»Wo ist er?« Der FBI-Agent seufzte schwer. »Sagen Sie uns einfach, wo er ist.«
Oma Nadine grinste. »Ich stelle mir vor, dass er an sehr vielen Orten sein könnte.«
»Aufenthaltsort, Ma’am.«
»Ihr Hintern.«
Und wieder sprühte ihm der Kaffee aus dem Mund.
Ach ja, allmählich entwickelte sich das zu einem wirklich entzückenden Nachmittag!
»Mir geht langsam die Geduld aus.«
»Und mir der Lippenstift. Also, was gibt es sonst Neues? Ich sage Ihnen etwas.« Oma Nadine beugte sich vor. »Ich mache eine Wette mit Ihnen.«
»Ich wette nicht, Ma’am.«
»Nun, vielleicht« – Oma Nadine tippte mit den Fingernägeln auf die Tischplatte – »ist es Zeit, dass Sie damit anfangen.«
Oma Nadine kam näher, doch diesmal nicht im Catsuit. Irgendwie hatte sie sich umgezogen und trug jetzt legere Sachen von Victoria’s Secret, und sie war wie durch Magie aus dem Nichts aufgetaucht.
»Gehen wir.« Sie nahm meine Hand.
»Nein.« Jace rührte sich nicht vom Fleck. »Hör zu, ich weiß deine, ähm, Hilfe zu schätzen, Grandma, aber ich regle das allein, in Ordnung? Hier ist mein Zuhause. Ich marschiere nicht in den Flughafen, um mich dann mit Tricks dazu verleiten zu lassen, ein Flugzeug nach Vegas zu besteigen und dort zu heiraten. Ich werde kein Teil deiner Spielchen, und ich lasse mich ganz sicher nicht manipulieren. Ich habe gesehen, was du mit Jake gemacht hast. Meine Güte, ich habe dabei sogar noch mitgemacht. Aber nicht dieses Mal, Grandma.«
»Bist du sicher?«, fragte sie, und ein warmes Lächeln breitete sich auf ihrem runzeligen, aber immer noch hübschen Gesicht aus.
»Ja.«
»Na schön.« Oma Nadine nahm ihr Handy, tippte eine SMS und schob es wieder in die Handtasche. »Holen wir uns etwas bei Starbucks. Beth, wie wäre es mit etwas Warmem zu trinken? Grandma kippt dir sogar ein wenig Wodka hinein.«
Mit Oma Nadine zu gehen, das bedeutete, von Jace wegzukommen. Es bedeutete auch Alkohol um sieben Uhr morgens. Aber wer war ich, darüber zu urteilen? Ich hakte mich bei ihr unter und folgte ihr ins Flughafengebäude.
Aus reiner Neugier, und ich schwöre, es war nicht mehr, drehte ich mich um und warf einen letzten heimlichen Blick auf meinen One-Night-Stand, auch bekannt als Thor oder Mr. Senator. Er sah mir direkt in die Augen, ein leichtes Lächeln um die Mundwinkel. Ich wollte zurücklaufen. Aber mehr als alles andere wollte ich mich daran erinnern, wie seine Lippen sich auf meinen anfühlten, denn die Erinnerung aus der Highschool war nicht genug. Er war jung gewesen, und es war nun einmal so, dass die Jahre, die vergingen, einem die Erinnerungen entrissen, bis man sich irgendwann nur noch an die flüchtigste aller Berührungen erinnern konnte und daran, wie diese eine bestimmte Berührung einen für immer verändert hatte.
Diese eine Berührung hatte meine Vorstellung davon, wie ein Kuss sich anfühlen sollte, zerstört. Sie hatte die Phantasie eines Kusses à la Filmstar und Liebesroman in etwas verwandelt, das, ganz plötzlich, erreichbar war. Innerhalb von zehn Minuten hatte Jace meine Erwartungen auf eine Ebene gehoben, die kein Mann jemals erreichen würde.
Er hatte in mir den Wunsch geweckt, auf den Prinzen oder den weißen Ritter zu warten. Und mit jedem Jahr, in dem er nicht auftauchte, war ich ein wenig mehr in mich selbst zusammengesunken. Denn, anders als andere Frauen, wusste ich, dass es möglich war. Ich hatte beides erlebt, die Rettung und den darauffolgenden Kuss, und auch wenn ich erst achtzehn Jahre alt gewesen war, habe ich das nicht vergessen.
Am seidenen Faden hängend.
Ich hoffte, dass das nun den Fluch aufheben würde, mit dem er mich seitdem belegt hatte. Siehst du es? Siehst du, Beth? Er ist nicht perfekt. Wenn ich wirklich genau hinsah, konnte ich ein ganz leichtes Hinken erkennen, und ich hätte schwören können, dass da an seiner Augenbraue eine winzige Narbe war. Und, nicht zu vergessen, wahrscheinlich hatte er auch noch Blähungen und Mundgeruch.
Ich kniff die Augen zu. Ich würde ihm eine verdammte unheilbare Krankheit verpassen, und wenn es das Letzte war, was ich tat! Er musste verschwinden, damit ich endlich frei war für meinen persönlichen Prinz Charming – oder Charlie, die gefleckte Katze, adoptieren konnte.
Wenn ich nicht schleunigst über ihn und meine Phantasien über ihn hinwegkam, würde aus mir am Ende noch eines dieser gruseligen Weiber, die Promis stalkten und deren Kleider und Schmuck anprobierten, um sich einzureden, dass sie eine ernsthafte Beziehung miteinander führten.
So etwas würde nicht aus mir werden.
Ich wollte kein Warren Bates sein.
Also ging ich weiter.
Und drehte mich nicht mehr um.
Und das, obwohl mein ganzer Körper vor Sehnsucht, sich doch noch einmal umzudrehen, zu zittern schien.
Mir krampfte sich der Magen zusammen. War es denn so falsch, sich das wahr gewordene Märchen zu wünschen? Was war so schlecht daran, nach mehr zu streben? Sollte das meine Strafe dafür sein, dass ich auch noch wollte, dass der Ritter in schimmernder Rüstung eine Seele hatte? Die meisten Männer, denen ich begegnet war, waren entweder so schüchtern, dass sie aufschrien, wenn ich nur hallo sagte, oder so langweilig, dass ich im Kopf Formeln wälzte. Die wirklich gutaussehenden Typen? Nun ja, die verhielten sich sehr ähnlich wie Chars neuer Ehemann, Jake. Zugegeben, er hatte von seinem Playboy-Leben Abschied genommen, da er sich verliebt hatte … aber trotzdem. Wenn ein gutaussehender Kerl mal nicht schwul war, dann war er eine absolute Spielernatur ohne Seele und unfähig, eine Bindung zu einem anderen menschlichen Wesen zu entwickeln.
Ich wollte einen guten Kerl. Ich wollte erleben, wie das war, nur ein Mal in meinem Leben.
Nur ein Mal, bevor ich endgültig aufgab.
Ich war erst dreißig Jahre alt, aber ich dachte mir, wenn bisher kein Mann an meinem wahren Ich interessiert gewesen war, dann konnte ich ebenso gut meine gesamte Existenz auf meine Karriere konzentrieren, statt darauf zu warten, dass jemand mich aus meinem Schloss retten würde.
»Dick!«, brüllte Oma Nadine plötzlich aus vollem Hals.
Entsetzt sah ich auf.
Dick war der Name des Barista.
Ich wurde knallrot.
»Dick! Dick! Dick!«, wiederholte Oma Nadine, während ich mich langsam aus ihrer Umarmung löste. Allerdings streckte sie daraufhin ihren sehnigen Arm aus und drückte mich so an sich, dass ich wie Klebstoff an ihr hing. »Es ist ja eine Ewigkeit her! Eine ganze Ewigkeit! Was machen die Kinder?«
»Denen geht es gut.« Dick lächelte schulterzuckend. Er sah aus, als sei er um die vierzig. »Ich kann nicht klagen. Na, was kann ich den reizenden Damen bringen?«
»Zwei GNs, mit einem extra Schuss Duweißtschonwas.«
»Verstanden.« Dick nahm zwei Becher Grande und fing an. Dann, als sein Kollege gerade nicht hinsah, holte er aus einem Schrank eine Flasche und gab einen Schuss in jeden Becher.
Mir blieb der Mund offen stehen. Ich hatte angenommen, sie scherzte. Machte Witze. Im Sinne von: Hey, komm, wir betrinken uns. Ha, ha. Aber doch nicht, dass sie ernsthaft Wodka trinken wollte!
Dick gab noch Schlagsahne obendrauf und schob uns die Becher hin.
»Wie viel macht das?« Oma Nadine beugte sich über den Tresen und lächelte.
»Sie wissen doch, das Special ist immer kostenlos, Nadine. Immer.« Er zwinkerte, nahm ihre Hand und drückte einen zarten Kuss darauf, bevor er in meine Richtung nickte und dann den nächsten Gast nach seinen Wünschen fragte.
Oma Nadine gab mir meinen Becher und trank einen tiefen Schluck aus ihrem eigenen.
»Wie ist es möglich, dass du eben etwas bestellt hast, das gar nicht auf der Karte steht?«
»Oh, aber es steht doch drauf.« Oma Nadine legte mir die Hand auf den Arm. »Es ist nur kompliziert. So etwas wie eine geheime Karte nur für mich. Howie weiß, was ich mag.«
»Sprichst du gerade von Howard Schultz?« Der CEO von Starbucks? Sie machte Witze, oder? Wurde ich verarscht? Glühbirne über meinem Kopf – ich musste gerade bei Versteckte Kamera sein. Das war die einzige Erklärung.
»Oh, schau nur, da sind sie ja! Und auch noch rechtzeitig.«
Oma Nadine trank noch einen Schluck, als Travis, Kacey, Jake und Char zügig ins Flughafengebäude marschierten. Keiner von ihnen war sich dessen bewusst, dass die Kacke nicht nur am Dampfen war, sondern gleich den ganzen Flughafen bis zum Rand füllen würde, so dass jeder in der näheren Umgebung einen langsamen, übelriechenden und qualvollen Tod via Oma Nadine erleiden würde.
»Und da ist er …« Oma Nadines Stimme wurde leiser, als Jace schnellen Schrittes hinter ihnen herkam, verfolgt von Paparazzi, die Fotos von ihm machten, bis Travis und Jake ihn im Prinzip retteten. Die Sicherheitsleute des Flughafens drängten die restlichen Paparazzi zurück.
»Was hast du gemacht?«, fragte ich.
Oma Nadine trank noch einen Schluck heißen Kaffee. »Er will mich immer noch nicht haben.«
»Wer?«
»Der da oben.« Sie seufzte. »Sieht so aus, als sei meine Arbeit noch nicht getan. Man sollte doch meinen, Er wäre zufrieden. Denn im Grunde genommen habe ich die Welt gerettet.«
»Wie meinst du das?« Das musste ich hören. Immerhin arbeitete ich an der Heilung von Krebserkrankungen, also wie konnte das, was sie getan hatte, noch besser sein?
»Ich habe die Welt vor Geschlechtskrankheiten bewahrt. Bei dem Weg, auf dem sich mein Enkel hier befand, wäre er noch verantwortlich für die Entstehung einer neuen Seuche gewesen. Merk dir meine Worte. Der kleine Rammler.« Sie seufzte. »Aber ich liebe ihn. Ich mag ihn in den Ruin getrieben haben, aber ich habe all die kleinen hurenhaften Bruchstücke repariert, und jetzt sieh ihn dir an.« Sie zeigte auf Jake. »Glücklich und froh, wie der Mops im Haferstroh.«
»Richtig.« Ich ging ganz langsam rückwärts.
Oma Nadines Hand schnellte vor und packte mich am Arm. »Jetzt trink deinen Kaffee aus und folge mir.«
»Habe ich eine Wahl?«, fragte ich und sah mich nach einer schnellen Fluchtmöglichkeit um, die mich nicht zum Opfer des Gegenverkehrs machen würde.
Oma Nadine hielt inne und schaute mir direkt in die Augen. »Meine Liebe, wir haben immer eine Wahl. Die Frage ist nie, ob du eine Wahl hast, sondern ob deine Optionen besser sind, wenn du auf dich allein gestellt bist, oder mit meiner Hilfe. Wahlmöglichkeiten kommen und gehen. Aber Chancen? Die gibt es nur ein Mal im Leben.« Sie zwinkerte. »Also, warum nicht den Sprung wagen?«
»Ich habe etwas gegen Höhen.«
»Und ich habe etwas gegen Leute, die laut schnaufen. Das heißt aber nicht, dass ich andere Leute mit einem Kissen ersticke, wenn ich verärgert bin«, witzelte sie. »Manchmal brauchen wir einen kleinen Schubs, Liebes.«
»Ist es das, was du bist? Ein kleiner Schubs?«
»Du liebe Zeit, nein.« Oma Nadine schnaubte. »Der kleine Schubs ist dein Gewissen. Ich bin eine verdammte Atombombe. Also, kommst du nun oder nicht?«
Ich konnte nach Hause gehen. Ich konnte die sichere Seite wählen. Ich konnte mich für weiße Wände und sterile Umgebung entscheiden. Das, was ich wählen sollte, war das exakte Gegenteil dessen, was sie mir in Aussicht stellte. Aber in einem Punkt hatte sie recht: Wenn ich jetzt nicht diese alte runzelige Hand ergriff, würde ich es wahrscheinlich bereuen. Also, obwohl ich mir ziemlich sicher war, dass ich gerade den größten Fehler meines Lebens beging – und das schloss das eine Mal, als ich versucht hatte, mein Haar wasserstoffblond zu färben, mit ein –, ergriff ich sie, als sei sie ein Rettungsanker, und betete zu dem da oben, dass ich nicht in einem Leichensack nach Hause käme.
»Ich muss eine Weile verschwinden.« Jace zitterte. Er stieß ein lautes Schimpfwort aus und machte den Eindruck, als brauche er Oma Nadines Spezialkaffee noch dringender als ich.
Oma Nadine ließ meine Hand los und schob sich zwischen ihren Enkelsöhnen durch. »Habe ich hier jemanden von Flucht reden hören?«
Die Antwort war lautstarkes Stöhnen, gefolgt von vier entsetzten Gesichtern, als Oma Nadine zum Ticketschalter ging.
Sie fing an, jede Menge Fragen über die geplanten Hochzeitsreisen ihrer Enkelsöhne zu stellen. Mehrzahl deshalb, weil Travis und Kacey eben erst geheiratet hatten, und durch eine sehr strategisch vorausgeplante Reihe von Ereignissen war auch Char nun verheiratet – mit Jake, den sie immer nur als den Playboy-Enkel bezeichnet hatte. Geld hatte den Besitzer gewechselt; ein Prediger, welcher dereinst den Konsequenzen ins Gesicht würde sehen müssen, sollte er in den Himmel kommen, hatte das Paar ohne dessen Wissen getraut. Und das Bizarre dabei? Jake und meine Schwester Char waren so glücklich, dass mir davon fast ein wenig übel wurde.
Char hatte ihren Job verloren, was aber keine große Rolle spielte, nachdem die Familie Titus mehr Geld als Gott höchstselbst besaß, und jetzt fuhr sie in die Flitterwochen mit Jake Titus, geläutertem Playboy und Mann des Jahres in der GQ.
Sie war eindeutig die mit dem guten Aussehen in unserer Familie.
Mir hingegen waren Grips und eine alles andere als herausragende Erscheinung zuteilgeworden. Ich Glückskind.
»Beth! Beth, Liebes! Komm hier herüber. Ich brauche deinen Ausweis.«
Aller Augen richteten sich auf mich. Also, jeder, der behauptete, ein Walk of Shame sei, nun ja, beschämend, war ein Lügner. Das hier? Am Morgen nach der Hochzeit an beiden Gebrüdern Titus vorbeizuparadieren, dabei auszusehen, als hätte ich nicht geschlafen, und dazu noch in Begleitung von Jace? Sagen wir einfach, es war etwas, das ich im Leben nicht noch einmal tun wollte. Ich fühlte mich nackt. Und zwar nicht im guten Sinne von nackt, wo man sich frei und im Frieden mit der Welt fühlt. Nein, es war ein nackt im schlechten Sinne. Die Art von nackt, bei der die Leute mit Fingern auf einen zeigen und lachen und man nichts als seine Hände hat, um seine Blöße zu bedecken, und von denen hat man auch nur zwei, also wo bleibt da die Gerechtigkeit?
Ich ging ein paar Schritte auf Oma Nadine und Jace zu. Er sah zu besorgt aus, um sich über Oma Nadines Ränke zu ärgern. Vielleicht war das ihre Art zu arbeiten. Sie machte einen vollkommen mürbe, und wenn sie einem dann so ein Krümelchen hinhielt, das ich gern als Eintrittsdroge nach Crazyland bezeichnen würde, dann wollte man nur noch so unbedingt fliehen, dass man es nicht nur nahm und erst mal begutachtete, sondern gleich schluckte und nach mehr fragte.
Verdammt.
Ich war gerade dabei, ihre Krümel zu schlucken.
Und Jace auch.
»Ausweis?«, fragte Oma Nadine gebieterisch.
Ich holte meinen Führerschein aus der Geldbörse und gab ihn ihr.
Jace fuhr sich mit den Händen übers Gesicht.
»Offenbar befinden sich die einzigen, nebeneinander befindlichen Sitzplätze im hinteren Teil der Maschine.«
Die verkniffene Miene der Dame am Schalter vermittelte mir den Eindruck, dass das schlechte Sitzplätze waren.
»Die nehmen wir«, verkündete Oma Nadine. »Und ich nehme erste Klasse mit unseren Hochzeitsreisenden.«
Mir war nicht ganz klar, was so schlecht am hinteren Teil des Flugzeugs war. Ich warf Jace einen hilfesuchenden Blick zu, aber er scrollte gerade durch seine Textmeldungen wie jemand, der eben einen Espresso getrunken hat und jetzt nicht weiß, wie er mit dem darauf folgenden Adrenalinschub umgehen soll.
»Danke, Ilene. Sie sind überaus hilfreich, wie immer.« Oma Nadine tätschelte der Dame die Hand und lächelte.
»Kennst du eigentlich jeden?«, flüsterte ich, so dass nur Oma Nadine es hören konnte.
»Oh, Schätzchen« – Oma Nadine gab mir mein Ticket – »was hilft es denn, die Arbeit des Herrn zu tun, wenn man nicht die nötigen Verbindungen hat, um sie durchzuziehen?«
Solide Logik. Verdammt.
»Juuhuu!«, rief Oma Nadine, und dann pfiff sie.
Ich zuckte zusammen. Travis schimpfte. Jake schüttelte den Kopf und sprach dabei anscheinend in einer Fremdsprache, und Kacey lachte nur.
»Zeit, durch die Sicherheitsschleuse zu gehen.« Oma Nadine wandte sich Jake zu. »Enkel, versteck deine Drogen.«
»Was?« Er riss die Augen auf.
»Nur ein Scherz.« Sie kniff Jake in die Wange und kicherte.
Niemand stimmte in ihr Kichern ein. Ein solcher Mist konnte einen ins Gefängnis bringen.
»Sinn für Humor!« Oma Nadine schlug sich auf die Schenkel und lachte wieder. »Oh, ich lache mich noch tot.«
»Habe ich auch schon mal versucht«, grummelte Travis. »Denn dann gibt es wenigstens kein Sexverbot mehr.«
Hatte er das jetzt wirklich gerade gesagt? Laut? An seine Großmutter gerichtet?
Peinlich berührt wandte ich den Blick ab. Wer redete denn so mit einer alten Dame?
»Süßer« – Oma Nadine kramte in ihrer Handtasche und holte einen roten Lippenstift heraus – »mit dir bin ich schon fertig. Du kannst Sex haben, so viel du willst. Ebenso wie du, Jake.«
Das letzte Mal, als mein Gesicht sich derart rot angefühlt hatte, war, als ich mir in der sechsten Klasse versehentlich den Rock in die Strumpfhose gesteckt hatte.
»Ähm, danke?«, antwortete Jake.
»Außerdem bin ich mit euch beiden fertig. Meine Arbeit ist getan, und nun können eure Ehefrauen in meine Fußstapfen treten. Obwohl, eigentlich stimmt das nicht. Falls ich in einem Jahr noch keine Urenkel sehe, muss ich meinen Fünfjahresplan vielleicht neu bewerten. Auf jeden Fall werden Meine Augen oder Das Auge von Sauron …«
»Ah, Zitate aus Herr der Ringe … natürlich«, fiel Travis ein und zeigte mit dem Finger auf Jake. »Das hast du davon, wenn du sie dazu bringst, nach der Hochzeit die ganzen Filme anzusehen. Du bringst eine alte Dame dazu, sich für eine Art Zaubermagier zu halten.«
»Wie ich schon sagte, das Auge ruht auf diesen beiden.«
Oma Nadine wies in meine Richtung, und ich hätte schwören können, ich spürte einen Laserstrahl, der von ihrem lackierten Fingernagel ausging.
Ich versteckte mich hinter einem sehr blassen Jace und hoffte, dass diese ganze fingerzeigende Magie direkt in ihn fließen und mich, zur Hölle noch eins, verschonen würde.
Ich spähte hinter ihm hervor, nur um zu sehen, wie die Gebrüder Titus Jace ein wissendes Grinsen zuwarfen.
»Ein guter Rat.« Travis ging zu Jace und klopfte ihm auf die Schulter. »Wenn es komisch schmeckt, trink es nicht.«
»Außerdem«, fiel Jake ein, »steht sie über dem Gesetz. Also, falls du die Polizei rufst, solltest du wissen, dass du wahrscheinlich eher hinter Gittern landest als sie.«
»Sie mag Benadryl«, fügte Kacey hinzu.
»Und sie wird siegreich sein.« Char nickte.
»In diesem Spiel geht es nicht um Geschick.« Jake legte den Arm um Char. »Sondern darum, dass man weiß, wann man verloren hat.«
»Verlieren?« Travis lachte. »Für sie?« Er deutete auf die schweigend lächelnde Oma Nadine. »Das ist keine Option.«
»Das Beste ist«, seufzte Jake schwer, »die Karten auf den Tisch zu legen.«
»Und dann was?«, fragte ich, bevor ich vor Neugier noch umkam.
»Och das.« Travis grinste. »Du verlierst trotzdem. Aber wenn du vorher alles auf den Tisch legst, dann weißt du wenigstens, was du verlierst.«
»Und das wäre?« Zum ersten Mal seit Erhalt seines Tickets machte Jace den Mund auf. »Ein Haufen Geld?«
»Nein«, antwortete Jake für Travis, »etwas viel Wertvolleres.«
»Die Frage«, unterbrach Oma Nadine und marschierte zur Sicherheitsschleuse, »ist nie, was man verliert. Sondern, ob es einem überhaupt etwas ausmacht, es zu verlieren.«
»Ich denke, ihr habt alle den Verstand verloren«, sagte Jace. Seine Stimme klang heiser, und sein panischer Blick begegnete meinem, als er sich mit der Hand über den Hinterkopf fuhr und fluchte.