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J immy schlief in dieser Nacht unruhig. Immer wieder sah er sich in dem Lagerhaus mit Geipel auf dem Stuhl und Mackintosh, der den Bohrer auf sein Knie presste. Schweißnass und mit rasendem Puls wachte er auf. Er sah auf die Uhr: Es war fünf Uhr früh. Er strampelte die Decke weg und blieb nackt im Bett liegen. Der Schweiß trocknete auf seiner Haut, und er schloss die Augen. Der Nachglanz der Bilder aus dem Lagerhaus verblasste, und er griff nach dem Foto von Isabel und Sean, das Mackintosh ihm dagelassen hatte. Er konzentrierte sich auf ihre Gesichter, und schnell veränderte sich der Ton seiner Erinnerungen. Er war wieder bei den beiden — spielte Fußball mit seinem Jungen, aß mit Isabel zu Abend, eine glückliche Familie zu dritt. Er dämmerte wieder ein, und ein Lächeln lag auf seinem Gesicht.

* * *

Ein Klopfen an der Tür weckte ihn. Ein Blick auf die Uhr: Es war neun. Er hatte verschlafen. Er stand auf, zog sich an und tappte auf bloßen Füßen zur Tür. Er öffnete sie einen Spaltbreit, ohne die Sicherheitskette abzunehmen, und spähte hinaus.

»Machen Sie auf, James.«

Er schloss die Tür, nahm die Kette ab und öffnete sie wieder, damit Mackintosh hereinkommen konnte.

»Haben Sie gut geschlafen?«

»Nicht besonders.«

»Es muss reichen. Wenn alles gut läuft, gehen Sie heute Nachmittag über die Grenze. Sie werden sich mit Sommer treffen. Das wird Ihre Chance sein, Schmidt zu finden.«

»Und Sommer umzulegen.«

»Das wäre ideal.«

Auf dem Sekretär stand ein Korb mit Teebeuteln. Jimmy hob ihn hoch. »Auch einen?«

Mackintosh nickte.

Jimmy schaltete den Wasserkocher ein.

»Sie sind immer noch bereit dafür?«

»Habe ich eine Wahl?« Mackintosh antwortete nicht. »Von mir aus. Je eher ich fertig bin, desto eher kann ich nach Hause.«

Wieder antwortete Mackintosh nicht. Jimmy sah ihn an: Zögern lag in seinem Blick. Er goss heißes Wasser in einen Becher, hängte einen Teebeutel hinein und reichte Mackintosh den Becher.

»Oder?«, drängte Jimmy.

Mackintosh stellte seinen Tee auf den Sekretär. »Wir müssen einander vertrauen können, James. Ich werde Sie nicht im Auge behalten können, wenn Sie über die Grenze gegangen sind. Ich werde darauf vertrauen müssen, dass Sie tun werden, worum man Sie gebeten hat. Und Sie werden mir vertrauen müssen.«

»Sie wollen Vertrauen ?«, fragte Jimmy. »Ich vertraue Ihnen nicht die Bohne. Sie bekommen mein Vertrauen nicht, weil Sie etwas gegen mich in der Hand haben. Sie bekommen mein Vertrauen nicht, indem Sie mich zwingen, für Sie zu arbeiten. Vertrauen muss man sich verdienen

»Tut mir leid, dass Sie es so sehen.«

»Es geht hier nicht um Vertrauen. Ich muss Ihnen nicht vertrauen. Ich muss die Konsequenzen abwägen. Ich weiß, was passiert, wenn ich nicht tue, was Sie wollen. Ich komme ins Gefängnis. Das habe ich begriffen. Aber es gibt auch Konsequenzen für Sie.«

»Tatsächlich?«

»Ich stehe zu meinem Wort. Ich werde tun, was Sie verlangen, aber Sie sollten eins wissen: Wenn Sie mich verarschen, werden Sie sich bei unserer nächsten Begegnung wünschen, Sie hätten es nicht getan.«

Mackintosh trat ans Fenster, und einen Moment lang starrten sie beide hinüber nach Ost-Berlin. »Wir wollen hoffen, dass es so weit nicht kommt.«

»Aye«, sagte Jimmy. »Das wollen wir.«

Mackintosh deutete auf die Mauer. Aus der Höhe war sichtbar, wie sie sich wie eine Narbe quer durch die Straßen zog.

»Ich organisiere einen Grenzübertritt für Sie. Es gibt jemanden, der Ihnen dabei helfen kann. Sie werden sie heute Morgen kennenlernen. Ihr Name ist Oxana, und sie arbeitet für die Russen. Das glauben die Russen jedenfalls. Sie arbeitet auch für uns. Wenn sie sagt, Sie sollen etwas tun, empfehle ich Ihnen, es zu tun. Keine Abweichungen. Selbstständigkeit kann dazu führen, dass Sie erschossen werden. Oxana ebenfalls, und das werde ich Ihnen nicht verzeihen.«

»Einverstanden«, sagte Jimmy.

Mackintosh wandte sich vom Fenster ab und schaute Jimmy an.

»Sie müssen sehr, sehr vorsichtig sein. Wenn Sie am Grenzübergang irgendetwas versuchen, wenn den Grenzern irgendetwas an Ihnen verdächtig vorkommt, wenn Sie etwas tun, das denen unbehaglich ist, dann werden die Sie beide erschießen. Das habe ich schon erlebt.«

Mackintosh ging zu dem Stuhl, über den Jimmy seine Jacke gelegt hatte. Er nahm sie auf und warf sie ihm zu.

»Fertig?«

»Jetzt sofort?«

»Jetzt oder nie.«