Der Beamte gähnte. »Also, der Senator hat seine Gefühle eingestanden. Gut für ihn.«
»Nein.« Oma Nadine seufzte. »Nicht gut. Sehen Sie, da war eine Sache, mit der ich nicht gerechnet hatte, eine Person, die ich nicht« – sie zuckte mit den Schultern – »handhaben konnte.«
»Sie meinen, eine Person, die Sie nicht kontrollieren konnten?«
»Ich bevorzuge handhaben.« Sie machte ein finsteres Gesicht.
»Also dann – handhaben.«
Ich schlief die ganze Nacht nicht. Es hatte nichts damit zu tun, dass der personifizierte Sex neben mir schnarchte. Ich mochte das Schnarchen sogar. Es war für mich zu einem beruhigenden Hintergrundrauschen geworden.
Irgendwas war nicht in Ordnung.
Ich war nicht sicher, ob ich es war oder Jace oder einfach die Situation. Aber je mehr ich darüber nachdachte, umso klarer wurde mir, dass es die Situation war.
Alles war gutgelaufen, bis es bei unserem Ausflug im Mondlicht zur Sache gegangen war. Es war beinahe so, als hätte er einen Geist gesehen. Ich zog die Knie an und seufzte. Lag es an mir? Oder war da noch etwas anderes?
Ich warf einen Blick auf ihn und wusste, dass ich das unheimliche Mädchen war, das einem heißen Typen beim Schlafen zusah. Ich zog hier gerade die totale Bridget-Jones-Nummer ab. Die Narbe hinter seinem Ohr war im Mondlicht deutlich zu erkennen, und ich hatte mich gefragt, woher er die wohl hatte. Vielleicht Football? Oder ein Schlag von Travis? Ich grinste in mich hinein.
Noch zwei Tage, und der Urlaub war vorbei. Was auch immer Jace und ich füreinander empfanden, das kam dann auf den Prüfstand.
Die letzten Tage waren mir fast wie Der Bachelor vorgekommen. Genau genommen, je mehr ich darüber nachdachte, umso mehr kam es mir exakt wie eine Reality Show vor. Von den Dates bis hin zu den Ausflügen. Ich runzelte die Stirn.
Keine Ahnung, wieso ich nicht früher daran gedacht hatte, aber in dem Augenblick, als mir das Lichtlein aufging – hätte ich beinahe losgeheult.
Oma Nadine spielte Bachelor mit uns. Und, jawohl, ich verglich mein Leben tatsächlich mit einer Reality Show.
Da war die romantische Flucht, das Actionabenteuer, die dämliche Paartherapie, gefolgt von Jace’ Augenblick der Verletzbarkeit bis hin zu der Tatsache, dass Brett aufgetaucht war. Jace und ich waren beide so lachhaft aufs Kreuz gelegt worden, dass es nicht einmal lustig war – und schon gar nicht real.
Nichts davon war real.
Ich hatte genau das bekommen, was ich gewollt hatte.
Etwas Vorgetäuschtes.
Ich würde sogar darauf wetten, dass Oma Nadine Jace’ Eltern dazu angestiftet hatte, Schuldgefühle in ihm zu wecken. Immerhin hatte er schwarz auf weiß niedergeschrieben, dass er sie nie enttäuschen wollte. Und es würde sie enttäuschen, wenn er mich nicht heiratete.
Ich war ein kluges Mädchen. Schon immer gewesen. Leider hatte ich während der letzten Woche nichts weiter getan, als meine Gefühle und meine Intuition zu ignorieren, wenn diese mir gesagt hatten, dass etwas nicht stimmte.
Jace und ich, im echten Leben? Mit Kameras und Leuten überall um uns herum? Das Märchen würde in Finsternis verblassen, und ich würde allein zurückbleiben – genau so, wie ich angefangen hatte. Allein. Nur dass ich diesmal noch dazu ein gebrochenes Herz hätte.
Ich ließ zu, dass meine Unsicherheit die Kontrolle übernahm. Aber ich konnte nichts dagegen tun, denn es ergab immer noch keinen Sinn. Wieso sollte er mich wollen? Warum sollte er mich ansehen, als sei ich seine lange verlorene, große Liebe?
Jace bewegte sich neben mir. Die Decke rutschte von seiner goldbraunen Haut. Es war nicht echt. Er war nicht echt. Denn in welcher Welt wäre ein Typ wie er tatsächlich an mir interessiert?
Ich war dabei, ein Versprechen zu brechen.
So leise wie nur möglich ging ich zu meinem Koffer, holte mein Handy heraus und schnappte mir das Ladekabel. Dann schlich ich auf Zehenspitzen ins Bad und schloss die Tür ab.
Mein Handy war noch nicht komplett leer, also stöpselte ich es ein und verspürte nur einen winzigen Anflug von Schuldgefühl, als ich seinen Namen eintippte.
Senator Jace Munroe.
Die meisten Seiten, die ich anklickte, beschrieben seine perfekte Kindheit, seinen Reichtum und die Fähigkeit, so ziemlich jedes Lebewesen für sich einzunehmen.
Ein paar kurze Absätze über seine Ex-Verlobte, die ihn beschuldigt hatte, sie mit bezahlten Callgirls betrogen zu haben.
Und dann ein Zeitungsartikel von gestern …
Quellen im Umfeld von Senator Munroe zufolge hat er diese Reise seit Monaten geplant und macht Urlaub mit der Familie, um eine kurze Ruhepause von seinem vollen Terminkalender zu genießen. Man erwartet, dass seine Eltern zu ihm stoßen werden. Es heißt, der Senator sei letzte Woche dabei gesehen worden, wie er mit einer mutmaßlichen Prostituierten in ein Hotel ging. Freunde des Senators identifizierten die Frau als Beth Lynn, eine Freundin, die in der Stadt weilte, um an der Hochzeit ihrer Schwester teilzunehmen. Der Senator war ebenfalls Gast bei der Hochzeit und fungierte als Trauzeuge für Travis Titus von Titus Enterprises.
Das war alles.
Das Gerücht war verstummt.
Die Sache war eindeutig bereinigt worden.
Also, wieso waren wir immer noch auf Hawaii und täuschten eine Hochzeit vor? Und wieso trieb Oma Nadine die ganze Verschleierungsgeschichte immer noch voran?
Ich klickte auf den Link zum nächsten Artikel, der von einem Unterhaltungsblog stammte.
Die Umfragen dieser Woche zeigen, dass Senator Munroes Beliebtheitswerte wahrscheinlich sprunghaft steigen würden, falls er sesshaft wird und heiratet. Quellen konstatieren, er sei durchaus gerissen genug, um in nächster Zukunft eine Hochzeit aus dem Hut zu zaubern. Schließlich nennt man ihn aus gutem Grund clever.
Lügen. Das mussten Lügen sein. Richtig? Wusste Oma Nadine darüber auch Bescheid?
Plötzlich konnte ich nicht mehr atmen. Ich schaltete das Handy aus und tigerte im Badezimmer hin und her. Was, wenn er und Oma Nadine da mit drinhingen? War ich einfach eine Notlösung? Gerade verfügbar? Leicht zu haben? Die verrückte Katzen-Lady!
Ich marschierte zurück ins Schlafzimmer und machte das Licht an. »Steh auf.«
»Wa…«
Ich warf ihm ein Kissen an den Kopf. »Aufstehen.«
»Du solltest besser todkrank sein …«, brummelte Jace, setzte sich im Bett auf und sah mich finster an. »Was ist denn los?«
»Alles.« Panik stieg in mir auf, als ich den Artikel anklickte und ihm das Handy zuwarf. Er fing es auf, bevor es sein perfektes Kinn traf. Verdammt. »Lies das.«
»Okay.« Jace hob das Handy hoch. »Und hatten wir nicht gesagt, keine Technik?«
»Hatten wir«, stimmte ich zu. »Und jetzt weiß ich auch, warum du so versessen darauf warst, alles wegzupacken.«
Jace fielen fast die Augen aus dem Kopf, als er den Artikel durchlas. Schließlich legte er das Handy aufs Bett und fuhr sich mit den Händen übers Gesicht. »Glaubst du das?«
»Natürlich glaube ich das!« Ich wusste, dass ich laut wurde, aber ich konnte nicht anders. »Wieso solltest du denn sonst bleiben? Du hast eine günstige Gelegenheit erkannt und sie ergriffen! Sogar deine Eltern hast du mit hineingezogen!«
»Was?«, brüllte Jace. »Wovon, zum Teufel, redest du? Du denkst, ich hätte das geplant? Du denkst, ich hätte dich hierher unter meinen Märchen-Voodoozauber gelockt und dann entschieden, hey, du passt zu meinen Vorstellungen? So wichtig sind mir meine Umfragewerte nun wirklich nicht. Lieber Himmel, wirke ich so verzweifelt?«
Ich wich zurück, als hätte er mich geschlagen. »Dann müsstest du also verzweifelt sein, um mich zu heiraten?«
»Nein!«, rief Jace. »Natürlich nicht! Ich habe dir heute gesagt, was ich empfinde. Und ich meine es ernst. Ich mag dich. Ich will eine zweite Chance mit dir. Was muss ich tun, um es dir zu beweisen?«
»Lass mich gehen.«
»Was?«
»Lass. Mich. Gehen.« Ich zuckte mit den Schultern. »Durch diese Tür. Lass mich den nächsten Flug nehmen.«
»Wieso in aller Welt sollte ich? Wieso sollte ich dich noch einmal gehen lassen?« Er vergrub den Kopf in den Händen. »Ich habe dich doch gerade erst wiedergefunden, und … du willst gehen?«
»Weil es die einzige Möglichkeit für mich ist, dir zu glauben. Wenn du mich zwingst zu bleiben, dann heißt das, dass du alles geplant hast. Wenn du mich gehen lässt …«
»Ich kann das nicht.« Jace schüttelte den Kopf. »Wenn ich dich gehen lasse, dann kommst du vielleicht nie mehr zurück.« Er war wie erstarrt vor Entsetzen.
Aber mir ging es doch genauso! Ich musste wissen, ob ich ihm trauen konnte!
»Bin ich das Risiko wert?«
»Ich weiß nicht, ob ich das überstehen könnte, Beth.« Er fuhr sich über den Hinterkopf. »Irgendetwas ist hier merkwürdig. Irgendetwas stimmt nicht.«
»Bin ich das Risiko wert?«
Jace schwieg nachdenklich, die Augen weit aufgerissen.
»Ich schätze, wir haben Glück, dass du dich nicht verliebt hast, hm? Ich vermute, du hattest die ganze Zeit recht. Am Ende wird einer von uns gehen. Nur dass dieses Mal du derjenige bist, der zusieht, während ich das tue, was ich schon am ersten Tag hier hätte tun sollen.«
»Und das wäre?« Seine Stimme klang heiser.
»Gehen.«
»Nicht«, flüsterte Jace. »Wir finden uns da durch. Aber geh nicht weg.« In seinen Augen flackerte Unsicherheit.
»Gib mir einen Grund, zu bleiben. Gib mir etwas. Gib mir die Wahrheit.«
Jace öffnete den Mund, aber er sagte nichts. Das war der Teil, der am meisten weh tat. Er konnte mir vieles sagen, wenn es nützlich für ihn war. Er war bereit für große Gesten, aber wenn ich ihn am meisten brauchte, kniff er. Er erstarrte, denn am Ende war er sich über uns immer noch nicht im Klaren, und wenn er sich jetzt nicht sicher war, würde er es nie sein.
»Lass uns darüber reden«, versuchte er es noch einmal.
Sein Lächeln machte mich krank.
»Komm schon, Beth, tu nichts Unüberlegtes. Gib mir nur ein paar Minuten, um meine Gedanken zusammenzubekommen. Du hast mich mitten aus dem Tiefschlaf gerissen, weißt du.«
Er sah so orientierungslos aus, dass ich mich fast schuldig fühlte. Mit Betonung auf fast.
Ich ignorierte ihn, ging ins Badezimmer und fing an, meine Habseligkeiten in meinen Koffer zu stopfen.
»Beth …«
Ich ging an ihm vorbei. »Jace?«
Wieder hatte er keine Worte.
»Genieß den Rest deines Urlaubs.« Ich warf die Klamotten in meinen Koffer und zog den Reißverschluss zu. Die Uhr neben dem Bett zeigte 5:15 morgens. Mit etwas Glück konnte ich den ersten Flug erwischen. Andererseits hatte ich schon sehr, sehr lange kein Glück mehr gehabt.
»Wenn du gehst …« Seine Stimme brach.
»Wenn ich gehe, dann was?«
»Wenn du gehst, ist das deine Entscheidung. Dann entscheidest du dich dafür, Angst zu haben und uns beide hinter dir zu lassen.«
»Soll heißen?«, flüsterte ich, den Rücken ihm zugewandt.
»Ich laufe niemandem hinterher, der das nicht möchte. Ich werde keiner Frau nachlaufen, die nicht einmal begreift, warum sie es wert ist, dass man ihr nachläuft. Du bedeutest mir etwas, Beth, aber in meinem Beruf ist Vertrauen der Faktor Nummer eins in einer Beziehung, und wenn du mir jetzt schon nicht vertraust, dann sind wir bereits zum Scheitern verurteilt, noch bevor so etwas wie eine Beziehung angefangen hat.«
Heiße Tränen liefen mir über die Wangen. »Ich weiß.«
Hinter mir fiel die Tür ins Schloss.