J immy stand früh auf. Es hatte die ganze Nacht geschneit, und die Straßen waren verstopft und zum Teil unpassierbar. Arbeiterinnen in knallroten Overalls sprühten Chemikalien auf die Straße, und uralte Schneepflüge, die teilweise kaum noch fahren konnten, räumten die Schneewehen zur Seite und bahnten Pfade zwischen geparkten Autos, die vollständig unter der weißen Decke verschwunden waren.
Jimmy stapfte durch den Schnee. Seine Boots versanken rasch bis über den Schaft, und die Kälte erreichte seine Füße. Er dachte an den vergangenen Abend und das Treffen mit Müller. Oxana hatte ihn zurück zum Hotel gefahren und die Situation im Wagen mit ihm besprochen. Jimmy hatte den Eindruck, das Treffen sei gut verlaufen, aber es fiel ihm schwer, Müller einzuordnen. Oxana versprach, Kontakt mit ihm aufzunehmen, um zu erfahren, ob der Generaloberst zu dem Geschäft bereit sei.
Bis dahin wäre Jimmy wieder auf sich gestellt. Er ging zum Frühstücken in das Café und sah, dass dieselben Leute, die am Tag zuvor da gewesen waren, auch jetzt wieder hier saßen. Vorwurfsvoll beäugten sie die Wetterbedingungen draußen und maulten über die neuesten Unannehmlichkeiten, die ihnen bevorstanden. Jimmy bestellte Würstchen und Tee wie am Tag zuvor und setzte sich zum Essen an einen Tisch. Als er aufblickte, sah er den Mann, der ihm gestern gefolgt war, im Eingang. Jimmy nahm an, dass er für die Stasi-Abteilung arbeitete, die für die Überwachung von Ausländern zuständig war. Der Mann stampfte mit den Füßen auf, um den Schnee von den Stiefeln zu schütteln, und kam herein. Der Besitzer beobachtete ihn wachsam; höchstwahrscheinlich war ihm klar, mit wem er es zu tun hatte. Er schenkte einen Becher Kaffee ein. Der Mann setzte sich an einen Tisch auf der anderen Seite des Cafés, wo er Jimmy im Auge behalten konnte.
Jimmy hatte genug. Er nahm seinen Teller und seinen Tee und ging durch das Lokal. Der Mann sah, wie er auf ihn zukam, und machte große Augen, als er begriff, dass Jimmy zu ihm wollte.
»Morgen«, sagte Jimmy und deutete mit dem Kopf auf einen freien Stuhl. »Was dagegen?«
Der Mann antwortete nicht, aber das war gleichgültig: Jimmy stellte seinen Teller auf den Tisch und setzte sich.
»Jimmy Walker.« Er streckte die Hand über den Tisch. »Und wer zum Teufel sind Sie?«
Der Mann antwortete auf Deutsch.
»Ich hab keine Ahnung, was Sie da sagen, Freundchen«, sagte Jimmy. »Aber ich wette, Sie verstehen mich. Ich weiß, dass ihr mich verfolgt. Wahrscheinlich kann ich kaum etwas sagen, um euch zum Abzug zu bewegen. Also sage ich nur dies: Ihr seid so verdammt unübersehbar, dass es fast beleidigend ist. Verdammt, ihr könntet doch wenigstens versuchen, euch ein bisschen Mühe zu geben. Es ist peinlich. Ihr bringt die ganze Stasi in Verruf.«
Jimmy spießte das letzte Stück Wurst auf die Gabel, schob es in den Mund und spülte es mit dem Rest Tee herunter. Dann ging er zum Tresen, zahlte für sein Frühstück und den Kaffee des Mannes und gab ein großzügiges Trinkgeld.
»Bis morgen«, sagte er.
Der Wirt schaute weg; er hatte keine Lust, zu einem Gast freundlich zu sein, der sich soeben mit einem Geheimpolizisten angelegt hatte.
Jimmy drehte sich zu dem Mann um, der ihn beschattet hatte.
»Kommen Sie?«
Er ging hinaus und schaute durch das Fenster ins Lokal. Der Mann war aufgesprungen und zog sich hastig den Mantel über. Jimmy blieb draußen stehen, bis der Mann seinen Mantel zugeknöpft hatte, winkte ihm vergnügt zu und machte sich auf den Weg zurück zum Hotel. Er wusste, das hätte er nicht tun sollen, aber er hatte nicht widerstehen können. Und eins musste er zugeben: Es mochte kindisch und unklug gewesen sein, aber Spaß hatte es trotzdem gemacht.
* * *
Jimmy legte sich wieder ins Bett und schlief noch drei Stunden. Er hätte länger geschlafen, aber das Klingeln des Telefons weckte ihn.
»Hallo?«
»Ich binʼs. Wie gehtʼs Ihnen?«
Jimmy dachte an das, was Oxana ihm am vergangenen Abend gesagt hatte. Das Zimmer war verwanzt. Das Telefon war verwanzt. Er hatte ein Publikum, und jetzt musste er auftreten.
»Ich werde ungeduldig«, sagte er. »Haben Sie von ihnen gehört?«
»Ja«, sagte Oxana. »Der Generaloberst will Sie heute Abend sehen.«
»Wird auch Zeit, verdammt. Ich hab mich schon gefragt, ob ihm mein Geld vielleicht nicht gut genug ist.«
»Doch, das ist es.«
»Und wie siehtʼs mit meiner Einkaufsliste aus?«
»Er sagt, das lässt sich machen.«
»Gut. Wann und wo?«
»Ich hole Sie heute Abend um acht ab. Die Besprechung wird beim General stattfinden.«