M ackintosh wachte auf und hatte Mühe, die Augen zu öffnen. Er war in einem dunklen Zimmer; nur ein dünner Lichtstreifen drang ein paar Schritte vor ihm unter einer Tür herein. Davon abgesehen war es stockfinster. Der Stuhl, auf dem er saß, war am Boden festgeschraubt. Seine Arme waren mit Handschellen auf dem Rücken gefesselt. Auch seine Beine waren fixiert; die Stahlfesseln waren an den Stuhlbeinen befestigt. Er konnte seine Glieder nur um ein paar Zentimeter in jede Richtung bewegen. Der Schmerz in seinen Muskeln ließ vermuten, dass er schon seit einer Weile in dieser Position saß. Vor allem sein Nacken war steif. Sein Kopf war zur Seite gefallen, und er verzog vor Schmerz das Gesicht, als er versuchte, ihn aufzurichten.
Es dauerte einen Augenblick, bis ihm wieder einfiel, was passiert war. Drei Männer waren in seine Wohnung gestürmt, sie hatten ihn festgehalten und dann betäubt. Er hatte einen trockenen Mund und versuchte, ein bisschen Speichel zusammenzubringen, um ihn anzufeuchten, aber das gelang nicht. Er brauchte dringend etwas zu trinken.
»Hey!«, rief er. »Hey!«
Niemand antwortete. Er versuchte, seine Handgelenke frei zu bekommen, aber die Handschellen saßen fest, und er scheuerte sich nur die Haut auf.
»Ich bin britischer Diplomat! Sie haben kein Recht, mich festzuhalten!«
Er hörte Schritte auf der anderen Seite der Tür. Ein Guckloch wurde aufgeschoben, und ein Strahl von künstlichem Licht fiel herein. Das Licht erlosch, als jemand das Auge an das Guckloch legte und dann den Schieber wieder schloss.
»Aufmachen!«, schrie Mackintosh.
Ein Schlüssel drehte sich im Schloss, und dann wurden Riegel zur Seite geschoben. Die Tür öffnete sich in verrosteten Angeln, und von draußen fiel helles Licht herein. Mackintosh blinzelte und schaute weg, bis seine Augen sich an die plötzliche Veränderung gewöhnt hatten. Dann sah er die Silhouette eines Mannes in der Tür.
»Es tut mir leid, dass ich Sie auf diese Weise herbringen musste.« Der Mann sprach Englisch mit starkem Akzent. »Aber wir müssen miteinander reden, und ich bezweifle, dass das woanders möglich gewesen wäre. Es gibt ein paar Dinge zu besprechen, die ein wenig unerfreulich werden könnten.«
Mackintosh erkannte die Stimme und wusste, mit wem er es zu tun hatte, bevor der Mann sich bewegte und das Licht auf sein Gesicht fiel. Karl-Heinz Sommer trug Uniform, und der dunkelgrüne Stoff wirkte im Halbdunkel beinahe schwarz.
»Sie haben nicht das Recht, so etwas zu tun.«
»Sie können sich eigentlich nicht beklagen, Herr Mackintosh. Sie haben es sich selbst zuzuschreiben. Manch einer würde Ihren Angriff auf mein Safe House als einen Akt der Aggression bezeichnen. Ein sehr unbedachtes Unternehmen. Es hätte eine Krise auslösen können.«
»Es kommt Ihnen eigentlich nicht zu, mich zu kritisieren. Wer im Glashaus sitzt, sollte nicht mit Steinen werfen.«
Sommer lachte leise. »Wer war verantwortlich für das, was da passiert ist? Ich höre, es war der SAS. Sehr beeindruckend. Ich würde die Leute gern kennenlernen.«
»Das würde mir auch gefallen. Vielleicht kann ich Sie bekannt machen.«
Sommer lehnte sich an den Türrahmen, und sein Gesicht lag halb im Dunkeln. »Danke, dass Sie mich auf Günter aufmerksam gemacht haben. Er hat wirklich eine interessante Geschichte zu erzählen. Ich habe mich gefragt, ob es tatsächlich stimmt, aber er ist sehr überzeugend. Vielleicht muss ich ihm noch verraten, was mit seiner Familie passiert ist. Er glaubt, sie sind außerhalb der Stadt, aber das sind sie nicht. Ich habe sie. Er hat mir noch nicht gesagt, wo ich die Fotos finde. Ich dachte mir, ich bringe sie her und lasse sie vor seinen Augen erschießen, einen nach dem anderen. Was meinen Sie? Schließlich sind Sie ja verantwortlich dafür, was aus ihnen wird. Wenn Sie Ihre Finger von ihm gelassen hätten, wäre nichts von alldem passiert. Ich finde, Sie sollten ihm sagen, was mit ihnen passieren wird.«
Mackintosh biss die Zähne zusammen.
»Und es ist schrecklich, was Ihrer französischen Freundin zugestoßen ist. Wie hieß sie noch?«
»Élodie«, sagte Mackintosh leise.
»Élodie . Ich musste nur einen Blick auf sie werfen und wusste gleich, es wäre das Beste, sie von ihren Qualen zu erlösen. Unter diesen Umständen war es eine Gnade. Sie können mir später dafür danken.«
Mackintosh hätte sich am liebsten auf den Mann gestürzt, ihm die Hände um den Hals gelegt und zugedrückt.
»Hier ist jemand, der Sie gern sehen möchte. Kommen Sie näher, meine Liebe. Herr Mackintosh ist hier. Sie müssen ihm wirklich guten Tag sagen.«
Mackintosh begriff, dass im Korridor noch jemand wartete. Sommer ging zur Seite, um Platz zu machen. Es war eine Frau. Sie trat ins Licht, und Mackintosh sah das blonde Haar und das blasse Gesicht.
Oxana stand dicht neben Sommer. Der Generaloberst konnte sein Entzücken kaum bändigen.
»Dachtest du wirklich, ich verrate mein Land?«, fragte sie.
Mackintosh spuckte ihr vor die Füße.
»Streitbar bis zum Schluss«, sagte Sommer. »Ich muss Sie jetzt verlassen, aber ich bin bald wieder da. Wir müssen dieses Gespräch führen. Ich möchte Sie nicht belügen: Es wird nicht angenehm werden, und ich werde Sie bestrafen, ob Sie mit mir kooperieren oder nicht. Sie werden mir sagen, wo ich die Soldaten finde, die meine Leute umgebracht haben. Und wenn ich sie finde, werde ich sie herbringen, und dann werden sie sich wünschen, sie wären nie geboren worden.«