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Der Himmel machte sich über sie lustig: Mal war es herbstlich schön und golden, mal war es drückend heiß, mal regnete und donnerte es. Das Wetter änderte sich alle zwei Stunden von Grund auf, die Touraine ähnelte der Normandie. Alles in dem Landhaus und außerhalb schien in der Schwebe. Nur Ludovic war unausweichlich da, der Blick von Ludovic, der Pullover von Ludovic, Ludovics Hände, Ludovics Glück, Fanny konnte sich dem nicht entziehen und wollte es auch nicht. Jemandes Zuneigung oder Leidenschaft zu erringen gehört zu den leichtesten Dingen, aber das Glück zu den schwersten, zumal, wenn man im Grunde nichts anderes dazu beigetragen hat, als es kommen zu sehen. Aber es hatte niemand diesen Jungen je mit dem Gedanken betrachtet, aus seinem Leben ein Geschenk zu machen. Niemand hatte je im Sinn gehabt, ihn glücklich machen, ihn erfreuen zu wollen, nie einer dafür gesorgt, dass er sich wohlfühlte in seiner Haut. Es hatte auch niemand ihn heilen wollen, weder von einem eingebildeten Wahnsinn noch von seiner absoluten Einsamkeit. Fanny hörte zu, gab, riet, vergaß darüber sich selbst.

Die großen, auf der Terrasse aufgebauten Zelte schlotterten im Wind, luden sich voll Sonne und Regen. Jeder Tag glich dem anderen, wie für sie beide auch alle Nächte, die so kurzen wie unverzichtbaren Nächte. Und dabei war Quentin … Quentin … Wen hätte sie überhaupt anderes als Quentin lieben können? Heute in zehn Tagen würde das Fest vorbei sein, Ludovic wäre rehabilitiert (oder auch nicht), sie würde zurückfahren, wieder ihre Arbeit aufnehmen und ihren allzu jungen, unzurechnungsfähigen Geliebten vergessen.

In ihrem breiten Landhausbett überraschte Fanny sich dabei, wie sie weinte, während ihr Liebhaber schlief, und sie wusste nicht, warum. Ich weine vor Müdigkeit, sagte sie sich hartnäckig, aber es steckten auch Ungewissheit, vage Demütigung und Zweifel dahinter: Ludovic sprach nie von Zweifel, Abreise, Trennung. Und aus einer Art Diskretion heraus, aus Angst sprach auch sie ihm gegenüber nicht davon. Ihre Blicke waren so sehr ineinander versunken wie ihre Körper verflochten, aber nachts, wenn er eine Zigarette für sich und für sie anzündete, sie beide dabei flüsternd wie Halbwüchsige, die heimlich rauchten, fühlten sie sich zu nichts anderem in der Lage als dazu.

Ein Geheimnis für sie war die Beziehung Ganache-Henri, Henri-Ganache, sie lachten darüber und lauschten mitunter auf den heiseren Atem von Sandra, der aus dem entlegensten Zimmer zu ihnen drang, und auch auf das sehr männliche Schnarchen von Philippe, dem Hinterhältigen. Der so viel wusste, so verschwiegen, so verzweifelt war. Und Marie-Laure warf mit sarkastischen Bemerkungen über alle anderen um sich, ohne dass ihr auch nur jemand zuhörte.


Endlich war der große Abend da, und zur allgemeinen Überraschung war das Wetter schön. Es war wie ein Geschenk, der Himmel war blau am Morgen, blieb blau, dann dunkelte es ganz allmählich.

Nach und nach traf die Society aus der Touraine, aus Paris und von sonst wo ein, in den entsprechenden Fahrzeugen, die auf den eigens dafür angelegten Parkplatz geleitet wurden. Die Vertreter der Familie, im Smoking oder im Abendkleid, machten einen merkwürdigen Eindruck. Henri hatte sich nicht entscheiden können zwischen einem zu engen und einem zu weiten Frack. Philippe besaß nur einen älteren Anzug, der aber stammte aus seinen wilden Londoner Jahren und war tadellos geschnitten. Ludovic wiederum trug einen Smoking, der ihm seit seinen Klinikaufenthalten zu weit geworden war, ihm aber gut stand. Seine dunkel­rostroten Haare mit den dazu passenden Augen verliehen ihm etwas Ausgeglichenes, und all dieses Rote, Krause, Strahlende verdichtete sich in einem schüchternen Lächeln, das nach drei Jahren Geheimnis um ihn sowohl die Seinen als auch die neuen Freunde von La Cressonnade verführte. Im Grunde war er »kastanienbraun, wie seine so jung verstorbene Mutter«, sagte Henri mit dem düsteren Stolz der Unwissenheit. Jetzt, nach dreißig Jahren, räumte er ein, dass seine junge Frau, seine einzige Liebe, kastanienbraun gewesen war bis zu ihrem Tod, was er zu ihren Lebzeiten nie getan hätte, als er sie liebte und das dunkle, seidige Kastanienbraun ihres Haars, in dem er sein Gesicht manchmal auch bei Tage vergrub, auswendig kannte. Manch einer könnte noch mit dumpfer Stimme ein Lied davon singen, wie es war, wenn er an sie dachte oder wenn man ihn an sie erinnerte.