Kapitel 2

»Schuldig?« Der FBI-Agent seufzte schwer und griff nach seiner Kaffeetasse. »Ihnen ist klar, dass Sie im Gefängnis landen?«

Oma Nadine zuckte die Schultern. »Wäre nicht das erste Mal, dass ich für das Wohl der Allgemeinheit einfahre.«

»Das Wohl der Allgemeinheit?«, fragte der Mann und kniff die Augen zusammen.

»Aber natürlich. Nach dem Kalten Krieg saß ich ein paar Monate lang in einem russischen Gefängnis. Ich war Spionin und schuldig, einen Regierungsbeamten vergiftet zu haben. Allerdings konnten sie es nie beweisen. Ich schmuggelte ihm bei einem heißen Kuss etwas in den Mund.« Sie griff in ihre Leopardenmuster-Handtasche. »Minzbonbon gefällig?«

Jace

Na toll, und auf meinem Grabstein steht mal: ›Sie ließ sich mit viel zu jungen Männern ein‹«, rief Beth und übertönte damit meine Darbietung von Katy Perry, als sie ins Badezimmer kam.

Ich wollte die Situation etwas aufheitern, doch dann bekam sie mitten im Zimmer eine Panikattacke. Ich fragte mich immer noch, wie lange es wohl dauern würde, bis ihr bewusst wurde, dass ich gerade duschte – nackt –, und sie stand da und wiegte sich vor und zurück wie jemand, der sich kurz vor einem Nervenzusammenbruch befindet.

»Ich kann es nicht fassen, dass ich mit dreißig immer noch keine vernünftigen Entscheidungen treffen kann!«

Irgendwas – ich denke, es war ein Schuh – knallte an die Wand. Noch mehr Schimpfen. Wow, das war ja richtig sexy.

»Wieso, zur Hölle, kann mir nicht so was wie ›betrunken SMS schreiben‹ passieren? Moment. Gibt’s das überhaupt noch? Sohn eines …« Noch mehr Getöse. Und dann – Stille.

Um ehrlich zu sein, ging mir die Stille mehr an die Nieren als der Nervenzusammenbruch. Mit Gebrüll konnte ich umgehen. Schließlich war ich Politiker. Leute, die jeden einzelnen Tag ihres Lebens mit Gebrüll und Gemecker verbrachten, waren mein täglich Brot. Aber Stille? Reines Kryptonit. Also, wenn Beth sich nicht zusammenriss, würde Superman ganz offiziell auf dem Mond abstürzen.

Ihre Augen waren grüner, als ich sie in Erinnerung hatte. Andererseits war mein Gedächtnis nicht so großartig; es war über zehn Jahre her. Zehn Jahre, und diese verdammten Augen gingen mir immer noch nicht aus dem Kopf. Instinktiv fuhr ich mir mit der Hand hinters Ohr, an die Narbe. Ebenso gut hätte sie ein leuchtend rotes Warnschild sein können, auf dem stand: Gefahr. Bei meinem letzten Zusammentreffen mit Beth war ich im Krankenhaus gelandet.

Wir hatten also einen One-Night-Stand gehabt. Mordsding. So etwas machten Leute doch dauernd.

Ich meine, ich nicht. Aber Leute. Mussten sie ja, oder? Woher sonst wüsste Hollywood den ganzen Müll über One-Night-Stands, Aufwachen in Vegas und all die Ashton Kutchers, die sich in all die Cameron Diazes verliebten?

Ich schloss die Augen, um die Erinnerungen auszublenden. Verflixt. Es war das dumme Kleid gewesen, das mich zur Strecke gebracht hatte. Es hatte mich an den Abschlussball erinnert, an ihren süßen Duft, und nach ein paar Drinks war ich fällig.

»Ich werde sterben. Und dann brenne ich in der Hölle«, jammerte Beth.

Na ja, zumindest sprach sie jetzt wieder.

Ich räusperte mich und schüttelte die Reue über Vergangenes ab, verbannte sie tief in den Teil meines Gedächtnisses, in dem ganze Schachteln mit Spinnweben daran standen. »Moment, wieso stirbst du?«

Die Dusche musste meine Frage übertönt haben, denn Lady Durchgeknallt plapperte einfach weiter.

»Nein, Kommando zurück. Darüber schreiben sie noch: Sie liebte ihre Katzen sehr, das Flittchen mit den viel zu jungen Männern

Ich stellte die Dusche ab, nahm ein Handtuch, wickelte es mir um die Hüften und stieg heraus.

»Ich kann dir immer noch nicht folgen.« Ich zuckte zusammen, als sie fast in einer Pfütze ausrutschte, die ich auf dem Boden hinterlassen hatte. Ups.

»Ach …« Beth holte einige Male tief Luft und presste die Fingerspitzen an ihre Schläfen. »Hilf mir einfach, die Dusche anzustellen, dann kannst du gehen.«

»Etwa kein Fan von persönlicher Hygiene? Wenn du nicht weißt, wie man eine Dusche bedient? Heißes Wasser: diese Richtung.« Ich zeigte nach rechts. »Kaltes: die andere.« Ich zeigte nach links. »So einfach wie Apfelkuchen backen.«

Beth’ Magen grummelte, und ihr Gesicht wurde flammend rot.

»Ah, dann mag die Dame nicht nur Plätzchen, sondern auch Apfelkuchen?«

»Die Dusche ist zu ausgefallen«, brummelte Beth und wechselte das Thema. »Hilf mir einfach, damit dieser Alptraum ein Ende hat und ich nach Hause gehen und Wein trinken kann, bis ich tot umfalle.«

»Tod durch Alkoholismus. Der Klassiker. Du würdest eine großartige Politikerin abgeben.«

Beth kniff die Augen halb zusammen. »Nur die Dusche, keine Karriereberatung. Ich bin absolut zufrieden damit, Krebs zu heilen, vielen Dank.«

»Und wie kommst du voran?« Ich lehnte mich an den Türrahmen, und irgendwie genoss ich diese Unterhaltung mehr, als ich sollte.

»W-was?« Ihr Blick glitt zwischen meinem nackten Oberkörper und meinem Mund hin und her.

»Mit Krebs heilen.«

»Ich, ähm …«

»Wow, ich sehe schon, die Menschheit ist in guten Händen. Kann nicht mit der Dusche eines schicken Hotels umgehen und antwortet auf meine Fragen mit ›ähm‹.«

»Macht nichts.« Sie seufzte ärgerlich. »Geh aus dem Weg, ich mache sie selbst an.«

»Na, das Kunststück möchte ich gern sehen.« Ich lachte und sah zu, wie sie in die Dusche stieg.

»Was?«

»Wie du dich selbst anmachst«, witzelte ich.

»Warst du gestern Abend auch schon so ein Blödmann, oder habe ich dich derart schöngetrunken?«

»Schöngetrunken?« Ich stieg zu ihr in die Dusche und legte meine Hände auf ihre. »Das erweckt den Eindruck, dass du ohne Alkohol gar nicht mit mir geschlafen hättest.«

»Also«, hauchte sie, und ihre Hände unter meinen zitterten.

»Also« – ich drehte den Hebel langsam nach rechts und trat zur Seite – »Alkohol hatte gar nichts damit zu tun.«

Heißes Wasser strömte aus dem Duschkopf, direkt auf Beth und ihr blütenweißes Laken. Als das nasse Laken an ihrem nackten Körper klebte, machte sie ein derart entsetztes Gesicht, dass ich mir auf die Lippe beißen musste, um nicht laut loszulachen.

»Raus!«, rief sie hysterisch.

»Bin schon weg.« Ich hob die Hände und stieg, immer noch lachend, aus der Dusche.

Ich hätte schwören können, dass ich hörte, wie sie Selbstgespräche führte, während ich meine Klamotten einsammelte und anfing, mich anzuziehen. Vielleicht war es ja gut, das alles seelisch zu verarbeiten.

Die ganze Sache, sich zu betrinken und auf der Hochzeit meines guten Freundes mit einer Brautjungfer zu schlafen?

Ja, so etwas hatte ich noch nie gemacht, aber vielleicht gab es ja Bonuspunkte dafür, dass ich die Brautjungfer tatsächlich schon gekannt hatte, bevor ich mit ihr ins Bett gestiegen war. Ja? Nein?

Meiner begrenzten Erfahrung nach bedeutete ein One-Night-Stand für gewöhnlich einen peinlichen Morgen danach, wenn die Realität wieder einsetzte und man erkannte, dass man nicht bereit für eine Beziehung war. Dazu gehört dann für gewöhnlich, dass der Typ versucht, aus dem Bett zu schlüpfen, ohne die Bestie zu wecken. Diese wiederum, wenn sie hört, dass ihr Bettgenosse sich regt, ist sofort hellwach und klammert sich an ihm fest, ohne dabei zu bedenken, dass der Mann gar nicht fähig ist, etwas anderes zu fühlen als die scharfen Klauen der Frau, die sich in seine Haut bohren.

Fast immer fließen Tränen, gefolgt von Geschrei; und wenn der Typ Glück hat, räumt das Mädchen die jeweiligen Räumlichkeiten und stößt dabei lautstark Obszönitäten aus. Falls er überhaupt kein Glück hat, endet er für gewöhnlich mit einem Beutel Tiefkühlerbsen, die er fest an seinen besten Freund presst.

Seinen anderen besten Freund.

Ich musste kurz lachen.

Tja, also dieser One-Night-Stand war verdammt perfekt.

Zwar hätte ich schwören können, dass Beth im Badezimmer immer noch Selbstgespräche führte – aber zumindest kreischte sie nicht herum und kratzte mir auch nicht die Augen aus. Andererseits … Ich zuckte zusammen, als ich die Schulter bewegte und ein Knacken durch meinen ganzen Körper vibrierte. Was in aller Welt war letzte Nacht passiert? Alles war so verschwommen. Das Einzige, woran ich mich erinnerte, war der Alkohol, und dann Beth, die Plätzchen aß. Und an die Plätzchen erinnerte ich mich nur deshalb, weil sie so verflucht wunderschön aussah, als sie sie aß. Klingt verrückt, aber es ist die Wahrheit. Sie hatte sie nicht einfach in sich hineingestopft, sondern sich mit jedem einzelnen Zeit gelassen. Und jedes Mal, wenn sie von einem Plätzchen abgebissen hatte, hätte ich schwören können, dass ich diesen Biss bis in die Zehenspitzen spürte.

Sie hatte schon immer dieses ganz besondere Etwas an sich gehabt, abgesehen von ihrem offensichtlich guten Aussehen, dem glänzenden dunklen Haar und diesen Katzenaugen. Sie zog mich magisch an. Und das, seit ich siebzehn Jahre alt war. Mist, ich kam mir vor, als wäre ich wieder siebzehn. Mein Körper jedenfalls reagierte eindeutig dementsprechend.

Unsere kurze Begegnung auf dem Abschlussball hätte nicht so kurz sein sollen, und das wiederum vermittelte mir eine Ahnung davon, wieso ein One-Night-Stand mit ihr eine schlechte Idee war. Unser letztes Zusammentreffen? War nicht gut ausgegangen. Meine Gefühle hatten eindeutig nicht auf Gegenseitigkeit beruht. Ich hatte mich in jener Nacht wie ein glotzäugiger, faszinierter Teenager verhalten, und sie war absolut nicht beeindruckt gewesen. Gut, dass ich es nie geschafft hatte. Sie jetzt wiederzusehen, das ließ die alten Gefühle wieder aufleben. Verdammt! Sie sollten doch sicher weggesperrt bleiben. Ich war inzwischen achtundzwanzig Jahre alt. Ein erwachsener Mann. Senator, um Himmels willen. Ich kniff mir in den Nasenrücken. Mein Problem? Die Details unserer heißen gemeinsamen Nacht waren mehr als schwammig.

Das musste doch ein schlechtes Zeichen sein.

Andererseits, ich hatte absolut keinen Kater. Nicht einmal Kopfschmerzen.

Genau genommen fühlte ich mich, abgesehen von einem Muskelkater, phantastisch.

Was auch immer. Schulterzuckend machte ich mich auf die Suche nach meinem Koffer. Dann stutzte ich.

Wieso, zum Teufel, war mein Koffer nicht hier? Erinnerungen kamen zurück. Ich war für die Hochzeit bei Familie Titus untergekommen. Das bedeutete, mein Koffer stand immer noch dort, und ich war … hier? In wessen Hotelzimmer befand ich mich denn eigentlich? Denn es war eindeutig nicht meines!

Ich kratzte mich am Kopf und gab mir dann selbst eine Ohrfeige, um irgendwelche Erinnerungen zurückzuholen. Aber – nichts. Immer noch keinen Schimmer. Vielleicht wusste Beth mehr?

Richtig. Das will doch jede Frau hören: »Hey, du bist echt heiß, aber ich habe absolut keine Erinnerung daran, wie du nackt aussiehst. Auch wenn wir hier zusammen aufgewacht sind. Danke für die schöne Zeit. Oh, und übrigens – in wessen Zimmer sind wir eigentlich?«

Da konnte ich mir auch gleich Jake Titus auf die Stirn schreiben und einen Walk of Shame hinlegen.

Ich war kein Milliardär und Playboy wie Jake. Ich war ein verantwortungsvoller Mensch. Ich hatte mich unter Kontrolle. Himmel noch mal, ich war der jüngste Senator, den Oregon je gesehen hatte.

Und das war der Moment, in dem die Realität zuschlug.

Und zwar mit solcher Kraft, dass ich mit den Augen fieberhaft nach einer Papiertüte zum Überstülpen suchte.

Heilige Scheiße.

Ich würde Schlagzeilen machen.

Wenn ich mich nicht daran erinnern konnte, ob ich betrunken gewesen und wie ich in dieses verdammte Hotelzimmer gekommen war, dann bedeutete das, dass ich in Bezug auf jedes einzelne Detail des Geschehens nachlässig gewesen war.

Ich sah auf meine Uhr. Sechs Uhr morgens. Mit einem Kraftausdruck nahm ich mein Handy und zuckte zusammen. Fünfzehn Anrufe in Abwesenheit.

Ich stellte mein Handy nie auf Vibrationsalarm.

Andererseits hatte ich auch noch nie einen One-Night-Stand gehabt, ein Mädchen geküsst, dessen Nachnamen ich nicht einmal buchstabieren konnte, oder einen Walk of Shame im Stile eines Jake Titus absolviert. Also, vielleicht schlug ich hier ein neues Kapitel auf. Oder vielleicht war der Playboy von Jake abgefallen, sobald er seine Ehegelübde gesprochen hatte, und hatte sich in mein Bewusstsein eingeschlichen.

Mist. Bekam ich jetzt Panik, dass ich besessen sein könnte? Von was? Dem Drang, jedes weibliche Wesen im Umkreis von zehn Meilen flachzulegen?

Ich hörte ein Räuspern und sah auf. Beth stand da, eingewickelt in ein flauschiges weißes Handtuch, und das nasse Haar klebte ihr an Hals und Schultern.

Korrektur: Nicht jedes Mädchen im Umkreis von zehn Meilen. Sie. Nur sie allein.

»Wie ist dein Nachname?«, fragte ich. Ich brauchte etwas Ablenkung, als sie von einem eleganten Fuß auf den anderen trat.

»Du machst Witze, oder?« Beth kniff die Augen zusammen.

»Ja?«

O ja. Heute war definitiv ein Tag für erste Male. Zum Beispiel war ich nicht nur der Erste in meiner Familie, der es in die Politik geschafft hatte, sondern auch der erste Mann in meiner Familie, der seinen dreißigsten Geburtstag nicht erleben würde.

Wie würde sie es anstellen, fragte ich mich. Tod durch Ersticken? Oder würde sie mich aus dem Fenster schubsen?

»Wieso bist du so blass?« Langsam kam Beth auf mich zu.

»Ich, ähm …« Verdammt. Nichts. Meine Karriere bestand sozusagen aus ständigem Reden, und jetzt brachte ich absolut nichts heraus. Mir fehlten die Worte. Stattdessen konzentrierte ich mich auf ihre Lippen, die sich bewegten. Phantastisch. Zuerst will ich doch allen Ernstes das Plätzchen sein, in das sie beißt, und dann bin ich auch noch besessen von ihren Lippen.

Aber sie hatten diesen natürlichen Pinkton.

Er erinnerte mich an Kaugummi.

Ich hatte eine Schwäche für Kaugummi. Er half mir, bei Ansprachen nicht nervös zu werden.

Und ich hatte das Gefühl, Beth hätte dieselbe Wirkung auf mich, wenn ich nur die Chance auf eine einzige kleine Kostprobe erhielte.

One-Night-Stand. One-Night-Stand. Wenn ich mir das immer wieder vorsagte, vielleicht würde mein Körper es dann begreifen. Wenn ich mich in diesen wundervollen grünen Augen verlor oder diesen bezaubernden Hintern betrachtete, würde mich das in keiner Weise weiterbringen. Ich brauchte eine solide, verbindliche Partnerschaft, von der beide Seiten profitierten. Keine feurige, grünäugige Verführerin, die um drei Uhr morgens Plätzchen aß und über der Keksdose heulte, nachdem sie herausgefunden hatte, dass die Plätzchen aus Erdnussbutter statt Schokolade waren.

»Jace?« Beth legte mir die Hand ans Kinn und sah mir in die Augen.

»Was machst du da?« Ich trat einen Schritt zurück.

»Ich bin Doktor.« Beth verdrehte die Augen.

Doktor, von wegen. Sie verdiente ihren Lebensunterhalt damit, mit Krankheiten herumzuspielen; ich erinnerte mich deutlich, das gehört zu haben. Keine Chance, dass ich ihre Hände irgendwo an meinem Gesicht haben wollte. Andererseits – wahrscheinlich hatten sich ihre Hände die ganze letzte Nacht noch an ganz anderen Teilen meiner Anatomie befunden.

Merke: Unter der Dusche kräftiger abschrubben.

»Du bist Chemikerin. Das ist was anderes.« Ich schob ihre Hand zur Seite.

»Ach, dann weißt du also, dass ich Chemikerin bin, aber meinen Nachnamen weißt du nicht?«

»Du hast im Schlaf das Periodensystem der Elemente rauf und runter deklamiert und davon gesprochen, Krebs zu heilen? Weißt du noch? Man muss kein Mathegenie sein, um eins und eins zusammenzuzählen, Sonnenschein.«

Außerdem hatte ein Teil meiner Hausaufgaben, aufgetragen von der liebreizenden Oma Nadine, darin bestanden, den Hintergrund von Char und ihrer Familie zu durchleuchten. Diese Frau war echt irre; sie wollte jeden Stein umgedreht haben. Letztendlich hatte ich mindestens vier Gesetze gebrochen, um die Informationen zu beschaffen, die sie gebraucht hatte. Aber ich schuldete ihr etwas. Sie hatte mich aus meiner Krise herausgeholt. An Char erinnerte ich mich noch von der Highschool, da wir uns altersmäßig näher waren. Und Beth? An sie erinnerte ich mich aus vollkommen anderen Gründen …

»Alles in Ordnung«, fragte ich und ging auf das hübsche Mädchen in dem weißen Kleid zu. Normalerweise war ich auf Veranstaltungen einer anderen Schule nicht so mutig. Immerhin spielte ich für das Konkurrenzteam, und ich war Quarterback. Also übte ich mich in Zurückhaltung. Aber meine Cousine hatte einen Begleiter für ihren Abschlussball gebraucht, und ich hatte nicht nein sagen können.

»Ja.« Sie schniefte und sah auf ihre Hände hinab. »Danke.«

Dieser Augenblick machte mich zu dem, was ich bin. Nicht, weil irgendwas Besonderes passierte, wie Feuerwerk, das den Himmel erhellte, oder romantische Musik in der Luft. Sondern weil es das erste Mal in meinem Leben war, dass mir die Tränen eines Mädchens wirklich zu Herzen gingen. Ich wollte das in Ordnung bringen, und dabei kannte ich sie nicht einmal. Es machte mich sauer, dass sie weinte, und es machte mich sauer, dass mir das so viel ausmachte.

»Möchtest du tanzen?« Ich streckte die Hand aus.

Sie beäugte meine Hand, als hätte ich ihr gerade Gras angeboten.

»Nur ein Tanz«, drängte ich. Wieso war mir das wichtig?

»Klar.« Sie stand auf. »Nur ein Tanz.«

Ich hatte nicht gewusst, dass meine eine gute Tat mich eines Tages in den Hintern beißen würde. Wie hätte ich wissen können, dass – sogar damals schon? – Oma Nadines wachsames Auge auf mir ruhte wie das verdammte Auge von Sauron in Herr der Ringe?

»Verdammt, Grandma«, sagte ich laut. Ich hatte meine gute Tat für dieses Jahr getan; und jetzt war ich bereit, die gesamte Familie Titus und ihre irrsinnigen Spielchen hinter mir zu lassen. Je früher ich das Weite suchte, umso leichter konnte ich gehen. Vernünftige Logik, war mir klar.

»Wenn du weiter mit mir redest, als wäre ich ein Kind, hast du bald einen guten Grund, mich Sonnenschein zu nennen, denn dann trete ich dir mit meinem Fuß dorthin, wo die Sonne nicht scheint. Kapiert?«

»Bist du morgens immer so umgänglich?« Ich wich einen Schritt vor der Bestie zurück. Ach ja, wir waren wieder dabei, uns zu beschimpfen. »Oder ist das ein speziell für mich reservierter Service?«

»Nur für dich« – sie marschierte zu ihrem abgelegten Brautjungfernkleid und nahm es vom Stuhl – »und für Politiker, die ich nicht wähle.«

»Du hast mich nicht gewählt?« Es war heraus, bevor ich es aufhalten konnte. Zutiefst niedergeschmettert wartete ich auf ihre Antwort.

»Nein.« Beth grinste und genoss meinen Schock. »Allerdings lebe ich ja auch nicht in Oregon.«

Idiot. Letzte Worte gesagt. Fehdehandschuh geworfen. Spiel festgelegt. Und ich sah zu, wie sie wieder ins Badezimmer verschwand.