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D ie Explosion war ohrenbetäubend. Die Druckwelle rollte durch den Korridor. Die kahlen Wände verstärkten den Donner, und die Tür, die Jimmy angelehnt hatte, flog auf. Staub und Betonsplitter flogen herein, und Jimmy wandte sich ab, um seine Augen zu schützen. Das Echo des Knalls flog hin und her, und dazwischen krachte es, als etwas Schweres gegen die Betonwand prallte.

Die Tür des Tresorkellers .

Er wartete einen Moment lang, bis es in seinen Ohren nicht mehr klingelte, und trat dann hinaus in den Korridor. Eine Staubwolke hing in der Luft, sodass man kaum etwas sehen konnte, und er roch den chemischen, beißenden Geruch des Plastiksprengstoffs. Er wartete, bis der Staub sich verzog, bevor er den Schaden begutachtete. Die Tür war glatt aus den Angeln gerissen worden und lag flach auf dem Boden. Jimmy stieg darüber hinweg und betrat den Tresorkeller.

Er sah sich um. Die Kammer war nicht groß: fünf Schritte tief, fünf Schritte breit. Drei der Wände waren mit Stahlregalen ausgestattet, und jedes Regal war bis an die Grenze seines Fassungsvermögens mit Goldbarren beladen, säuberlich zu Quadern und Pyramiden gestapelt. Jimmy ging zum nächsten Regal und strich mit einem Finger über den unteren Rand eines der Stapel. Er zählte zehn Barren in einer Reihe und fünf in der Höhe. Zehn mal fünf: fünfzig Barren in einem Stapel. Die Barren waren identisch, zehn Zentimeter lang und vier Zentimeter breit. Er nahm einen in die Hand. Er war schwer, und er trug einen Adler-Stempel: Der Reichsadler auf einem Hakenkreuz war das Symbol der Nazi-Partei im Dritten Reich. Darunter war eine Inschrift eingeprägt: »DEUTSCHE REICHSBANK«, und darunter stand: »1 KILO FEINGOLD« inklusive einer Seriennummer.

Jimmy wusste, was ein Goldbarren von dieser Größe wert sein würde: mindestens 30 000 Pfund, vielleicht auch 40 000, je nach Marktlage.

Er trat zurück und sah sich um. In der Mitte des Raums herrschte Durcheinander. Eine Palette lag dort, voll beladen mit Banknoten-Stapeln. Die Explosion hatte die Scheine durcheinandergewirbelt. Manche Stapel standen noch, aber die meisten waren auseinandergeweht. Jimmy hob ein paar Scheine vom Boden auf: D-Mark, Franc, Rubel, Dollar, Pfund. Lauter große Scheine.

Auf der anderen Seite des Raums, in der Ecke zwischen Regal und Tür, stand ein offener Schrank. Jimmy zog die Tür ganz auf und schaute hinein. Er sah eine säuberlich geordnete Ansammlung von Akten. Sie waren alphabetisch sortiert, und einer Eingebung folgend, fuhr er mit dem Finger an den ordentlichen Reihen entlang, bis er den Ordner mit dem Buchstaben M gefunden hatte. Er nahm ihn heraus und blätterte darin, bis er eine Akte mit einem Reiter gefunden hatte, auf dem »MACKINTOSH« stand. Er schlug die Akte auf. Sie enthielt Berichte in deutscher Sprache, die er nicht lesen konnte, und einen Stapel Fotos. Er ging die Fotos durch. Mackintosh vor dem Konsulat, in einem Restaurant, im Park. Mehrere Bilder zeigten ihn mit einem Mann, den Jimmy noch nie gesehen hatte.

Er stellte die Segeltuchtasche auf den Boden, öffnete sie weit und packte eine einzelne Reihe von Goldbarren hinein. Die Barren waren schwer, und Jimmy musste eher das Gewicht berücksichtigen, das die Tasche hielt und das er bequem tragen konnte, als das Volumen der Barren. Er hob die Tasche hoch und entschied, dass die Grenze erreicht war. Er bedeckte das Ganze mit einer Lage Geldbündel, die von Papierbanderolen zusammengehalten wurden. Mackintoshs Akte legte er obenauf; dann zog er den Reißverschluss zu und wuchtete die Tasche über die Schulter. Die Barren klirrten und kamen dann zur Ruhe. Die Tasche war schwer; er wusste, früher oder später würde er eine Möglichkeit finden müssen, sie anders zu transportieren.

Im Schrank lag eine Luger. Jimmy fragte sich, ob die Waffe aus Sommers Zeit bei der SS stammte. Er nahm sie und verließ den Tresorraum rückwärts, um einen letzten sehnsuchtsvollen Blick in die Runde wandern zu lassen. Er wusste, dass er so viel mitnahm, wie möglich war. Er lachte leise, als er daran dachte, was Smiler sagen würde, wenn er ihn hier sehen könnte. Der Gedanke an Smiler führte sein Hirn auf geradem Weg nach Hause, zu Isabel und zu Sean, und er verbot sich sofort die kleinste Verzögerung. Er musste sich beeilen.

Mit der Pistole in der Rechten und der Tasche über der Schulter ging Jimmy zum Aufzug. Er drehte den Schlüssel im Schloss, rief den Aufzug, betrat die Fahrstuhlkabine und drückte auf den Knopf zum Erdgeschoss. Als die Tür sich wieder öffnete, trat er mit schussbereiter Pistole in den Flur.

Niemand war zu sehen.

Er wandte sich nach links, weg vom Ausgang. Geipel hatte einen Hinterausgang in den Plan gezeichnet, den er für Mackintosh angefertigt hatte. Den wollte Jimmy jetzt benutzen, nicht das vordere Portal. Er folgte dem Korridor ins Innere des Gebäudes und kam durch ein Speisezimmer und durch die Küche. Der Ausgang befand sich am anderen Ende der Küche und war verschlossen. Er probierte jeden Schlüssel, aber keiner passte. Jimmy trat zurück, hob die Pistole und schoss. Die zweite Kugel riss das Schloss heraus. Jimmy trat mit aller Kraft dagegen, und der ganze Mechanismus zerbrach.

Die Tür führte zu einem Hofdurchgang und einer Reihe Mülltonnen. Es schneite immer noch. Dicke Flocken waren an der Tür heraufgekrochen. Jimmy trat hinaus. Seine Stiefel brachen durch die weiche Kruste, und er sackte bis zu den Knien ein. Er machte sich auf den Weg. Was er brauchte, war ein Auto. Er musste so weit weg von hier, wie es nur ging.