M ackintosh brauchte zehn Minuten für die Entlassungsformalitäten. Der Officer, dem er den Kopfstoß ins Gesicht verpasst hatte, gab ihm Jacke, Schnürsenkel und Autoschlüssel zurück. Die Nase des Mannes wurde durch ein Heftpflaster zusammengehalten.
»Tut mir leid.« Jimmy zeigte auf die Nase und grinste breit.
»Leck mich.«
Mackintosh führte ihn durch einen Hinterausgang zu einem Parkplatz und zu einem nagelneuen Jaguar. Er befahl Jimmy, einzusteigen, und er brauchte sich nicht nach der Adresse zu erkundigen, um zu dem Haus in Hackney zu fahren.
»Sie haben zehn Minuten.«
»Zehn Minuten?«
»Der Flug geht um eins. Wir dürfen ihn nicht verpassen.«
Jimmy legte die Hand auf den Türgriff und zögerte dann. »Was soll ich sagen?«
»Sagen Sie ihnen, Sie müssen geschäftlich für eine oder zwei Wochen verschwinden.«
»Sie haben mir noch nicht gesagt, wohin.«
»Das erfahren Sie, wenn wir im Flugzeug sitzen.«
»Und was sage ich jetzt?«
»Das weiß ich nicht, James. Sie ist Ihre Freundin. Überlegen Sie sich etwas Passendes.«
»Ich soll sie belügen, meinen Sie.«
»Es wäre sicher nicht das erste Mal.«
Jimmy öffnete seine Tür und stieg aus. Es war kalt, und sein Atem schwebte wie eine Wolke vor seinem Gesicht. Er blickte hinüber zum Parterrefenster und sah Isabels Gesicht. Er hatte plötzlich einen trockenen Mund und ein flaues Gefühl im Magen. Er zog den Reißverschluss seiner Jacke hoch, ging durch das Gartentor und durch den kleinen Vorgarten zur Haustür.
Isabel erwartete ihn in der Diele. Sie war blasser als sonst und hatte rote Augen wie immer, wenn sie nicht genug geschlafen hatte. Jimmy breitete die Arme aus und drückte sie an sich. Er hielt sie so lange fest, bis er wusste, dass er nicht weinen würde.
»Es tut mir leid«, sagte er, und seine Stimme stockte.
»Wo warst du?«
»Ich hatte ein bisschen Ärger.«
»Ich hab auf dich gewartet. Die ganze Nacht, Jimmy — ich war nicht im Bett. Sean war außer sich, als er aufwachte. Du wolltest heute Morgen mit ihm Fußball spielen.«
»Ich weiß, Darling. Es tut mir leid. Ich rede mit ihm. Wo ist er?«
»Er ist nicht hier, Jimmy. Er ist zu Sonya rübergegangen.«
Sonya war Isabels Schwester. Sie hatte einen Sohn namens Logan, der so alt war wie Sean. Jimmy schluckte wieder. Er hatte seinen Jungen sehen wollen, bevor er ging, aber jetzt war es nicht möglich. Das war nicht Isabels Schuld, sondern seine eigene. Seine eigene Dummheit und Leichtgläubigkeit hatten ihn in diesen Schlamassel gebracht.
Er fasste sie bei den Schultern und sah ihr in die Augen. »Ich bin verhaftet worden. Der Mann, für den ich gearbeitet habe — er hat mich verpfiffen. Ich bin im Scotland Yard aufgewacht.
Sie hob die Hand und berührte seine Wange. »Haben die das getan?«
»Wir hatten eine kleine Meinungsverschiedenheit«, sagte er. »Ich wollte nach Hause. Sie wollten mich nicht gehen lassen.«
»Aber das hast du geregelt?«
»Wie meinst du das?«
»Du bist jetzt hier. Du hast es in Ordnung gebracht, ja? Da wird nichts mehr passieren?«
»Mal sehen.«
»Was heißt das?«
»Ich muss verreisen.«
»Wohin?«
»Nach Schottland.«
»Warum musst du nach Schottland?«
»Ein Mann war heute Morgen bei mir in der Zelle. Er kommt von der Regierung. Er sagt, es wird keine Anklage geben, wenn ich für ihn arbeite.«
»Was für eine Arbeit ist das?«
»Das weiß ich nicht«, sagte er ehrlich.
»Und wie lange soll das gehen?«
»Zwei Wochen. Dann komme ich wieder nach Hause, und alles wird sein wie vorher.«
»Und was erzähle ich Sean?«
»Ich weiß es nicht«, sagte Jimmy. »Vielleicht, dass ich arbeiten muss und zurückkomme, sobald ich kann. Und dass ich ihm etwas mitbringe.«
»Du willst ihm ein Geschenk mitbringen und hoffst, dann wird er vergessen, dass du uns zwei Wochen allein gelassen hast?«
»Komm schon, Darling. Ich tue mein Bestes. Ich will ja auch nicht weg.«
»Dann bleib hier.«
»Das geht nicht. Wenn ich hierbleibe, stellen sie mich vor Gericht. Sie haben mich am Kragen, und sie werden mich anklagen.«
Sie drehte das Gesicht zur Seite, um die Tränen wegzuwischen, ohne dass er sie weinen sah. »Das muss anders werden«, sagte sie. »Ich kann das nicht mehr. Ich mache mir Sorgen. Jedes Mal wenn du zur Arbeit gehst, habe ich Angst, du kommst nicht zurück. Letzte Nacht dachte ich, es ist etwas passiert. Ich dachte, du bist verletzt oder Schlimmeres. Ich …«
Sie sprach nicht zu Ende, sondern schluchzte stattdessen. Ihre Schultern zuckten, und Jimmy zog sie wieder an sich, umarmte sie und hielt sie fest, bis das Weinen nachließ.
»Es wird aufhören«, sagte er. »Wenn ich zurückkomme, wird alles anders.«
»Das hast du schon öfter gesagt.« Ihre Stimme klang rau.
»Aber diesmal meine ich es ernst. Keine Nachtarbeit mehr. Ich arbeite legal. Das Haus ist bezahlt, und ich suche mir einen Job. Etwas Koscheres. Versprochen.«
Er hörte eine Hupe draußen.
»Wer ist das?«, fragte Isabel.
»Der Mann, der mich heute Morgen rausgeholt hat. Ich muss jetzt mit ihm fahren.«
Sie umarmte ihn fester und vergrub das Gesicht an seinem Hals. Er konnte ihre Tränen riechen. Sanft löste er ihre Arme von seinen Schultern. Ihr Gesicht war nass, und er wischte die Tränen ab.
»Ich will nicht, dass du weggehst.«
»Ich will auch nicht weggehen, aber ich muss. Sag Sean, ich hab ihn lieb. Ich komme zurück, sobald ich kann.« Er nahm ihr Gesicht in beide Hände und küsste sie. »Ich liebe dich«, sagte er.
Er wandte sich ab, bevor er es sich anders überlegen konnte, öffnete die Tür und ging durch den Vorgarten zum Gehweg. Er spürte, dass seine Augen feucht waren, und blinzelte. Mackintosh sollte ihn nicht weinen sehen. Er ging zu dem Jaguar und öffnete die Tür.
»Fertig?«, fragte Mackintosh.
Jimmy nickte. Er wagte nicht, zu sprechen, weil er befürchtete, seine Stimme könnte brechen.
Mackintosh legte den Gang ein, und der Wagen fuhr an. Jimmy schaute in den Rückspiegel, als sie sich in den Verkehr einreihten. Isabel stand in der Haustür und sah ihm nach.