E s war ein beständiger Quell der Enttäuschung für Generaloberst Karl-Heinz Sommer, dass sein Büro sich nicht in Haus eins des Ministeriums für Staatssicherheit befand. Der riesige Gebäudekomplex des Ministeriums reichte bis über die Ruschestraße hinweg; hier organisierte man die Arbeit der Stasi und das gewaltige Netz ihrer Informanten. Das Ministerium hatte eine einfache Aufgabe: Es hatte den Staat zu bewahren und zu beschützen. Sommers Aufgabe war es, Macht zu erlangen, zu konsolidieren und auszuüben. Es war bedauerlich, dass seine Position, so bedeutend sie war, nicht genügte, um ihn auf die Leitungsebene zu befördern. Dort wollte er sein, dort wohnte die wahre Macht. Aber es gab auch manch tröstenden Ausgleich für seine Enttäuschung. Der Luxus in diesem Haus, zum Beispiel, war nicht zu vergleichen mit der tristen Einrichtung in dem Gebäude, in dem die Leitungsebene des Ministeriums zu Hause war. Herr Pabst musste sich mit fadenscheinigen Teppichen begnügen, mit Wänden in Behördengrün und mit Möbeln, die man im besten Fall als zweckmäßig bezeichnen konnte.
Dieses Gebäude hatte Sommer selbst ausfindig gemacht. Es war eine Ruine gewesen, benutzt und abgenutzt durch russische Truppen und dann dem Verfall überlassen. Vor dem Krieg war es ein Pfarrhaus gewesen, jahrhundertealt, und noch immer trug es die architektonischen Züge, die sein Alter kennzeichneten wie Ehrenabzeichen. Sommer hatte der Verwaltung in den Ohren gelegen, bis er einen Etat für die Instandsetzung bekommen hatte, und dann hatte er sich Zeit genommen, um dafür zu sorgen, dass alles richtig gemacht wurde.
Im obersten Stock befand sich eine private Suite, in der er wohnte, wenn er, was selten vorkam, nicht arbeitete. Die drei Stockwerke darunter boten Platz für seine Mitarbeiter: Büros, Besprechungsräume, ein Schreibzimmer. Der Keller darunter war nach seinen spezifischen Anforderungen ausgehoben und ausgebaut worden. Sein Vernehmungsraum war dort, ein Ort, an dem er viele Stunden lang die köstlichsten Freuden genossen hatte. Alle seine Vorgaben waren präzise gewesen: die exakte Schräge des Fußbodens, ein flaches V, das in der Mitte des Raums eine Rinne bildete, die zu einem Abfluss führte. Der Edelstahltisch mit den Ledergurten, der auf einer Achse schräg aufwärts- oder abwärtsgeneigt werden konnte, damit Blut und Körperflüssigkeiten besser abgespült werden konnten. Die Werkzeuge, die in einer genauen Anordnung an Haken an der Wand hingen. Daneben lag die Wasserzelle, ebenfalls von ihm geplant. Verdachtspersonen, die ihm in die Hände fielen, unterzog er hier einem Verfahren, das er »Tauchvernehmung« nannte. In der Zelle gab es ein anderthalb Meter tiefes Loch, das bei Bedarf mit eiskaltem Wasser gefüllt wurde. Er hatte festgestellt, dass die Angst vor dem Ertrinken bei der Beschaffung von Informationen oft wirkungsvoller war als andere, traditionellere Techniken.
Und dann war da der Tresorkeller. Sein Stolz und seine Freude. Er war der einzige lebende Mensch, der wusste, wie man dort hineingelangte. Es war das Zentrum seiner Macht, der Aufbewahrungsort für Akten, Tonbandaufzeichnungen und kompromittierendes Material — jawohl, und für die Beute, die er im Laufe der Jahre zusammengetragen hatte.
In seinem Büro im dritten Stock sah Sommer sich um und rief sich in Erinnerung, dass er durch ästhetischen Genuss wettmachte, was ihm an Prestige fehlte. Ein dicker blutroter Teppich bedeckte den Boden im Büro. Die Einrichtung war klassisch: ein antiker Walnussholz-Schreibtisch, ein Rolltop-Sekretär, ein Sofa im alten französischen Stil und Lampen mit goldfarbenen Sockeln und seidenen Schirmen. Sommer schaute in den Rokoko-Spiegel und zog seine Krawatte zurecht, bevor er sein Jackett überstreifte. Die Offiziersuniform der Stasi hatte eine bemerkenswerte Ähnlichkeit mit der Uniform, die er als erste getragen hatte — mit der Uniform der Allgemeinen SS.
Er schloss die Augen. Nie hatte er versucht, die Erinnerung an das, was er erlebt hatte, zu tilgen. Warum sollte er? Er hing ihr oft nach. Was ihm in Berlin passiert war, war sein Motiv gewesen, der Grund für seine Energie, der Schmelztiegel, in dem sein Charakter geformt worden war.