Kapitel 29

»Denken Sie, Mr. Munroe verspürte Druck von außen, die junge Frau zu umwerben?«

»Aber selbstverständlich! Diesen Mann sich selbst zu überlassen, das ist, als würde man einem Kind einen vierfachen Mokka zu trinken geben. Dann läuft es gegen Wände und brüllt sich die Seele aus dem Leib.«

»Dann ist Mr. Munroe Ihrer Auffassung nach ein Kind?«

»Er ist ein Mann«, sagte Oma Nadine langsam, damit der Beamte ihr auch folgen konnte.

»Worauf wollen Sie hinaus?«

»Männer, Kinder – da gibt es keinen Unterschied, außer dass man bei den einen die Windeln wechseln muss, während die anderen einfach in der Öffentlichkeit ihr Geschäft verrichten.«

»Ich weiß nicht, was ich darauf sagen soll.«

»Wie gesagt – Männer.«

Jace

Wenn ich das durchziehen wollte, würde ich eine ganze Menge Gatorade-Drinks brauchen. Sie wollte verrückt? Ich würde ihr verrückt geben. Da saß ich und schüttete ihr mein Herz aus, als wären wir live in einem Weihnachtsfilm, und sie war trotzdem nicht beeindruckt?

Schön. Ich würde ihr den Hof machen, dass ihr Hören und Sehen verging, bis ihr klarwurde, dass ich es ernst meinte; ich wollte eine zweite Chance. Andererseits konnte ich ihr ja gar keinen Vorwurf machen. Warum sollte sie mir eine zweite Chance geben, da ich ihr ins Gesicht gesagt hatte, dass ich sie verlassen würde?

Ich würde mir selbst auch nicht vertrauen.

Und dann war da noch dieses kleine Problem, meinen Beruf betreffend.

»Jace«, fauchte Beth. Ich trug sie immer noch. Es gefiel mir, und ich hatte nicht vor, sie in nächster Zeit wieder auf die Füße zu stellen.

»Schsch …« Ich gab ihr einen Klaps auf den Po. »Ich denke gerade nach. Unterbrich einen Mann nicht, wenn er nachdenkt.«

»Ich will dich lecken.«

Ich stolperte und fiel fast gegen die Wand. Mein Kopf war augenblicklich komplett leer. Sämtliche Gedanken verschwunden, abgesehen von dem einen an ihre Zunge an mir, meine Zunge in ihrem Mund. Jede Menge züngeln.

»Wieso bleiben wir stehen?«, fragte Beth unschuldig.

Ich gab ihr noch einen Klaps. »Dafür wirst du büßen.«

»O ja, bitte.«

Noch mehr züngeln.

»Verdammt, Beth!«, schnaubte ich. »Hör auf damit.«

»Womit?«

»Damit«, grummelte ich und stellte sie auf die Füße. »Und jetzt: klettern.«

»Klettern?«

Ich drehte sie um und zeigte auf die Klippe. »Klettern.«

»Du machst Witze, oder?«

Zur Klippe war es ein steiniger Aufstieg. Der Weg führte zu einem etwa zehn Meter hohen Felsvorsprung. Ich hatte in den letzten paar Tagen gesehen, wie Einheimische von dort heruntergesprungen waren, und dachte mir, wenn sie das konnten, ohne sich dabei umzubringen, konnten wir das wohl auch. Sie wollte verrückt? Das hier war irrsinnig.

»Nein.« Ich verschränkte die Arme. »Kein Scherz. Wo bleibt dein Sinn für Abenteuer?«

»Den muss ich in der Hütte gelassen haben, bei deinem Federtee«, sagte sie zwischen zusammengebissenen Zähnen.

»Ich mache hier eine große Geste.« Ich hob ihr Kinn ein wenig an und hauchte ihr einen sanften Kuss auf die Lippen. »Das Mindeste, was du tun kannst, ist mitzumachen.«

»Na gut, aber wenn ich dabei sterbe, werde ich dich für den Rest deiner Tage heimsuchen.«

Ich half ihr auf den steinigen Pfad und hielt ihre Hand, als wir uns langsam die Klippe hinaufkämpften. Zum Glück wurde der Pfad von ein paar Fackeln erleuchtet, so dass es hier nicht aussah wie eine unheimliche Brachfläche mit versteckten Sprengladungen oder so.

Als wir den Felsvorsprung erreichten, wehte eine warme Brise. Wellen brandeten an die Felsen unter uns. Ich musste die Augen schließen.

»Was machst du da?« Beth drückte mir die Hand.

»Ich habe vergessen, dir etwas zu sagen.«

»Was denn?«

Shit, ich schwitzte. »Ich habe Angst vor Höhen.«

»Wieso sind wir dann hier?«

»Du sagtest, du willst etwas Verrücktes. Du sagtest, meine Entschuldigung sei nicht gut genug, und seien wir ehrlich, du hast absolut keinen Grund, mir zu vertrauen.«

»Stimmt alles.« Sie spähte nervös über die Klippe und schaute dann wieder mich an. »Also, worauf willst du hinaus?«

»Darauf, dass du Gefahr brauchst.«

Sie biss sich auf die Unterlippe und ließ meine Hand los.

»Du brauchst nichts Verrücktes.« Ich seufzte. »Aber du willst es.«

Beth sah mich immer noch nicht an.

»Ich habe Angst vor Höhen«, fuhr ich fort. »Hättest du mich letzte Woche gefragt, wovor ich am meisten Angst habe? Dann hätte ich gesagt: Höhen. Vor zwei Tagen hätte ich gesagt: Frank.«

Bei Beth’ warmem Auflachen machte mein Herz einen Satz.

»Frag mich, wovor ich jetzt gerade Angst habe.«

Beth sah mir in die Augen. »Wovor hast du jetzt Angst?«

»Vor dir«, flüsterte ich. »Ich habe Angst, dass ich nicht das bin, wofür du mich hältst. Ich habe Angst, dass du wirklich überzeugt bist, ich wäre eine Art Held, obwohl wir beide wissen, dass das das Letzte ist, was die Menschen mich nennen würden. Ich habe Angst, dass ich, wenn du mir keine zweite Chance gibst, einfach alles vermassle. Ich habe Angst, dass du aufwachst und mich nicht willst. Dass du entscheidest, dass ich es nicht wert bin. Denn die Wahrheit, Beth? Die Wahrheit ist, dass auch ein Mann will, dass man um ihn kämpft. Wir wollen der Frau, die wir lieben, würdig sein. Ich will Romeo sein, und Mr. Darcy und ein Avenger. Aber das sind ziemlich große Fußstapfen, in die ich da treten muss, und auch wenn ich schwierige Situationen liebe, gefällt mir die Idee ganz und gar nicht, dass du eines Tages aufwachst und erkennst, wie verdammt wunderschön du wirklich bist. Du bist all dieser Männer würdig und noch mehr. Ich weiß, wo ich auf diesem Totempfahl lande, und zwar ganz tief unten, noch unter der Erde mit den Würmern und dem Dreck. Da siehst du mich dann winken.«

Beth lachte.

»Ich meine es ernst.« Ich zog sie in meine Arme. »Es ist mir ernst mit dir. Was würdest du sagen, wenn ich dir erkläre, dass du die eine bist, der ich nachtrauere?«

»Ich würde sagen, du bist verrückt.«

 

»Mission erfüllt«, flüsterte ich. »Und was würdest du sagen, wenn ich dir erkläre, dass ich mehr will als ein paar Tage?«

»Ich würde sagen, dass du den Verstand verloren hast.«

»Was würdest du sagen, wenn ich dir erkläre, dass ich für dich in Flammen stehe? Wenn ich dir erkläre, dass du schon vor dieser Woche meine Träume beherrscht hast?«

Beth schüttelte den Kopf und wollte etwas erwidern.

Ich küsste sie fest auf den Mund. »Und was würdest du sagen, wenn ich dir erkläre, dass ich jetzt springe?«

»Jace …«

»Ich springe. Und sei es nur, um dir zu beweisen, dass ich anfange, meine Ängste zu überwinden, angefangen mit einem Sprung und beendet bei dir.«

»Jace, nicht …«

Mehr hörte ich nicht mehr, denn ich sprang. Das Blut rauschte zu laut in meinen Ohren, und der Wind, der mir ins Gesicht peitschte, war auch nicht hilfreich. Das Wasser klatschte gegen meinen Körper, als ich im warmen Meer landete, weit weg von den Felsen.

Ich hatte keine Zeit, mich über meine Leistung zu freuen, da Beth sich auch von der Klippe stürzte, und das auf eine Weise, dass ich mir ein wenig Sorgen machte, sie würde eine Bauchlandung hinlegen.

Drei Sekunden mit Seemannsflüchen, gefolgt von ohrenbetäubendem Kreischen, und dann klatschte Beth direkt neben mir ins Wasser. Sie schnappte nach Luft, und dann legte sie die Hände um meinen Hals.

Heiliger Strohsack. Sie würde mich ertränken!

»Beth!«, krächzte ich. Ich bekam keine Luft.

»Wage es nicht« – sie schüttelte mich mit ihren winzigen Händen – »mir das noch einmal anzutun! Ich dachte, du gehst drauf!«

»Noch lebe ich«, keuchte ich, »bis du mich umbringst.«

»Das würde ich am liebsten tun.«

Sie ließ mich los. Gott sei Dank.

»Aber ich bin viel zu beeindruckt von deiner Ansprache und deinem bescheuerten Todeswunsch.«

»Wirklich?« Ich warf mich in die Brust.

»Wirklich.« Beth schluckte. »Also, was jetzt?«

»Wir heiraten.«

»Bleib ernst.«

»Wir tun so, als würden wir heiraten.«

»Besser.« Sie grinste.

»Und wir rechnen ab.«

»Oh?«

»Das muss ich Grandma lassen. Sie wusste, was sie tut, aber ich glaube kaum, dass die Paartherapie und das Viagra nötig waren, um unsere Aufmerksamkeit zu erregen.«

Beth sah mich zweifelnd an.

»Okay, na schön. Wahrscheinlich war es nötig, weil ich ein Mann bin. Zufrieden?«

»Fasziniert.«

»Inspiriert?« Ich zog sie in meine Arme.

»Nicht so sehr wie du.« Beth schlang die Beine um mich und drückte mich an sich.

»Noch drei Tage.«

»Vom Märchen«, flüsterte ich. »Rate mal, was am Ende passiert?«

»Was denn?«

»Der Prinz gewinnt.«

»Und die Prinzessin?«

»Lebt glücklich bis an ihr Ende.«

»In einem Schloss?«

»Einem Apartment.«

»Keine Chance.«

»Beth …«, knurrte ich.

Sie löste sich von mir und wollte zum Ufer zurückschwimmen. »Komm schon, Thor. Wir müssen uns zurück zur Hütte schleichen, ohne dass Grandma uns sieht. Du bist ja angeblich krank, weißt du noch?«

»Wieso sollte ich zur Hütte zurückgehen, wenn alles, was ich will, genau hier ist? In meinen Armen?« Ich streckte die Hand aus und streichelte ihre. Sie erbebte.

»Das war schön gesagt.« Beth seufzte.

Ich konnte spüren, wie ihr Herz hämmerte, als wir zurückschwammen. Sobald wir im Wasser stehen konnten, nahm ich sie in die Arme, küsste sie und legte ihre Beine um meine Taille.

»Ich könnte dich lieben«, flüsterte ich.

»Ich dich auch.«

Und schließlich gab ich nach. Ich vergaß meine Karriere, den Abschlussball, Kerry – ich vergaß alles, mit voller Absicht, und konzentrierte mich, mit voller Absicht, auf die Rundung ihrer Hüften, als ich sie an mich drückte, auf ihre weiche Haut, als meine Lippen diese berührten. Ich konzentrierte mich auf ihr leises Keuchen, als meine Zunge das Salzwasser von ihrem Hals leckte.

Beth bog den Rücken durch, und ich bedeckte ihre Brust mit Küssen. Unsere Körper passten perfekt zusammen. Sie stand in Flammen, und ich wollte nichts mehr, als diesen Augenblick im Gedächtnis behalten – nachdem wir es beim ersten Mal so gründlich vermasselt hatten.

Sie grub die Fingernägel in meine Kopfhaut und berührte dabei die Narbe, die von meinem Unfall zurückgeblieben war. Und aus irgendeinem Grund erstarrte ich.

Irgendwas fühlte sich vertraut an.

Da stimmte was nicht.

Beth. Der Unfall.

Beth und der Unfall.

»Bye, Dad!«, rief ich und rannte zum Auto. »Beth« ich lächelte – »eines Tages werde ich sie heiraten.«

Ich fuhr zurück, als hätte sie mich gerade verbrannt.

»Jace?« Beth hielt mein Gesicht zwischen ihren Händen. »Was ist los? Alles in Ordnung?«

Ich schüttelte den Kopf, unfähig, etwas zu sagen. Es war eine Erinnerung gewesen. Ich hatte denselben Smoking getragen wie beim Abschlussball. Was in aller Welt …?

»Jace?«

»Ich, äh …« Ich bekam keine Luft. »Ich glaube, es geht mir wirklich nicht gut.«

»Ist okay.« Beth umarmte mich. »Lass uns einfach zur Hütte zurückgehen, in Ordnung?«

»Aber …«

»Jace, es ist in Ordnung, und du siehst wirklich blass aus.«

»Richtig.« Ich hielt ihre Hand, als sei sie eine Rettungsleine, und watete durch das Wasser ans Ufer. Die Erinnerung war immer noch da. Ich hatte ihren Namen gesagt. Ich war in jener Nacht wieder in meinen Wagen gestiegen, ihren Namen auf den Lippen. Wieso?