass ich Grandma heute Abend ablenke.«
»Danke.« Grinsend lief ich zurück zur Hütte. Wer hätte je gedacht, dass Jakes Gehirn zu Gedanken fähig war?