M ackintosh hatte das Lagerhaus vor sechs Monaten gemietet. Er hatte entschieden, dass es riskant war, diese spezielle Operation vom Konsulat oder einer der anderen Örtlichkeiten aus zu leiten, die ihm zur Verfügung standen. Er war sich darüber im Klaren, dass es beim MI6 ein Maulwurfproblem gab, und er musste sicher sein, dass seine Arbeit hier geheim blieb, jetzt mehr denn je. Das Lagerhaus umfasste zwei Räume, und der erste war ein Büro mit einem Tisch und drei Stühlen. An drei Wänden hatte er Korktafeln befestigt, und an eine davon hatte er einen Stadtplan von Berlin geheftet. Der restliche Platz war ausgefüllt mit Notizzetteln, Zeitungsausschnitten und Karteikarten mit den Notizen zu seinen Kontakten mit PICASSO und neueren Vermerken mit Details zu den Männern, die er im Verdacht hatte, an dem Hinterhalt beteiligt gewesen zu sein. Axel Geipel hatte eine Karte für sich allein. Neben dem Stadtplan hing ein großes Foto. Es zeigte vier Männer in der offiziellen Uniform eines Stasi-Offiziers. Das Foto war ein Jahr zuvor von einem Agenten in Ost-Berlin aufgenommen worden, und zwar bei einem formellen Anlass. Alle hatten sich in Schale geworfen. Geipel war dabei, und Karl-Heinz Sommer stand neben ihm.
Eine Tür führte in den zweiten Raum. Mackintosh nahm das Foto ab, steckte es ein und ging hinüber. Mitten im Raum hing eine nackte Glühlampe von der Decke. Ihr Licht fiel auf Geipel. Der Oberst war gefesselt; seine Handgelenke waren an die Armlehnen seines Stuhls gebunden, die Fußknöchel an die Stuhlbeine. Jimmy Walker stand im Schatten. Im Halbdunkel war sein Gesicht nicht zu erkennen. Cameron und Fisher waren nicht da.
Mackintosh ging zu Geipel und blieb vor ihm stehen. »Wie fühlen Sie sich?«
Geipel antwortete nicht.
»Wir müssen miteinander reden, Herr Oberst.«
»Tatsächlich?« Er sprach Englisch mit starkem Akzent, und seine Stimme troff von Sarkasmus.
»Sie wissen, wer ich bin, oder?«
»Allerdings«, sagte Geipel. »Sie hätten in London bleiben sollen. Es war nicht klug, hierher zurückzukommen.«
»Darüber werden wir uns nicht einigen können. Sie müssen mir mit ein paar Informationen aushelfen.«
»Das habe ich nicht vor.«
»Wirklich nicht? Ich hatte gehofft, wir könnten höflich bleiben.«
Mackintosh zog sich an den Rand des Raums zurück. Auf einem Tisch dort lag eine Kollektion von Werkzeugen. Mackintosh hatte sich überlegt, wie er die Vernehmung durchführen könnte. Es gab mehrere Möglichkeiten. Er konnte Geduld zeigen und Geipel erklären, warum er letzten Endes würde kooperieren müssen. Aber dafür hatte er nicht genug Zeit. Er hatte keine Ahnung, wo Günter war, und je länger er wartete, desto schwerer würde es werden, ihn zu finden. Aber Opportunität war nicht der einzige Beweggrund, den Mackintosh in Betracht zu ziehen hatte. Er kannte sich selbst gut genug, um sich einzugestehen, dass Rache ein anderer war, ein lästiger Juckreiz, der ihn die ganze Woche geplagt hatte und den er nicht loswurde. Er wollte endlich kratzen. Élodie war gestorben, und Geipel hatte dabei eine Rolle gespielt.
Und warum nur dieser eine Beweggrund? Er würde die Informationen erhalten, die er brauchte, und er würde ein gewisses Maß an Rache nehmen können. Nicht viel. Aber es war ein Anfang.
Er strich mit den Fingern über die Werkzeuge: ein Bohrer, ein Hammer, ein Meißel. Er betrachtete sie alle, aber schließlich entschied er sich für die unangenehmeren Techniken, die ihm zur Verfügung standen. Er nahm eine spitze Zange vom Tisch und öffnete und schloss sie klickend, sodass Geipel es hören konnte.
»Ich will ehrlich sein, Herr Oberst«, sagte Mackintosh. »Ich werde es genießen. Sie werden mir sagen, was ich wissen will, und ich werde Sie bestrafen für das, was Sie getan haben. Ich werde Ihnen wehtun, und am Ende werde ich kriegen, was ich will, und Sie werden sich wünschen, Sie wären an Weihnachten woanders gewesen.«
Er kam zurück und blieb bei dem Stuhl stehen.
»James«, sagte er, »könnten Sie den Arm des Herrn Oberst für mich festhalten, bitte?«
Walker kam aus dem Schatten. Mackintosh wusste, dass er hart im Nehmen war — das ging klar aus seiner Akte hervor —, aber ihm war, als sehe er leichte Unsicherheit in seinem Blick, als er auf den Stuhl zukam. Er stellte sich hinter Geipel auf, beugte sich vor und hielt seinen Unterarm fest.
Geipel sträubte sich, aber das nützte nichts; die straffen Fesseln schränkten seine Bewegungen ein, und Walker war stark und hatte zudem die Hebelwirkung auf seiner Seite. Mackintosh packte die Hand des Obersts und spreizte den Zeigefinger ab. Er sah den Fingernagel an: Er war abgekaut, und ein schmutziger Halbmond umrandete ihn. Mackintosh fasste den Nagel mit seiner Zange. Mit einem kräftigen Ruck löste er ihn aus dem Bett. Geipel schrie, aber das machte nichts — niemand würde ihn hören. Mackintosh packte den Finger fester und riss noch einmal. Der Nagel löste sich ganz aus seinem Bett, und sofort quoll Blut blasig auf, wo er gesessen hatte.
Mackintosh wartete, bis Geipel aufhörte zu schreien.
»Ich habe ein paar Fragen«, sagte er. »Und Sie werden sie mir beantworten.«
»Fuck you«, keuchte Geipel.
Mackintosh ignorierte seine Worte. Er packte Geipels Mittelfinger und umklammerte den Nagel mit der Zange.
»Wo ist Günter Schmidt?«
»Fuck you«, wiederholte Geipel. »Englischer Schweinehund — Sie hatten einmal Glück, dass Sie entkommen sind. Noch einmal werden Sie so viel Glück …«
Mackintosh riss den Nagel mit einer einzigen Bewegung heraus. Geipel konnte seinen Schrei nicht unterdrücken. Er war bleich; alles Blut war aus seinem Gesicht gewichen. Er rang keuchend nach Atem und starrte auf seine blutigen Fingerspitzen.
»Sie können mit mir machen, was Sie wollen«, sagte er mit dünner, hoher Stimme. »Es gibt Hunderte von Männern, die meinen Platz einnehmen können. Man wird Sie aus Berlin verjagen, Sie und Ihresgleichen. Sie werden nach Hause gehen und sich wünschen, Sie wären niemals hier gewesen.«
»Wo ist Schmidt?«
Geipel keuchte einen Mundvoll Schleim aus dem Rachen herauf und spuckte ihn Mackintosh vor die Füße.
»Auch gut«, sagte Mackintosh. »Vielleicht versuchen wir es anders.«
Er ging zu seinem Werkzeugtisch und nahm den Bohrer in die Hand. Er steckte den Stecker in die Dose, kam zurück zum Stuhl und betrachtete Geipel von oben bis unten: Handgelenke, Ellenbogen, Knie, Hüften. Er entschied sich für ein Knie und drückte den Bohrer gegen den Knochen. Er startete die Maschine, und sie heulte auf und biss sich durch den Stoff der Hose in die dünne Haut.
»Okay!«, schrie Geipel. »Hören Sie auf!«
Mackintosh zog den Bohrer zurück und ließ den Startknopf los. »Wo ist Schmidt?«
»Am Roedeliusplatz.«
»Wo Sommer wohnt?«
»Ja.«
»Erzählen Sie mir davon.«
»Er wohnt da in einem Altbau, den er hat renovieren lassen. Er hat Zimmer im obersten Stock, ein Büro darunter und den Keller.«
»Was ist im Keller?«
»Die Zellen, Vernehmungsräume und sein Tresor.«
»Zeichnen Sie mir einen Plan?«
»Ja.«
»Und er weiß von Schmidt und Pabst?«
»Natürlich.«
»Und was ist mit Schmidts Fotos?«
»Er wollte ihm nicht sagen, wo sie sind. Er will, dass Sommer ihn erst über die Grenze bringt.« Er lachte, aber der Schmerz ließ es verzerrt klingen. »Dazu wird es niemals kommen. Er ist verrückt, wenn er glaubt, er kommt je wieder raus. Sommer hat es nicht gern, wenn jemand nein sagt. Er wird ihn selbst verhören, und dafür nimmt er sich Zeit. Schmidt wird es ihm nach den ersten Minuten sagen, und dann wird Sommer ihn für seine Unverschämtheit bestrafen.«
»Wann soll das passieren?«
»Sommer will diese Bilder haben. Er wird nicht lange warten.«