E in Türsteher stand vor dem Eingang. Er trug eine Lederjacke und Lederhandschuhe und hatte sich eine Wollmütze fest über den runden Schädel gezogen. Solche Mützen nannte man in Belfast »Jolly Begs«, und bei der Erinnerung daran musste Jimmy lächeln. Isabel hatte es nicht verstanden, und er hatte ihr erklären müssen, dass »Bag« in Belfast »Beg« ausgesprochen wurde. »Fröhlicher Beutel«. Sie verstand es immer noch nicht, aber um ehrlich zu sein, Jimmy auch nicht. Er hatte keine Ahnung, warum man solche Mützen so nannte, aber es gefiel ihm, den Dingen einen vertrauten Namen geben zu können. Es gefiel ihm, dass es sogar in der Kälte von Ost-Berlin, einem Ort, der im Vergleich zu allem, was er kannte, so fremdartig war, so anders als die Summe seiner Erfahrungen, immer noch Dinge gab, die ihn an die Vergangenheit erinnern konnten, an ein unschuldiges Lachen mit der Frau, die eines Tages, so hoffte er, seine Frau werden würde.
Der Türsteher klatschte in die Hände und rieb sie, um sie zu wärmen. Sein Atem kam in Nebelwolken aus seinem Mund, als er Jimmy begrüßte. Jimmy verstand ihn nicht, aber er nickte zur Antwort, als er auf den Gehweg trat und auf den Eingang zuging.
Der Türsteher trat vor und versperrte ihm den Weg.
»Ich bin hier mit jemandem verabredet«, sagte Jimmy.
Der Türsteher schüttelte den Kopf. Jimmy bezweifelte, dass er ihn verstanden hatte.
»Müller«, sagte Jimmy. »Ich will zu Müller.«
Der Mann hörte den Namen und trat zur Seite. Jimmy ging durch die Tür. Schweißgeruch schlug ihm entgegen wie ein Vorschlaghammer, als er über die Schwelle trat. Das Lokal war rappelvoll. Rote Glühlampen erfüllten es mit einer hektischen Höllenatmosphäre. Die Gäste waren ausschließlich Männer. Die meisten waren betrunken. Ein Dutzend drängte sich an der Bar. Bedrohlich stierten sie die Barfrau an und hielten Geldscheine in den Fäusten, die sie ihr entgegenstreckten. Auf der anderen Seite des Lokals, links bei den Fenstern, standen zehn runde Tische, die jeweils Platz für drei oder vier Stühle boten.
Jimmy sah sich unter den Gesichtern um, bis ihm an einem der Tische ein Mann auffiel. Er war klein und gedrungen und offensichtlich kräftig gebaut. Sein Haar war sehr kurz geschoren, fast bis auf die Kopfhaut. Er trug einen schwarzen Ledermantel und einen dunklen Rollkragenpullover und war glattrasiert. Er sah aus wie ein Soldat. Jimmy dachte an die SAS-Männer in Ulster; sie waren kleiner, als man erwarten würde, körperlich weniger beeindruckend, aber ihre Haltung war eindeutig, wenn man sie einmal kannte. Dieser Mann wirkte genauso: selbstbewusst, kompetent und dominant.
Und er starrte Jimmy an.
Jimmy zwängte sich zum hinteren Teil durch und bis zum Tisch. Der Mann blickte zu ihm auf, mit hartem Gesicht und dumpfer Feindseligkeit im Blick.
»Müller?«, fragte Jimmy.
»Ja«, sagte der Mann.
»Ich bin Jimmy Walker.«
Müller nickte. »Ich weiß.«
»Freut mich, Sie zu sehen. Was dagegen, wenn ich mich setze?«
Müller zuckte die Achseln und deutete fingerschnippend auf einen freien Stuhl.
Jimmy setzte sich.
Als Müller schließlich sprach, klang seine Stimme leise, und sein Englisch hatte einen starken Akzent. »Wie gefällt es Ihnen in Berlin?«
Jimmy lächelte ihn an. »Die Geschäfte sind leer, das bisschen Essen, das es gibt, schmeckt mir nicht, die Leute sind schlecht gelaunt, die Propagandamalereien sind gut ausgeführt, und das Wetter ist beschissen. Ganz wie zu Hause.«
Müller starrte ihn an, und einen Moment lang fragte Jimmy sich, ob er seine Bemerkung als Beleidigung aufgefasst hatte.
»Sie haben Humor«, sagte Müller schließlich mit nicht der leisesten Andeutung eines Lächelns.
»Ich bin gern gefällig.«
»Ich weiß natürlich ein bisschen über Sie.«
»Ich hoffe, nur Gutes.«
»Sie sind aus dem County Louth.«
»Aus Belfast«, korrigierte Jimmy. »Wollen Sie mich testen?«
Müller reagierte nicht auf Jimmys Grinsen. »Geboren 1960. Eintritt in die IRA, verantwortlich für die Aufsicht über die Waffenlager der Organisation.«
»Alles korrekt bis jetzt.«
»Jetzt leben Sie mit Ihrer Freundin und Ihrem Sohn in London.« Müller starrte ihn an. »Isabel und Sean.«
Jimmy gelang es, das unwillkürliche Zucken der Panik zu unterdrücken. Er hatte keine Ahnung, wie Mackintosh seine Tarngeschichte konstruiert hatte. Er hatte angenommen, das meiste werde frei erfunden sein, aber als jetzt die Namen seiner Freundin und seines Sohnes im Raum standen, begriff er, dass dem nicht so war. Sie hatten Stränge seines wahren Lebens mit der Fassade verwoben, die sie für ihn errichtet hatten. Er wusste, warum: Je mehr von seiner Geschichte wahr und verifizierbar war, desto besser war die Täuschung. Trotzdem hatte es ihn kalt erwischt, und es machte ihn wütend, dass Mackintosh so etwas tat, ohne ihn einzuweihen.
»Was ist?«, fragte Müller.
»Warum erwähnen Sie meine Familie?«
»Um Ihnen zu demonstrieren, dass wir die Männer und Frauen, mit denen wir uns einlassen, sorgfältig unter die Lupe nehmen.«
»Für mich klang es wie eine Drohung.«
»Es war keine Drohung …«
Jimmy redete über ihn hinweg. »Wenn Sie den Namen meiner Freundin oder meines Sohnes noch einmal in den Mund nehmen, haben wir ein Problem. Haben Sie verstanden?«
Müller musterte ihn. »Beruhigen Sie sich, Herr Walker. Ich drohe weder Ihnen noch Ihrer Familie. Die Informationen über Sie stimmen. Sonst hätten Sie sich gar nicht mit mir treffen dürfen. Aber jetzt — kann ich Ihnen etwas zu trinken bestellen?«
Jimmy deutete mit einer Kopfbewegung auf die leeren Bierkrüge auf dem Nachbartisch. »So eins«, sagte er.
Müller rief etwas auf Deutsch, zeigte auf die Krüge und hob zwei Finger. Jimmy drehte sich um und sah einen Mann, der am Tresen gestanden und sie vermutlich beobachtet hatte, für den Fall, dass man ihn brauchen sollte. Der Mann funkelte ihn an, drehte sich zur Theke um und pfiff nach der Barfrau.
»Sie mögen deutsches Bier, Herr Walker?«
»Stout ist mir lieber.«
»Ah ja. Guinness.«
»Bekommt man das hier?«
»Natürlich nicht. Aber ich habe schon im Ausland gearbeitet. In London.«
Der Mann vom Tresen kam herüber und stellte zwei Bierkrüge auf den Tisch.
»Das ist Kirchers Pils aus der Brauerei in Drebkau. Es ist das beste in der DDR.«
Müller hob seinen Krug. Jimmy tat es auch, und sie stießen miteinander an und tranken. Müller beobachtete ihn beim Trinken. Das Bier war anständig, wenn auch ein bisschen warm, und Jimmy trank seinen Krug halb leer.
»Schmecktʼs Ihnen?«
»Nicht schlecht.« Jimmy hob den Krug noch einmal an die Lippen, trank den Rest und wischte sich mit dem Handrücken über den Mund. »Nehmen wir noch eins?«
Müller trank aus und stellte seinen Krug neben Jimmys. Noch einmal hob er zwei Finger, und der Mann an der Bar drehte sich wieder um.
»Was wollen Sie?«, fragte Müller.
»Ich bin zum Einkaufen hier. Sie wissen, wen ich vertrete. Wir haben einen gemeinsamen Feind. Und der Feind meines Feindes ist mein Freund. Sie verstehen?«
»Ich verstehe, Herr Walker. Aber wir sind keine Freunde.«
»Nicht? Oberst Gaddafi war unser Freund, und er hat viel Geld mit uns verdient, aber er kann uns nicht mehr beliefern. Die Transportrouten nach Libyen sind geschlossen. Wir sind auf der Suche nach einem Ersatzlieferanten.«
»An was für Waren haben Sie gedacht?«
»Ich habe eine lange Einkaufsliste. Vorläufig brauche ich RPG-7. Sowjetische Granatwerfer, keine billigen Imitate aus Südostasien. Panzerbrechende und Antipersonengranaten, vielleicht vom Typ PG-7VL. Hundertfünfzig Granaten und, sagen wir, fünfzig Granatwerfer.«
»Das ist eine Menge Artillerie.«
»Das ist nur der Anfang. Wenn alles gut geht, werden wir nachbestellen. Zweihundertfünfzig RPG und fünfhundert Granaten. Dazu automatische Waffen und Munition.«
»Sonst noch was?«
»Semtex und Sprengkapseln.« Er sah Müller an. »Können Sie sich das alles merken?«
»Das schaffe ich schon. Aber sagen Sie mir — warum sollten wir an Sie verkaufen?«
»Herr Sommer wird für seine Mühen fürstlich entlohnt werden. Ich bin kein Idiot — die Waffen werden ihn nichts kosten. Sie werden aus den Zentralbeständen kommen, und er wird den kompletten Kaufpreis einstecken. Es sei ihm gegönnt. Mir ist es scheißegal.«
»Und Sie glauben, Geld ist ein Motiv für ihn?«
»Es gibt noch andere Erträge. Wir wärʼs mit einer stark verkleinerten britischen Geheimdienstmannschaft in Berlin? Wäre das hilfreich?«
»Reden Sie weiter.«
»Erinnern Sie sich an den Angriff auf die Regierung im Jahr 1984? In Brighton?«
»Natürlich. Der Bombenanschlag auf das Hotel.«
Jimmy lächelte. »Der britische Geheimdienst war für ein Jahr am Boden. Agenten wurden zurückbeordert. Jeder entbehrliche MI5- und MI6-Agent kehrte nach Hause zurück, um nach den Schuldigen zu fahnden. Stellen Sie sich vor, wie es wäre, wenn wir uns London, Manchester und Birmingham mit Granatwerfern vornähmen. Ein Dutzend mobile Einheiten, gut ausgebildet und sehr beweglich, die zuschlagen und verschwinden, zuschlagen und verschwinden, immer wieder. Solche Einheiten sind jetzt überall im Land und warten auf solche Waffen. Sagen Sie mir nicht, das ist nicht in Ihrem Interesse.«
»Nur, wenn sie nicht zu uns zurückverfolgt werden könnten.«
»Ich bin sicher, die Geschäfte des Generalobersten laufen allesamt unterm Tisch. Sie können die Nummern der Waffen wegfeilen, wenn Sie wollen. Wie sollte man sie zurückverfolgen? Wir können so vorsichtig vorgehen, wie Sie wollen.«
Müller sog die Wange zwischen die Zähne, während er über das Angebot nachdachte.
»Und?«, fragte Jimmy. »Ja oder nein?«
»Der Generaloberst wird eine Anzahlung verlangen. Etwas, das ihm zeigt, dass Sie Ihren Teil des Geschäfts erfüllen können.«
Jimmy hob die Tasche vom Boden auf und stellte sie auf den Tisch. Er öffnete den Reißverschluss und zog die Tasche auseinander, sodass Müller hineinschauen konnte.
»Das sind fünfzigtausend«, erklärte er.
»Ost?«
»D-Mark.«
Müller warf einen Blick in die Tasche. Dann starrte er Jimmy an und taxierte ihn.
»Und?«, fragte Jimmy. »Ein einfaches Ja oder Nein. Wenn Sie nicht glauben, dass Ihr Boss an mich verkaufen möchte, soll es mir recht sein. Sagen Sie es mir gleich, und ich steige ins nächste Flugzeug nach Moskau. Der KGB wird sich auf den Pelzmantel treten, vor lauter Eifer, mit uns zu kooperieren.«
Müller schloss die Tasche und nahm sie vom Tisch. »Ich melde mich.«
»Und?«
»Wenn der Generaloberst sich mit Ihnen treffen will, werden Sie es erfahren.«
»Gut. Aber eins noch. Ich werde die Ware sehen wollen, bevor wir ins Geschäft kommen. Wenn er sich mit mir treffen will, sagen Sie ihm, er soll Muster bereithalten, die ich inspizieren kann. Granatwerfer, Granaten, Sprengstoff, Zünder.«
»Fahren Sie wieder in Ihr Hotel, Herr Walker.«