D er Eingang lag in einer Nische, und das Dach eines breiten Vorbaus reichte bis zum Gehweg. Cameron und Fisher gingen als Erste, Mackintosh und Walker folgten ein paar Schritte weit hinter ihnen. Mackintosh sah den Bodyguard, der Geipel abgeliefert hatte, gleich vor der Tür. Er war groß und breitschultrig, fast zwei Meter groß und kräftig gebaut. Ein orangegelber Funke glühte auf, als er sich eine Zigarette anzündete; dann lehnte er sich an die Wand und inhalierte.
Mackintosh warf einen Blick hinter sich. Zehn Schritte hinter ihm kam Walker. Sonst war niemand da, weder auf der Straße noch vor ihnen. Zu sehen war nur der Bodyguard. Die beiden Soldaten gingen langsamer. Ein Auto bog in die Straße ein. Sie warteten, bis es vorbeigefahren war, und gingen dann wieder schneller.
Cameron war als Erster am Gebäude. Der Bodyguard drehte den Kopf, als er die Schritte hörte. Er musterte ihn von oben bis unten, und die Zigarette verharrte auf halbem Weg zu seinen Lippen.
»Entschuldigung«, sagte Cameron auf Englisch, und der Mann zog verwirrt die Stirn kraus. Cameron rammte ihm den Kolben der MP5 ins Gesicht. Wehrlos stolperte er zurück, und Cameron setzte nach, packte ihn am Kragen und ließ den Kolben der MP5 auf seinen Schädel niederfahren. Der Bodyguard kippte vornüber, und Fisher kam heran und half, den Mann aufzufangen. Cameron sprang hinten herum und schob die Arme unter die Achseln des Bodyguards. Zusammen schleiften sie ihn ins Gebäude.
Mackintosh folgte ihnen in den Hausflur und sah sich um. Die Umgebung sah wüst aus: abblätternde Farbe an den Wänden, Wasserpfützen und Müllberge, die sich an den Rändern gesammelt hatten. Zerknülltes Papier raschelte in dem Wind, der durch zerbrochene Fenster hereinwehte. Cameron schleifte den Bodyguard über den Boden, und die Absätze des Mannes zogen eine doppelte Spur durch den matschigen Dreck, den zahllose Schuhsohlen hereingetragen hatten.
Rasch ließ Mackintosh den Blick durch den Rest des Hausflurs wandern. Es gab Aufzüge, aber die Türen waren mit Brettern vernagelt. Links begann die Feuertreppe, die zu den oberen Etagen hinaufführte. Cameron schleppte den Bewusstlosen durch die Tür und zum nächsten Treppenabsatz hinauf, wo niemand ihn im Vorbeigehen sehen würde. Dort ließ er ihn fallen.
»Alles klar?«, fragte er dann.
Mackintosh nickte.
»Wir nehmen die Treppe. Walker, du bleibst hier bei dem Typen. Sorg dafür, dass er schweigt. Wir brauchen nicht lange.«
Walker nickte.
Cameron wandte sich an Mackintosh. »Haben Sie Ihre Waffe?«
Mackintosh schlug seine Jacke zur Seite, sodass man das Holster mit der Beretta sehen konnte.
»Nehmen Sie sie in die Hand. Wir gehen als Erste rein, aber zögern Sie nicht, sie zu benutzen, wenn es nötig ist.«
»Verstanden.«
»Dann los.«
Cameron und Fisher stiegen die Treppe hinauf, und Mackintosh hielt sich dicht hinter ihnen.
Erster Stock.
Zweiter Stock.
Dritter Stock.
Sie erreichten den vierten Stock. Cameron stieß die Treppenhaustür auf und trat hindurch in den Korridor dahinter. Auf der rechten Seite reihten sich Fenster aneinander. Mackintosh spähte durch das erste, das er erreichte, und erblickte die Mauer, den Todesstreifen und den Wachturm, den er schon von der Straße aus gesehen hatte. Im Wachturm standen zwei Grenzposten mit Gewehren.
Auf der linken Seite des Korridors war eine Reihe von Türen. Die erste trug die Nummer 400, sah Cameron; er ging weiter, bis er zu Nummer 414 kam. Davor blieb er stehen und beugte sich vor, um zu lauschen. Auch Mackintosh spitzte die Ohren. Ihm war, als könne er drei Männerstimmen hören: Morgan, Geipel und noch jemand?
Cameron hob die Hand und streckte drei Finger in die Höhe, um Mackintoshs Zählung zu bestätigen. Der Soldat hielt die MP5-SD mit beiden Händen; die rechte umfasste den Pistolengriff, die linke das Verschlussgehäuse. Er machte einen Schritt nach rechts und drehte sich so, dass er mitten vor der Tür stand. Fisher kam dazu und stellte sich neben ihn und vor den Türknauf.
Cameron flüsterte: »Drei, zwei, eins, rammen !«
Fisher holte mit dem rechten Fuß aus und trat dicht unterhalb des Knaufs gegen die Tür.
Das dünne Sperrholz splitterte rings um das Schloss, und die Tür flog in die Wohnung zurück. Cameron zielte mit leicht gekrümmten Ellenbogen nach vorn. Mackintosh war noch im Korridor und konnte nicht in die Wohnung hineinsehen, aber er hörte das Rattern der MP5-SD, als Cameron schoss. Der Schalldämpfer milderte den Lärm ein wenig, aber laut war es immer noch. Eine kurze Pause, dann kam noch ein Feuerstoß.
»Sicher«, meldete Cameron.
Fisher ging als Nächster hinein, Mackintosh folgte ihm und sah sich um. Er stand in einem Wohnzimmer. Geradeaus vor ihm war ein großes Fenster und rechts von ihm eine Tür. Links stand ein beigefarbenes Sofa mit zwei passenden Sesseln, rechts davon ein Couchtisch. Die Wohnung wurde mit Kohle in einem freistehenden Kachelofen beheizt. Am Boden neben dem Fenster stapelten sich ein paar staubige Briketts.
Drei Männer waren im Zimmer. Mackintosh sah Geipel auf Neun-Uhr-Position im Sessel sitzen, und zwei Männer, die er nicht kannte, saßen auf elf Uhr auf dem Sofa. Die beiden waren tot, und Cameron hielt seine Maschinenpistole auf Geipel gerichtet.
»Wie viele noch?«, fragte Cameron auf Deutsch.
»Noch einer«, antwortete Geipel, und sein Blick ging zu der Tür, die nach nebenan führte.
Morgan war der Einzige, der noch fehlte.
Fisher näherte sich der Tür. »Rauskommen!«, rief er.
Die Tür flog auf, und man sah ein kleines, schäbiges Badezimmer. Morgan stand in der Mitte und hielt eine kleine Pistole in der Hand. Er war nur anderthalb Schritte weit weg und konnte nicht danebenschießen. Fisher gab einen Drei-Schuss-Feuerstoß ab, und alle drei Kugeln trafen ins Ziel. Morgan wurde in Hals und Brust getroffen, ein Blutschwall spritzte auf das fleckige Porzellan und den schmutzigen Fliesenboden. Er taumelte rückwärts, stolperte über die Toilettenschüssel und riss den schimmelfleckigen Duschvorhang herunter, bevor er auf dem Boden landete.
Mackintosh drehte sich zu Geipel um. Der Stasi-Offizier trug ein weißes Hemd mit übertrieben breitem Kragen, eine rote Strickjacke und eine beigefarbene Hose. Cameron tastete ihn ab und zog eine Makarow aus einem Clip-on-Holster. Dann zog er den Oberst auf die Beine und stieß ihn rückwärts gegen die Wand.
»Er gehört Ihnen«, sagte er.
Mackintosh trat näher und drückte dem Mann die Mündung seiner Beretta zwischen die Augen.
»Speak English?«
Geipel konnte nicht nicken, weil der Pistolenlauf seinen Kopf an die Wand presste. »Ja«, brachte er hervor.
»Wir gehen jetzt die Treppe hinunter«, sagte Mackintosh. »Wenn Sie irgendeine Dummheit machen, bringen wir Sie um. Das ist kein Bluff. Sagen Sie mir, dass Sie das verstanden haben.«
»Ich habe es verstanden.« In Geipels Blick flackerten abwechselnd Schmerz und Wut.
»Gut.«
Cameron legte Mackintosh eine Hand auf die Schulter. »Sie gehen zuerst. Sorgen Sie dafür, dass die Luft rein ist. Holen Sie Walker, gehen Sie zu Ihrem Wagen und fahren Sie ihn vors Haus. Wo wollen Sie ihn hinbringen?«
»Ich habe in Marienfelde etwas gemietet«, sagte Mackintosh. »Da müssen wir ihn hinbringen.«
Cameron packte Geipels Strickjacke mit der Faust. »Bringen wir ihn raus.«
Mackintosh nickte und ging zur Tür. Cameron wartete einen Moment, riss Geipel von der Wand weg und schob ihn dicht hinter Mackintosh zur Tür.